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Singende Theologie

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Aus alten Zeiten her hat die Kirchenmusik sich den Ehrennamen „Die singende Theologie" erobert, und seit alten Zeiten ist sie bemüht und gehalten, diese Bezeichnung rein zu bewahren und vor jeder Fälschung zu hüten. Das ist niemals leicht gewesen, denn Irrtümer bedrohen wie die Worte auch die Töne ständig im Geist, in der Güte, in der Form, in der Heiligkeit, im Künstlerischen, in der Allgemeingültigkeit. Auch heute ist es nicht anders. Über manche Vorkommnisse schütteln wir den Kopf, wissen sie mit der Würde und Erhabenheit, die einer singenden Theologie ansteht, nicht zu vereinen, sei es in der Musik selbst, sei es in der Art ihrer Ausführung oder sogar in der Wahl des Ortes. Wir begreifen schwer, daß man Symphoniekonzerte in Domkirchen, dagegen in absolut profanen Gebäuden festliche Hochämter veranstaltet; wir begreifen noch weniger den vielfach rein geschäftlichen Betrieb der kirchenmusikalischen Praxis, die nicht mehr den Kirchenchor als Vertreter und Wortführer der Pfarrgemeinde kennt (oder doch, in den großen Städten wenigstens, nur noch ausnahmsweise), sondern die Ausführenden für ein gewähltes Werk, gleichsam vom Markte weg engagiert und zu gängigen Marktpreisen bezahlt. Oft eilen die Sänger im Taxi von einem Hochamt zum anderen, laufen in der einen Kirche zu früh weg, um in die andere möglichst wenig zu spät zu kommen, fangen mit dem „Agnus“-Gesang im Munde schon das nächste „Kyrie“ an. Anderseits wird es uns ebensowenig verständlich, daß in manchen Kirchen, auch Pfarroder Dekanatskirchen, auch an den größten Festtagen nicht die Hochform der Messe, das Hochamt, gefeiert, sondern durch eine Betsingmesse oder gar durch ein „Deutsches Amt" ersetzt wird, darin man Meß- und Zeitlieder zerstückelt, ihre Ganzheit und damit auch ihren Wert zerreißt und ihren Sinndeutlich musische solchen Vorgehens betonend. Wir verstehen schon gar nicht die Werksarnjut yjer kirchenmusiknl ischcąr Praxis, die sich in rund einem Dutzend bekannter Kompositionen (und auch nicht viel mehr Volksgesängen) immer wiederholt und den unübersehbaren Musikschatz gänzlich übersieht, den

gerade die Kirche im Laufe der Jahrhunderte angesammelt hat und den sie auch heute noch ununterbrochen vermehrt.

Da jedoch alle Unzukömmlichkeiten der Praxis das geistige Bild verzerren, und daher letzten Endes Sünden am Geist sind, kann nur vom Geiste her der richtige Weg wiedergefunden wer

den. Es scheint, daß die eigentliche Musik der Kirche, der gregorianische Choral, das einzige Mittel ist, die gottesdienstliche Musik durch ihr Verhältnis zu ihm vor mehr oder weniger großen Abwegen zu bewahren. Jede Kirchenmusik stfeht und fällt in ihrem kirchlichen Wert und Rang durch ihr Verhältnis zum gregorianischen Choral, und zwar nicht in stilkritischer Hinsicht, sondern als singendes Beten. Wenn die Kirche beim Gottesdienst das Singen erlaubt, beziehungsweise verlangt, dann nur als die ekstatische Steigerung des Gebets, niemals aber als künstlerische Dekoration. Deshalb müssen ja auch die gesungenen Texte vollständig verständlich sein und vor Verstümmelungen ebenso wie vor sinnstörenden Wiederholungen bewahrt bleiben. Singen ist Erhebung der Herzen, nicht ästhetische Spielerei oder bloß Wohlgefallen der Sänger. Das gilt von der Kunstmusik in der Kirche wie vorn VnlV

verfällt, wenn der Geist des singenden Gebets fehlt, sogleich der Gefahr des Konzerts (in dem der Zelebrant gleichsam ausnahmsweise mitsingen darf), letzteres iedoch. der Volkseesane. wird

zur Leier- oder einfach auch zur Wortunterbrechung, entspricht er dem höchsten geistigen Erlebnis, dem Gotteserlebnis nicht. Im gregorianischen Choral besitzen wir für jeden Tag des Jahres die Eigengesänge, dazu siebzehn Ordinariumsgesänge mit sieben Credoweisen. Welcher Kirchenchor hat auch nur annähernd an mehrstimmiger Musik- eine ähnliche Auswahl? Allerdings gibt es die alten Meister, von Thibaut bis (Palestrina,. und die, folgende A-cappe!Ia-Zeit. es glljt. die GdgeMväFt mit ihren teilweise problematischen eine

große Anzahl den gottesdienstlichen Forderungen gerechter wird als bekanntere, weil gepflegtere Stile. Es gibt schließlich die barocke und die romantische Instrumentalmesse, die be

sonders in unserem Lande nicht aussterben werden, weil wir eben heute noch in irgendeiner Weise Nachkommen des Barocks und (wie auch die neuesten Musikversuche mit serieller, punktueller und elektronischer Musik beweisen) im Grunde Romantiker sind. Die Kirchenmusik darf und soll alle Stile pflegen. Die Alleinherrschaft eines einzigen Stiles aber ist ein Irrtum und ein um so größerer, je ferner dieser Stil jeweils dem Choral und je näher er dem Konzert steht. Es ist klar, daß die Verkonzertierung den Marktbetrieb im unmittelbaren Gefolge hat. Der Geist fällt aus der Form, wenn sie zur Schablone wird. Natürlich kann mau mit gemieteten Leuten überall eine Haydn- oder Mozartmesse aufführen (die Qualität steht leider selten zur Debatte), weil die Sänger diese Messen „sitzen“ haben und überall singen. Es ist ihr „Repertoire". Man sieht schon an den Termini, wie weit es kommt. Selbst wenn hier noch die äußere Form erfüllt ist, hat sie nichts mehr zu sagen, weil sie nicht mehr der Gebetsgeist der Gemeinde ist, der sich zu künstlerischer Form in der Auswahl ihrer Fähigen gestaltet hat, sondern eben Musikbetrieb.

Ähnlich steht es aber auch mit dem Volksgesang in der Kirche. Wir haben hier als liturgische Funktionslieder etwa die beiden Meßgesänge „Hier liegt vor Deiner Majestät“ und „Wohin soll ich mich wenden?“. Sie gehören dem Typ der Singmesse an, sind arg zersungen und werden im neuen Typ der Betsingmesse, wie schon erwähnt, auseinandergerissen und mit Strophen irgendwelcher Andachtslieder vermischt, ihr ihnen etwa noch verbliebener Gegenwartsgehalt zerfällt auf diese Weise vollends. Aber es gibt seit geraumer Zeit ganze Bände neuer deutscher Propriumsgesänge und auch Ordinariumslieder werden neuestens in jenem Geiste geschaffen, dem sie dienen und an ihrer Stelle entsprechen. Es ist auch hier immer nur der Geist, der schafft; aber der Geist ist auch jenen notwendig, die mit der Ausführung betraut sind. Ihre Verantwortung ist groß, aber' die unsere nicht kleiner. Wir müssen lernen, die gottesdienstliche Musik als das zu sehen und zu hören, was sie sein muß: als die zu Tönen erhobene Rede zu Gott, ob latent oder deutsch, denn Gott bleibt derselbe. Und wir müssen ablehnen lernen, was diesem Geiste nicht entspricht: das Konzert, das zu Ichbezogene. Beides kann in allen Formen da sein. Aber „nicht jeder, der da sagt: Herr, Herr" ist gerechtfertigt, sondern der im Geiste und Demut betet und singt. In allen Stilen und Sprachen.

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