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Erneuerung oder Zerstörung der Messe?

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Der Gläubige als Mitfeiemder Fragt man heute den „Durchschnittschristen“, was ihm als Ergebnis des II. Vatikanischen Konzils besonders augenscheinlich sei, wird er in 90 von 100 Fällen sagen: „Die Messe ist anders geworden“. Dem genaueren Kenner der Materie ist natürlich klar, daß diese Antwort nur einen Teilaspekt angibt. Aber der Sonntagsgottesdienst ist nun einmal für das Gros der Gemeinde die Hauptangelegenheit der Kontakt- nahme oder des Miterlebens mit der Kirche. Was sich dort ereignet, betrifft ihn besonders intensiv; alle anderen pfarrli- chen Veranstaltungen stehen meist mehr oder weniger am Rande seines täglichen Lebens.

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Der Gläubige als Mitfeiemder Fragt man heute den „Durchschnittschristen“, was ihm als Ergebnis des II. Vatikanischen Konzils besonders augenscheinlich sei, wird er in 90 von 100 Fällen sagen: „Die Messe ist anders geworden“. Dem genaueren Kenner der Materie ist natürlich klar, daß diese Antwort nur einen Teilaspekt angibt. Aber der Sonntagsgottesdienst ist nun einmal für das Gros der Gemeinde die Hauptangelegenheit der Kontakt- nahme oder des Miterlebens mit der Kirche. Was sich dort ereignet, betrifft ihn besonders intensiv; alle anderen pfarrli- chen Veranstaltungen stehen meist mehr oder weniger am Rande seines täglichen Lebens.

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Daß die Messe „anders“ geworden ist, wird von den einen - zweifellos der absoluten Mehrheit der Kirchgänger - mehr oder weniger beifällig oder doch wenigstens ohne große Vorbehalte angenommen, von anderen dagegen bedauert oder abgelehnt. Was dem einen als eine sinnvolle Erneuerung erscheint, gilt anderen, oft mit großer Emotionalität und Emphase, als Zerstörung und Verlust Daß die Zahl der letzteren und deren Sympathisanten gar nicht so gering und als quantité négligeable abzuqualifizieren ist, scheint offensichtlich angesichts der jüngsten Ereignisse um den Missions-Alterzbischof Lefebvre. Schon der bloße Verdacht einer Destruktion der Messe, die das Konzil doch Quelle, Mitte und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens nennt, verlangt die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen. Leichtfertigkeit wäre sträflich.

Diesem Vorwurf einer Zerstörung der Messe gilt es nachzugehen. Wer sind die Kritiker? Vorwiegend wohl konservative Kreise, oft mit guter humanistischer Bildung, die dem Latein und dem gregorianischen ■ Choral nachtrauem, obwohl beides keineswegs abgeschafft, wenn auch im allgemeinen Sonntagsgottesdienst seltener geworden ist. Oder auch musikalisch Gebildete, die die polyphonen Meßgesänge, speziell der klassischen Zeit, vermissen. Unter ihnen sind wohl auch eine Reihe von Konvertiten, die sich gerade wegen des feierlichen Meßrituals der katholischen Kirche zugewandt hatten; aber auch solche, die nur selten oder jahrelang nicht zur Sonntagsmesse gekommen waren und nun plötzlich eine stark veränderte Meßliturgie vorfanden, weil sie die Einzelschritte der Reform, die ja schon lange vor dem Konzü eingeleitet waren, nicht miterlebt haben. Für diese schon ein halbes Jahrhundert andauernde Reform steht für Österreich der Name von Pius Parsch in Klosterneuburg.

Gegenstand der Kritik ist vor allem das Meßbuch, obwohl andere liturgische Texte - etwa der Weihesakramente - sehr viel stärker verändert sind, aber eben weniger häufig oder gar nicht erlebt werden. Kritisiert wird die Tatsache einer Änderung überhaupt, gelegentlich bis zur Verwerfung des Konzils, das sie ja inaugurierte, aber auch, daß seit einem Jahr die alte Form der Messe, die man fälschlich die „tridentinische“ Messe nennt (sie hat doch in der Zwischenzeit erhebliche Redaktionen erlebt, sogar recht einschneidende wie unter Pius XII. mit der Änderung der Osterfeier), abrogiert ist.

Allen Kritikern gemeinsam ist ein gewisses Mißverständnis der Grundlage der Liturgiereform: Diese Reform betrifft ja nicht so sehr die liturgischen Bücher, die ja lediglich ein Mittel der Feier der Liturgie sind, sondern eine bessere Erkenntnis des Wesens der Liturgie selbst. Liturgie ist keineswegs, wie man lange Zeit einseitig betonte, nur der von der Kirche geregelte Gottesdienst, in dem die Gemeinde Gott das Lob-, Dank- und Bittopfer in Namen Christi und in der Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers darbringt, sondern vorher schon Gottes Ankunft in Wort und Sakrament, in denen er sich der Menschheit zuspricht und mitteüt Liturgie hat also nicht nur den Aspekt vom Menschen zu Gott hin, sondern viel mehr noch und vorher schon den von Gott zum Menschen hin. Liturgie ist Feier unserer Erlösung, in der Gott stets neu den Menschen zum Heü ruft und es ihm zugleich mitteüt und in der zugleich der glaubenswillige Mensch Gott in Anbetung antwortet. Liturgie ist damit der Ort der Heüszuwendung, Kirche in ihrem konkretesten Auftrag und Wesen. Wegen dieser dialogischen Doppelbewegung von Gott zum Menschen und vom Menschen zu Gott muß also in der Liturgie nicht nur der Glaube richtig zum Ausdruck kommen, sondern auch der konkrete Mensch immer neu in seiner Welt verständlich angesprochen sein, so daß ihn die Botschaft auch betrifft, „betroffen macht“. Und das wiederum nicht in rein passiver Annahme, sondern in gläubigem Mittun. Gott hat uns zwar erschaffen ohne uns, aber er wül uns nicht erlösen ohne uns. Das Heü wird dem Menschen nicht magisch übergestülpt, sondern er wird als Mensch von Gott ernstgenommen und soll mittätig sein im Geschehen seiner Heiligung: Wer glaubt, also sich mit seiner ganzen Existenz gehorsam Gott zur Verfügung stellt, wird gerettet.

Daher und vor allem deswegen war es Auftrag des Konzüs mit seiner vordringlich pastoralen Zielsetzung, daß Liturgie in Wort und Zeichen stets verständlich sein müsse. Daher ist zunächst einmal die Sprachbarriere des Latein weitgehend abgebaut worden. Wortverkündigung ist nicht länger ein gottesdienstliches Ritual, sondern soll zum Glauben oder zu seiner steten Aktivierung führen. Das wird für den Sonntagsgottesdienst einer Gemeinde die Regel sein müssen, was freüich nicht hindert, daß in Kathedralen, Stiften oder in des Lateins kundigen Kreisen alte Formen mit ausdrücklichem Willen der Kirche weiterbestehen. Das Argument der Gastarbeiter- oder Touristenseelsorger beweist eigentlich nichts: Auch dort ist der Großteü der die Messe Feiernden jeweüs anzusprechen, wobei Mehrsprachigkeit natürlich jederzeit mögüch und sogar erwünscht ist; Latein würden ja alle miteinander dort nicht oder doch nur zu einem kleinen Teü verstehen.

Daß fernerhin die Kirche die Spannweite der Lesung der Schrift außerordentlich vermehrt hat, wird man begrüßen: So kann im Laufe einer gewissen Zeit das wesentliche Verkündigungsgut auch tatsächlich vorgetragen werden. Das neue Meßbuch ist - jetzt ohne die Lesungen - durch das vermehrte Gebetsgut noch ebenso umfänglich wie früher; aber acht neue Lektionarbände sind hinzugekommen. Diese zunächst rein quantitative Vermehrung hat den qualitativen Vorzug einer viel reicheren Verkündigung, die es der Gemeinde angemessen aufzuschließen güt.

Nach dem Willen des Konzüs soüten aber auch die Zeichen verstehbarer werden. Sie stammen zwar zu einem Teü noch aus einer früheren, stärker agrarisch bestimmten Zeit und Welt. Sie sind damit aber nicht sofort als nunmehr ungeeignet suspekt, sondern vielfach auch tiefer und unaufgebba- rer Ausdruck gemeinmenschlicher Erfahrung und persönlicher Identifikationsmöglichkeit. Die gegenwärtige menschliche Verhaltensforschung belehrt uns über die große Zahl der Zeichen und Symbole, die den einzelnen tiefer und umfassender bewegen, als das bloße Wort. Denken wir doch nur an die Reklame, die viel weniger mit Worten als mit Symbolen - etwa des sozialen Status, des Wohüebens - agiert. Zwar ist das Symbol mächtiger und umfassender und aktiviert den Menschen ganzheitlicher, aber das Wort ist präziser und eindeutiger. Daher war es schon seit Augustinus Grundgesetz der Sakramentenspen- dung: Zum Element tritt das Wort hinzu und beide machen das sakramentale Zeichen aus. Daß man freilich auch ein Zeichen zerreden kann, sollte mancher Liturge heute bedenken: Das dauernde und subjektiv-wülkürliche Gerede ist von der Liturgiereform keineswegs gedeckt! Diese spricht auch ausdrücklich vom Schweigen als einem unaufgebbaren Element der liturgischen Feier: Nur so ist Verinnerlichung und liturgische Spiritualität möglich.

Die neue Liturgie ist vor allem nicht länger mehr Klerusliturgie, wie sie es leider „durch die Ungunst der Zeiten“ (Liturgiedekret) geworden war. Der Christ, der der Liturgiereform vorschwebt, ist nicht länger passiver Zuschauer, sondern als Mitfeiemder zur Teilnahme aufgerufen. Sind die Kräfte geringer, wird der Gottesdienst zwar weniger pompös ausfallen. Schadet das viel? Gottesdienst kann so nur redlicher und menschlich glaubwürdiger und darin sogar anziehender werden, wenn er nicht auch vom Konsum an Emotion und kirchlichem Sentiment verheert wird. Daß wir aber aufgefordert sind, ihn schön und ausdrucksmächtig zu gestalten, nichts von den vertretbaren guten alten Zeichen zu vergeuden, ist selbstverständlich unsere Aufgabe und der Bemühung aller Gutgesinnten wert.

Der von der Kirche vorgezeichnete Weg ist also richtig. Schon auf dem Konzil stimmten 2147 Bischöfe dem Liturgiedekret zu, nur vier lehnten es ab; das bedeutet eine Ablehnung von nur zwei pro Tausend. Das wird auch heute noch die Durchschnittszahl der militanten Konzils- und Emeuerungs- gegner sein: Etwa ein bis zwei Dutzend in einer durchschnittlich großen Gemeinde. Nun wäre es aber eine schlechte und schon gar nicht kirchliche Praxis, sie schlechthin zu majori- sieren oder einfach zu ignorieren, wie es doch vielfach geschieht. Jede Gemeinde sollte ihre Argumente anhören und sehr aufmerksam bedenken. Man wäre schlecht beraten, alle Kritiker sofort für Querulanten zu halten, da sie oft berechtigte Angst vor der Zerstörung von nicht wieder Einbringbarem haben, wenn es einmal aus Dummheit und Sorglosigkeit abgebaut ist. Leicht kann Eifer, auch der zum (oft doch nur vermeintlich) Guten, blind sein und machen. Wesen des vielberufenen Klerikalismus ist ja immer die Willkür, die nur sich selbst meint und das breite Gottesvolk aus den Augen verliert Zwist oder gar Schisma richten da nichts aus. Aber schade um jede gute Anregung, die verloren ginge bei diesem wichtigen Werk der Erneuerung.

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