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Liturgie und Inkarnation

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Die Inkarnation des Logos ist eine der Wirklichkeiten, von denen das Christentum lebt. Wir sehen in ihr einen Höhepunkt des göttlichen Gemeinschaftswillens: Der Herr wird einer von uns, damit wir Ihm fürderhin in den Brüdern begegnen können; Er leidet wie wir, damit unser Schmerz nicht umsonst gelitten sei; Er geht im und durch den Tod zum Vater; Er teilt also unser Schicksal, um Sein Liebesangebot glaubhaft zu machen. Seit Christus Sein Erdendasein durchlebt hat, geschieht die Begegnung mit Gott in tiefer Alltäglichkeit. Darum gibt es für die Seinen seither auch keine Trennung zwischen „sakral“ und „profan“ („sakral“-und „profan“ sind typische Begriffe einer vorchristlichen Situation).

Dieser Wirklichkeit der Inkarnation werden wir untreu, wenn wir unseren Gottesdienst in Farmen der Vergangenheit pressen, wenn die wichtigsten sakramentalen Zeichen (Brot und Wein) nur noch rudimentär vorhanden sind, wenn Haltungen, Formen und Gebräuche, die nur noch durch religionsgeschichtliche Erläuterungen erhellt werden können, zäh ihren Platz halten. Von der Inkarnatiön her darf die Sprache (im weitesten Sinn des Wortes) der Liturgie nicht wesentlich von der unseres Alltags abweichen. Wir dürfen unseren Gottesdienst nicht zu einem Reservat für Weltflüchtige degradieren.

Es wirkt peinlich, wenn wir heute gerne vom Herrenmahl sprechen und dann so wenig wirkliche Formen des Mahles antreffen; darunter leidet die Glaubhaftigkeit der Verkündigung.

Wenn im Herrenmahl sich Christus den Seinen zur Speise gibt, dann muß der Nahrung suchende Christ auch Speise erhalten; die Hostie ist als Zeichen der Nahrung ungeeignet; sie ist für das Auge unserer Erfahrung nicht Brot. Ähnliches gilt vom Kelch. Es geht hier nicht um die dogmatische Frage der ganzen Anwesenheit des Herrn in beiden Gestalten. Es ist aber rundweg unhöflich, wenn in einer Tischgemeinschaft einer in Vertretung aller trinkt. Solche Formen sind ein Affront gegen die grundsätzliche Gleichheit der Gemeindeglieder untereinander. Die heutige Regelung für die Kelchkommunion trägt eindeutig die Züge einer Klerusliturgie. Ferner ist zu bedenken, wie man das heilige Brot reicht: Legt man nicht nur Unmündigen die Nahrung in den Mund? Die Einwände vieler sogenannter Praktiker, die Kelchkammunion sei schwer durchzuführen, sprechen nicht gegen den Laienkelch, sondern für die Neustrukturierung der Gemeinden.

Die Frage der Kirchenmusik erhitzt die Gemüter heute mehr denn je; und zwar, weil jeder meint, Generallösungen anbieten zu müssen. Grundsätzlich aber ist — von der Inkarnation her — jede Art von Musik und jeder Stil für den Gottesdienst geeignet, sofern die Gemeinde nur nicht in eine stumme Zuhörerrolle abgedrängt wird. Darum wird unter Umständen der musikalische. Stil von Gemeinde zu Gemeinde verschieden sein. So gesehen hat auch die rhythmische Schlagermusik ihren legitimen Platz in der Meßfeier. Der Schlager ist das

Volkslied des Atamzeitaätens. Deshalb ist es nur billig, wenn man zugibt, daß Menschen unserer Zeit im musikalischen Idiom dieser Zeit wahrscheinlich ehrlicher das Lob Gottes singen als in Melodien, Rhythmen und Texten, zu denen sie keine Beziehung mehr haben. Man würde die Intentionen des Konzils mißverstehen, wollte man nur alte Formen reaktivieren; es ist doch eher angebracht, den ursprünglichen Geist der Liturgie der frühchristlichen Zeit wiederzubeleben. Und diese frühe Zeit kennt in hohem Maß Pluralismus und Flexibilität.

Die liturgischen Texte (Gebete und Gesänge) sind Übersetzung und Inerpretation der Offenbarung. Sie singen und sagen vom Herrn, Seiner Liebe und Treue, Seinem Gemeinschaftswillen, dem Herrenmahl selbst usw. Man sollte aber nicht Interpretationen durch Jahrhunderte in unverändertem Wortlaut tradieren; sonst bildet sich neben den Lesungen aus der Schrift ein weiteres System von Lesungen heraus, die einer eigenen Interpretation bedürfen. Der Erfolg: wir brauchen eine Interpretation der Interpretation. Das Missale Romanum ist ein einziger Beweis dafür. Die liturgischen Texte bedürfen deshalb der Umsetzung in die Sprachen der jeweiligen Zeit.

Eines ist klar: Ehrlicher Dienst an der Liturgie, und sie ist ein Anliegen aller Christen, müßte vor dem Fehler bewahren: Es darf nicht nach dem mühsamen Abbau des alten Rubri- kenigebäudes ein neues errichtet werden, das den Gottesdienst bald wieder zur Sterilität verdammt.

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