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Religion und Muttersprache

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Die Begegnung von Religion und Muttersprache ist so alt wie die Kirche selbst. Sie hängt engstens mit dem Lehrauftrag Christi zusammen, das Evangelium allen Völkern der Erde zu verkünden. Diesen Lehrauftrag konnten schon die Apostel nur erfüllen, wenn sie die göttliche Heilslehre den Völkern in ihrer Sprache brachten. Schon vom ersten Pfingstfest berichtet uns die Apostelgeschichte, wie die Angehörigen verschiedener Sprachen Gottes Wort in ihrer Sprache hörten. In diesem Sprachwunder des Pfingst-festes und in der aus der apostolischen Zeit überlieferten Gabe der Sprache dürfen wir nicht nur eine Bestätigung der tatsächlichen Verwendung der Volkssprache als Sprache der Verkündung des Gotteswortes erblicken, sondern gleichzeitig auch eine göttliche Sanktion der Mannigfaltigkeit der Sprachen, die bisher als Sprachverwirrung eine unmittelbare Folge der Strafe der Verwirrung der Geister war.

Als neben die christliche Lehre immer mehr auch das Gedächtnis des Brotbrechens in den Mittelpunkt des Gottesdienstes der ersten Christen trat, entwickelte sich um dieses auch eine eigene Liturgie. Auf dieses Gedächtnis des Brotbrechens beziehen sich auch die Worte des 1. Korinther-briefes: „Ich will beten mit dem Geiste, ich will aber auch beten mit dem Verstände, ich will Gott lobpreisen im Geiste, ich will Ihn aber auch lobpreisen mit dem Verstände. Sonst, wenn du im Geiste den Segen erteilst, wie soll dann Er, der die Stelle des Laien einnimmt, zu deinem Segen Amen sagen, Er weiß ja nicht, was du sagst. Du magst zwar ein schönes Dankgebet sprechen, doch der andere wird davon nicht erbaut.“

Diese Worte des Völkerapostels wurden im Laufe der Geschichte immer wieder dazu verwendet, um der Ablehnung der lateinischen Sprache als liturgische Sprache eine autoritative Rechtfertigung zu geben. Was Paulus aber veranlaßt haben mag, diese Worte gerade an die Gläubigen der jungen Kirche der Stadt Korinth zu schreiben, die an der Wiege der griechischen Kultur und Sprache gelegen war, ist wohl unschwer zu erklären, wenn man berücksichtigt, daß Korinth damals eine Welthandelsstadt war, in der sich zahlreiche Angehörige fremder Sprachen niedergelassen hatten und zur ersten Christengemeinde zählten. Für Paulus, der sich zur weltweiten Auffassung bekannte, daß es im Christentum keine Griechen und Römer, Skythen und Barbaren, Freie und Knechte mehr geben dürfe, mag es wohl zunächst darum gegangen sein, dem nationalen Hochmut der Griechen entgegenzutreten, die, noch von ihrer vergangenen Kulturmission erfüllt, nur die griechische Sprache als Sprache der Lehre und des Gebets anerkennen wollten.

Anderseits gab es zu jenem Zeitpunkt noch keine feste Liturgie, so daß der Schwerpunkt des Gottesdienstes noch in der Lehre und in freien Gebeten war.

Von diesem Hintergrund aus gesehen, eignen sich daher diese Worte Pauli durchaus nicht als klassisches Argument dafür, daß er ein Gegner einer eigenen Liturj bespräche war.

Die sprachliche Gestaltung de Mittelmeerraumes begünstigte später zwangsläufig auch eine sprachliche Vereinheitlichung des Gottesdienstes, welche um die Mitte de* 5. Jahrhunderts bereits so veit fortgeschritten war, daß Latein, Giechisch und Aramäisch als die drei Hauptliturgiesprachen bezeichnet werden konnten. Augustinus nannte diese drei Sprachen bereits Weltsprache:, weil in ihnen die ganze christliche Welt den Gottesdienst feierte.

Der Glaube an den Vorrang der vorerwähnten drei. Weltsprachen ging später so weit, daß man' sich scheute, die Liturgie in die Volkssprache zu übersetzen, ja sogar eine andere als diese Sprachen in die Volksgebete aufzunehmen, bis sich im Jahre 784 die Frankfurter Synode veranlaßt sah, festzustellen, daß es fall ch sei, zu glauben, Gott könne nur in drei Sprachen angebetet werden, vielmehr erhöre Gott jedes Gebet, ohne Rücksicht auf die Sprache, wenn nur der Inhalt gerecht sei.

In der Folgezeit stellte sich einer zunehmenden Verwendung der Muttersprache in Lehre urd Gebet der Tiefstand der Bildung des Klerus entgegen, der so weit ging, daß die Priester vielfach schon nicht mehr imstande waren, eigene Predigt :n zu halten, und diese entweder ganz fallen ließen oder sich mit der Verleiung der Homilien der Väter zufrieden gaben. Diesem Mißstand traten noch zu Lebzeiten Karls des Großen vier Synoden schärf -stens entgegen. So schrieb jene von Reims (813) im französisch-deutschen Grenzbereich ausdrücklich vor, daß die Predigten nach der Verschiedenheit der Sprache zu halten seien.

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