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Papst Pius XII. und die Bedeutung der neuen Psalmen für die Kirche

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Mit der Einführung einer neuen Psalmenübersetzung hat Papst Pius XII. eine historische Entscheidung getroffen. Diese Änderung markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der katholischen Kirche.

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Mit der Einführung einer neuen Psalmenübersetzung hat Papst Pius XII. eine historische Entscheidung getroffen. Diese Änderung markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der katholischen Kirche.

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Mitten im Zusammenbruch des Abendlandes, als der blutigste aller Kriege zu Ende ging, hat der Heilige Vater Papst Pius XII. einen Schritt getan, der mit fast zwei Jahrtausenden Kirchengeschichte abschließt und für neue Jahrtausende den Grundstein legte. Dieses Ereignis war nicht von laut lärmender Äußerlichkeit, sondern es betrifft das verschwiegene, innerliche Leben der Kirche. „Die Herrlichkeit der Königstochter ist ja ganz innen.“ Die Verordnung betrifft den großen Chor der Beter auf allen Weltteilen.

Der Papst hat dem betenden Volk einen neuen Psalmentext in die Hand gegeben. Nun soll der tägliche Gebetsdienst nicht mehr in der durch zwei Jahrtausende fast in Fleisch und Blut der Kirche übergegangenen altlateinischen Übersetzung, die an vielen Stellen ganz dunkel, ja sogar unverständlich ist, vollzogen werden, sondern in einer neuen Weise, in einer ganz neu aus dem hebräischen Urtext angefertigten Übersetzung, in der die dichterische Kraft und Schönheit der Ursprache besser zum Ausdruck kommt.

Eine neue Ära der Psalmen

Nun werden sich für Tausende von Jahren die betenden Lippen an diese Worte gewöhnen; nun werden die Herzen im Rhythmus dieser neuen Weise schlagen. Diese Tat des Heiligen Vaters kann wahrlich als eine Tat von abendländischem Ausmaß bezeichnet werden. Denn unzertrennlich mit dem christlichen Abendland ist der altlateinische Psalmentext, der in den alten Basiliken Spätroms genau so gesungen wurde wie in den wuchtigen, wehrhaften romanischen Kirchen der germanischen Frühzeit, aber auch in den zum Himmel aufstrebenden Domen der Gotik, der auch dem Ansturm des Renaissance-Gewaltmenschen nicht wich und sich auch mit der nüchternen Sachlichkeit der Moderne zufriedengab. In allen bitteren und leidvollen Stunden, in allen sieghaften und krafterfüllten Augenblicken des Abendlandes standen die Psalmen wie eine verstehende Mutter, an deren Brust man sich ausweinen und freuen konnte. Priester und Mönche haben diesen alten Text Tag und Nacht im Stundengebet geheiligt; Gelehrte und Heilige ihn dem gläubigen Volk erklärt.

Unter dies alles wird nun ein Schlußstrich gezogen. Eine neue Textform ersteht. Ist nicht auch dies ein Zeichen, an dem zu erkennen ist, daß die Stunde des Abendlandes geschlagen hat? Daß nun die größeren, neuen Dimensionen der Weltkirche sichtbar werden? Gerade in dieser Stunde der Geschichte dürfte es angezeigt sein, sich nochmals kurz den langen Weg zu vergegenwärtigen, den der lateinische Psalmentext durch die Jahrhunderte gegangen ist. Auch der Heilige Vater macht diesen Rückblick in dem Motu proprio vom 24. März 1945, das der neuen Psalmenausgabe vorangestellt ist. Im folgendem seien die Grundgedanken des päpstlichen Schreibens kurz skizziert.

Die Geschichte der Psalmenübersetzung

Die lateinische Kirche hat ihre Psalmen nicht direkt aus dem Hebräischen, sondern durch Vermittlung der griechischen Kirche erhalten. Die alten Übersetzungen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie „Wort für Wort“ getreu den Spuren ihrer Vorlage folgen. Bei der inneren Verwandtschaft der beiden antiken Sprachen ist dies noch erträglich. Aber trotzdem stieß man sich an manchen Härten, so daß gar bald die verschiedenen Verbesserungen einsetzten. Die wichtigste und entscheidendste Psalmenrevision wurde vom heiligen Hieronymus, dem „doctor maximus in der Schrifterklärung“, durchgeführt. Sein Bestreben war, den herkömmlichen lateinischen Text nach den besten griechischen Codices zu revidieren. Die offensichtlichen Fehler und Dunkelheiten der griechischen Übersetzung blieben daher noch weiterhin bestehen. Daher ist es begreiflich, daß sich Hieronymus mit dieser allgemein verbreiteten „Vulgata“-Übersetzung nicht zufrieden gab. Er stellte eine neue Übersetzung aus dem hebräischen Urtext her, die dem lateinischen Sprachempfinden mehr Rechnung trug. Leider konnte sich dieser Hieronymus-Text, der ein besseres Schicksal verdient hätte, im öffentlichen Gebrauch der Kirche nicht durchsetzen. Hier behielt nach wie vor die altlateinische Übersetzung in der von Hieronymus durchgeführten Revision ihre beherrschende Stellung bei. Wegen seiner vorwiegenden Verbreitung im Frankenreich wird diese Textgestalt auch „Psalterium gallicanum“ genannt und wurde von Pius V. als Pflichttext ins römische Brevier aufgenommen.

So stehen wir — fast möchte man sagen — vor einem Wunder von Ehrfurcht und Geduld, das nur in der Kirche Gottes möglich ist. Trotz der unbeholfenen, menschlich-erbärmlichen Gestalt wurden die Psalmen im tiefen Glauben als Wort Gottes weitergegeben. Generationen arbeiteten daran, die dunklen Stellen aufzuhellen, bis die Zeit gekommen schien, die Ergebnisse der Textforschung in einer Neuausgabe zusammenzufassen. Ein Beispiel dafür, daß Rom Zeit und Geduld für Jahrtausende hat.

Fortschritte in der Bibelwissenschaft

Mit dem Fortschritt der Sprachwissenschaften im vorigen Jahrhundert, besonders mit dem grandiosen Ausbau der Orientalistik — man denke nur allein an die Entzifferung der Hieroglyphen und Keilschriften — kam auch Klarheit in viele dunkle Stellen der Bibel. Durch die großen Ausgrabungen im alten Orient, sowohl in Ägypten wie im Zweistromland wie im Heiligen Land selber wurde die alte Geschichte dieser Länder greifbar nahe. Dazu wurden die Normen der Textkritik immer präziser ausgebildet. Anfänglich als Mittel gegen die Bibel gebraucht; nicht frei von Leidenschaftlichkeit und Grenzüberschreitungen auf beiden Seiten, ist gerade die Textkritik zu einer immer zuverlässigeren Grundfeste der Bibel geworden. Der Rausch der Quellenscheidung ist nicht bloß in der Profansprachwissenschaft, sondern auch in der Schriftexegese so ziemlich verraucht. Insbesondere fiel neues Licht auf die Psalmen durch die genauere Erforschung der metrischen und rhythmischen Gesetze der orientalischen Dichtkunst.

Alle diese Ergebnisse der Forschung wurden schon vielfach in den modernen Psalmenübersetzungen aufgearbeitet. Durch diese Übersetzungen in die Muttersprache ging vielen erst so recht die Schönheit und Kraft der Psalmen auf. Kein Wunder, wenn da allenthalben der Wunsch laut wurde, auch beim täglichen Stundengebet einen Text zu haben, der den modernen Bedürfnissen gerecht würde. Nicht bloß Professoren, sondern vor allem der große Chor der Beter, Priester, Bischöfe und Kardinäle und Mönche wandten sich immer wieder nach Rom mit der dringenden Bitte, eine Psalmenrevision vorzunehmen.

All diesen Wünschen hat unser Heiliger Vater, der sich hierin wahrhaft als „Pastor angelicus“ erweist, in überraschender Weise entsprochen. Schon in der Bibelenzyklika hatte er die Losung ausgegeben, die das Motu proprio von neuem aufgreift, daß nämlich „alle Kräfte eingesetzt werden müssen, um dem gläubigen Volk Tag um Tag immer mehr die Schrift zugänglich zu machen“. Sind solche Worte nicht ein Anzeichen dafür, daß die abendländische Kirchenspaltung, die über der Bibel entbrannte, von jetzt ab in ein neues Stadium eintritt? Denn jetzt hat der Papst selber als Losungswort die Bibel in den katholischen Raum hineingerufen und so die alten Kräfte in der katholischen Kirche aufgerufen, die nie versiegten, aber teilweise schlummerten. Der Heilige Vater sagte: „Eben weil wir eine solch große Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift haben — sie ist von Gottes Heiligem Geist eingehauchtes Gotteswort in menschlicher Sprache —, eben deswegen sind wir um so mehr aufgerufen, alle Kräfte für die Bibel einzusetzen.“ Im protestantischen Raum ist die Bibel da und dort vom Gottesbuch zu einem religionsgeschichtlichen Buch abgewertet, das nicht mehr Autorität beanspruchen kann als die heiligen Schriften der anderen Völker. Daher könnten gerade diese Kreise des Protestantismus aus dem römischen Quell neues, frisches, göttliches Leben schöpfen.

Obwohl sich der Heilige Vater den Schwierigkeiten des Unternehmens voll bewußt ist — denn der Vulgata-Text ist auf das engste mit den Schriften der Väter und Kirchenlehrer verbunden und hat durch den jahrhundertelangen Gebrauch in der Kirche höchste Autorität erlangt — trotz all dieser schwerwiegenden Bedenken gab er den Befehl, die neue Psalmenübersetzung nach dem hebräischen Urtext in möglichster Anlehnung an die bisherigen lateinischen Übersetzungen durchzuführen. Den Auftrag erhielt das päpstliche Bibelinstitut, das in verhältnismäßig kurzer Zeit das Werk durchführte. Nach diesem Text nun das „divinum officium“, den „göttlichen Gebetsdienst“, zu vollziehen, ist eine wahre Freude des Geistes. Es sind nur wenig Verse, bei denen man die neue Hand nicht merkt. Durch das Motu proprio ist die Benützung dieses neuen Textes allen jenen, die zum Chorgebet verpflichtet sind, freigegeben. Die vatikanische Druckerei hat die erste Auflage in die Welt hinausgesandt, der in den verschiedenen Ländern Nachdrucke folgen werden.

Gerade im Neuaufbau der Menschheit nach diesen furchtbaren Katastrophen sollen die Psalmen eine ganz besondere Rolle spielen. Sie sollen wie der Herzschlag alles Leben der Christenheit durchpulsen. Aus den Psalmen sollen immer wieder, vom Heiligen Geist im Gebet durchglüht, die ewigen Ideale der Menschheit neu erstehen, wie da sind: Gottesfurcht und glühende Gottesliebe, unentwegter Mut und tapferer, aufrechter Sinn, dann die Gesinnung der Buße, Reue und Zerknirschung, ohne die Gott der Menschheit nicht gnädig sein kann; schließlich die nie erlahmende Hoffnung und das Warten auf Christus, den Erlöser, der allein dieser unglücklichen Menschheit Heil und Rettung bringen wird.

Wenn der jetzige Papst nicht schon durch viele andere Großtaten seinen Namen unauslöschlich in die Geschichte der Kirche eingetragen hätte, so genügte diese eine Tat der neuen Psalmenausgabe, um ihm für alle kommenden Zeiten den Dank des großen Chores der Beter zu sichern, die nun Tag und Nacht nicht aufhören werden, in dieser neuen Weise die erhabene Majestät des großen Gottes zu ehren, um für die unsäglichen Leiden der Welt Hilfe zu erflehen.

Anmerkung: Im Verlag Herder erscheint demnächst eine neue deutsche Psalmenübersetzung mit kurzer Einführung auf Grund des neuen römischen Textes vom Verfasser dieses Artikels.

Die Wiener Katholische Akademie hat die dankenswerte Aufgabe übernommen, nach sieben Jahren der unfreiwilligen Abschließung die Brücken zum Weltkatholizismus erneut aufzubauen. Diesmal war Abbé Jean Rupp, der Direktor der katholischen Jugend der Diözese Paris, der Einladung zu einem Vortrag über die gegenwärtigen Weltprobleme und den französischen Katholizismus gefolgt. Als Zuhörer hatten sich Kardinal Erzbischof Dr. Theodor Innitzer, der französische Stadtkommandant General du Payrat und bedeutende Persönlichkeiten der Kirche, der Besatzungsmächte und des öffentlichen Lebens eingefunden. Es ist eine eigentümliche Atmosphäre um den Prälatensaal des Schottenstiftes, diesen feierlich noblen Raum, Glied einer benediktinischen Heimstätte, die so recht Ausdruck ist bester österreichischer Kultur, dessen, was Österreich durch nahezu 600 Jahre Europa gegeben hat.

Die Begrüßung sprach Professor Thauren, der Generalsekretär der Akademie, der Zweck und Ziel des Gedankenaustausches mit ausländischen Vertretern des Katholizismus unterstrich. Nach ihm fand zur Einleitung für den großen Vortrag, Capitain de la Maestre Worte von wohltuender Wärme und edler Gesinnung für unser Land. Die französische Sprache ist eine wunderbare Sprache und meisterhaft geformt, kann sich niemand ihrem Eindruck entziehen. Der Sprecher überbrachte die Grüße des katholischen Frankreichs an die Katholiken Österreichs.

Abbé Jean Rupp ist ein glänzender Redner. Man begreift es sofort, daß er der Mann ist, der imstande ist, der französischen Jugend Aufmerksamkeit und Gefolgschaft abzufordern. Mit kraftvoller Geste unterstrich er das Gewicht seiner Worte. Er spricht für Frankreich und doch über Frankreich hinaus. Er ruft dazu auf, den entfesselten Kräften, die heute die Menschheit tief aufwühlen, aus dem sicheren Besitz des christlichen Erbgutes einen ruhigen Pol entgegenzustellen. Der französische Katholizismus setzt sich deshalb philosophisch mit Atheismus und Materialismus auseinander. Er fühlt die Pflicht des Kampfes um die Freiheit und Würde der menschlichen Persönlichkeit. Er versucht die Klassen zu einigen, ohne ihre sozialen Rechte zu schmälern, und die Katholiken in Frankreich zum Wohle der christlichen Kultur mit den Brüdern in anderen Ländern, aber auch mit anderen christlichen Bekenntnissen zu verbinden.

Es war ein interessanter Abend und man muß sich freuen, daß es der erste von vielen sein wird.

Dieser Artikel ist im Original unter dem Titel "Die neuen Psalmen" am 7. Februar 1946 erschienen.

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