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Tanz im Dienste seelischer Kultur

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Es ist noch nicht allzulange Zeit verstrichen, seit für die Ohren wahrhaft religiöser Christen eine Begriffsverbindung wie „sakraler Tanz“ etwas fast Sakrilegisches in sich zu bergen schien. Nicht mit Unrecht. Denn was das Wort Tanz nodi vor nur einigen Jahrzehnten einzig und allein bedeutete, war rein weltliche Lustbarkeit, auch in seinen dezentesten und sittliches Empfinden keineswegs verletzenden Formen. Tanz diente, ob im häuslichen Kreise oder im öffentlichen Lokal gepflegt, nicht anders wie der Schautanz auf der Operettenbühne dem Ausdruck überquellender Lebensfreude, die zu äußerer körperlicher Bewegung drängt. An sidi sinnlos erscheinend, vermag jedoch eine solche an den Rhythmus der Begleitmusik gebundene Bewegungsform auch dem unbeteiligten Zuschauer ein gewisses Maß ästhetischen Vergnügens zu gewähren, besonders wenn die Tanzenden auf Eleganz und Gefälligkeit der körperlichen Haltung bedacht sind. Im speziell ausgebildeten Kunsttanz, seit Jahrhunderten unter dem Namen Ballett ein wichtiger Bestandteil der Opernform, wurde die Entwicklung nach der eben erwähnten Richtung — ästhetisches Vergnügen an schönen Bewegungsformen — auf höchste Leistungen, ja sogar bis zum Spitzentanz und schließlich zur Tanzakrobatik geführt.

Abgesehen von den eigentlichen Reigentänzen, werden alle in Paaren von Mann und Frau ausgeführten Tänze von einem gewissen erotischen Fluidum kaum frei sein, womit aber eine wirkliche sittliche Gefahr nicht unbedingt verbunden sein muß. Anders scheinen die Dinge bei einer Art von Tänzen zu liegen, die, von andersrassigen Völkern ausgehend, auch bei uns Eingang gefunden haben und gegen welche nach unserem Empfinden moralische Bedenken durchaus am Platze sind, zumal auch die dazugehörige Musik mit ihrem die

Nerven stimulierenden Rhythmus nicht wenig beiträgt, erotische Stimmung zu fördern.

In solchem Sinne genommen, ist der Tanz natürlich gerade das Gegenteil von sakraler, religiöser Kunst. Nun begreift aber das Wort Tanz in sich nicht nur Bewegungsformen der eben erwähnten. Art, die lediglich, ohne irgendwelche Sinngebung von der intellektuellen Seite des Menschen her, ihren Impuls in erster Linie von der natürlichen Lebensfreude des gesunden und vor allem jungen Menschen empfangen. In den Begriff des Wortes Tanz sind jedoch in weitcrem Umfange auch eingeschlossen jene körperlichen Aktionen, durch die ohne Zuhilfenahme der Sprache, vielleicht auch, aber nicht unbedingt notwendig, von passender Musik unterstützt, bestimmten Gefühlswerten, ja sogar Ideen deutlicher Ausdruck verliehen wird. Man darf daher der Pantomimik, in der seelische Konflikte und deren Lösungen nur durch das Mittel de-. Mienenspiels, körperlicher Gebärden und Gesten, ohne erklärendes Wort, dem Zuschauer verständlich gemacht werden, die Anerkennung als wahre und hohe Kunst nicht versagen. Es wirkt ja auch der große Schauspieler nicht nur durch die vollendete Beherrschung des sprachlichen Vortrags, sondern ebenso, wenn nicht noch mehr mit den äußerlichen, rein körperlichen Mitteln seiner Darstellung.

Das Wort saltare (tanzen) wurde bei den Alten durchaus in dieser weiteren Bedeutung genommen. Wir wissen auch, daß nicht nur bei den Naturvölkern der Tanz heute noch ebenso kultischen Zwecken dienstbar gemacht wird, wie wir dies bei den alten Kulturvölkern der Griechen und Römer in hochentwickelter Form vor uns haben. Wie weit das Christentum in seiner ersten Zeit dort, wo das öffentliche Bekenntnis des Glaubens und die Abhaltung des Gottesdienstes nicht behindert war, solchen Bräuchen Raum gegeben hat, ist uns zu wenig bekannt. Immerhin gestatten Äußerungen mahnender und tadelnder Art bei den ältesten orientalischen Kirchenschriftstellern, einen Schluß dahin zu ziehen, daß die im heidnischen Kult üblichen religiösen Tänze auch vor der Schwelle christlicher Gotteshäuser nicht Halt machen wollten.

Übrigens besitzen wir ja schon aus dem Alten Testament ein bedeutsames Zeugnis für den Einbau des Tanzes in die Kultformen im Berichte über den Tanz Davids vor der Bundeslade, in welchem wir wohl kaum einen exzeptionellen Einzelfall anzunehmen berechtigt sein dürften.

Sicher ist, daß die Kirche im Mittelalter mancherlei Gelegenheit hatte, gegen verschiedene Mißstände einzuschreiten, die sich aus dem Zusammenhang von Kultfonmen und Tänzen ergaben (Konzil von Leptinus 743 mit seinem Index heidnischer Gebrauche, Beichtspiegel des Burchard von Worms 1024 und andere). Bis in die neuere Zeit herein haben sich nur mehr geringfügigste Reste von in den Kult eingebauten tanzähnlichem Brauchtum herübergerettet, wie etwa der choreographisch gestaltete Aufzug der Chorknaben in der Kathedrale von Sevilla.

Wenn man aber unter Tanz eine nach ästhetischem Gesichtspunkte geordnete, auf schönen Ausdruck bedachte rhythmische Bewegung des Körpers versteht, so hat besonders die katholische Liturgie von jeher darauf ihr Augenmsrk gelenkt. Denn beim feierlichen Gottesdienst wie beim privaten Gebet wird Geist und Sinn des ganzen religiösen Geschehens sich in der körperlichen Haltung der beteiligten Gläubigen widerspiegeln. In weiser Erkenntnis dessen hat die Kirche für alle vom Zelebranten und seiner liturgischen Assistenz zu vollziehenden Gesten, deren Form bis in jede Einzelheit vorgeschrieben. Die Art, wie sie vollzogen werden, läßt immer einen berechtigten Schluß auf die Andacht (von „an etwas denken“!) der Ausführenden zu.

Um wie vieles erhebender und zur innerlichen Teilnahme stärker mitreißend wirkt auf die Umstehenden eine schön ausgeführte Zeremonie gegenüber einer solchen, der man die innere Teilnahmslosigkeit für schön oder unschön des sie Ausführenden sofort erkennen kann!

Das Christentum steht durchaus nicht auf dem Standpunkte, der Leib des Menschen sei etwas Sündhaftes; im Gegenteil, er soll zum wahren Tempei des Heiligen Geistes werden. Geist aber ist Leben und wo Leben ist, drängt es zu Betätigung, auch in der Äußerung religiöser Gedanken und Gefühle durch die Glieder des Leibes in ihren Bewegungen.

Die — im Sinne des Schönen, sinnlich Gefälligen — vollendete Bewegung ist der Tanz. Die Bewegung der Seligen in Dantes Paradies ist Tanz, denn sie nehmen schon teil an der ewigen Harmonie, am göttlichen Urrhythmus aller geistigen und körperlichen Schöpfung. Wie die Vorstellung eines tanzenden Gottes auch anderen Religionen nicht fremd ist, so sieht das verzückte Auge des mittelalterlichen Mystikers als Choragos (Reigenführer) inmitten der tanzenden Engel und Seligen Christus selbst sich bewegen. Diese uns Heutige wohl fremd anmutende Vorstellung ist aber leicht durch verschiedene Schriften der Mystiker zu belegen. So läßt Suso Christus sprechen: „Wohl dem, der das Liebesspiel, den Freudentanz in himmlischer Wonne an meiner Seite, an meiner schönen Hand in fröhlicher Sicherheit immer und ewig tanzen soll.“

Aber auch die Toten tanzen — ein nicht unbeliebtes Motiv mittelalterlicher Kunst. Der Tod holt die durch den Sündenfall dem heiligen Rhythmus göttlicher Weltordnung Entglittenen wieder zu ihm zurück und gliedert sie in die rechte Bewegung ein, ob arm oder reich, ob König oder Bettler!

So sehen wir den Tanz immer wieder als das Sinnbild einer höheren und damit schöneren Ordnung nicht bloß im materiellen, sondern sogar im metaphysischen Sinne. Darum wird man von christlicher Seite der neuen Tanzbewegung, die sich sowohl in neuen Formen des Laien- wie des Kunsttanzes bemerkbar macht und für welche seinerzeit schon P. Fr. Muckermann S. J. mit Wärme eingetreten ist, nicht ablehnend gegenüberstehen, sondern die in ihr gegebenen psychologischen Kräfte in den Dienst des religiösen Lebens stellen. Das stets mehr erwachende Verständnis für die Liturgie kann sehr wohl dazu führen, die aktivere Teilnahme der Gläubigen wieder in Formen zu prägen, für welche wir schon in den ersten Jahrhunderten der Kirche so schöne Beweise haben und die, im Gegensatz zu der seit dem Mittelalter immer stärker werdenden Abdrängung der Gläubigen zur Rolle bloßer Zuschauer, sie wieder zu einer wirklichen Ecclesia nicht nur des Glaubens, sondern auch der heiligen Opferhandlung macht. Und für die schöne Gestaltung solcher Gemeinschaftsformen wird man der künstlerischen Kräfte des Tanzes bedürfen, die in diesem Falle freilich von Persönlichkeiten getragen sein müssen, die der Heiligkeit des Gegenstandes aus eigener prakti-tischer Betätigung des Christentums heraus wirklich gerecht werden können.

Alles in allem dürften diese kurzen Ausführungen immerhin gezeigt haben, daß der Begriff „sakraler Tanz“ reale Gültigkeit besitzt und daß kein Grund besteht, dem Ungewöhnlichen und Ungewohnten aus einer gewissen Bequemlichkeit im Urteilen heraus schon Mißtrauen entgegenzubringen, auch wenn es sich um eine neue Form religiöser Kunst handelt. Vielmehr wollen wir uns ihres neuen Reises freuen; denn obgleich der hauptsächliche Sinn des bisher Gesagten der sein sollte, zu zeigen, daß die Verbindung Tanz—Kult oder allgemeiner: Tanz—Religion uralt ist, so stellen doch die von heutigen Künstlern geschaffenen Tanzkompositionen religiöser Art insofern ein Novum dar, als sie nicht in Verbindung mit der Liturgie oder einem gesprochenen Drama stehen, sondern allein und mit nur eigenen Ausdrucksmitteln erhebend oder erschütternd, immer jedoch religiös erbauend auf die Zusehenden wirken wollen. Auch die begleitende Musik ist dabei nicht so sehr wesentlich, sondern nur als die Wirkung vertiefend beigezogen, sofern es sich nicht um eine ad hoc für den betreffenden pantomimischen Vorwurf geschriebene handelt.

Eine Wiener Künstlerin, Aimee Carola von Kutscher a, beschritt bei uns diesen neuen Weg religiöser Darstellungskunst mit ihren „sakralen Tanzdramen“. Daß der Gedanke gut war und ist, wird klar von den von ihr erzielten künstlerischen Erfolgen vor einem begreiflicherweise der neuen Sache gegenüber zum Teil recht skeptisch eingestellten Publikum erwiesen sowie auch dadurch, daß er schon seine Nachahmung durch erstrangige Künstler ihres Faches gefunden hat.

In der Gestaltung der eigentlich religiösen Themen bedient sich Kutschera einer zweifachen Form, einer größeren und einer kleineren. In der größeren sind die „sakralen Tanzdramen“ eine Kunstgattung, die mit dem Oratorium Verwandtschaft zeigt: Gruppen- und Solotanz umrahmt und musikalisch getragen von Gesangschören, Soloarien und Instrumentalmusik („Verkündigung“, „Beweinung Christi“); in der kleineren Form werden religiöse Motive von Solofiguren zur Darstellung gebracht („Maria Magdalena“, „die kluge und die törichte Jungfrau“, „musizierender Engel“ und ähnliche). In den von A. v. Kutschera geschaffenen „Szenen aus einem Totentanz“ geht die Künstlerin eigene Wege, die die Einstellung der Menschen dem Tode gegenüber zum Gegenstand haben („Die den Tod fürchten“, „Die den Tod rufen“, „Die den Tod herausfordern“, „Flucht vor dem Tode“ usw.).

Gerade in den genannten Totentanzszenen hat A. v. Kutschera gezeigt, in welcher Richtung ihre tiefdurchdachten künstlerischen Ambitionen gehen. Sie verheißen eine Entwicklung, von der wir uns Wertvolles verspredien dürfen. Vor allem aber müssen solche ernsten Bestrebungen, denen audi jedesmal ein schöner Publikumserfolg seine Bestätigung verlieh, von sehen der katholischen Kreise tatkräftige Förderung erfahren. Denn alles, was der Intensivierung des religiösen Lebens dient, muß herangezogen werden, um im Neuaufbau unserer schwer geprüften Heimat seine Mitarbeit zu leisten. Dazu gehört wohl nicht in letzter Linie die religiöse Kunst, in welcher Gattung sie immer sich betätigen mag.

Hat man sich früher einmal den Tanz gedacht als einen Kreis, in dessen Mitte der Teufel sitzt, so wollen wir uns lieber an das Wort des heiligen Basilius halten: „Tanzen ist die vornehmste Beschäftigung der Engel.“ öffnen wir demnach solchen Künstlern, die auch auf scheinbar weniger gangbaren Wegen ihren Beitrag zur Pflege christlicher Kultur leisten wollen, willig die Tore, indem wir alte Vorurteile beiseite räumen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Kräfte zu entfalten und ihr Können in den Dienst einer heiligen Sache stellen. Schon P. Schröteler S. J., der sich mit diesen Problemen eingehend befaßte, weist darauf hin, wie stark das Rhythmische als solches von uns Katholiken bejaht werden kann und betont den alten Standpunkt der Kirche, die nichts Wertvolles verbauen, wohl aber wertvolle Ansätze vor schleichendem Verderben bewahren will. „Aber trotzdem über allem steht die positive Aufgabe, unserer Zeit eine neue Tanzkultur zu schaffen, nicht bloß für den Kunsttanz, sondern auch für den Volks- und Gemeinschaftstanz und wer hier schöpferisch neue Wege weist, dem reichen wir beide Hände.“

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