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SAKRALBAU HEUTE

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“WJHr sehen, wie sich in unserer Gegenwart eine zahlenmäßig “ bedeutende Kirch enbaubewegung entfaltet. Stehen wir erst an ihrem Anfang? Der von den Diözesen für die nächste Zeit genannte Bedarf an Kirchen für die noch immer wachsenden Vororte nimmt eher noch zu. Wie werden diese Kirchen aussehen? Werden sie den hohen Erwartungen entsprechen?

Es ist leider Tatsache, daß nur ein Teil der Bauherren und Architekten, die diese Neubauten verantworten, das Anliegen Kirchenbau erfaßt haben. So besteht weiterhin die Gefahr, daß man nur äußerlich, ohne Überzeugung und Urteil, nach launischem Ermessen künstliche Mischformen aus Mode, ungebildetem Geschmack und Tradition produzieren läßt.

Auch unter den Architekten des Kirchenbauens finden bedauerlicherweise oft die Erfolgsritter leichteren Zugang zu den Aufträgen als die wertvollen Charaktere und Talente, die aus Verantwortung und ohne sich in faule Kompromisse einzulassen, mühsam um die gültige und sinnvolle Form ringen. Oft haben gerade diese Menschen dem Bauherrn gegenüber den schwereren Stand. Die Erfolgsarchitekten hingegen verstehen geschickt auf Gewohnheiten und eigenwillige Erwartungen einzugehen. Im Rufe des „vernünftigen“ und „maßvollen“ Baumeisters werden sie mit ihren schmeichelnden Bauvorschlägen naturgemäß viel lieber zu Aufträgen herangezogen. Mit der wachsenden Zahl der Aufträge finden sie dann weder Zeit noch Lust zu einer tieferen Besinnung und Auseinandersetzung um eine sinnvoll begründete Formgebung. Die Aufträge lassen ihr Baubüro aufblühen, der Wert ihrer Leistung fällt immer mehr ab.

/Tiltige Kirchenbauten sind nur dort zu erhoffen, wo die ver-antwortlichen bischöflichen Bauämter und Pfarrherrn genügend Aufgeschlossenheit zu einer echten Begegnung mit den Formgebern der Zeit zeigen. Aussichtslos ist die Lage für den Kirchenbau dort, wo man selbst der Fachdiskussion bei schwierigen Anliegen und der Kritik an offenkundigen Fehlleistungen ausweicht. Eine Haltung, der die bisherigen Erfolgshelden unter den Architekten eifrig sekundieren. Mit spöttischer und anonymer Kritik ist freilich nichts getan. Und sie soll an die richtige Adresse gelangen. Es ist erfreulich, wenn man gerade in den Organen der kirchlichen Kunst offene Worte der Auseinandersetzung lesen kann. Fruchtbare Gespräche dieser Art fanden schon in den Zeitschriften der dreißiger Jahre ihren Niederschlag.

In jüngster Zeit bedeutet der vom Leiter des internationalen Institutes für kirchliche Sozialforschung in Wien, Dr. Erich Bodzenta, in den „Christlichen Kunstblättern“ (1960, Nr. 3) veröffentlichte Artikel eine wertvolle Überprüfung der bisherigen Baupraxis. Mit Hinweis darauf, daß die Zahl der guten Kirchen nur einen Bruchteil der gebauten ausmacht, heißt es da in bemerkenswerter Offenheit:! f03 f\ yflf 15221'

„Matt mufl sich fragen: Fehlt der Kirche, der jahrhundertelangen Hüterin und Förderin auch der Künste, heute die Fähigkeit, die geistlichen Wirklichkeiten auch baulich zu inkarnieren? Sind uns Gestaltungsmacht und die Kunst der Unterscheidung verlorengegangen? Bis zum Barock zeigte sogar jede kleine Landkirche — frotz manchem Krimskrams — den zielsicheren Gebrauch der Kunst im religiösen Raum-, Geschmack und Selektion, als Ausdruck geistlich-geistiger Sicherheit von Pfarrer und Gemeinde. Nur über wenige Beispiele gleicher schöpferischer Kraft könnte man für die Nachkriegszeit berichten.“

Nach Ansicht des Autors wäre für die künftigen Bauten mehr Zeit vorzusehen zur geistigen Vorbereitung der Aufgabe. Bei den Ausschreibungen sollten häufiger als bisher die Begabten, notfalls auch aus dem Ausland, herangezogen werden. Offene Ausschreibungen sollten auch jungen Kräften mehr Gelegenheit zu ihrem Beitrag bieten. Viel Sorgfalt wird empfohlen, um wenigstens einige Kirchen mustergültig durchzuplanen und in vorbildlicher Klarheit zu verwirklichen. Der ständige Hinweis auf die drängende Eile wegen des Bedarfes an Kirchen sei keine Entschuldigung. Man müßte sich eben zunächst mit provisorischen Leichtbauten behelfen, die dann ja an einen anderen Ort ummontiert werden können.

“Dodzenta hat mit seinen Ausführungen den Kern des An-Iiegens getroffen. Mag der Kirchenbau auch aus der Technik entstehen: nie darf er als Bauwerk der Flüchtigkeit dieser Zeit verfallen und nur der Mode genügen wollen. Wenn sich die Raumordnung und die Klarheit der Formen der einfühlenden Nachprüfung nicht als geistig begründet erweisen, dann wäre es besser, man hätte den Aufwand für diesen Kirchenbau gespart und sich im Eingeständnis der Unfähigkeit zu einer solchen Aufgabe vorläufig “mit einem leichten Hangar als Notopferstätte begnügt.

Wir sind aber der Überzeugung, daß es unter uns Kräfte für gültige Lösungen im Kirchenbau gibt. Einige wenige Bauten — und es sind gerade die, die zunächst sehr umstritten waren — liefern dafür den anschaulichen Beweis. Die Krise liegt darin, daß man zuwenig Wert darauf legt, die zu Gebote stehenden Formen der Gegenwart ernst genug zu nehmen, und vom Glauben her zu deuten und zu beseelen. Die Verbindung der sinnhaften Zeichenwerte mit den Glaubensvorstellungen der Kirche ist eine Leistung des Geistes, die ohne Bemühung nicht gelingt. Der Weg dazu sind nicht Schaubücher und Photos über Kirchenbauten aus aller Welt. Auch die äußerliche Gewöhnung an das neue Gesicht des Kirchengebäudes ersetzt nicht diese Bemühung. Man leistet sie nur, wenn man den Sinn der Aufgabe gründlich studiert und dafür sorgt, daß die Bedeutung der neuen Raumbilder von den verantwortlichen Bauherren und von allen Gläubigen immer tiefer erfaßt wird.

Man muß begreifen, was Thomas Zacharias im „Münchener „Klerusblatt“ (1. November i960) schrieb: „Die Gestaltung moderner Kirchen ist keine Frage des Wohlgefallens, sondern eine . Lebensfrage christlicher Existenz.“ Diese Worte mögen übertrieben klingen, werden aber verständlich, wenn wir das Schaubedürfnis des modernen Menschen in Rechnung stellen. Der Autor beurteilt die große Ausstellung der deutschen Kirchenbauten anläßlich des Eucharistischen Kongresses als einen fälligen Rechenschaftsbericht. „Selbstgefällige Anerkennung der eigenen Leistung kann diese Rechenschaft ebensowenig ersetzen wie der Anstoß am Ungewohnten.“ Eine solche Rechenschaft läßt sich, wie die Aufgabestellung selbst, nur in der Begegnung von Theologie und Kunst leisten. Einerseits gilt, daß „nicht die theologische Zweckhaftigkeit, sondern die baukünstlerische Gestalt über die Gültigkeit des sakralen Raumes entscheidet, über seine Aussage, über seine Würde“. Es wäre ein folgenschwerer Irrtum, wollte man die Forderungen des christlichen Kultes und die Gesichtspunkte der Frömmigkeit als das allein gültige Maß in der Beurteilung der Formen am Kirchenbau ansehen. Das „führt leicht zu Räumen, die ausdruckslos sind, oder deren Ausdruck dem Geist der Liturgie entgegen ist, auch wenn sie ihr äußerliches Funktionieren gewährleisten“. Anderseits weist der Autor mit Recht darauf hin, daß auch das bloße Auskosten architektonischer Moden im Kirchenbau, eine Anwendung überraschender Effekte oder eine Darbietung moderner Kunst von der Art einer ästhetischen Selbstgenügsamkeit, an der Bestimmung der Kirche als Stätte der Begegnung mit Gott vorbeigeht. Daraus ergeben sich nicht nur Folgerungen für den Architekten, sondern auch für den Seelsorger und die Gemeinde, deren Bemühung es sein muß, sich in die gegebene Ordnung einzufügen, was „tiefes Verständnis und oft genug ein unbequemes Umdenken fordert“.

Die Kritik muß auch darauf hinweisen, daß aus Unkenntnis der seelsorglichen Belange immer wieder praktische Bedürfnisse auch dort übersehen werden, wo man ihnen ohne Schaden für das Raumbild leicht Rechnung tragen könnte. Noch häufiger wird aber über einer Summe praktischer Bedürfnisse das eigentliche geistige Anliegen des Kirchenbaues nicht genügend gesehen. Die Überwindung des Rationalismus und des profanen Zweckdenkens beginnt im Sakralbau erst dort, wo das Bauen über das Erklärbare hinaus zum Erlebnis des Staunenswerten führt. „Wo ein Raum gefordert wird, in dem sich die Begegnung mit dem ,ganz anderen' vollzieht, kann man seine Form nicht aus den Bestimmungen der Liturgie .ableiten'. Nicht die theologische Zweckhaftigkeit, sondern die baukünstlerische Gestalt entscheidet über die Gültigkeit des sakralen Raumes, über seine Aussage, über seine Würde“ (Th. Zacharias).

Wo man nur noch darauf sieht, daß der Raum liturgisch „richtig“ und seelsorglich praktisch ist, verkümmert der Kirchenbau zum Zweckbau. In seiner Bedeutung als Baugestalt und Zeichen bleibt er dann trotz seiner sakralen Bestimmung, trotz des guten Willens und der ihn ontologisch adelnden Weihe nur Ausdruck für profanes Getue. Aufgabe der sakralen Kunst ist es, hinter den Forderungen, die die Kirche vertritt, hinter den Tatsachen, die wir künden, und den konkreten Übungen des religiösen Lebens doch etwas fühlbar zu machen davon, daß wir in all dem Gott begegnen. Demselben Gott, der uns schuf und der soviel Großes an Sehnsucht, Erlebnisfähigkeit und Symbolerfahrung in unserem Herzen angelegt hat, und der als Herr der Zeiten auch die Gegenwart mit all ihren Möglichkeiten als Wert, als Gabe und Aufgabe, als Boten seiner Liebe schickt. ••• •-• • '• f iWMttb .stfriÜrgsrt irr Mi vi? ftlBbmX wfc-TVic Sakramente der Kirche sind des Menschen wegen da.

So wird auch das Kirchengebäude für diesen Menschen gebaut. In welcher Situation steht er? Starke Phantasietätigkeit, das Empfinden für sinnhafte Werte, eine optische Einstellung und eine besonders starke Erregbarkeit sind für den „modernen“ Menschen weithin zum Kennzeichen geworden. Teste am Großstadtmenschen, und zumal unter Jugendlichen, bestätigen dies. Der Büchermarkt, Reklame und Propaganda, Vergnügungsindustrie und Einrichtungsgewerbe tragen dem Rechnung. Wir müssen mit dieser Lage des Menschen rechnen, auf deren Gründe hier nicht eingegangen werden kann.

Unter diesen Umständen gewinnt ein echtes Ordnungsbild als im Anschaulichen gegebener Zugang zur geistigen Wirklichkeit seine große Bedeutung. Eben das bietet die gelungene Sakralarchitektur. Sie setzt sich somit gegen die Willkür einer bloß geschmäcklerischen Verwendung der Sinnwerte in Formenspiel und Farbdekoration ab, wie sie im Profanraum heute vorherrscht. Ein solches Ordnungsbild überzeugt jedoch nur in seiner Geschlossenheit. Wird es irgendwo durchkreuzt, dann zerfällt der tiefe, bis zur Veranschaulichung des Sakralen führende Sinn der Anlage. Hier gründet die Forderung nach gediegener, formaler Durchbildung. Sie ist Aufgabe des Künstlers, der diese geistige Ordnung in sich aufgenommen hat.

Eine Kirche bauen bedeutet Verantwortung gegenüber Gott und Verantwortung vor den Menschen unserer Tage. Diese Verantwortung darf nicht zur lähmenden Angst werden. Nur in froher Zuversicht ist sie zu tragen. Die beklemmende Erstarrung löst nur ein volles Ja zur Gegenwart und ihren Aufgaben. Wo man eine „gemäßigte Anpassung“ an die Zeit zum Grundsatz erhebt, weicht man der Aufgabe aus und erklärt sich dafür unfähig. Anderseits entrinnt man der drohenden Mode nur dort, wo die Form als schöpferische Leistung dem begabten Architekten anvertraut wird. Lind wo sich das Formschaffen konsequent aus jenen geistigen Grundlagen heraus entfaltet, die für uns heute nicht nur Tradition, sondern zugleich lebendige Symbolwirklichkeit sind oder werden können.

Die religiöse Bedeutung des neuen Bauens im Sakralbereich gründet in der Überzeugung, daß eine Erneuerung unserer Kultur und unseres Lebens auf die religiösen Kräfte zurückgreifen muß. Moderner Kirchenbau ist Zeugnis eines Glaubens, der den Mut zur Aufgabe dieser Weltecstaltung aufbringt. Der Architekt schenkt der christlichen Gemeinde im Kirchenbau ein Symbol ihrer engen Zusammengehörigkeit, in der sie sich zum Opfer um Christus schart. Der Raum hat der liturgischen Gemeinde nicht nur zu dienen: in seinem Charakter prägt er sie aus dem Geist der Liturgie. So gelingt es. den heute für Sinnenhaftes so empfänglichen Menschen mit Leib und Seele zum Kultgeschehen hinzuführen.

Vorstehenden Artikel entnehmen wir mit Genehmigung des Verlages Paul Pattloch, Aschaffenburg, dem eben erschienenen Band: „Sakralbau heute“ (14 Abbildungen, 40 Risse und 140 Textseiten). Die Publikation erscheint in der Reihe: „Der Christ in der Welt.“ Autor des Bandes ist Pater Herbert Muck SJ„ der in Wien in der Kunstakademie das von C. Hohmeister gegründete Institut für Kirchenbau und sakrale Kunst betreut. Die aus den Erfahrungen der Lehrtätigkeit und eines weitreichenden Beratungsdienstes geborene Arbeit nimmt fachkundig und freimütig zu den Problemen des gegenwärtigen Kirchenbauens Stellung.

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