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Erfahrung des Geistes

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Früher ereignete sich der Glaube des einzelnen in einem homogen christlichen Milieu auch der profanen und bürgerlichen Öffentlichkeit, man konnte glauben, was mindestens in der Dimension der Öffentlichkeit und der verbalen Kommunikation von mehr oder werliger allen geglaubt wurde, so daß es beinahe so aussah, als werde einem gerade in der Dimension des Glaubens doch die unabwälzbare Last der Verantwortung, der Entscheidung des Glaubens gegen Unglaube, der Hoffnung wider alle Hoffnung, der unbelohn-ten Liebe abgenommen.

Heute ist das anders. Heute muß christlicher Glaube vollzogen werden, immer neu, in der Dimension einer säkularisierten Welt, in der Dimension des Atheismus, in der Sphäre einer technischen Rationalität, die von vornherein erklärt, alle Sätze, die sich vor dieser Rationaltiät nicht verantworten lassen, seien sinnlos oder gehörten (um mit Wittgenstein zu sprechen) zu einer „Mystik“, über die man nur schweigen könne.

In einer solchen Situation ist die einsame Verantwortung des einzelnen in seiner Glaubensentscheidung in viel radikalerer Weise notwendig und gefordert, als dies früher der Fall war. Darum gehört zur heutigen Spiritualität des Christen im allgemeinen und erst recht derer, die als Träger der Seelsorge dieses Christentum öffentlich zu repräsentieren haben, der Mut zur einsamen Entscheidung gegen die öffentliche Meinung, der einsame Mut, der dem der Märtyrer der ersten Jahrhunderte des Christentums analog ist, der Mut zur Glaubensentscheidung, die ihre Kraft aus sich selber bezieht und nicht gestützt zu werden braucht durch eine Zustimmung der Öffentlichkeit.

Diese Einsamkeit des individuellen Glaubensgewissens hat aber durchaus, um bestehen zu können, eine positive Seite. Sie lebt nämlich, soll sie bestehen, aus einer ganz personalen Erfahrung Gottes und seines Geistes. Man hat schon gesagt, daß der Christ der Zukunft ein Mystiker sei oder nicht mehr sei.

Wenn man unter Mystik nicht seltsame parapsychologische Phänomene versteht, sondern eine echte, aus der Mitte der Existenz kommende Erfahrung Gottes, dann ist dieser Satz sehr richtig.

Nach Schrift und adäquat erfaßter kirchlicher Lehre kommt nämlich die letzte Glaubensüberzeugung und -entscheidung letztlich nicht bloß aus einer von außen kommenden lehrhaften Indoktrination, die von einer profanen oder kirchlichen Öffentlichkeit abgestützt wird, noch aus einer bloßen fundamentaltheologischen rationalen Argumentation, sondern aus der Erfahrung Gottes, seines Geistes, seiner Freiheit, die aus dem Innersten der menschlichen Existenz aufbricht und da wirklich erfahren werden kann, auch wenn diese Erfahrung nicht adäquat reflektiert und verbal objektiviert werden kann.

Geistbesitz ist nicht bloß eine Sache, deren Gegebenheit uns von außen lehrhaft indoktriniert wird, sondern die von innen erfahren wird.

Der einsame Christ im schweigenden Gebet in der letzten, von niemandem mehr belohnten Gewissensentscheidung, in der unbegrenzten Hoffnung, die sich an keine einzelne, kalkulierbare Versicherung mehr halten muß, in der radikalen Enttäuschung des Lebens und der Ohnmacht des Todes, die willig vorgelassen und angenommen werden, in der Nacht der Sinne und des Geistes (wie die Mystiker sagten) usw. macht die Erfahrung Gottes und seiner befreienden Gnade - -vorausgesetzt nur, daß er diese (eben nur angedeuteten ) Erfahrungen annimmt und ihnen nicht in einer letztlich schuldhaften Angst davonläuft, selbst wenn er diese Erfahrungen Gottes und seiner Gnade in seiner Transzendenz über alles einzelne hinaus nicht noch einmal interpretieren und theologisch etikettisieren könnte.

Ein zweites Charakteristikum der Spiritualität der Seelsorge von heute, das in einer seltsamen dialektischen Einheit mit dem erstgenannten Charakteristikum steht, ist die brüderliche Gemeinschaft, in der dieselbe alles tragende Geisterfahrung gemacht werden kann.

Damit ist ein Phänomen gemeint, das vielleicht heute erst langsam deutlicher wird, von dem wir Älteren nur zögernd und behutsam und seine Zukunft erwartend sprechen können. Wie ich meine, haben wir Ältere das, was mit diesem Phänomen gemeint ist, früher nicht oder höchstens wie in Spurenelementen erfahren.

Wir Älteren waren doch von unserer Herkunft und Erziehung her auch spirituell Individualisten, auch wenn wir die gemeinsame Liturgie als unsere selbstverständliche, objektive Aufgabe und Pflicht gerne vollzogen haben. Aber wo wurde an eine gemeinsame Geisterfahrung gedacht, sie ersehnt und erfahren, wie sie doch offenbar am ersten Pfingstfest der Kirche erfahren wurde, das doch vermutlich nicht das zufällige lokale Beisammensein einer Summe von individualistischen Mystikern war, sondern Geisterfahrung einer Gemeinschaft als solcher?

Eine solche Erfahrung kann und will natürlich dem einzelnen Christen jene Einsamkeit radikalster Glaubensentscheidung nicht, abnehmen und ersparen, weil menschliche Individualität und Gemeinschaftlichkeit keine miteinander verrechenbare und sich gegenseitig ersetzenkönnende Größen sind.

Aber es kann doch damit auch nicht gesagt sein, daß eine Erfahrung des Geistes in einer kleinen Gemeinschaft als solcher von vornherein nicht denkbar wäre, auch wenn mindestens wir Älteren im Klerus so etwas kaum oder gar nicht erfahren und noch weniger einzuüben versucht haben.

Warum sollte es so etwas nicht geben? Warum sollten nicht Jüngere unter den Christen und im Klerus leichter einen Zugang zu solcher gemeinsamen Geisterfahrung haben können? Warum sollte so etwas nicht heute und in Zukunft besser möglich und notwendiger sein als früher?

Warum könnten nicht unter Christen Phänomene wie gemeinsame Beratung, echt menschliche Kommunikation in eigentlich menschlichen und nicht nur äußerlich technischen Dimensionen, gruppendynamische Vorgänge usf. noch einmal umgriffen, erhöht und geheiligt sein durch eine gemeinsame Erfahrung des Geistes Gottes und so wirklich brüderliche Gemeinschaft im Heiligen Geist werden?

So etwas ist doch letztlich nicht davon abhängig, daß es in extravaganten, beinahe parapsychologisch anmutenden Begleitumständen geschieht, wie wir sie vielleicht in amerikanischen enthusiastischen Kreisen von Pfingstbewegungen kennen. Es braucht nicht mit Zungen geredet werden, man braucht keine Heilungsphänomene durch Handauflegung erzeugen wollen.

Aber wenn man für solche Dinge vielleicht nichts oder wenig übrig hat, ist damit noch lange nicht gesagt, daß es so etwas wie eine kommunitäre Geisterfahrung überhaupt nicht geben könne. Warum sollte es eine eigentlich geistliche Unterscheidung der Geister nicht auch gemeinschaftlich geben können?

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