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Modernismus am Nasdimarkt?

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Das zweite Vaticanum, die Ablöse des sakralen Kosmos durch einen säkularisierten, der Bankrott des Mythos vom christlichen Abendland, der Wegfall magischen Weltverständnisses, der Verlust der selbstverständlichen Geborgenheit in der Kirche nach Meinung einiger und das Zuviel an Autorität, Traditionalis- mus und Änderungsbedürftigkeit nach Meinung anderer, das Fehlen von Brauchtum, öffentlicher Anerkennung und Verpflichtung als Glaubensstütze, das würgende Gefühl, der Glaube habe abgewirtschaftet, bringen für die katholische Kirche eine Umstellungskrise größten Ausmaßes. Das Auseinanderfallen zwischen der Lehre der Kirche und dem Glauben vieler Katholiken erstreckt sich über die ganze Breite des katholischen Lebens. Abweichend sind die Auffassungen über Gott, die Schöpfung, die Existenz von Engeln und Teufeln, von Himmel, Fegefeuer und Hölle, von Erbsünde und persönlicher Sünde; die Lehren über die Person Christi, seine Gottheit und Menschheit, seine Auferstehung und Realpräsenz in der Eucharistie werden mit Entschiedenheit hinterfragt; Kirchenbild und Sakramentsverständnis sind nicht einheitlich, die Untrennbarkeit sakramentaler Ehen in Frage gestellt. Kirchliche Pessimisten gelten als christliche Realisten, Hoffende als Utopisten.

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Das zweite Vaticanum, die Ablöse des sakralen Kosmos durch einen säkularisierten, der Bankrott des Mythos vom christlichen Abendland, der Wegfall magischen Weltverständnisses, der Verlust der selbstverständlichen Geborgenheit in der Kirche nach Meinung einiger und das Zuviel an Autorität, Traditionalis- mus und Änderungsbedürftigkeit nach Meinung anderer, das Fehlen von Brauchtum, öffentlicher Anerkennung und Verpflichtung als Glaubensstütze, das würgende Gefühl, der Glaube habe abgewirtschaftet, bringen für die katholische Kirche eine Umstellungskrise größten Ausmaßes. Das Auseinanderfallen zwischen der Lehre der Kirche und dem Glauben vieler Katholiken erstreckt sich über die ganze Breite des katholischen Lebens. Abweichend sind die Auffassungen über Gott, die Schöpfung, die Existenz von Engeln und Teufeln, von Himmel, Fegefeuer und Hölle, von Erbsünde und persönlicher Sünde; die Lehren über die Person Christi, seine Gottheit und Menschheit, seine Auferstehung und Realpräsenz in der Eucharistie werden mit Entschiedenheit hinterfragt; Kirchenbild und Sakramentsverständnis sind nicht einheitlich, die Untrennbarkeit sakramentaler Ehen in Frage gestellt. Kirchliche Pessimisten gelten als christliche Realisten, Hoffende als Utopisten.

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Der skizzierte Zustand ist nicht Ergebnis einer systematischen Zersetzungsarbeit, nicht bloß Produkt von GLaubensschwäche und Glau- bensträgiheit, mit Slogans wie Glaubensschwund und Identitätsverlust nicht erklärbar.

Ehe Aufarbeitung der angezogenen theologischen und kirchlich-gesellschaftlichen Probleme geschieht nach dem Stand der gegenwärtigen theologischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung der Geschachte der Theologie aind der Kirche und unter der notwendigen Konzentration der kirchlichen Verkündigung auf jene existenziellen Glaubensaussagen, die das christliche Bekenntnis begründe©..- .

Ein neuer Glaube?

Wurde in der Vergangenheit der Glaube eher als ein intellektualisti- sches Fürwahrhalten von Sätzen, die mit Autorität versehen worden sind, verstanden, so hat das Zweite Vaticanum eine sehr deutliche Akzentverschiebung i’m Glaubensverständ- nis bewirkt Glauben bedeutet demnach mit Verstand, Wille, Gefühl und Körperlichkeit, also vollmenschlich, personal, existentiell sein Leben zusammen mit der kirchlichen Gemeinschaft auf die Kaitė Gottes setzen, in der Überzeugung, daß diese Karte trotz des großen Risikos, das mit dem Glauben verbunden ist, letztlich Trumpf bedeutet

Dieses Glaubensverhältnis wird durch den Enthusiasmus jener, die ihre Glaubenshaltung durch die persönliche oder gemeinschaftliche Glaubenserfahrung fundieren, ebenso erschwert wie durch den Oftenbarungs- und Lehrpositivismius, der auf die zeitgemäße Auslegung biblischer und dogmatischer Glau- bensformelm vergißt; gefährdet wird dieses GLaubensverständnis auch durch den soziologischen Versuch, den Glaubensstand der Kirche statistisch festzustellen oder nach dem Börsenstand auf dem Naschmarkt der Modernismen zu verkaufen.

Es war ein bedeutender Fehler der Katechismen, des Religionsunterrichtes und der Verkündigung, Theologien und gelehrte Spekulationen als Glaubensaussagen mitzuteilen, ohne gleichzeitig mit Nachdruck zu sagen, was daran ursprüngliches Glaubensgut und was Erklärung ist. Viele Glaubensberedte erleben es als befreiendes Evangelium, daß nunmehr ohne diplomatische Verschlüsselungen präzisiert wird, daß es viel weniger fundamentale Glaubenssätze — de fide — gibt, als bisher dort und da gelehrt wurde. Um so stärker treten jetzt aber alle die Kernsätze des Christentums in den Vordergrund.

Jeder Bibeltext hat seinen eigenen Stellenwert; nicht jedes Dogma bat die gleiche Bedeutung für den

Vollzug des Glaubens im Leben; Kemdogmen und Randdogmen sind auseinanderzuhalten. Wo diese Unterscheidungen nicht klar genug gesehen werden, ist die Grenze vom Schöpferischen Pluralismus der Theologien zur geistigen Öde, vom christlichen Glauben zur religiös verhüllten Ersatzideologie überschritten.

Die angedeuteten Unterscheidungen zwischen Kemdogmen und Randdogmen werden in den Diskussionen der Theologen, die ihren eigenen Standpunkt im Eifer der

Auseinandersetzung überbewerten nicht immer hinreichend beachtet; anderseits sind sie auch dem gläubigen Volke noch nicht hinreichend bewußt. Die Aufbauarbeit der kirchlichen Verkündigung zielt darauf hin, diese Unterscheidung bewußt zu machen. Sie achtet nachdrücklichst darauf, daß nichts vom wesentlichen Glaubensgut zerstört werde und daß fachtheologische Einzelmeinungen niemandem als verpflichtender Glaubensinhalt aufgenötiigt werden.

Das zeitlose Kriterium des Ghrist- seins, des christlichen Glaubens, ist die im täglichen Leben zu dokumentierende Überzeugung, daß Jesus von Nazareth wie kein anderer Mensch Gott transparent werden ließ. Anders gesagt: Handeln, Leben, Sterben und Auferstehen Jesu sind nicht zu ent- mytholagisierende Chiffren, sondern unwiderrufliche und unüberbietbare Offenbarungen Gottes.

Identitätsverlust der Kirche?

Das Mühen der Kirche um ihren Ort in der jeweiligen Zeit und Situation, die Entscheidung, ob sie nach gesellschaftlichen Kriterien „konservativ“ oder „progressiv“ sein will, wird das Erscheinungsbild der Kirche auch jetzt verändern, wie in der Geschichte schon oft. So lange die Kirche die Glaubensüberzeugung von Jesus Christus wach hält, bleibt sie Seine Kirche. Und sie bleib Seine Kirche durch die Verkündigung des Evangeliums und die Werbung für den Glauben.

Bei aller Erkenntnis, daß aus der VoUcskirche eine Minderheitskirche und aus dem Nachwuchschristentum ein Wahlchristentum wird, gibt die Kirche unter keinen Umständen ihren Auftrag auf, ihre Botschaft allen Menschen jederzeit zu verkünden. Der etwaige Versuch, die Verkündigung von vornherein auf Eliten einzuengen, wäre kirchlicher Identitätsverlust, würde Gettokirche oder Sekte bedeuten.

Sie ist die Kirche Jesu durch das engagierte Zeugnis in der Feier des Gottesdienstes und im Leben der Gemeinde. Die Verwirklichung der Samariterparabel unterstreicht, daß die Bruderliebe der Gemeinde, in der gegenseitigen Glaubemsstütze, an den Grenzen der Gemeinde keineswegs ihr Ende hat. Die Grundpflicht der Liebe erfordert die Rettung humaner Werte, die bei ausschließlich immanenter Begründung zum Kult des „Übermenschen“ und damit letztlich zur Brutalität werden.

Die Ausübung von Zeugnis und Liebe bringt die Kirche vielfach dahin, Lückenbüßer zu sein, weil sie sich dort zu engagieren hat, wo die Sorgen und Nöte, die Erwartungen und Hoffnungen der konkreten Umwelt sie dringend brauchen.

Ihre gesellschaftliche Funktion erfüllt sie auch, wenn sie als mahnendes Gewissen vorübergehend in unverstandener Minderheit bleibt. Durch die Bezeugung in Wort und Tat, durch den Dienst am Nächsten erweist die Kirche, daß sie ihren Auftrag erfüllt IJa das Zeugnis um so wirksamer ist ja deutlicher es durch das tägliche und tätige Leben bewiesen wird, benötigt die Kirche auch Repräsentanten dieses Zeugnisses, die als solche erkennbar sind, obwohl sie sündige Menschen bleiben, Diese Repräsentanz, dieses Totaleinstehen durch Wort und Tat entsteht nicht bloß anos dem Wollen der Gemeinden, sondern auch durch Berufung, Autorisderung und Handauflegung.

Das Amt in der Kirche wunde zu einem Stein des Anstoßes. Man wirft ihm vor, daß es nicht durcbgredft; man behauptet anderseits, daß sich der Heilige Geist im der Spontaneität der Gemeinde verwirkliche; man meint, Christentum sei eine Relation Gott—Mensch und benötige daher keine sichtbare Gemeinschaft; man klagt, daß die Hierarchie repressive Toleranz ausübe; man befürchtet, daß die Kirche durch das Amt zu einer Sitzungskirche werde.

Mögen all diese Einwände gegen das Amt zum Teil Wahres an sich haben, so gilt trotzdem: Das Amt in der Kirche erhält durch die Zeugnisforderung Christi seine unabdingbare Begründung.

Das auch in religiösen Belangen kritische Denken des einzelnen führt zum Verlust der Uniformität und zum Pluralismus von Meinungen. Aber gerade dieses kritische Denken bewirkt, daß viele nunmehr in Eigenverantwortung im Glauben feststehen, die bisher dazu nicht willens und nicht fähig waren.

Die ernsthafte existentielle Auseinandersetzung in Glaubensfragen ist in Gang gekommen. Glaubensseminare und Vorträge zu Glaubensthemen sind sehr gefragt; sie zeigen die beginnende Vertiefung der Glaubenshaltung. Literatur über den Glauben und rund um den Glauben findet großes Interesse.

Die Arbeit der Pfarrgemeinderäte vermag im Laufe der Zeit den Pfarren ein neues Gesicht zu geben; Menschen, die den Pfarrgemeinderäten bisher skeptisch gegenüberstanden, sehen diese Umstrukturierung nun doch in einem neuen Lichte.

Das Gruppen- und Prestigedenken, das Jahre hindurch bestimmend war, gehört, von Ausnahmen abgesehen, der Vergangenheit an. Diese Auflockerung ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Die mittleren Ebenen Seelsorgezonen und Wahlmännerversammkm- gen, nehmen ihre Arbeit auf, um eine territorial abgestimmte Intensivierung der Glaubensverkündigung herbeizuführen. Wesentlich ist die Erkenntnis, daß Resignation, Fatalismus, müde Skepsis mit der zu vertretenden Botschaft Christi nicht zu vereinbaren sind. Dazu verhilft wohl auch das Wissen, daß Christsein sich nicht erst heute aller Angst, Verzagtheit, organisatorischen Frustration, Ablehnung und ! zeitweiligen Mißerfolgen zum Trotz ziu erweisen hat.

Das Angebot eines nAchtreduzier- ten und nichtverfiachten Glaubens wird auch in außerkLrchlichen Kreisen zunehmend beachtet. Darin erweisen sich Interesse und Bereitschaft, das Wort der Kirche zumindest zu hören.

Grundfalsch wäre die Tendenz, dem Dorf seine Kirche zu nehmen. Die Kirche bleibt im Dorf und in der Mentalität des Landes. Sie erkennt aber auch die Denkweise des urbani- siertan Menschen und versucht, ihm auf seine Frage nach dem Lebenssinn in seiner Sprache zu antworten. Darin liegt kein Grund zur Trauer, sehr wohl aber zur Hoffnung.

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