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„Der Geist muß ent-setzen”

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Kardinal Leon-Joseph Suenens ist weit über die Grenzen seiner Diözese Brüssel-Mecheln hinaus bekannt. Seine Interventionen als Konzilsmoderator prägten ein Stück Kirchengeschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen machten ihn zu einem der meistgeachteten Persönlichkeiten im Dialog der Kirche mit der Welt. Zu seinem 75. Geburtstag war Kardinal Suenens als Primas von Belgien und Erzbisehof von Mecheln-Brüssel zurückgetreten. Er verfolgt weiterhin wach die Geschicke der Kirche. Am 15. Mai sprach mit ihm Gerhard Ruis.

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Kardinal Leon-Joseph Suenens ist weit über die Grenzen seiner Diözese Brüssel-Mecheln hinaus bekannt. Seine Interventionen als Konzilsmoderator prägten ein Stück Kirchengeschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen machten ihn zu einem der meistgeachteten Persönlichkeiten im Dialog der Kirche mit der Welt. Zu seinem 75. Geburtstag war Kardinal Suenens als Primas von Belgien und Erzbisehof von Mecheln-Brüssel zurückgetreten. Er verfolgt weiterhin wach die Geschicke der Kirche. Am 15. Mai sprach mit ihm Gerhard Ruis.

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FURCHE: In durchschnittlichen kirchlichen und theologischen Bewußtsein spielt der Heilige Geist bis heute keine überragende Rolle. Man sprach und spricht immer von Jesus Christus als Stifter und Haupt der Kirche und *ucht. von ihm her Leben und Lehre der Kirche :u normieren. So wurde auch den Dekreten des Zweiten Vatikanums '(in nichtkatholischen Beobachtern ein Christomonismus” vorgeworfen. Besonders orthodoxe Theologen kritisieren bis heute den weitgehenden Ausfall der pneumatologischen Dimension in der Ekklesiologie des Konzils und sahen darin den Grund für die Überbetonung der A mter und der sonstigen institutionellen Elemente in der Kirchenkonstitution. Muß man da nicht von einer ..Geistvergessenheit” in Theologie und Praxis sprechen?

SUENENS: Ja, ich glaube, daß wir die Rolle des Heiligen Geistes in Zukunft noch viel stärker betonen müssen obwohl wir, das muß gesagt werden, in den letzten Jahren einen immensen Fortschritt gemacht haben. Freilich, bis jetzt legten wir den Akzent auf die Christozentrik und haben dabei allerdings zu sehr vergessen, daß ja Christus uns auch seinen Heiligen Geist zur Gänze geschenkt und überlassen hat.

Sie wissen vielleicht, daß Paul VI. alle Bischöfe und Theologen aufgefordert hat, sich entschieden der Pneuma-tologie zuzuwenden und sie mit heiliger Leidenschaft zu ergründen: Denn wir sind lebensnotwendig auf den Heiligen Geist angewiesen, und vielleicht darf man hinzufügen, der Heilige Geist auf uns.

Es wäre unverantwortlich, wenn wir gerade heute nicht in besonderer Weise sensibilisiert wären für die schrankenlose Vitalität des Geistes Jesu. Es wäre allerdings absurd, von einer präformierten juridischen und soziologischen Konstitution der Kirche zu sprechen, der erst später der Heilige Geist sozusagen eingeschenkt worden wäre. Denken Sie hier an das sicher schlecht gewertete Vergleichsbeispiel Auto / Benzin.

Der Heilige Geist ist schon immer ein integraler Bestandteil der Kirche, und man muß von einer Osmose zu der sogenannten institutionellen und der charismatischen Dimension der Kirche sprechen. Hier gibt es nur ein Ineinander, eine einzige unteilbare Kirche. Und es ist heute wie nie zuvor Aufgabe und Pflicht, aber auch kreatives Privileg jedes Christen, diese Wirklichkeit erlebbar darzustellen.

FURCHE: Offensichtlich spielte bei dieser ..Geistvergessenheit” die schon früh einsetzende Auseinandersetzung mit einem gewissen Schwärmertum eine entscheidende Rolle. Schon Paulus mußte sich mit einem Frühchristen-Enthusiasmus auseinandersetzen, mit Leuten, die sich als so geisterfüllt glaubten, daß sie meinten, ohne das Bekenntnis der Gemeinde zu Jesus als dem Herrn und ohne Bindung an die Ordnung in der Kirche auskommen zu können. Dabei beriefen sie sich immer auf ihre christliche Freiheit. Herr Kardinal, sind sensationelle, ekstatische Phänomene und subjektive Erfahrungen bzw. persönliche Freiheitsdemonstrationen schon ein Kriterium des Heiligen Geistes.'

SUENENS: Die Kriterien für die Echtheit des Heiligen Geistes sind schwierig handzuhaben. Man kann aber sicher sagen, daß die Geist-erfülltheit sich geradezu notwendig in einer, wenn ich so sagen darf, „Jesusge-mäßheit” äußern muß. Denn der Heilige Geist läßt uns absolut offen werden für Jesus.

Wenn ein Mensch.allmählich zu begreifen beginnt, wie Jesus lebte und starb, ist er auf dem Weg, der ihn letztlich auf Gott hinführt, dann ist sicher der Heilige Geist am Werk. Sein Wesen ist, wie sich ein Theologe einmal ausdrückte, das „Ent-setzen” , der Geist ist von ekstatischer Natur! ,,Er setzt aus dem jeweils Gewohnten, Fixierten, Begrenzten und Gefangensein, So-undso-Bestimmtsein heraus, befreit von diesem, treibt das, was eingeschlossen, in sich verhaust, in sich beendet, also endlich ist, über sich hinaus.”

Mit diesem ekstatischen Wesen des Geistes sind nicht außerordentliche Phänomene gemeint, sondern Substanz der Freiheit. Freiheit gibt es nämlich nur, wenn der Mensch nicht einfach angepaßt ist an seine Umwelt, sondern über alles Bestehende hinaus ist.

So könnte man sagen, daß der Heilige Geist der Inbegriff humaner Würde und Freiheit ist. Die Bibel ist aber der Uberzeugung, daß diese Freiheit des Menschen nur möglich ist durch die Teilhabe an der Seinsmacht Gottes. Der Heilige Geist schenkt dem Menschen eine unerhörte Freiheit, er kann spektakulär über einen Menschen kommen, er kann aber auch sehr still und nach außen hin fast unbemerkt in ein Menschenleben eindringen.

FURCHE: Spannungen zwischen Legalismus und Enthusiasmus gehören sicher zum Kraftfeld der Kirche. A her wurde nicht immer wieder versucht, den Heiligen Geist einseitig an die Institution Kirche zu binden, um nicht zusagen, kirchlich zu domestizieren? Wurde nicht die charismatische Dimension der Kirche weithin verdeckt durch die übermächtige hierarchische Struktur der Kirche?

SUENENS: Das sehe ich nicht ganz so wie Sie. Es gab immer mächtige Manifestationen des Geistes innerhalb der Kirche und diese gibt es auch in der gegenwärtigen. Denken Sie nur an ihre Heiligen, und diese Heiligen gibt es auch in der gegenwärtigen Kirche!

Freilich bedarf es einer empfindsamen Wachsamkeit um die Balance zum Charisma der Institution zu halten, beide sind lebensnotwendige Elemente der Kirche. Wir haben keinen Grund, den Geist in die Mauern der Kirche eingesperrt zu denken. Im Gegenteil, wir sollen aufmerksam hinhören auf die „Fremdprophetie” des Geistes in den „Zeichen der Zeit”.

Aber die Kirche ist wesentlich eine sakramentale Institution, durchdrungen vom Heiligen Geist. Ich bekenne offen, daß ich bei meiner Taufe, bei meiner Priester- und Bischofsweihe, bei der Vergebung meiner Sünden von dieser und in dieser Kirche den Heiligen Geist wirksam empfangen habe.

FURCHE: Ist nicht die Pneumato-logie heutzutage weit mehr als ein innerkirchliches Problem? Ist nicht auch eine erneuerte Theologie der Welt und jede theologische Auseinandersetzung mit den neuzeitigen Ideologien nur im Rahmen einer erneuerten Pneumatolo-gie möglich?

SUENENS: Ich möchte sagen, daß Jesus Christus für den Christen das Kriterium für die Unterscheidung der Geister ist. Denn in ihm allein ist der Geist in seiner ganzen Fülle wirksam geworden.

Die Pneumatologie (= Heilig-Geist-Lehre) begründet eine dialogische Verhältnisbestimmung zwischen Christen-, tum und Gesellschaft. Sie begründet eine christliche Universalität, die bei aller Konkretheit und Entschiedenheit nicht fanatische Enge, sondern Ehrfurcht und Toleranz gegenüber allen menschlichen Werten bedeutet, und bei allem Bewußtsein von der eigenen Sendung die Bereitschaft zum Hören einschließt.

Ausgehend von der erneuten Pneumatologie, muß sich deshalb auch ein erneuertes Bild von der Kirche und von ihrem Verhältnis zur heutigen Welt ergeben.

Pastoral heute

Was tun, um der Priesternot zu begegnen? Die FURCHE hat jüngst dafür plädiert, daß es angesichts der Größe dieses Problems erlaubt und möglich sein muß, dazu auch unorthodoxe Überlegungen anzustellen. Der Einwand mancher Leser lautete: ja, aber nicht schlechthin jeder! Das trifft zu. Wenn aber ein Mann wie der Pastoraltheologe Ferdinand Klostermann es tut, dann geschieht dies aus tiefer Liebe zur Kirche (der ,,zu Linz” hat er sein neues Buch gewidmet) und seelsorglicher Erfahrung. Man muß sich mit seinen Thesen, auf die die FURCHE zurückkommen wird, sachlich auseinandersetzen.

„Ich war selbst erschüttert, als ich bei der Korrektur der Druckfahnen die Dokumentation in einem Zug gelesen habe”, sagte der Autor bei der Präsentation seines Buches. „Hier bricht jeder Zweckoptimismus hinsichtlich der Priesterzahlen zusammen.” Im ersten Teil der Arbeit werden die Verhältnisse in allen Teilen der Welt detailliert beschrieben, im zweiten ,,systematische Überlegungen” angestellt und Lösungsvorschläge analysiert auch die Aufhebung des Pflichtzölibats natürlich, der nach Klostermanns Uberzeugung 60 bis 70 Prozent der berufenen The.ologiestudenten von de'r Weihe abhält, hl

DIE PASTORALEN DIENSTE HEUTE Von terdinand Klostermann. Veritas. 360 S.. öS 264.

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