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Niemand kann das Konzil ausradieren

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... oder rückbilden. Seine Verwirklichung hat noch kaum begonnen. Viel zu lange hat man sich bei einzelnen Aspekten aufgehalten, ja sogar richtig verzettelt und beirren lassen.

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... oder rückbilden. Seine Verwirklichung hat noch kaum begonnen. Viel zu lange hat man sich bei einzelnen Aspekten aufgehalten, ja sogar richtig verzettelt und beirren lassen.

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Sie, Herr Kardinal, haben fast drei Jahrzehnte als Erzbischof von Wien und zugleich fünfzehn Jahre lang als Präsident des vatikanischen Sekretariats für die Nichtglaubenden die innere Entwicklung der katholischen Kirche und ihre umstrittene Öffnung zur modernen Welt erlebt; meinen Sie auch — wie heute manche, auch viel jüngere Ihrer Amtsbrüder —, daß es nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil einen katastrophalen, noch immer fortschreitenden Verfallsprozeß gab? Irrwege, die in den letzten 20 Jahren die Kirche in eine Identitätskrise führten, aus der nun die kommende Bischofssynode in Rom den Rückweg weisen soll?

KARDINAL KÖNIG: Jedes Konzil der Kirchengeschichte war auch ein Faktor von Unruhe— auch schöpferischer. Aber nicht das Zweite Vatikanische Konzil, nicht seine Dekrete und seine Reformbemühungen haben die Leute aus der Kirche getrieben; der Säkularisierungs-Trend, der Rückzug des Christlichen aus der öffentlichen Meinung und aus den gesellschaftlichen Strukturen war in der Welt schon lange im Gang. Und viele Antworten, wie sie die Kirche auf die drängenden Sinnfragen der Menschen formulierte, kamen und kommen bei ihnen nicht an — ein Mangel, der sich nicht administrativ beheben läßt.

Gewiß, manches, was längst schwelte, kam durch das Konzil erst deutlich zum Ausbruch - für viele überraschend. Doch ohne das Konzil, ohne seinen Entschluß, sich positiv den Herausforderungen der heutigen Welt zu stellen, wäre die Gefahr der Glaubenskrise und der innerkirchli-

,,Genau betrachtet hat nämlich die Verwirklichung des Konzils noch kaum begonnen ...“ chen Stagnation — im Kreuzfeuer einer immer heftigeren humanistischen und liberalen Kritik — noch viel größer gewesen. Seit der Reformation war ja die Grundeinstellung der katholischen Kirche defensiv, apologetisch, allzu sehr von Angst und von der Sorge geprägt, sich gegen alles Unorthodoxe abgrenzen zu müssen. Das große Erlebnis des Konzils war für mich und fast alle, die an ihm mitwirkten, daß es die Kirche aus dieser Isolierung, aus ihrer Fixierung an Feindbilder, herausführte, daß sie es wieder wagte, sich der Welt zuzuwenden — auch der andersgläubigen, der ungläubigen.

Hot aber nicht eben dies auch jene Unsicherheiten und Krisensymptome erzeugt, die jetzt beklagt werden?

KÖNIG: Sie liegen in der Natur der Sache, aber sie sind kein Grund, um jenem Pessimismus zu verfallen, der sich auf verschiedenen Seiten rührt — bei solchen, die dazu neigen, zum Rückzug zu blasen, aber auch bei solchen, die solchen Rückzug fürchten.

Wäre er überhaupt möglich, realisierbar?

KÖNIG: Niemand kann das Konzil ausradieren, rückbilden, umformen. Davon ist auch der Papst überzeugt, daß es kein Zurück hinter das Konzil gibt. Genau betrachtet hat nämlich die Verwirklichung des Konzils noch kaum begonnen. Viel zu lange hat man sich bei einzelnen seiner Aspekte auf gehalten—z. B. bei der Liturgiereform —, doch seine wichtigsten Dekrete, die ja alle keine dogmatischen, sondern pa-storale sind, wurden nicht genug vertieft — etwa das über die Aufgaben der Kirche in der heutigen Welt, über das Laien-Apostolat, die Religionsfreiheit, das Verhältnis zu den anderen Christen.

Statt dessen hat man sich verzettelt in Auseinandersetzungen um negative Begleiterscheinungen des kOnziliaren Aufbruchs und sich von diesen—zum Teil unvermeidlichen — Symptomen einer Wachstumskrise beirren lassen.

Gehörte das aber nicht zu den — schwer vermeidbaren —Folgen einer notwendigen Diskussion, die ohnehin mit Verspätung begonnen hatte?

KÖNIG: Ja, aber leider ist in sie eine fatale Note von Rechthaberei, von Verdächtigungen und Katastrophenstimmung geraten, in der die christliche Hoffnung, die— jenseits aller, oft auch übertriebenen Euphorie -^die Grundstimmung des Konzils war, verlorengeht.

Kann da die kommende Bischofssynode neue Impulse geben oder wird sie — vor allem von der römischen Kurie — nur als eine Art Bremsklotz benutzt werden?

KÖNIG: Sie könnte eine Chance sein, sich vom Ballast eines fruchtlosen Pessimismus und entsprechender Debatten zu befreien ...

... durch ein bloßes Machtwort des Papstes ? Oder durch kollegiale Verständigung, bei der auch die vielfältige ,JStimme des Volkes“ dieser Weltkirche berücksichtigt wird?

KÖNIG: Das Papsttum ist in der katholischen Kirche vor allem ein äußeres Zeichen der Einheit.

Diese — in und mit aller Vielfalt — zu bewahren, ist die eigentliche Aufgabe, die noch ungelöst ist. Begriffe wie „Machtanspruch“ oder „Geltungsdrang“ sind da irreführend. Nicht nur weil es (um ein sarkastisches, aber realistisches Wort Stalins zu zitieren) dem Papst an „Divisionen“ in jedem Sinne, also an materieller Macht fehlt; auch weil geistige Autorität in einer religiösen Gemeinschaft, die in allen Erdteilen und mit allen Kulturen lebt, im konkreten Fall nie leicht anwendbar und zur Geltung zu bringen ist. So kommt es auch — und ich weiß das aus langen Erfahrungen mit und in Rom — daß durch die oft überwiegend negativen Informationen, die dort aus aller Welt zusammenlaufen...

... vor allem wohl in der Glaubenskongregation Kardinal Ratzingers ...

KÖNIG: ... unwillkürlich ein Syndrom negativer Art entsteht ...

... mit entsprechenden Angstreflexen, die sich dann ja — in einer Art Wechselwirkung — nicht nur in der römischen Zentrale, sondern auch in der kirchlichen .Provinz“, bei Bischöfen und bei

Theologen einnisten. Entsteht so auch etwaHansKüngs Angst,daß wachsender römischer Druck auf die Bischöfe, auch auf die kommende Synode, den Konzilsgeist ersticken könnte?

KÖNIG: Es ist schade, daß ein so begabter, kluger Theologe wie Küng aus persönlicher Verletzt-heit seine Vorwürfe so überspitzt,

,,Aber der Theologe Küng ist nicht der einzige, der das Gewicht des Vatikans überschätzt...“ daß er sich selbst der Kraft seiner Argumente beraubt. Aber er ist nicht der einzige, der das Gewicht des Vatikans überschätzt und überdimensional betrachtet. Gewiß, wie alle Behörden der Welt produzieren und verschicken auch die vatikanischen heutzutage mehr Papier, sind sie in der Versuchung, jede Meinungsäußerung eines „Chefs“ in Direktiven umzusetzen...

Ich habe aber als Erzbischof von Wien nie erlebt, daß das Prinzip der Kollegialität durch Rom verletzt wurde. Ratschläge, Hinweise gibt es, aber ich sah nie ein Dokument, das Befehle enthielt. Im Sinne des Konzils ist ja auch der Bischof von Rom mit all seinen Vorrechten Diener, nicht Befehlshaber der Kirche, und diese ist das aus Bischöfen, Priestern und Laien bestehende „pilgernde Volk Gottes“.

Dennoch scheint es manchmal, daß nicht nur der „allgegenwärtige“ pilgernde Papst, sondern auch seine Mitarbeiter sehr detaillierte Richtlinien ausgeben — etwa in Fragen der ökumenischen Zusammenarbeit oder der Geburtenkontrolle, bis hin zu dem „Problem“, warum fromme kleine Mädchen nicht wie Buben bei der Messe ministrieren dürfen.

KÖNIG: Da sollte Rom gewiß flexibler sein, sich nicht so sehr um kasuistische Auslegung sorgen, sondern — bei aller Festigkeit im Grundsätzlichen — die Weite der Möglichkeiten, auch des Freiheitsraumes der Gewissensentscheidung, deutlicher zeigen und die Einzelheiten dem Bischof, dem Pfarrer überlassen.

A ber—und das ist doch wohl der Kern der Glaubenskrise — viele Menschen, auch solche, die sich als Christen, als Katholiken verstehen, sträuben sich gegen „Grundsätzliches“ — vor allem dagegen, diktiert zu bekommen, was sie religiös für,wahr und moralischfür richtig oder falsch halten sollen.

KÖNIG: Ja, heutzutage hält man ja eher das Ergebnis einer Meinungsumfrage für ein Wahrheitskriterium. Andererseits: Wenn man in einem Röntgenbild die subjektive Religiosität von tausend Katholiken betrachten könnte, würde man sehen wie viele Unterschiede es da gibt, und das muß man eben respektieren. Uberhaupt muß das Spannungsfeld zwischen Lehre und Praxis in der Kirche ertragen werden.

Theologen, zumal Professoren, auch solche in kirchlichen Ämtern, meinen aber, diese Spannung müsse beseitigt werden.

KÖNIG: Nicht nur sie meinen das. Es widerstrebt dem modernen Bewußtsein, nicht alles klären, alle Probleme lösen zu können.

Was raten Sie also, Herr Kardinal, dieser römischen Bischofssynode?

KÖNIG: Keine Angst zu haben! Und nicht deshalb, weil wir in unauflösbaren Spannungen leben müssen, dem Pessimismus zu erliegen! Es gilt, mit Zuversicht die konziliare Erneuerung zu vertiefen, fortzusetzen, zu bekräftigen: durch den Dialog mit der Welt, mit allen — auch den scheinbaren oder wirklichen Gegnern; durch eine genauere Abgrenzung von bischöflicher Kollegialität und römischer Zentralität, durch Aufwertung der Laien in der Kirche, durch Ablegen des europäischen

„Wissen Sie, wenn wir nicht an den Geist Gottes glaubten, hätten wir längst zusperren müssen“

Habitus, wozu auch in jedem Kontinent ein eigenes Patriarchat geschaffen werden könnte.

Der Schritt zur eigentlichen Weltkirche ist doch noch gar nicht getan; er bedeutet nicht Zerfall in nationale, kontinentale Kirchen, sondern Weltwerdung der einen Gesamtkirche. Nicht die Strukturen sind freilich letzten Endes entscheidend, sondern die geistige, innere Erstellung, die Bekehrung der Herzen.

Sind es aber bei einer so hierarchisch verfaßten Kirche wie der römischen nicht doch immer wieder die Strukturen, die man vor allem reformieren will („restaurieren“ nennen es manche, um so dem Geist — der sonst weht, wo er will — ein stürm- und krisenfestes Gehäuse zu verschaffen?

KÖNIG: Es wäre doch sehr wirklichkeitsfremd, zu glauben, es käme nur darauf an, daß wir Menschen das Richtige tun. Wenn die Kirche nur Menschenwerk wäre, wie es sich Soziologen vorstellen, dann müßte sie schon lange zugrunde gegangen sein. Schon als Student hat es mich immer sehr beeindruckt, daß eine menschliche Gemeinschaft, wie diese Kirche, in der es auch so viel Negatives, so viel Versagen gab und gibt, nicht vom Laufe der Zeit überrollt wurde. Wissen Sie, wenn wir nicht an den Geist Gottes glaubten, hätten wir längst zusperren müssen...

Mit Kardinal Franz König sprach Hans Jakob. Stehle. .

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