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Deutliche Absage an lieblose Polarisierung

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Im ersten Jahr seines Pontifikats schlug Johannes Paul II. eine Welle der Begeisterung und der Zustimmung entgegen. Nach einigen Klarstellungen zu strittigen Fragen kam es zu einer Polarisierung der Meinungen: Befürchten die einen eine Rückkehr zu übertriebener doktrinärer Strenge, so sind die anderen für manche Klarstellungen dankbar. Zu diesem Themenkreis befragt stellt Kardinal König fest, daß es an der Zeit ist, von der Polarisierung in progressiv und konservativ wegzukommen. Christsein bedeutet beides: verändern und offen sein ebenso wie behüten und bewahren.

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Im ersten Jahr seines Pontifikats schlug Johannes Paul II. eine Welle der Begeisterung und der Zustimmung entgegen. Nach einigen Klarstellungen zu strittigen Fragen kam es zu einer Polarisierung der Meinungen: Befürchten die einen eine Rückkehr zu übertriebener doktrinärer Strenge, so sind die anderen für manche Klarstellungen dankbar. Zu diesem Themenkreis befragt stellt Kardinal König fest, daß es an der Zeit ist, von der Polarisierung in progressiv und konservativ wegzukommen. Christsein bedeutet beides: verändern und offen sein ebenso wie behüten und bewahren.

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Vor wenigen Tagen wurde in Wien ein Buch mit Aufsätzen von Karol Wojtyla, dem jetzigen Papst Johannes Paul II. vorgestellt, zu dem Sie, Herr Kardinal, ein Vorwort geschrieben haben. Darin sagen Sie, daß Glaube und Humanismus diesen Papst prägender stets für die Zukunft offen sei. Wir sollten Gott danken, daß wir ihn haben. Dieses Vorwort ist gewiß schon vor einiger Zeit geschrieben worden. Würden Sie auch heute genau das gleiche über diesen Papst schreiben?

KARDINAL KÖNIG: Gewiß würde ich das heute wieder schreiben, meine Einstellung zum Papst hat sich nicht geändert. Ich weiß aber auch, daß manche Menschen heute diesen Papst anders sehen als noch vor einem Jahr. Ich halte das in einem gewissen Grad auch für verständlich. Dieser Papst wurde mit einem solchen Enthusiasmus, mit einer solchen Begeisterung begrüßt, daß diesem Rausch und diesem Taumel eine gewisse Ernüchterung naturgemäß folgen mußte. Auch dieser Papst konnte nicht alles erfüllen, was die Menschen an Hoffnungen in ihn hineingelegt hatten.

Würden Sie dazu auch die Hoffnung rechnen, daß dieser Papst den Weg des Konzils und den Weg der Erneuerung der Kirche weitergehen wird?

KARDINAL KÖNIG: Erneuerung der Kirche ist eine immerwährende Aufgabe, ecclesia Semper reforman-da. Ich habe keinen Grund anzunehmen, daß der Papst nicht dieser Auffassung sei. Den Weg des Konzils weiterzuschreiten, darunter mag man Verschiedenes Verstehen. Das Konzil ist ein historisches Ereignis. Es hat einmal begonnen und wurde einmal abgeschlossen. Nun hat es sicherlich viele Katholiken gegeben, die meinten, das Konzil müßte weitergeführt werden, und zwar in dem Sinn, in dem sie das Konzil interpretierten.

Eine solche Auffassung hat aber schon Papst Paul VI. abgelehnt. Wenn aber hinter Ihrer Frage die Befürchtung steht, Papst Johannes Paul II. könnte den Weg des Konzils verlassen, dann muß ich ein deutliches Nein sagen.

Die Aussagen des Konzils können in verschiedener Weise interpretiert werden. Viele Katholiken haben nun das Gefühl, daß wieder mehr Gewicht auf Gehorsam, Gesetz, Unterordnung und Disziplin gelegt wird, und daß weniger von der Freiheit der Kinder Gottes die Rede ist.

KARDINAL KÖNIG: Auch die Geschichte der Kirche vollzieht sich in Wellenbewegungen. Dem Auslaufen folgt jetzt ein Zurückrollen, das ist ein natürlicher Vorgang. Einer Zeit des Verströmens folgt eine Epoche der Verdichtung, nach der Ausbreitung kommt die Sammlung. Ich verstehe die Sorgen mancher Katholiken, aber ich glaube sie beruhigen zu können. Es kommt kein neuer Integralismus, kein neuer Anti-Modernismus, keine „Ketzerriecherei" und es darf keine kommen. Die Türen und Fenster der Kirche bleiben offen und müssen offen bleiben. Gerade dieser Papst marschiert nicht ins Ghetto, auch nicht in eine Festung.

Ja, Herr Kardinal, aber das gibt es doch schon zum Teil wieder die Verketzerung, die Verteufelung, die Verdächtigungen, eine Art von katholischem Kannibalismus, der den Glaubensbruder, der anderer Meinung ist, mundtot machen, aus der Kirche ausschließen will. Man braucht nur die Leserbriefspalten katholischer Zeitungen und Zeitschriften zu lesen und es kann einem das Grauen kommen.

KARDINAL KÖNIG: Was manchmal an Aggressionen, an Lieblosigkeit und Haß emporgeschwemmt wird, das ist erschrek-kend, auch für mich. Ich halte das für ein schweres Vergehen des Einzelnen, und auch eine schwere Belastung für die Gemeinschaft, für die Kirche, in der so etwas vor sich geht. Eine Polarisierung, die solche Feindbilder aufbaut, hat mit Christentum nichts mehr zu tun.

Halten Sie die Auseinandersetzungen zwischen „Konservativen" und „Progressiven" für schlecht, für die Ursache dieser Polarisierung?

KARDINAL KÖNIG: Ich halte diese Auseinandersetzungen nicht für schlecht, wohl aber für weitgehend überflüssig. Uberflüssig dort, wo es bloß zu einem Streit über Worte kommt. Wenn „progressiv" Fortschritt, Reform, Offenheit, Zukunft bedeutet, wer würde da nicht progressiv sein? Und wenn man unter „konservativ" behüten, bewahren, pflegen, die Einheit von Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart versteht, müßten wir dann nicht alle konservativ sein?

Beides gehört zur Kirche, beides ist notwendig. Für beide muß Platz sein in der Kirche, beides, das ja meist nur die verschiedene Blickrichtung der einen christlichen Existenz ist, muß Heimatrecht in der Kirche haben.

Wenn das Gespräch nicht aufhören darf, dann sollte man es aueh nicht abbrechen. Nun haben aber manche die Befürchtung, daß die Zeit des Gespräches in der Kirche vorüber sei, daß es Kräfte gibt in der Kirche, die ein solches Gespräch auch unter den Theologen und mit den Theologen unter Hinweis auf mögliche Irrtümer unterbinden wollen.

KARDINAL KÖNIG: Niemand wül das Gespräch abbrechen. Vor allem auch nicht der Papst. Natürlich haben die Päpste, haben die dafür geschaffenen Institutionen, wie die Kongregation für die Glaubenslehre, das Recht und die Pflicht, darauf hinzuweisen, daß die Feststellung einer Grenze zwischen katholischer, christlicher Lehre und davon abweichender Auffassung notwendig sein kann.

Diese Grenze zwischen einer größtmöglichen Freiheit der Forschung und einem Mindestmaß an Disziplin der Lehre zu finden, ist nicht immer leicht. Für viele scheint in letzter Zeit diese Grenze wieder zu eng gezogen worden zu sein. Das mag sein, das aber allein dem Papst anzulasten halte ich für unredlich, auch er wird sich im allgemeinen an die Vorentscheidung der zuständigen Organe halten.

Welche Rolle spielen dabei die Bischöfe?

KARDINAL KÖNIG: Für diesen Papst ist der Begriff der kollegialen Verantwortung kein leeres Wort. Wenn sich die zuständige Bischofskonferenz und die Glaubenskongregation zu einem bestimmten Schritt veranlaßt sehen, soll sich der Papst dagegenstellen? Würde man ihm da nicht erst recht einen Vorwurf machen?

Wenn aber von einer bestimmten Frage nicht nur die Bischöfe eines Landes betroffen sind, wäre es nicht denkbar, daß andere Bischöfe zum Beispiel die österreichischen, dem Papst ihre Auffassung darlegen?

KARDINAL KÖNIG: Das wäre nicht nur denkbar, sondern auch klug und notwendig, und man darf annehmen, das dies auch geschieht. Die Bischöfe sind ja entgegen manch landläufiger Auffassung nicht bloße Erfüllungsgehilfen des Papstes.

Der' Papst ist kein Autokrat, er kann keine neue Kirche einführen, er kann auch nicht, wie manche fürchten, das „polnische Modell" auf die Weltkirche übertragen.

Will er das?

KARDINAL KÖNIG: Nein, das will er absolut nicht. Natürlich ist das Leitbild der polnischen Kirche gerade in ihrer Verteidigungsposition gegenüber dem Kommunismus bei ihm präsent. Ein Mensch tritt ja, wenn er Papst wird, nicht aus seinem Volk, aus seiner Geschichte und aus seiner religiösen Tradition aus.

Und die Kirche ist kein Einheitsbrei, sondern lebt in der Vielfalt und aus der Vielfalt ihrer nationalen, historischen und kulturellen Tradition. Vor allem aber lebt sie vom Geist der Hoffnung. Das ist ein anderes Wort für den Heiligen Geist.

Dieser Heilige Geist weht bekanntlich wo er will, im Papst, in der Kurie,, in den Bischöfen. Und wie ist das mit dem Volk, dem Volk Gottes?

KARDINAL KÖNIG: Natürlich auch im Volk, gerade auch im Volk, in der Gemeinschaft der Gläubigen. Man hat das früher die hörende Kirche genannt. Aber hörende Kirche, das sind wir alle. Es gibt keine Zweiklassengesellschaft in der Kirche, die ganze Kirche muß hören, vom Papst angefangen, und die ganze Kirche muß aber auch handeln.

Die hörende Kirche muß auch eine handelnde Kirche sein. Dieser Papst ist ein sehr agiler, ein sehr dynamischer Papst, ihm zur Seite muß ein agiles, dynamisches, mit der Kirche denkendes und fühlendes Volk stehen.

Die Kirche geht ihren Weg weiter. Wohin dieser Weg führt, das bestimmt nicht der Papst allein, das bestimmen wir alle, wenn wir auf die Zeichen der Zeit, die immer auch die Zeichen Gottes sind, hören. Zur Resignation ist kein Anlaß!

(Das Gespräch mit Kardinal König führte Richard Barta, Chefredakteur der Kathpress)

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