"Vielleicht ist das Zeitalter Konstantins nun zu Ende"

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Der diesjährige Toleranzpreis der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste ging an den Wiener Alterzbischof Kardinal Franz König für seine Leistungen als Religionswissenschaftler und Brückenbauer zwischen Ost und West. Die Verleihung fand am 25. September in Salzburg statt. Aus diesem Anlaß sprach Die Furche mit dem Kardinal über die Situation des Glaubens und der Kirche am Ende des 20. Jahrhunderts.

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Der diesjährige Toleranzpreis der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste ging an den Wiener Alterzbischof Kardinal Franz König für seine Leistungen als Religionswissenschaftler und Brückenbauer zwischen Ost und West. Die Verleihung fand am 25. September in Salzburg statt. Aus diesem Anlaß sprach Die Furche mit dem Kardinal über die Situation des Glaubens und der Kirche am Ende des 20. Jahrhunderts.

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dieFurche: Das Zweite Vatikanische Konzil stellte einen Aufbruch der katholischen Kirche dar. Sind Sie heute, am Ende dieses Jahrhunderts, davon enttäuscht, was daraus geworden ist?

Kardinal Franz König: Das Konzil war tatsächlich von ganz großer Bedeutung für die Kirche, ein geschichtliches Ereignis - ob auch ein weltgeschichtliches, das kann man noch nicht sagen. In der postkonziliaren Diskussion hat man dann aus Mangel an Kenntnis der Konzilstexte viel mit Schlagworten operiert. Zweifelsohne sind Schwierigkeiten da, die man nicht einfach wegschieben darf.

Wir sind damals in einer großen Euphorie nach Hause gefahren, ohne den Menschen Erklärungen und Erläuterungen zu geben. So hat sich zum Beispiel bei der Liturgiereform herausgestellt, daß wir zu naiv und zu ungeschickt waren und bei den einfachen Gläubigen zuviel vorausgesetzt haben.

dieFurche: Eines der großen Ziele des Konzils war das "aggiornamento", das Heutigwerden des Glaubens. Ist das heute noch gefragt?

König: Man muß dieses Ziel aus der Perspektive von damals her verstehen: Der Glaube war in der Defensive, aus der wir durch das Konzil endlich herauskamen. Christus hat schließlich nicht gesagt: Verteidigt und versteckt euch, sondern geht hinaus und verkündet allenVölkern das Evangelium. Für mich war es ein besonderes Erlebnis, daß die Tore damals geöffnet wurden.

Dadurch vollzog sich langsam eine Wende, in deren Folge die Kirche auf die Welt und die Menschen zuging. Die fünf großen Impulse, die vom Konzil ausgingen und die die Kirche meines Erachtens auch über die Schwelle des Millenniums tragen können, waren der ökumenische Dialog, die Stärkung der Zusammenarbeit von Hierarchie und Laien, die neuen Erkenntnisse der Kirche über sich selbst, die Religionsfreiheit und der interreligiöse Dialog.

dieFurche: Und dennoch: Wenn Sie etwa auf jüngste Ereignisse in Österreich oder Deutschland schauen, haben Sie dann nicht die Befürchtung, daß die Kirche sich wieder hinter die Tore zurückzieht und freiwillig in die Defensive geht?

König: Das läßt sich nicht verallgemeinern und gilt nicht für ganz Europa. Ich betrachte das eher als ein Ringen verschiedener Strömungen unter-, mit- und gegeneinander. Solange die Leute noch miteinander reden, sehe ich keine große Gefahr für die Kirche.

dieFurche: Die Religion ist in vielen Ländern auf dem Rückzug. Wie können da Christen heute Europa verändern?

König: Europa ist tatsächlich dabei, sich zu säkularisieren wie kein anderer Kontinent. In der ehemaligen DDR und in Tschechien wachsen etwa 73 Prozent der Bevölkerung ohne kirchliche Bindung auf. Die Zahl der Meßbesuche und der Priester geht zum Teil dramatisch zurück. Ich kenne Dutzende solcher Statistiken und Analysen, die dieselben Fragen stellen und beantworten.

Alle sagen nur: Die Entwicklung ist ganz schrecklich, aber keiner sagt uns, was wir angesichts dieser Situation tun sollen. Diesen Fakten kann man nämlich auch große Hoffnungszeichen entgegenhalten: Da sind etwa die großen Europa-Treffen von Taize, da sind die Wissenschaftler, die sich tief ergriffen zeigen von der Schöpfungsidee, und da ist die Faszination, die gerade auch für viele Jugendliche von Papst Johannes Paul II. ausgeht.

Sicher ist heutzutage ein religiöses Vakuum festzustellen, aber das kann der Mensch auf die Dauer nicht ertragen. Die Religion gehört zu seinem Wesen, und eine religiöse Renaissance ist weltweit im Kommen.

dieFurche: Was macht denn einen Christen im Gegensatz zu anderen Gläubigen aus?

König: Alle Religionen suchen eine Antwort auf die letzten großen Fragen: Woher komme ich, wohin gehe ich, was ist der Sinn des Lebens? Der christliche Glaube ist letztlich eine persönliche Entscheidung, für die man immer Ausreden finden kann. Der Christ geht davon aus, daß Gott in Jesus Christus auf einzigartige Weise zu den Menschen gesprochen hat. Das schließt ein, daß gerade wir als Christen großen Respekt vor dem haben müssen, was außerhalb des Christentums gewachsen ist.

dieFurche: Sie nehmen also an, daß die Kirchen auch im neuen Jahrtausend Einfluß auf die Entwicklung in Europa haben werden? Setzen Sie auf eine Neuevangelisierung?

König: Ich bin fest davon überzeugt, daß das Christentum auch im 21. Jahrhundert Europa etwas zu sagen haben wird - trotz aller beängstigenden Zahlen. Ansonsten wäre es nämlich eine rein menschliche Institution. Ich sehe eine Chance für das nächste Jahrtausend trotz des kalten Windes, der ätzenden Kritik und des Mißtrauens, das uns entgegenschlägt. Vielleicht ist das Zeitalter Konstantins, in dem das Christentum unter dem besonderen Schutz des Staates stand, zu Ende, und wir müssen in die Zeit vor der Konstantinischen Wende zurück. Möglicherweise kommt eine Phase auf uns zu, die wir in der 2000jährigen Geschichte des Christentums noch nicht gehabt haben, und wir sind bald ganz auf uns allein gestellt. Eine Erneuerung der Kirche in Europa aber wird nur durch lebendig gewordene Pfarrgemeinden kommen und nicht allein durch Strukturen, Büros oder Organisation.

dieFurche: Zehn Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges wächst der europäische Kontinent nur ganz langsam zusammen. Werden die ost- und westeuropäischen Staaten Ihrer Meinung nach bald mehr aufeinanderzugehen?

König: Ich komme nicht vom Rhein, sondern von der Donau, und Österreich hat eine ganze Reihe von gemeinsamen Grenzen mit mittel- und osteuropäischen Staaten. Ich persönlich hätte nie geglaubt, daß der Kommunismus einmal verschwinden wird. Als die Osteuropäer vor zehn Jahren nach Europa zurückkehrten, löste das eine ungeheure Euphorie aus. Heute ist der Eiserne Vorhang weg, aber die Euphorie ist auch weg, und ein Vorhang des Mißtrauens ist in Europa wieder heruntergegangen. Diesen Vorhang bekommt man nicht so leicht und so schnell wieder herauf, aber das zu vollbringen ist eindeutig die Aufgabe der Christen.

dieFurche: Würden Sie der Ansicht zustimmen, daß Europas Wiedervereinigung bis heute noch nicht von einem ökumenischen Aufbruch begleitet worden ist?

König: Das beste Beispiel für die zwiespältige Haltung vieler osteuropäischer Staaten zur Ökumene bietet Rußland. Dort gibt es in der orthodoxen Kirche eine Richtung, die für den Dialog mit der katholischen Kirche und eine Öffnung nach Europa eintritt, und eine andere, die ein Weg von der Ökumene, Weg von Rom und Weg von Europa fordert. Die Ökumene in Eruopa ist im Aufbau; ich bleibe da optimistisch. Das entchristlichte Europa zwingt uns geradezu, die getrennten Christen zusammenzuführen und die Botschaft Jesu mit vereinten Kräften an die Menschen heranzutragen. Im übrigen meine ich: Die Kirchen der christlichen Glaubensgemeinschaften sind mit ihrer ökumenischen Ausrichtung besser, als die öffentliche Meinung es uns einreden will.

dieFurche: Was erwarten Sie von der römischen Bischofssynode für Europa? Wird sie konkrete Ergebnisse zeitigen?

König: Der Dialog der Bischöfe Europas ist eine seltene und große Chance. Ich hoffe, daß man sich nicht auf negative Analysen beschränkt, sondern die Frage in den Mittelpunkt stellt: Was ist konkret zu tun? Welche Pläne haben die Christen für das neue Millennium? Persönlich hoffe ich, daß der in unserem Jahrhundert überspitzte Zentralismus einer obersten kirchlichen Führung in Richtung Dezentralisierung in Angriff genommen wird - im Sinne der Kollegialität der Bischöfe, wie sie das Zweite Vatikanum angeregt hat.

Das Gespräch führte Gerd Felder.

ZUR PERSON Der dienstälteste Kardinal Franz Kardinal König, Alterzbischof von Wien, wurde am 3. August 1905 in Warth bei Rabenstein an der Pielach geboren. 1933 wurde er zum Priester und 1952 zum Bischof geweiht. Papst Johannes XXIII. ernannte ihn im Dezember 1958 zum Kardinal. Er ist damit zur Zeit das dienstälteste Mitglied des Kardinalskollegiums. Fast 30 Jahre lang (von Mai 1956 bis September 1985) stand er als Erzbischof der Erzdiözese Wien vor. Kardinal König gehörte zu den führenden Persönlichkeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils und reiste als erster "westlicher" Kardinal nach Osteuropa. 16 Jahre hindurch leitete er das Sekretariat für die Nichtglaubenden, das im Gefolge des letzten Konzils eingerichtet worden war. Durch seine zahlreichen ökumenischen Kontakte schuf er außerdem die Grundlage für den Dialog mit den orthodoxen und alt-orientalischen Kirchen.

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