Auch in einer kleineren Kirche Christ sein

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"Wer glaubt, zittert nicht": Gerade an dieses Wort von Papst Johannes XXIII. erinnert der Grazer | Bischof Egon Kapellari in der gegenwärtigen Kirchen-Lage. Ein Gespräch über Glaube und Welt.

Seit geraumer Zeit ist er der Dienstälteste unter den österreichischen Hirten: Egon Kapellari kann bald auf 30 Bischofsjahre zurückblicken, zehn Jahre davon an der Spitze der Diözese Graz-Seckau. Ein Gespräch mit dem "Intellektuellen" im heimischen Episkopat berührt grundsätzliche Fragen heutigen Christseins ebenso wie die aktuellen Herausforderungen für die katholische Kirche des Landes, die 2010 durch die Missbrauchskrise sowie die nicht zuletzt daraus resultierende Austrittswelle abgesteckt scheinen. Kunst- und Künstler-Freund Kapellari plädiert im großen FURCHE-Interview auch dafür, den Bereich der Kultur wieder mehr und neu in den kirchlichen Blick zu nehmen.

Die Furche: Sie haben Ihrem neuen Buch den frühchristlichen Diognetbrief, einen Ihrer "Leibtexte", vorangestellt ?

Bischof Egon Kapellari: ? Ich strapaziere diesen Text vielleicht mehr, als er leicht verträgt, aber ich halte ihn für ein sehr brauchbares Deuteschema christlicher Existenz und finde in ihm bezogen auf das Verhältnis zwischen Kirche und Gesellschaft den Dreischritt IN, GEGEN und das ÜBER HINAUS.

Die Furche: Bestechend heutig am Diognetbrief ist, wie er den Ort der Christen in der Gesellschaft beschreibt. Es heißt dort, die Christen leben IN der Gesellschaft, sie sind nicht herausgehoben: Gilt das nicht auch fürs heutige Christsein?

Kapellari: Mit dem IN ist Solidarität gemeint und das ist auch eines der tragenden Prinzipien der Katholischen Soziallehre. Der Diognetbrief gibt dafür einige Beispiele: Die Christen haben keine eigenen Städte, sie bewohnen keine Ghettos, sie sprechen die Sprache der Umgebung. Sie sollen, wie das II. Vatikanische Konzil gesagt hat, an den Freuden und Sorgen anderer Menschen - auch der Anders- und Nichtglaubenden - mittragen. IN-Sein bedeutet also ein MIT-Sein.

Die Furche: Wo kann man heutiges Christsein mit diesem IN konkret festmachen?

Kapellari: Die katholische Kirche wird heute von vielen Menschen nach Leibes- und Geisteskräften heftig kritisiert - zu Recht und zu Unrecht. Aber sehr viele Kritiker sagen dann immer noch: Die Caritas, das ist schon was. Das Wort Caritas meint über die gleichnamige Institution hinaus ja so vieles, das einzelne Christen und ihre Gemeinschaften an Gutem tun. Das lässt man sich gerne gefallen. Das IN-Sein verwirklicht sich also am stärksten im sozial-karitativen Engagement. Als Christenheit sind wir auch heute eine Großmacht der Barmherzigkeit. Da schließt sich freilich gleich die Frage an, ob wir zum Beispiel auch in der Welt der Kultur als Kunst sehr daheim sind.

Die Furche: Nein.

Kapellari: Wir sind da wirklich ungemein viel schwächer präsent als in fast allen Epochen der bisherigen Kirchengeschichte. Aber Religion kann aus der Kunst nie ganz vertrieben werden oder sich selbst von dort zurückziehen. Die großen Themen der Menschheit - Leben und Tod, Liebe und Hass, Krieg und Frieden - sind ja ebenso Themen der Kultur, zumal der Kunst, wie Themen der Religion, der Kirche. Liturgie wäre da ein großes Feld der Begegnung, aber das ist kirchlicherseits noch immer viel zu wenig erkannt.

Die Furche: Wäre als Drittes nicht auch der Bereich der Politik zu nennen? Christen sind in der Politik auch nicht wirklich präsent ?

Kapellari: ? Christen können unter den heutigen säkularen Bedingungen nicht einen Politikertyp von der Art Adenauers, De Gasperis oder Schumans ausprägen, auch nicht einen Figl oder Raab. Es gibt aber auch heute Politiker wie den französischen Sozialisten Jacques Delors und den Belgier Herman Van Rompuy, die als Christen Europa eine Seele geben wollen. Die große Frage in Europa ist aber, ob und wie sich heute und morgen politische Eliten bilden können, die ebenso sachkompetent wie ethisch sensibel sind.

Die Furche: Besonders an den Rändern des Lebens konstatieren viele ein Problem mit der ethischen Umsetzung eines konzis durchdachten Welt- und Menschenbildes. Fehlt es hier an bekennenden Christen?

Kapellari: Es geht an den Rändern des Lebens buchstäblich um Leben und Tod. Der denkerische Einsatz betreffend eine damit verbundene Ethik ist sehr sehr viel kleiner als der Einsatz für das wissenschaftlich-technisch Machbare. Eine spezifisch katholische Ethik hält unbeirrbar daran fest, dass jeder Mensch vom Zeitpunkt der Empfängnis an ein zu schützendes Subjekt ist. Aber diese katholische Stimme ist sehr unbequem und leuchtet daher vielen nicht ein.

Die Furche: Und entsprechendes gilt auch für den Tod?

Kapellari: Ja, der Damm gegen die Euthanasie ist sehr löchrig geworden, wie auch viele Meinungsumfragen zeigen. Dieser Damm schützt Menschen vor dem Druck, sich den Tod zu geben oder geben zu lassen, weil sie anderen sehr zur Last fallen. Ausnahmen vom Tötungsverbot werden mit dem durch Medien reichlich verstärkten Hinweis auf extrem tragische Biografien sehr propagiert. Wer trotzdem dagegen ist, der erscheint leicht als hartherziger Anwalt eines überholten Prinzips. Aber Gefühl darf hier nicht alles sein. Ernsthafte Christen werden sich da gegen alle Versuchungen zur Müdigkeit und zum leichteren Weg verstärkt einsetzen müssen, besonders auch in der Hospizbewegung.

Die Furche: Der Diognetbrief sagt: Die Christen gehorchen den bestehenden Gesetzen, aber sie überbieten in ihrem Lebenswandel die Gesetze.

Kapellari: Gesetze können auch unmoralisch sein, aber es geht oft nicht nur um ein Dagegensein, sondern um ein Über-hinaus-Sein. Christen wird zugetraut, nicht nur eine Zisterne zu sein, die beisammen hält, was sich ergeben hat, sondern eine Quelle, die überfließt. Der religiöse Lehrer William Blake hat diesen schönen Vergleich formuliert.

Die Furche: Im Diognetbrief heißt es über die Christen auch: "Sie bewohnen ihr jeweiliges Vaterland - aber nur wie fremde Ansässige." Wie fremd müssen Christen sein?

Kapellari: In katholischer Sicht möglichst wenig. Eine Wesensbestimmung für das Katholische lautet ja sehr angemessen: Katholisch sein heißt synthetisch sein. Freilich ist das nicht alles. Man muss oft auch kritisch sein und man muss die Dimension der Transzendenz über Welt und Gesellschaft hinaus offen halten. Dabei wird man leicht ein Fremder. Nicht weil man das selber will, sondern weil andere es so empfinden.

Die Furche: Der christliche Glaube trennt also durch sein Anderssein?

Kapellari: Der christliche Glaube ist eine Werterfahrung, die man mit anderen teilen möchte. Ein solcher Wunsch ist urmenschlich. Er kann aber auch pathologisch degenerieren, wenn man diesen Glauben anderen aufzwingen will. Im Lauf der Geschichte war dies leider oft der Fall. Das ist dann kranke Religion und es gibt sie auch heute. Wer aber Christus gefunden hat, der will ihn auch anderen zeigen - auch Juden und Muslimen. Und er will so die Gemeinschaft der Glaubenden stärken. Christentum ist seinem Wesen nach auch missionarisch.

Die Furche: Diesem missionarischen Anspruch steht aber jedenfalls hierzulande eine ernüchternde Wirklichkeit gegenüber: Viele Menschen verlassen die katholische Kirche, tönt es gerade dieser Tage wieder aus den Schlagzeilen.

Kapellari: Die Kirche wächst sehr stark in China, Indien und Afrika. Europa ist diesbezüglich eher müde. Ein Journalist hat Berlin, wohin der Papst im kommenden Jahr reisen wird, sehr plakativ als Hauptstadt des Atheismus bezeichnet. Wenn die Kirche in einem Land wie Deutschland oder Österreich aus insgesamt mehreren Gründen rasch kleiner wird, dann kann das zu Resignation oder auch Depression führen. Es kann aber in einer kleineren Kirche, die zugleich tiefe Wurzeln in Gott hat, auch ein gutes neues Selbstbewusstsein entstehen - ohne Arroganz und ohne Illusion. Dieses Selbstbewusstsein beruht auf der Überzeugung, dass die Christen dazu berufen sind, im Gottesdienst und im Alltag auch stellvertretend für alle anderen Menschen Gott eine lobende, dankende und bittende Antwort zu geben auf das Wort, das er in der Erschaffung und der Erlösung der Welt durch Christus gesagt hat und immer noch sagt. Kirche ist also ihrem Wesen nach zutiefst auch Stellvertretung und das wird ihre Spiritualität in Europa noch weitaus stärker prägen müssen als bisher.

Die Furche: Gerade das letzte Jahr hat da doch einen kaum überbietbaren Level an Kirchenkritik gezeitigt. Ein Stichwort: Missbrauchskrise. Da muss die Kirche sich doch an die Brust klopfen ?

Kapellari: Ja, da darf nichts verdrängt oder schöngeredet werden. Und die Bischöfe haben das auch in keiner Weise getan. Die Kirche musste sozusagen durch Wasser und Feuer gehen. Wasser kann einerseits zerstören, andererseits reinigen. Und Feuer kann zerstören, es kann aber auch das Erz von der Schlacke trennen. Dieser doppelte Prozess einer Reinigung ist noch im Gang. Das millionenfach Positive in der Kirche wird freilich durch ungerechte Verallgemeinerung des Negativen oft zugedeckt. Dadurch werden Tendenzen, Kirchengeschichte auf Kriminalgeschichte zu reduzieren, bestärkt. Ich denke dabei oft an den altchristlichen Apologeten Tertullian, der in seinem Buch "Apologeticum" geschrieben hat, dass bei einer Überschwemmung durch den Tiber oder bei einer Missernte sogleich ein antichristlicher Kampfruf zu hören war: "Die Christen vor die Löwen!"

Wehleidig sollten wir als Katholiken jedenfalls nicht sein, auch wenn einige Kritik an uns überzogen ist. Der Papst hat in seinem Interviewbuch "Licht der Welt" vom Schmutz gesprochen, der die Kirche schwer verunstaltet hat. Das darf nicht verdrängt werden. Aber gerade jetzt ist auch an ein Wort zu erinnern, das für Papst Johannes XXIII. sehr wichtig war: "Wer glaubt, der zittert nicht." Daran will auch ich mich halten, so gut ich kann, und ich will möglichst viele andere dafür gewinnen, so Kirche zu sein.

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