Marketz - © Foto: Diözesan-Pressestelle/Daniel Gollner

Josef Marketz: „Ich staune, wozu Kirche fähig ist“

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Für Josef Marketz zeigt sich in der Pandemie der Erfindungsreichtum von Kirche und ihrer Menschen – auch wenn ihre Stimme nicht immer gehört wird. Ein Gespräch über das erste Jahr des neuen Kärntner Bischofs.

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Für Josef Marketz zeigt sich in der Pandemie der Erfindungsreichtum von Kirche und ihrer Menschen – auch wenn ihre Stimme nicht immer gehört wird. Ein Gespräch über das erste Jahr des neuen Kärntner Bischofs.

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Am 3. Dezember 2019 wurde der damalige Kärntner Caritas‑Direktor Josef Marketz zum 66. Bischof von Gurk‑Klagenfurt ernannt. Seit seiner Weihe am 2. Februar 2020 steht der 65‑jährige Kärntner Slowene der südlichsten Diözese Österreichs vor. Nach eineinhalb Jahren Sedisvakanz, die von schweren Konflikten um Leitungsstil und Wirtschaftsgebarung seines Vorgängers Alois Schwarz überschattet war, gab es in Kärnten wieder einen Bischof – noch dazu einen Landsmann, der die Diözese bestens kennt: Marketz war in der Pfarrseelsorge ebenso tätig wie in Leitungsfunktionen – etwa in der slowenischen Abteilung des Seelsorgeamtes oder als Leiter des Seelsorgeamtes. Von 2014 an hatte er die Kärntner Caritas geleitet – nicht zuletzt sein bischöflicher Wahlspruch „Deus caritas est – Gott ist die Liebe“ erinnert an dieses berufliche Erbe.

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DIE FURCHE: In Ihrem Adventhirtenbrief schreiben Sie, dass menschliche Nähe die Seele wärmt. Der Advent 2020 ist aber eine Zeit, in der die physische Nähe gerade vermieden werden soll. Wie soll menschliche Nähe da möglich bleiben?
Bischof Josef Marketz: Es ist zunächst wichtig, über Nähe und Distanz überhaupt einmal nachzudenken. Wir leben in einer Zeit, die unglaublich schnell ist, die von uns viel Leistung fordert, die sehr laut ist und die sehr ermüdet. Was bedeutet da wirklich menschliche Nähe? Eine bewusst geübte Achtsamkeit und ein Versuch, wirklich den anderen anzuschauen, nachzufragen, wie es ihm geht, Rücksicht zu nehmen: Das erst schafft überhaupt die Voraussetzung zur Nähe. Und Nähe ist nicht nur körperliche Nähe. Der Papst spricht da oft von Zärtlichkeit. Was meint er damit? Ich denke, es geht ihm um diese Achtsam‑ keit, diese Achtung vor dem anderen. Da ist auch eine Art von Nähe, die uns jetzt sogar guttut.

DIE FURCHE: Gleichzeitig können Menschen, die unserer physischen Nähe bedürfen, diese nicht bekommen – Leute, die krank im Spital liegen, die allein sind …
Marketz: Das stimmt, aber zumindest reden wir jetzt davon. Die Menschen in Alters‑ und Pflegeheimen haben es wirklich sehr schwer. Ich kenne aus meiner Arbeit in der Caritas viele Menschen, die da total herausgefordert sind. Es wird diese Pandemie hoffentlich nicht ewig dauern. Und wir werden hoffentlich nicht zur alten Normalität zurückkehren, wo man darüber gar nicht nachgedacht hat. Man hat das selbst‑ verständlich angenommen – und trotzdem war keine Nähe da. Man sieht das auch an den Krankenhausseelsorgern bei uns: Im ersten Lockdown wurden einige ausgesperrt. Im Sommer haben wir darüber nachgedacht und auch an die politisch Verantwortlichen geschrieben. Spannenderweise erzählen mir dieselben, die sich im Frühling darüber beschwert haben, wie sie jetzt in die Krankenhäuser hineingebeten werden, weil sie sich die Zeit nehmen kön‑ nen, gerade bei Coronakranken, um ihnen zuzuhören und eine Stütze zu sein. Wir lernen auch aus dieser Situation.

DIE FURCHE: Wie beurteilen Sie die Performance der Kirche in der Pandemie?
Marketz: Auch da gibt es eine Entwicklung: Nach dem ersten Lockdown sind wir mit sehr viel Kritik konfrontiert worden. Ich denke, dass wir diese ernst genommen haben. Ich staune jetzt, wozu Kirche – nicht die Bischöfe oder Kirchenleitungen –, wo‑ zu die Menschen in den Pfarren, darunter auch manche Priester, aber vor allem Laien fähig sind. Wie schnell sie sich um‑ gestellt haben und nach Möglichkeiten gesucht haben, Seelsorge zu betreiben, und wie schnell sie auch ohne Sitzungen auf Diözesanebene die Möglichkeiten der digitalen Medien erfasst haben. Ohne irgendwelche Beschlüsse ist da ganz viel gelaufen. Diese Krise hat uns durchaus ein Stück weitergebracht, was das Evangelium betrifft. Ob die Kirche als solche stärker geworden ist, war diesmal nicht so sehr das Thema, das Thema war der Mensch: Wo können wir für die Menschen da sein? Das ist Urchristentum.

DIE FURCHE: Bleibt die Frage der Gottesdienste, die zumindest in Bezug auf die Sakramente, wo ja physische Anwesenheit notwendig ist, nicht stattfinden konnten – auch im zweiten Lockdown.
Marketz: Das ist ein wunder Punkt. Spannend vor allem, dass wir uns im ersten Lockdown ganz stark damit beschäftigt haben, wo die Prioritäten von den kirchlichen Strukturen her sind, wo Laienmitarbeiter schon gefragt haben: Wo kommen wir noch vor, wenn alles auf eine Übertragung von Messen konzentriert wird? Diese Fragen sind berechtigt. Es ist uns auch bewusst geworden, dass nur mehr zehn Prozent am Sonntag in die Kirche gehen, und es ist nicht schlecht, dass wir auch die andere Gruppe, die das nicht mehr selbstverständlich tut, langsam in den Blick genommen haben. Es war eine Minderheit von Konservativen mit einer großen eucharistischen Frömmigkeit, die das Aussetzen öffentlicher Gottesdienste kritisiert hat, ich nehme diese Menschen durchaus ernst! Aber die meisten waren zufrieden, dass sie über Fernsehen oder Livestream die Gottesdienste mitsehen konnten. Auf diese Weise ist eine neue Art von kirchlichem Leben präsent geworden, die wir uns vorher gar nicht richtig vorstellen konnten. Etwa dass in Kärnten die Osterspeisesegnung, die man hier scherzhaft „das achte Sakrament“ nennt, funktioniert hat, indem Menschen mir einfach im Radio zugehört haben, wie ich die Speisen gesegnet und ihnen mitgegeben habe, sie sollen einfach auch dasselbe machen: Das hat funktioniert! Menschen, die noch einen Sensus für das Sakrale haben, sind da selber tätig geworden. Das ist doch eine schöne Entwicklung!

Zweifellos sind wir als Kirche in vielem nicht mehr die Meinungsführer in unserer Gesellschaft, die Influencer sind andere.

Josef Marketz

DIE FURCHE: Im II. Vatikanum hat man entdeckt, dass Kirche nicht klerikal fixiert ist, sondern als Volk Gottes auf dem Weg und in den Gemeinden ist. Aber jetzt konnte in den Gemeinden Gottesdienst nicht stattfinden. Da gibt es die Sorge, dass alte klerikale Muster aufbrechen: Es zählt nur, wenn da der Priester ist und Hokuspokus macht – diesmal per Livestream übertragen.
Marketz: Ich denke nicht, dass die Gefahr eines Rückfalls in klerikale Muster groß ist. Wir schauen uns schon auch genau an, was da geschieht. Ich würde eher sagen, dass die Schnelligkeit der Säkularisierung zugenommen hat. Ob die Bedeutung der Kirche zu‑ oder abgenommen hat, traue ich mich nicht zu beantworten. Aber eines ist klar: Die Säkularisierung stellt für uns eine ganz große Herausforderung dar. Ich mag das immerwährende Jammern nicht, dass wir als Kirche dabei sind, zu ertrin‑ ken. Als Glaubensgemeinschaft sollen wir Hilfe sein und Licht und Salz der Erde ...

DIE FURCHE: Auch wenn Sie nicht jammern wollen: Dieser Tage hat sich einmal mehr gezeigt, dass die Stimme der Kirche gesellschaftspolitisch nicht mehr gehört wird. Der Verfassungsgerichtshof hat – und da folgt er zweifelsohne auch dem öffentlichen Diskurs – das Verbot der Beihilfe zum Suizid aufgehoben.
Marketz: Und da heißt es trotzdem, bei dem zu bleiben, was uns als Kirche ausmacht. Zweifellos sind wir in vielem nicht mehr die Meinungsführer in unserer Gesellschaft, die Influencer sind andere. Aber die Würde und der Schutz des menschlichen Lebens gehören wohl zu den wesentlichsten Botschaften, für die wir stehen. Es gibt natürlich Situationen, an denen Menschen verzweifeln können und den Sinn des Lebens völlig aus den Augen verlieren, was ein Selbstmord in der nächsten Umgebung Jesu sichtbar macht. Aber auch da werden wir nicht Möglichkeiten für einen Freitod ausfindig machen, sondern mit Zuwendung, Nähe und Mitgefühl die Freude am Leben wieder zu erwecken suchen. Ich hoffe sehr, dass wir in den Parlamentsabgeordneten Verbündete finden, die anstelle von gewerblicher Assistenz zum Suizid eher Präventionsmaßnahmen unterstützen und dafür einen wirksamen gesetzlichen Rahmen schaffen.

Marketz - © Foto: Diözesan-Pressestelle/Daniel Gollner

Josef Marketz

Der 1955 in St. Philippen ob Sonnegg/ Št. Lipš Geborene studierte Theologie und Philosophie in Salzburg und Ljubljana und dissertierte in Wien bei Paul M. Zulehner (Promotion 1992). Vor seiner Priesterweihe 1982 wirkte er ein Jahr als Diakon in Ecuador.

Der 1955 in St. Philippen ob Sonnegg/ Št. Lipš Geborene studierte Theologie und Philosophie in Salzburg und Ljubljana und dissertierte in Wien bei Paul M. Zulehner (Promotion 1992). Vor seiner Priesterweihe 1982 wirkte er ein Jahr als Diakon in Ecuador.

DIE FURCHE: Sie sind vor einem Jahr zum Bischof von Gurk-Klagenfurt ernannt worden. Wie war dieses erste Bischofsjahr für Sie?
Marketz: Ich kenne die Diözese und Kärnten seit vielen Jahren und habe in vielen Positionen gearbeitet. Ich war auch Pfarrer – und wohne heute noch in einem Pfarrhaus und nicht im Bischofshaus. Ich versuche, mit den Menschen hier einen Weg zu gehen. Das erste Jahr war schwierig, weil es in der Zeit der Sedisvakanz eine Krise gegeben hat. Diese Krise ist durch eine neue Krise abgelöst und zum Teil auch verdeckt worden. Ich habe diese Zeit genutzt, um das „Bistum“, so heißt in Kärnten die dem Bischof direkt unterstellte Vermögensstiftung, neu aufzustellen und ihm auch ein neues Statut zu geben, damit es nicht für das Privatvermögen eines Bischofs gehalten wird. Wir haben auch die gremialen Strukturen der Diözese evaluiert und sind dabei, manches neu zu ordnen, ich möchte mehr Synodalität haben, mehr Mitverantwortung auch durch Laien und vor allem eine diakonisch ausgerichtete Kirche haben. Das stößt durchaus auf Wohlwollen, aber das geht nicht über Nacht.

DIE FURCHE: Die Vorwürfe, die sich an der Person Ihres Amtsvorgängers Alois Schwarz entzündet haben und von deren Klärung seitens übergeordneter kirchlicher Stellen man öffentlich nichts gehört hat, wurden von der Pandemie überlagert.
Marketz: Einerseits ist das gut, weil mehr Ruhe da ist, in der neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einander kennenlernen können. Was für mich als neuer Bischof ganz wichtig wäre, in die Diözese zu fahren und präsent zu sein, das konnte ich nur rudimentär tun.

Ich schreibe nicht Protestbriefe an den Vatikan, sondern schaue einfach einmal, was geht. Da kann man aus der Praxis heraus die Grenzen sicher ein bisschen verschieben.

Josef Marketz

DIE FURCHE: Die Konflikte der Sedisvakanz waren ja zwischen Gruppen und Personen. Stehen Sie als einer mitten aus der Diözese nicht in Gefahr, in diesen Konflikten einer Parteiung zugerechnet zu werden?
Marketz: Ich habe mich vor meiner Ernennung zum Bischof ganz stark mit der Caritas, die ich geleitet habe, beschäftigt. Und ich habe in diesen Konflikten persönlich kaum irgendwo mitgemacht. Deswegen war es für mich schon leichter. Aber natürlich haben sich einige leise verabschiedet aus einer streitenden Kirche. Eine strukturierte Aufarbeitung hat es aufgrund der Coronakrise nicht geben können. Ich bemerke trotzdem insgesamt sehr wenige Spannungen, aber dort, wo der Streit war, gab es bislang auch keine Versöhnung. Ich vergesse da nicht darauf und werde weiter versuchen, Irritationen zu bearbeiten.

DIE FURCHE: Das gehört zum Programm fürs nächste Bischofsjahr?
Marketz: Wir sind sehr in die Zukunft gerichtet, wir schaffen gerade neue Strukturen; da müssen wir schauen: Sind die praktikabel? Und wir arbeiten an neuen pastoralen Leitungsmodellen. Von daher wird nicht mehr so viel zurückgeschaut.

Das erste Jahr als Bischof war schwierig, weil es in der Zeit der Sedisvakanz eine Krise gegeben hat. Diese Krise ist durch eine neue Krise abgelöst und zum Teil auch verdeckt worden.

Josef Marketz

DIE FURCHE: Bei diesen Überlegungen geht es auch um Veränderungen im Gefüge der Kirche. Sie sind ja schon in den ersten Interviews nach Ihrer Ernennung zum Pflichtzölibat für Priester gefragt worden. Muss man – Pandemie hin oder her – nicht auch in diesen Fragen weiterkommen?
Marketz: Natürlich. Aber ich habe bei der Caritas eines gelernt: dass es für die Betroffenen Sinn macht, ihre Not zu sehen, aber dann auch sofort zu handeln, wenn sie kein Dach über dem Kopf oder andere Probleme haben. In diesem Sinn will ich mit möglichst vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Dinge umsetzen, die zu tun sind, wo ich also nicht Protestbriefe an den Vatikan schreibe, sondern einfach einmal schaue, was geht. Da kann man aus der Praxis heraus die Grenzen sicher ein bisschen verschieben. Das ist mein Weg. Beim Zölibat beobachte ich zusätzlich, wie es den Priestern geht, die allein leben müssen. In einer Pandemie vor fünfzig oder achtzig Jahren wären die Priester ganz anders versorgt gewesen – in jedem Pfarrhaus hätten mehrere Leute gewohnt. Heute leben die meisten ganz allein. Und mehr als die Hälfte unserer Priester kommt aus der Weltkirche – also nicht aus unserer Diö zese, die haben hier auch keine Verwandten. Da möchte ich denjenigen, die entscheiden können, schon sagen, dass der Zölibat hier große Probleme bringt.

DIE FURCHE: Zum Schluss: Wie soll man heuer Weihnachten gut feiern?
Marketz: Bei Andrea Schwarz habe ich gelesen: Meistens wird Gott ganz leise Mensch. Das wird diesmal genau zutreffen – und das sollen wir als Chance begreifen und dankbar annehmen. Weihnachten mit wenig Lärm – in Achtsamkeit, Zärtlichkeit und voller Rücksicht aufeinander.

Hätte aber die Liebe nicht - © Foto: Bischöfl. Gurker Ordinariat
© Foto: Bischöfl. Gurker Ordinariat
Buch

„Hätte aber die Liebe nicht“ (1 Kor)

Das Jahrbuch der Diözese Gurk widmet sich der Liebe: Nicht nur der neue Bischof Josef Marketz, der ja von der Caritas kommt, trägt zum Schwerpunkt bei, sondern auch Autor(inn)en wie Clemens Sedmak, Arnold Mettnitzer, Veronika Burz-Tropper – sowie ein letzter Essay des im Juli verunglückten Moraltheologen Eberhard Schockenhoff.

„Hätte aber die Liebe nicht ...“
Jahrbuch der Diözese Gurk 2021
Hg. Bischöfl. Gurker Ordinariat,
236 S., kt., € 12,–
shop.kath-kirche-kaernten.at

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