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L(i)eben auf schwedisch — nur auf schwedisch?

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Es könnte natürlich sein, daß Ingmar Bergmans Ehe-Saga, wenn sie im November über die österreichischen Bildschirme flimmert, bei uns keineswegs die Straßen leerfegt wie das seinerzeit bei der Premiere im schwedischen Ursprungsland der Fall gewesen sein soll. Es könnte sein, daß die - wie nennt man sie doch gleich mit der richtigen Überheblichkeit? -, daß die „breite Masse“ des österreichischen Femsehpublikums diesen Blick in den Spiegel nicht riskieren will. Und es könnte auch sein, daß andere erst recht keinen Grund sehen, sich mit einer Welt auseinanderzusetzen, die ihnen so fern ist, wie eben der schwedische Säkularismus dem christgläubigen Österreicher fern erscheint.

Es wäre schade, in dem einen und erst recht in dem anderen Fall. Denn da wird Leben gelebt und durchlitten, wie man es nicht in ein schwedisches Ghetto abschieben kann; da läßt Sie einer, der sich auf die Seele versteht, das Schicksal moderner, ach so aufgeklärter Menschen mitleben und mitleiden, von denen Sie sonst nur das äußere Verhalten sehen und vielleicht verurteilen - wenn es sich nicht zufällig um Sie selbst und das Schicksal Ihrer eigenen menschlichen Beziehungen handelt…

Ich frage mich immer wieder als Christ und Priester: Gibt es für diese Menschen keine Erlösung? Ist für sie unser Herr nicht gestorben? Und ich verstehe dabei die Frage so: Ist für sie die Gemeinde dieses Herrn nicht da? Ist denn vor allem dieses die Aufgabe der Kirche - das heißt, der lebendigen Menschen, die das „Volk Gottes“ bilden: den allgemeinen Niedergang der Moral, abzulesen vor allem an den hohen Scheidungs- und Abtreibungszahlen, zu beklagen? Ich höre natürlich die christliche Antwort: Nein, sicher nicht. Wir wollen selbstverständlich helfen statt klagen! Wie kommt es dann, daß diese Hilfe so wenig in Anspruch genommen wird? Daß die meisten, die da unter den Niederlagen ihres Lebens leiden, sich überall anderswo Verständnis erwarten, nur nicht von der „Kirche“?

Es sind zwar schon an die 15 Jahre seither vergangen, aber das Beispiel ist vielleicht doch bezeichnend: Ich riet damals einem Ehepaar, dessen Beziehungen zu zerbrechen drohten, sich qualifiziert helfen zu lassen: in einer kirchlichen Eheberatun&sstelle, im Wiener Telephonbuch einfach unter „Eheberatung“ oder „Katholische Eheberatung“ sicher zu finden. Damals fand sich die gesuchte Hilfe auf so schüchtern Wege nicht. Denn - ich weiß nicht, ob ich zu sehr übertreibe: Erstens gab es ja ohnehin die klare Weisung und die bei der kirchlichen Trauung bewußt übernommene Verpflichtung der Ehegatten, einander zu heben „bis der Tod euch scheidet“; und zweitens waren da auf alle Fälle noch die Priester, zu denen die Gutwil- ügen kommen konnten … Es existierte damals freiüch doch auch noch, wie meine Nachforschungen ergaben, eine solche Beratungsstelle, klein und schüchtern und unter der Adresse einer kathoüschen Familienorganisa tion verborgen; für die wollte (oder durfte) man aber keine Reklame machen. Warum? Aus Angst vor den Beispielsfolgen? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Oder einfach, weil erstens, zweitens (s. o.)?

Das war einmal. Es ist heute manches anders, besser geworden. Im institutionellen, organisatorischen Bereich. Es gibt das Netz der kirchlichen Beratungsstellen, und Menschen suchen sie auf. Aber ist darum wirklich die Kirche - wieder verstanden als das „Volk Gottes“, das aus lebendigen Alltagsmenschen besteht - zu einer Kirche des „Heilands“ geworden, einer Kirche, von deren Gliedern „andere“ sich auch gerade auf einem Gebiet, das im weitesten Sinn mit Sexualität zu tun hat, Verständnis und Ermutigung und so Hilfe erwarten können?

„Solche Hilfe“, formulierte die Wiener Diözesansynode (428), „stellt hohe Anforderungen an das Verantwortungsbewußtsein und das Taktgefühl aller Glieder der Gemeinde.“

Bleibt da nicht noch viel, sehr viel zu tun an Entängstigung und Ermutigung des Volkes Gottes, bis der einzelne und die Gemeinden imstande sind (ohne Abstrich von der eigenen Lebensgestaltung!) selbstlos dem anderen die Unterstützung anzubieten, die er hier und jetzt braucht und anzunehmen bereit ist? Muß man dazu nicht erst einmal lernen, den Mitmenschen in seiner konkreten Lage wahr- und in seinem gegenwärtigen Selbstverständnis ernstzunehmen, ohne Vorurteil, in Geduld und in einer Toleranz, die freilich alles andere ist als Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal des anderen? Wäre das nicht die Li’ebe, die von den Jüngern dessen erwartet wird, der gekommen ist, zu retten, statt zu verurteilen.

Sich in eine solche Haltung den „anderen“ gegenüber einzufühlen und über ihre praktischen Konsequenzen miteinander zu reden, dazu, meine ich, könnten und sollten Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ alle anregen, denen ihr Kirche-Sein erfahrende Gnade bedeutet.

Die Erzdiözese Wien hat zwei neue Weihbischöfe: Msgr. DDr. Helmut Krätzl und Msgr. Florian Kuntner. Mit dem Wiener Ordinariatskanzler und dem Bischofsvikar des Vikariates unter dem Wienerwald rücken zwei, Junge“ in den österreichischen Episkopat auf, die jeder in seiner Funktion, in den vergangenen Jahren intensiv am Werk waren, die Ideen des Konzils für die Seelsorge in die Praxis umzusetzen. Krätzl - Jahrgang 1931 - war nach seiner Priesterweihe zunächst als Kaplan in Baden, dann als Zeremoniär des Kardinals tätig. Studien an der Gregoriana in Rom schlossen mit dem zweiten Doktorat. Nach fünf Jahren Praxis als Pfarrer von Laa an der Thaya rückte er als Kanzler in die Zentrale ein und bemühte sich hier vor allem um eine praxisorientierte Handhabung des Kirchenrechts und die Verwirklichung der neuen Sakramentenpasto- ral.

Kuntners Weg führte von verschiedenen Kaplanstellen in Niederösterreich über den Studienpräfekten in Hollabrunn zum Pfarrer in Piesting. 1969 wurde er zum Bischofsvikar ernannt. Seit 1971 ist Kuntner - Jahrgang 1933 - Propstpfarrer von Wiener Neustadt. Seine Hauptsorge gilt dem Aufbau der Gemeinde am Ort, aber auch der Betreuung priesterloser Gemeinden.

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