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Unterwegs ins Schneckenhaus ?

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Von der Jugend von heute hängt die Kirche von morgen ab. Wie sieht ein Jugendseelsorger die Zukunft einer österreichischen Kirche, die Hoffnung leben kann?

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Von der Jugend von heute hängt die Kirche von morgen ab. Wie sieht ein Jugendseelsorger die Zukunft einer österreichischen Kirche, die Hoffnung leben kann?

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Eine österreichische Kirche für die Jahrtausendwende? „österreichisch“ als zufällige Ortsangabe oder „österreichisch“, weil mit diesem Land verbunden und für es bedeutsam? Wohl das Zweite! Aber dabei beginnen schon, neben manchen Hoffnungen, meine Befürchtungen.

Hand aufs Herz: Sind wir nicht — entgegen äußerem Getue — einigermaßen zielstrebig unterwegs „nach innen“, ins Schneckengehäuse des inneren Betriebes, weil es dort genug zu tun gibt? Beginnen nicht die internen Diskussionen und Aktivitäten bereits einen Großteil unserer Zeit und Energien aufzufressen, die natürlich „draußen“ fehlen. Weshalb man uns dort vermißt, wo wir eigentlich „Hoffnung leben und geben“ sollten...

Aber meine Besorgnis reicht noch tiefer: Steht nicht auch „intern“ der Aufwand in einem beängstigenden Mißverhältnis zum Effekt — wenn dieses unspirituelle Vokabel einmal erlaubt ist? Kreißen da nicht oft die Berge von Papieren, Sitzungen und Ideen, und dann werden bestenfalls winzige Mäuse geboren?

Steuern wir etwa auf einen Dienstleistungsbetrieb Kirche zu, der mit einer clever gemanagten Angebotsmischung aus religiösen „Schwarzwaldklinik“-Serien, einigen Spiel-, Diskutier- und Meditationsrunden für den persönlichen Bedarf, einem Lebensfeste-verschönerungsservice namens „Liturgie“, einem kunsthistorischen Feinschmeckerprogramm und einigen akademischen Vortragsreihen eines Leben-Jesu-Gedächtnisvereins namens „Theologie“ immer seine Kundschaft finden und daher um sein Uberleben nicht bangen wird?

Wird sich außer Mitgliedsbeiträgen von Konto zu Konto, ein paar Trachtenumzügen zu den gewerkschaftlich verteidigten Fest(?)-Tagen und den Briefträgern mit Postwurfsendungen der Abteilung „Öffentlichkeitsarbeit“ dann noch etwas bewegen?

Zu bissig? Zu negativ? Hoffent-lich! Aber was gibt Hoffnung? Na, zum Beispiel die vielen neuen Aufbruchsbewegungen. Aber werden die in die Gemeinden und in die geheiligten Strukturen des „organisierten Laienapostolates“ eindringen können? Und die vielen neuen Formen des Laien-Engagements als Erstkommunion-Tischmütter, Firmgruppenhelfer, Caritas-Aktivisten usw. Aber wer stützt und stärkt sie und schützt sie vor dem Ausbrennen? Und die Intensiv- und Basisgemeinden da und dort. Wer verhindert, daß sie zu pastoralen „Indianerreservaten“ werden?

Es gibt unleugbar ein neues religiöses Suchen, ganz allgemein feststellbar und demoskopisch nachgewiesen! Aber was, wenn das vielen Kirchen-Funktionären schon wieder als zu .jenseitsorientiert“, zu wenig „gesell-schaftspolitikbewußt“, zu „magisch“, kurzum als unbrauchbar, weil nicht gleich in Friedens-, Umwelt-, etc.-Politik umsetzbar erscheint?

Ich fühle mich aber keineswegs erhaben über alles das. Ganz im Gegenteil. Ich spüre an mir selbst als Priester, Christ und österreichischer Katholik die merkwürdige Erosionsdynamik, von der niemand sagen kann, wovon sie letztlich kommt, wer oder was an ihr schuld ist. Ich jammere selbst oft genug mit, suche mit nach dem „Uberschmäh, der den Aus- und Durchbruch bringen soll, verrenne mich mit in die Hoffnung auf den Umschwung durch Imagekorrekturen, neue Methoden und Sprachkosmetik.

Und ich sehe mich selbst im Spiegel, wenn ich sage: Wir sind zu verspielt, zu feige, zu „diesseitig“.

Zu verspielt, weil wir uns viel Spielzeug leisten können. Weil wir uns nicht nachsagen lassen wollen, man hätte mit uns keinen Spaß. Weil wir in einer „Zeit der perfekten Methoden und der verworrenen Ziele“ (Albert Einstein) Langeweile und Ratlosigkeit überbrücken wollen. Eifriges Plakatebemalen, Geräte up to da-te, lustig-lehrreiche Spiele mögen vieles fördern. Sie können unsere Kirche aber auch zum „Kinderzimmer“ machen: Das Leben draußen ist hart genug...

Zu feige, weil wir Toleranz mit Farblosigkeit, Apostolat mit Aufdringlichkeit, Zeugnis mit Peinlichkeit, Reagieren mit „Reaktionär“, Verständnis und Dialogfähigkeit mit Gummi und Spiegelung verwechseln. Man spricht, greift und fragt bei uns zu oft ins Leere, Höflich-Unverbindliche, Undeutlich-Verwaschene. Wir haben ja gar nichts gesagt, wollen ja gar nichts Besonderes sein...

Zu diesseitig, weil wir unseren eigenen Vogel zu oft mit dem Heiligen Geist verwechseln. Doch zuerst einmal den Weltkarren selbst aus dem Graben ziehen wollen, bevor wir den Erlöser daranlassen zu können glauben. Uns als „menschliche“ Vermittler zwischen ihm und den Menschen nicht selten zu wichtig machen, ihn mit größtem Aufwand den Menschen „zurechterklären“, sie auf ihn umständlich „vorbereiten“ wollen. Dabei vergessen wir immer wieder, daß das Jenseits längst nicht mehr das ist, was es einmal war — seit Jesus Christus. Gott ist menschenunmittelbar geworden. Wenn wir ihm nur nicht seine Möglichkeiten ständig vorschreiben wollten, sich unser pädagogischer Messianismus und Imperialismus nicht immer wieder dazwischenschöbe...

Eine österreichische Kirche für, die Jahrtausendwende: da müssen wir wieder den Wald vor lauter Bäumen sehen lernen. Uns unseren ursprünglichen Auftrag wieder einmal genauer ansehen und Mut zu den Prioritäten haben. Prioritäten setzen heißt hier nicht, das Eine zuungunsten des Anderen tun. Es heißt, das Eine durch das Andere wieder neu ermöglichen.

Unser Auftrag — auch für die Jahrtausendwende und danach — ist eindeutig: Jesus Christus und sein Evangelium zu den Mensehen zu bringen, ihn hier und heute ein „zweites irdisches Leben“ leben zu lassen. Alle biblischen Bilder für Kirche enthalten diesen doppelten Aspekt des Zusammenwirkens mit Christus für die Menschen: Leib, Weinstock, Haus usw.

Dieser Auftrag fordert bereits deutlich die Prioritäten: persönliche Entscheidung für Christus, ständige Erneuerung der lebendigen Verbundenheit mit ihm, gegenseitige Hilfe der Gläubigen dabei. Liturgie und Sakramente sind doch nicht Selbstzweck oder privatreligiöse Konsumartikel — wenn auch in noch so modernem Stil. Eher schon Tankstelle und Rastplatz, Stärkung und Festigung des geheimnisvollen Leibes Christi von dessen Haupt her — für ein neues Tätigwerden in der Welt. Viel Geschwätz und Getue wären da zugunsten größerer Klarheit und Einfachheit abzubauen.

Dieser gemeinsame Auftrag, Christus zu den Menschen zu bringen, fordert auch die Nutzung der „Talente“ und Charismen. Und zwar für die richtige Sache. Es bedrückt, manchmal zu sehen, wie hochbegabte Apostel Zeit und

Kraft im inneren Betrieb vergeuden: in schlecht vorbereiteten und ergebnislosen Sitzungen, im Management von zweit- und dritt-rangigen Dingen. Mit viel Eifer wird da oft an einer „Minimun-dus-Kirche“ gebastelt, die „alle Stückln spielen“ soll, die sich als behagliche Ersatzwelt anbieten möchte und dafür ein und dieselben um tausenderlei Aufgaben und Beschäftigungen kreisen läßt.

Es ist manchmal auch bedrük-kend zu beobachten, wie wenig die Kirche ihre Gläubigen für das Apostolat, den eigentlichen Dienst des Christen, schult und ausrüstet. Theologische Volkshochschulen und schlagzeilenorientierte Debattierrunden reichen da nicht aus.

Was verlangt die Situation an meinem Arbeitsplatz, in meinem Milieu, in meinem Wohnhaus, meinem Dorf etc. von mir als Christen? Was kann und muß ich da wie am besten konkret tun und sagen? Was gibt uns die Heilige Schrift als Botschaft dazu mit auf den Weg?

Das wären Fragen katholischer Runden, und Austausch, gegenseitige Beratung, gemeinsames Reflektieren und Beten wären die wichtigsten Dienste der Kirche an den Christen.

Vieles von dem, was jetzt Profis und Funktionäre an Gesellschaftspolitik betreiben, an Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen leisten, käme dann auch von „Basis-Christen“ und an Ort und Stelle, nicht nur an kirchlichen Zentralstellen und in Presseaussendungen. Die Katholiken würden dann auch Wiederaus der Versenkung auftauchen: im praktischen Leben ihrer Mitbürger, im öffentlichen Leben und an den verantwortlichen Stellen unserer Gesellschaft.

Ob die österreichische Kirche auch eine für die Jahrtausendwende sein wird, hängt sicher nicht zuerst davon ab, ob sie Frauen als Priester hat, die künstliche Empfängnisverhütung zuläßt, sich umweltbewußt gibt, geschiedene Wiederverheiratete zur Kommunion gehen läßt, ins „neue Medienzeitalter“ voll einsteigt, die Priester von der Zölibatspflicht entbindet. So entscheidend manches davon möglicherweise ist.

Noch viel entscheidender wird sein, ob die Kirche es wagt, sie selbst zu sein: vielleicht bescheidener, aber wirksam, vielleicht nicht überall vorne mit dabei, aber präsent.

Zur Jahrtausendwende werde ich ein Viertel jähr hundert Priester sein, und die Jugend, mit der ich jetzt zu tun habe, ist dann bereits die Generation der Eltern und jungen Großeltern. Der Weg ins nächste Jahrtausend hat für die österreichische Kirche eigentlich schon längst begonnen. Weiß sie es?

Der Autor ist Jugendseelsorger der Erzdiözese Wien.

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