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Sünde an der Jugend

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FURCHE: Pater Sporschill, im Weihnachtsevangelium heißt es, daß für Josef und Maria in der Herberge kein Platz war. Ist in der „Herberge Kirche“ für alle Platz?

PATER GEORG SPORSCHILL SJ: Ich glaube, in der Kirche müßte für alle Platz sein. Weil aber die Kirche immer in Versuchung ist, zu weltlich zu denken und nicht mit der Kraft, die aus dem Glauben kommt, also mit der Macht Gottes, zu rechnen, wird gelegentlich aus der Kirche halt auch nichts anderes als ein besserer oder oft sogar schlechterer Verein, wie die weltlichen Vereine es auch sind.

FURCHE: Welche Menschen oder Menschengruppen finden am schwersten Platz in der Kirche?

SPORSCHILL: Vor allem die Jugend. Wenn ich Pfarreien sehe und keine Jugendlichen da sind, da tut mir das Herz weh. Weil ich mich frage: Brauchen diese Jugendlichen nicht die Kirche, so wie ich sie brauche? Wer gibt denen Gemeinschaft, holt sie aus der Einsamkeit heraus? Wer eröffnet ihnen einen Sinn? Wer spricht ihren Idealismus an?

Warum sie nicht da sind - ein Grund könnte ein Mißverständnis sein, daß man der Jugend immer etwas bieten will und ihr damit zeigt, daß man sie nicht braucht, sondern umgekehrt, daß sie die Hilfsbedürftigen sind, für die man etwas machen muß. Aber das mißversteht die Grundfrage eines Jugendlichen. Ein Jugendlicher fragt doch: Nimmt man mich ernst, oder bin ich für die anderen noch ein Kind? Braucht man mich wirklich oder ist es nur eine Schulaufgabe und Arbeitstherapie, was sie mit mir vorhaben? Und ich glaube, daß sich die Kirche da öfters versündigt, indem sie keine Ideen hat, wo sie die Jugend brauchen könnte.

Da sehe ich die Gefahr, daß man so viele Aufgaben schon ad acta gelegt hat oder wegschaut, weil man sagt, wir haben kein Personal oder kein Geld oder keine Kräfte dafür.

Man könnte es ja auch umdrehen und sagen: Die Aufgaben sind da -Obdachlose zu integrieren, sich um Drogensüchtige zu kümmern, mit Ausländern Kontakt aufzunehmen, die Leute in den Krankenhäusern, Altenheimen, in der Psychiatrie nicht allein zu lassen...

Wenn man natürlich die Aufgaben reduziert oder wegschaut, dann brauchen wir wirklich die Jugend nicht. Wenn wir uns aber in diese Spannung zwischen vorhandenen Kräften und vorhandenen Aufgaben hineinstellen, dann wären wir gerade auf die Jugend angewiesen, die ja vielleicht sogar leichtsinnig ist mit der Übernahme von Aufgaben und die nicht gleich sagt: Das schaffen wir nicht, das ist zu viel.

FURCHE: Sehen Sie die Gefahr, daß die Kirche sich wie die Wirtsleute in der Weihnachtsgeschichte sagt: Wir haben hier unsere warme Geborgenheit, und die da draußen sollen schauen, wie sie zu Rande kommen?

SPOR SCHILL: Ich sehe diese Gefahr, und ich glaube, man löst das Problem deshalb nicht, weil man Angst hat vor denen, die da rein kommen, und übersieht, daß man dadurch den Erlöser ausschließt. Das heißt, es ist ein sehr schlechtes Geschäft. Die Botschaft des Evangeliums ist ja, daß sie, wenn sie den Fremden, den Obdachlosen hereinnehmen, die Erlösung für sich haben. Und nicht, daß sie dann zusätzliche Scherereien haben. Die Erlösung überstrahlt ja alles.

FURCHE: Ist nicht auch zu beobachten, daß man sagt: Ja, gut, wir lassen dich herein, aber nur auf einen ganz bestimmten Platz. Ist es nicht gerade bei der vielzitierten Rolle der Frau in der Kirche so?

SPORSCHILL: Wahrscheinlich gilt für die Frau ähnliches wie für die Jugend, daß Arbeitstherapie oder Alibihandlungen einfach eine Kränkung sind und nichts besser machen. Wenn die Frauen und Jugendlichen spüren: Mich braucht man in der Kirche, um Leben zu retten in unserer Gesellschaft - dann erleben sie ihre Würde, die ihnen Gott gegeben hat, die ihnen in der Taufe und in der Firmung zugesagt ist, dann wird es wahrscheinlich auch eine partnerschaftliche Kirche geben, wo das Wort des heiligen Paulus stimmt „Nicht mehr Mann und Frau, nicht mehr Sklave und Freier, sondern ihr alle seid einer in Christus.“

Das heißt nicht, daß die Unterschiede aufgehoben werden, aber daß wir alle in der Verschiedenheit dieselbe Würde haben, eben Christus heute zu repräsentieren, seine Hände, seine Füße zu sein, eben der Leib Christi zu sein. Und das ist ganz etwas anderes als Alibi und Arbeitstherapie. Da sind die Frauen und vor allem die Jugendlichen absolut empfindlich - mit Recht.

FURCHE: Wenn man es einmal von der Seite jener betrachtet, die nicht aufmachen wollen. Muß man die nicht auch ein bißchen verstehen, die Angst haben, daß das Haus womöglich aus den Fugen gerät?

SPORSCHILL: Ich würde sagen, zuerst wäre es gut, wenn einmal das Ganze zu leben beginnt. Wenn etwas zu leben beginnt, bis hin zur Gefahr, daß es aus den Fugen gerät, dann muß man kritisieren, ordnen, führen, aber solange kein Leben da ist, nehmen sich einschränkende Maßnahmen eher als lächerlich aus. Natürlich kriegt, wenn wir uns dem Leben aussetzen, das Lehramt vom Bischof bis hin zum Religionslehrer, bis hin zum Priester in der Gemeinde eine ganz neue Funktion. Das heißt, aus unserer Tradition heraus müssen wir die Menschen, die da und zur Mitarbeit bereit sind, führen, anleiten, lehren.

Möglicherweise überfordert es uns, aber ich glaube, das Risiko können wir eingehen im Vertrauen auf die Macht Gottes und aus der Kraft des Glaubens heraus. Dann werden die Schätze der Tradition gefragt, und wenn das zusammenkommt mit der ganzen Macht und Breite des Lebens, dann habe ich keine Angst, daß das ein Chaos wird.

FURCHE: Gibt es nicht innerhalb des Hauses Kirche Grabenkämpfe, wo man einander sogar das „Wirklich-katholisch-Sein“ abspricht?

SPORSCHILL: Sicher gibt es diese Grabenkämpfe, weil diese Gruppen den Sinn der Kirche verraten. Ich behaupte: Würden wir unsere Berufung, die uns Gott gegeben hat, und unsere unglaublichen Aufgaben, gerade in dieser Gesellschaft heute, mutiger und näher in den Blick nehmen, dann würde das manche Unterschiede relativieren. Dann wäre man vielleicht sogar dankbar, daß wir mit unterschiedlichen Geschmacksund Denkrichtungen an dem einen

Problem, dem Aufbau des Reiches Gottes, arbeiten können. Es gibt angesichts all der Aufgaben keinen Grund, aufeinander eifersüchtig zu sein oder einander die Kompetenz abzusprechen.

Manchmal denkt man sich, die Leute haben eben keine Sorgen, und deshalb entstehen solche Probleme. Wenn ich natürlich die Aufgabe aus dem Blick lasse und mein Haus inzwischen ordnen will - also eine Kirche, die sich selber wärmt, die wird an ihren Konflikten wahrscheinlich verbrennen. Aber eine Kirche, die weiß, daß sie da ist, die Welt zu befrieden und zu wärmen -da kann ich mir vorstellen, daß diese Unterschiedlichkeiten Energie für diesen Dienst abgeben.

FURCHE: Ist nicht auch die Aussage häufig: Die Kirche steht ohnehin allen offen - und dann kommen gewisse Einschränkungen?

SPORSCHILL: Ich glaube, diesen Spieß müßten wir umdrehen, damit es eine missionarische Kirche wird. Wenn die Kirche allen offen steht, dann müßte ich mich im Blick auf jeden einzelnen fragen, welche Rolle kann er in der Kirche übernehmen. Das gilt für Jugendliche, für geschiedene Wiederverheiratete, das gilt für Ausländer, das gilt für alle möglichen Sozialfälle.

Ich glaube daß wir auf den besonderen Dienst, den alle diese Gruppen und Menschen haben, nicht verzichten können, ohne daß wir unsere Lebensadern abschneiden. Es genügt nicht, daß man sagt: Ihr könnt alle irgendetwas machen, sondern da muß man konkret werden.

Es dürfen auch nicht alle das gleiche machen, da würde man auch den Menschen und ihrer Biographie nicht gerecht werden. Was hat ein geschiedenes und wiederverheiratetes Ehepaar für einen Dienst in einer Gemeinde, den nur es und niemand anderer einbringen kann? Umgekehrt: Was hat im Unterschied dazu ein Ehepaar oder eine Familie, die dieses Problem nicht haben, was haben die für eine Aufgabe, die die anderen nicht wahrnehmen können?

FURCHE: Sind nicht viele schon so abgeschreckt, daßsiean der Herberge Kirche gar nicht mehr anklopfen?

SPORSCHILL: Sicher. Ich glaube, wir, die wir in der Kirche drinnen sind und sie aus irgendeinem Grund mögen, ich glaube, wir müßten dringend rausgehen und die Menschen fragen, wie wir das, was wir selber als Lebenshilfe und Glück empfinden, der Welt bringen können.

Das ist keine Sache, die wir uns untereinander ausmachen können. Es gibt keine Rechnung ohne Wirt. Daß die Erwachsenen sich fragen, wie man die Jugend gewinnt, das wird immer ein Pyrrhussieg werden, solange die Erwachsenen nicht die Jugendlichen fragen: Wie kommt man an die Jugend heran? Oder an alle anderen, die draußen bleiben bei der Herbergssuche? Wir können ihnen nicht Sachen aufdrängen, die sie gar nicht wollen. Das ist ja keine Hilfe. Im Blick muß man immer die Würde dieses einzelnen Menschen haben, mit seinen Leiden, Sorgen, Sehnsüchten, die einmal zu erheben und ernst zu nehmen sind, und vor allem - das möchte ich unterstreichen - mit seinen Angeboten, mit dem, was er hereinbringen will.

Es ist ja der Erlöser der draußen steht, und nicht der, dem wir immer helfen müssen. Was auf den ersten Blick wie eine Hilfe aussieht, ist doch unsere Chance, dem Erlöser zu begegnen. Wenn sie mich fragen, warum ich Sozialarbeit mache, dann sage ich Ihnen: um mein Leben zu retten, um meinen Egoismus zu überwinden, um wirklich Christus zu begegnen, der sich mit denen identifiziert hat. Und was wollen wir mehr, als Christus zu begegnen?

Mit dem Leiter des Jugendhauses der Caritas in der Wiener Blindengasse sprach Heiner Bo-berski.

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