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Ohne Selbstbindung kommt Polizeistaat

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diefurche: Spürt eine Partei wie die OVP die momentanen innerkirchlichen Auseinandersetzungen, leidet sie mit oder ist sie nur außenstehender Beobachter?

Klubobmann Andreas Khol: In der OVP sind noch sehr viele Kirchgeher” organisiert. Je weiter man in den Westen kommt, umso mehr. Und hier muß ich feststellen, daß die Kirche und die Volkspartei über das gemeinsame Wertebewußsein unsichtbar verbunden sind. Ich habe unlängst im profil gesagt, wir müssen zur Kenntnis nehmen, wenn die Kirche verliert, dann verlieren auch wir früher oder später. Und die Kirche muß auch wissen, wer sich von der Volkspartei abwendet, der wendet sich früher oder später auch von der Kirche ab. Und zwar nicht, weil sich das kausal bedingt, sondern weil wir eine bestimmte Wertrichtung vertreten, eine wertorientierte Politik machen, und auch die Kirche ist ein Wertespender, es geht um gemeinsame Grundwerte, die die Kirche vertritt, Nächstenliebe zum Beispiel oder die Solidarität. Wenn Hedonis-mus, Ichsucht, mit anderen Worten die egoistische Selbstverwirklichung, zum Gebot wird - solche Hedonisten finden weder in Volkspartei noch in Kirche ihre Heimat. Wer sich von der Solidarität abwendet, wer die gelebte Solidarität verläßt, verläßt die Kirche ebenso wie er die ÖVP verläßt.

diefurche: Wenn man den Zustand der OVP und der Kirche betrachtet, und das von Ihnen Gesagte jetzt umdreht, dann muß man folgern, wir steuern immer mehr in eine hedoni-stishe Gesellschaft? khol: Das ist genau der springende Punkt. Wenn sogar so prononcierte Liberale wie Ralf Dahrendorf schon seit längerer Zeit sagen, die Emanzipationsära, die Ära der Selbstverwirklichung war wichtig, aber ist vorbei, was wir jetzt brauchen, sind die Ligaturen, die Bindungen, dann muß das ja zu denken geben. Und mir gibt eben zu denken, daß das Abwerfen beispielsweise der familiären Bindungen, der Bindungen in den kleinen Netzen, das rein einzcl-gängerische, irdische Glücksstreben, gesellschaftszerstörend ist. Und mir gibt zu denken, daß auch überzeugte Sozialdemokraten das so sehen beispielsweise wie Heinz Fischer mir gegenüber das unlängst zum Ausdruck gebracht hat, wie sehr er das Werk der Kirche schätzt, weil hier Werte zum Grund gelegt werden und auch eine sozialdemokratische Partei ohne gelebte Grundwerte nicht auskommen kann. Ich bin der Meinung, daß, wenn die Entwicklung ungebremst weitergeht, so wie wir sie jetzt haben, daß wir eben die Tugenden vergessen, weil sie unmodern sind, wie Verantwortung, Pflichtbewußtsein, Solidarität gegenüber anderen, Gewaltfreiheit, wenn wir das verlernen, dann kom men wir in die Zwickmühle, daß unser Staat zur Polizeigesellschaft und zur Therapiegesellschaft wird. Poli-zeigesellscnaft, weil die Gesellschaft dann an die Stelle der Selbstbindung durch Werte die Disziplinicrung von oben durch die Polizei braucht; und Therapiegesellschaft, weil wenn die kleinen Netze, die die gelobte Solidarität der Mitmenschlichkeit aufgebaut haben, zerbrechen, dann muß der Staat eingreifen, dann kommen unendlich kostspielige therapeutische Zentren, die wir brauchen. 1 )as heißt, da liegt schon der Ansatzpunkt einer Gesellschafkritik drinnen.

diefurche: Wenn es einer Partei, die das erkennt, nicht gelingt, das umzusetzen oder in der Gesellschaft klarzumachen, woran liegt's dann, woran hapert es eigentlich? Ist die Partei out oftime, kommt sie mit den heutigen Bedingungen nicht mehr zurecht oder demonstriert man innerpartei-

lich auch etwas vor, wo dann der berühmte Mensch draußen sagt, wenn die selber miteinander nicht umgehen können und diese Werte nicht leben, die sie predigen, ja was soll das dann eigentlich? Übrigens hat Professor Hengstschläger genau das vergangene Woche in der FURCHE (Nummer 18, Seite 2) gesagt khol: Also ich habe immer die Meinung vertreten, daß es meiner Partei deswegen nicht gut geht, weil wir die hehren Grundsätze unseres Pro-grammes, die Solidarität, das christliche Menschenbild, die Partnerschaft, die Aufgabenteilung, im zwischenmenschlichen Kontakt nicht plastisch machen können. Streit, und wir haben gestritten, ist einfach nicht sympathisch, und ich meine, mehr als tausend Worte im Parteiprogramm bleiben blutleer, wenn man die Dinge nicht umsetzt. Und der. Beweis dafür, daß das richtig ist, ist, daß wir auf Gemeinde- und Landesebene wesentlich erfolgreicher sind. Wo wir auf der Gemeindeebene unsere Grundsätze, unsere Werte umsetzen können, eben durch Vorbildwirkung, durch Bürgermeister, Gemeinderäte, dort sind wir erfolgreich. Das heißt also, natürlich trifft das schon zu, was Sie sagen: Es ist eine Frage der glaubwürdigen Wertevermittlung, wo wir in der letzten Zeit versagt haben. Aber das kann sich mit dem neuen Team schlagartig ändern. Wenn man sich die europäische Wertestudie eines Paul M. Zulehner anschaut, ein Buch, das ich ständig griffbereit bei mir habe, es steht da in meinem Kasten, dann weiß man, daß die klassischen Werte, Familie, Kameradschaft, Partnerschaft, Liebe, das Zwischenmenschliche, ganz oben stehen, und daß immer noch 80 Prozent der Menschen den Sinn ihres Lebens in den geglückten Beziehungen sehen; daß auch 80 Prozent der Menschen die Familie, die durch Ehe begründete

Familie als ein Ideal ansehen, ein Ideal, das nicht alle erreichen und wo ich über niemanden auch nur im entferntesten wagen würde, den Stab zu brechen, der dieses Ideal nicht erreicht - aus welchen Gründen auch immer, das Ideal wird aber angestrebt.

piefurche: Was ist Ihrer Meinung nach der springende Punkt, daß viele Menschen von der OVP zu den Liberalen, Freiheitlichen oder zu den Linken abwandern?

khol: Zu den Linken wandern eigentlich ganz wenige ab.

diefurche: Ich verstehe darunter auch Grüne ...

khol: Die Grünen haben von ihrem Januskopf in der letzten Zeit nur das eine Gesicht, das Gesicht des „Brüder liebt einander”, „Bruder Baum”

und „Geht menschlich miteinander um” hergezeigt. Und die andere Seite des Januskopfes ist in Ebergassing gezeigt worden: der Gewaltkopf, das Gewaltgesicht. Aber der ökologische Ansatz ist natürlich für die Volkspartei äußerst attraktiv und gerade für Christen in der Volkspartei. Der friedliebende, zwischenmenschlich gestaltete solidarische und umweltsolidarische Ansatz ist etwas, was unserer Programmtradition entspricht. Und ich halte es da mit Heiner Geißler, daß diese Grünen für uns Gesprächspartner sind.

Zu den Sozialdemokraten haben wir eigentlich schon lange nicht mehr verloren, da gibt es hin und wieder Austäusche. Zu den Liberalen verlieren wir, wenn wir unseren ideologischen Kitt des Ausgleichs in der großen Gemeinschaft nicht plastisch machen konnten. Das sind aufstiegsorientierte, individualistische Liberale, die uns die Rechnung dafür zahlen lassen, daß wir Regierungskompromisse machen müssen. Und ich glaube, hier haben wir zum Teil nicht die notwendige Aufklärungsarbeit geleistet, daß Ziele nie lOOprozentig erreicht werden können. Wohin wir natürlich ganz stark verloren haben, sind die Freiheitlichen, das ist ganz klar.

diefurche: Warum? Hängt das mit der egoistischen Grundhaltung des Menschen zusammen? khol: Das glaube ich nicht ...

diefurche: In vielen politischen Gesprächen habe ich erfahren, daß viele Politiker auf die Ausländerproblema-tik abfahren Gerade auch im roten Wien, in traditionellen Bezirken wandern Leute von der SPÖ ab. Bürgermeister Häupl sieht den Grund (siehe Furche-Interview Nr. 8, Seite 10) in der Ausländerproblematik und glaubt, hart durchgreifen zu müssen, um wieder Wähler zurückzugewinnen khol: Ich glaube, daß auf die Ausländerproblematik eher die Sozialdemokraten abfahren. Bei uns wirkt der Solidaritäskitt noch besser. Und ich muß Ihnen sagen, daß ich im Zusammenhang mit dem Ausländergesetz viele Hunderte Briefe bekommen habe, von Pfarrern, die Bosnier betreuen; und auch in meiner Pfarre sehe und erlebe ich das -also das Ausländerproblem ist für ÖVP-Wähler keine bestimmende Größe, sodaß sie deswegen die Partei verlassen. Was bei uns wahrscheinlich entscheidend wirkt, warum uns Wähler verlassen und zu den Freiheitlichen gehen, ist - erster Grund -, daß wir Wasser predigen und Wein.trinken, in allen Auswüchsen des Kammer- und Verbändestaates.

Das hängt mit arbeitslosem Einkommen, mit Doppelverdiensten, mit dem gesamten, von manchen als Sozialpartnerluxus verteufelten Komplex zusammen. Manches an dieser Kritik ist berechtigt. Die hohen Aufwandsentschädigungen, und zwar nicht bei Berufspolitikern, nicht bei den Spitzen, sondern auf den Ebenen darunter. Es geht also um das Aufräumen im Privilegienstadel. Das ist es. Wobei ich sagen muß, daß wir zu diesen Themen, als wir Opposition waren, über Jahre hindurch gekonnt Politik gemacht haben. Dienstwägen, Doppelverdienste, Verbund, Donaukraftwerke, Sozialversicherungen, der Luxus, der dort betrieben wird, arbeitslose Einkommen, Günstlingswirtschaft - das ist ein Standardthema der Opposition, ein klassisches Thema, da haben wir verloren. Der zweite Grund ist, daß

wir in den letzten fünf oder sechs Jahren die programmatische Schärfe nicht im gewünschten Maße zeigen konnten. Wir haben zu sehr Interessenpolitik gemacht und zu wenig Grundsatzpolitik. Viele sind von den Freiheitlichen angezogen, weil sie sagen, da gibt es eine Linie, die ich kenne, die ich zum Teil nicht mag, aber da ist Führung. Von uns wurde gesagt, wir sind der Juniorpartner der Regierung, da werden faule Kompromisse gemacht. Es ist uns nicht gelungen, die sehr gute Regierungstätigkeit, die grundsatzorientierte Tätigkeit, plastisch zu machen. Wir haben also keine klare Linie signalisiert, obwohl wir sie in der praktischen Politik hatten. Und der dritte Grund ist der klassische Protest, verbunden mit dem Unterhaltungswert in der Politik. Man muß also sehen, daß die Bierzeltqualität mancher Politiker ganz einfach auch ihre Anzieghungskraft hat.

diefurche: In letzter Zeit habe ich mich intensiver mit dem ÖAAB-Wien beschäftigt Da ist eine Aufbruchstimmung vorhanden, die ich sonst in der Partei kaum oder wenig registriere. khol: Ich glaube, daß es da im OAAB-Wien, wo sie diese Aufbruchstimmung sehen, einen neuen Wind gibt. Da gibt's ein paar junge Leute, die einfach voll durchziehen. So etwas gibt's natürlich auch in anderen Bundesländern, in anderen Berei-

chen. Überall, wo wir Leute haben, denen man ansieht, daß sie gerne mit anderen reden, daß sie die Leute mögen, da ist die Aufbruchstim-mung da. Und ich sage Ihnen, wir werden in der Volkspartei insgesamt eine neue Aufbruchstimmung mit dem neuen Team haben. Das hat man schon am Parteitag gemerkt. Es sind alle so erleichtert, daß wir jetzt ein schlagkräftiges junges Team haben, daß wir auch hier eine Aufbruchstimmung erzeugen werden. Aber das hängt mit den Menschen zusammen. Mit dem Grundsatz, Leutl wählt's mi, ich mag euch auch nicht, kommt man nicht weiter. Deswegen hätte ich gerne den Ko-rintherbrief am Parteitag zitiert -ohne Liebe wäre alles vergeblich.

diefurche: Sie waren auch als möglicher Parteiobmann im Gespräch Aus welchen Gründen haben Sie sich von der Aufgabe verabschiedet, oder sind Sie nicht berufen worden3 khol: Viele sind berufen, wenige aber auserwählt. Ich wurde nicht auserwählt. Ich hätte das Amt übernommen, wenn die Voraussetzungen gestimmt hätten. Eine meiner Grundvoraussetzungen war, daß alles nur mit und über Erhard Busek geht. Und ich hätte wahrscheinlich auch vieles so gemacht, wie es Wolfgang Schüssel jetzt macht. Ich wurde einfach nicht auserwählt. Und da ich diese Position nicht angestrebt habe, bin ich nicht enttäuscht, weil so eine Position kann man ja in Wahrheit nicht anstreben, sondern wenn sie einem angeboten wird, muß man sich prüfen, ob man in der Lage ist, sie zu erfüllen. Ich glaube, hätte man sie mir angeboten, hätte Erhard Busek gesagt, du Andreas, beiß da hinein, ich helfe dir, dann hätte ich es wahrscheinlich gemacht. Ich habe immer gesagt - ich wurde ja vom Wahlkomitee auch zu einer Ohrenbeichte eingeladen -, ich denke immer an den Tag nach dem Parteitag. Ich bin kein Kandidat; wenn man es mir anbietet, müssen die Bedingungen stimmen, das heißt also Personalfreiheit; und ich muß von Erhard Busek mitgetragen sein, weil die Parteiungen innerhalb der Volkspartei dürfen nicht wieder entstehen. Und insofern begrüsse ich die Wahl von Wolfgang Schüssel, weil er ist von Erhard Busek mitgetragen, und ich glaube nicht, daß wir mit ihm wieder in die unseligen Zeiten von Richtungskämpfen hineinkommen werden.

diefurche: Sie sagten, so ein Amt strebt man nicht an Wenn man aber etwas tun will, muß man doch sagen können, ich kann das, ich will das. khol: Ich sehe das in der Position, in der ich heute bin, nicht so. Ich habe natürlich viele meiner Ämter angestrebt. Nationalratsabgeordneter, Außenpolitischer Sprecher, Klubomann - das habe ich angestrebt. Nur wenn man einmal in dieser Spitzenlage ist, dann ist man ja da, dann weiß ja jeder, daß man verfügbar ist.

Dann muß man darauf vertrauen, daß diejenigen, welche Vorschläge machen, die für die Personalentscheidungen verantwortlich sind, selber prüfen, von außen prüfen, wer der Reste für diese Funktion und unter den Umständen der Geeignetste ist. Und da muß man die Demut haben, um anzuerkennen, daß man sich selber vielleicht hoch einschätzt und glaubt, man ist der Reste, Klügste, Schönste, aber man muß die Demut haben, daß die anderen es anders sehen und sagen, der ist zwar gut, aber es gibt noch jemanden, der besser ist. Und daher glaube ich, wenn man einmal in der Führungskategorie der Partei ist, wie ich es bin, darf man nichts mehr anstreben.

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