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„Ich mag keine Sonntagsprediger”

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Wirtschaftsminister Hannes Farnleitner über den Verzicht auf Feiertage, Wochenendarbeit und sein Leiden an weltfremden katholischen Funktionären.

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Wirtschaftsminister Hannes Farnleitner über den Verzicht auf Feiertage, Wochenendarbeit und sein Leiden an weltfremden katholischen Funktionären.

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DIEFURCHE Wie fühlen Sie sich in Ihrer neuen Funktion? Bundesminister Hannes Farnleit-ner: Ich habe eine unglaublich positive Akzeptanz von seiten der Bürger und der Unternehmer, und ich nehme nicht an, daß mir nur diejenigen schreiben, die mich mögen.

Ich bin kein gestandener, aber ich bin der erste total meßbare Politiker. Zu allem, was ich hier zu tun habe, sind in unzähligen Artikeln und Vorträgen meine Positionen seit Jahren eindeutig festgeschrieben, sodaß ich an mir selber messen muß, ob ich etwas weiterbringe.

DIEFURCHE: Sie haben angekündigt, diejenigen Unternehmen prämieren zu wollen, die sich besonders um die Schaf-fiing und Erhaltung vonA rbeitsplätzen kümmern. Haben sich Politiker als Ar-beitsplatzbeschaffer verabschiedet* farnleitner: Ich tanze nicht mit dem Zeitgeist. Es muß auch wieder wichtig sein, jene zu prämieren, die sich bewußt bemühen, Arbeitsplätze zu schaffen und auch zu halten - möglicherweise sogar um den Preis, daß vielleicht die Gewinnanteile ein bißchen niedriger sind. Der Staatspreis ist in Vorbereitung, wir werden im Herbst oder Winter den ersten verleihen.

DIEFURCHE: Das wird schwierig, in Zeiten wo Menschen von Unternehmern nur mehr als Kostenfaktoren gesehen werden.

FARNLEITNER: Das sind wirklich zum Teil völlig falsche Generalisierungen, die da öffentlich laufen. Es gibt sicher den exponierten Sektor, der unter extremen Wettbewerbsbedingungen steht. Da stehen Kostenkürzungen im Mittelpunkt. Aber das sind nicht 100 Prozent der Betriebe.

Auch das deutlich zu machen, ist mir ein Anliegen. Ich kann Ihnen 100 Beispiele nennen für diesen exponierten Sektor, der aus Kostengründen rationalisieren muß. Und ich kann Ihnen genauso 100 Unternehmen sagen, wo Leute in kleinen Bereichen neue Betriebe, neue Jobs schaffen, mit blendendem Betriebsklima fahren. Die blühen nur leider im Verborgenen. Das muß man auch sehen.

DIEFURCHE: Was kann ein Wirtschaftsminister eigentlich noch bewirken? Gibt es im Vereinten Europa für nationale Wirtschaftspolitik überhaupt noch genügend Spielraum? farnleitner: Wenn ich den Politologen glaube, nicht. Wenn Sie aber einen Experten fragen: mehr denn je! Wir sind jetzt Teil eines Binnenmarktes: uns ist zwar die Kompetenz im Außenhandel weggenommen, nach Brüssel transferiert worden. Aber die stärkste Kompetenz, die ich habe, ist zum Beispiel die Einkommenspolitik. Die ist hiergeblieben. Die Möglichkeit für Ausbildungspolitik ist ebenfalls da.

Das heißt, es gibt genau definierbare Teile, die bei uns verbleiben. Und da muß man schauen, jeweils in der Liga der Besten zu sein: in der Schulbildung, in der Erwachsenenbildung, im Bereich des sozialen Friedens, im Bereich der lokalen Bemühungen um Technologien, nicht nur der Entwicklung, sondern vor allem der raschen Umsetzung.

DIEFURCHE: Erwarten Sie, daß Sie bei Ihrer Arbeit im Interesse der Wirtschaft manchmal in einen Konflikt mit Ihrer katholischen Weltanschauung kommen werden?

FARNLEITNER: Ich lasse mich in meiner Katholizität von hauptberuflich angestellten Kirchenskeptikern nicht täglich an den Pranger stellen und an Parametern messen, die meiner Person absolut nicht entsprechen. Meine Grundphilosophie ist: Ich habe vom lieben Gott eine Beihe von Talenten bekommen, und ich finde, es ist meine verdammte Pflicht, sie zum Wohl der anderen und zu meinem umzusetzen. Wenn ich das nicht täte, wäre ich nicht Minister geworden. Ich verdiene weniger, die Lebensqualität ist schlechter, also was soll's? Ich bin zum Anpinkelbaum für x Politiker geworden. Einverstanden. Wenn ich die Moral nicht hätte, zu glauben, in dem Land etwas zum allgemeinen Wohl verändern zu können ...

DIEFURCHE: Zum Wohl der Allgemeinheit: Mit dieser Einstellung stehen Sie aber als Politiker wohl ziemlich alleine da, hat man derzeit den Eindruck

FARNLEITNER: Das macht ja nichts. Ich bin ja auch als Person wrer anderer. Alle, die mich seit Jahrzehnten kennen, wissen das. Jetzt sagen wir, o.k. Freunde, wir haben wirklich eine soziale Verpflichtung. Und alle aus dem katholischen Bereich, die ohne irgendetwas zu tun, nur durch glänzende Artikel und Bemerkungen auffallen, gehen mir traditionell am Wecker. Ich kann diese Belanglos-Sendungen auch an Sonntagen, in denen alles verdammt wird, nicht mehr hören.

Der durchschnittliche katholische Funktionär betet die Drittel-Gesellschaft nach, weil das offenbar das einzige ist, was er gelesen hat. Er kennt nicht einmal den Hirtenbrief der Bischöfe, die ihn wahrscheinlich auch nicht kennen, würde ich mal annehmen. Warum lesen die den Hirtenbrief nicht, anstelle dieser längst überbekannten Paulusstellen in den Messen? In welcher Kirche wird wirklich über Soziallehre diskutiert? Dann haben wir auch die katholischen Schachtelkastenorganisationen, wo sich die eine auf Familien, die zweite auf Bauern konzentriert und so weiter. Das ist ja entsetzlich.

Ich fühle mich eigentlich in der Kirche nur wohl, indem ich mir die Freiheit des Christenmenschen nehme.

DIEFURCHE: Sie sagen „die beten einfach die Zwei-Drittel-Gesellschaft nach”. Wie würden Sie unsere Gesellschaft denn beschreiben? Ist sie nicht eine Ellbogengesellschaft? farnleitner: Natürlich! Eine Gesellschaft, die keine Ellbogengesellschaft ist, ist entweder eine Diktatur oder eine mental debile Gesellschaft.

Jeder Mensch möchte zunächst versuchen, sich zu entfalten und sollte lernen, daß er es nicht auf Kosten des anderen tut; oder wenn er es schon auf Kosten des anderen tut, dann so, daß der nicht in die Bodenlosigkeit fällt. Man gibt sich ja auch nach einem Wettlauf beim Sport nachher die Hand und geht miteinander essen. Wir haben eine dynamische Gesellschaft, und weltweit gesehen, stehen wir im Wettbewerb mit Gesellschaften, die auf Dynamik mehr Wert legen als wir.

Wir sind unheimlich wehleidig geworden, wir definieren Armut in einer Weise, die uns wirklich selber in die Mühle bringt. Vergleichen Sie einmal das Einkommen eines österreichischen Arbeitslosen mit dem Durchschnittseinkommen eines russischen Ministers.

DIEFURCHE: Konkret Wenn es um das soziale Interesse geht, haben Sie auch mit demVerzieht auf Feiertage oder einem gleitenden Wjchenende kein Problem?

FARNLEITNER: Die katholische Kirche hat nie etwas dabei gefunden, daß ich 30 Jahre jeden zweiten Samstag, Sonntag im Apostolat voll für sie gearbeitet habe, auch unbezahlt. Ich wundere mich, daß sie sich beim Streit um Feiertage in Allianz mit jenen befinden, die sicher in keine Kirche gehen. Das finde ich sehr lustig. Ich bin da kein Streiter.

DIEFURCHE: Sie kennen aufgrund Ihrer vielen Reisen die Armut in der Welt Wo sehen Sie Ansätze für eine bessere Weltwirtschaftsordnung? farnleitner: Ich sehe vor allem einen Ansatz: Laßt uns endlich darüber reden, was die Länder auch selber tun können. Ineffektive Begierungen, entsetzliche Programme, schlechte Organisation, phantastisch dumme Mentalitäten - über Afrika könnte ich Ihnen stundenlang erzählen, was man da bewegen kann.

Aber es kann nicht so sein, daß wir hier die Anwälte spielen von unfähigen Begierungen. Ich kann durch Migrationspolitik nicht ausgleichen, was weltweit an politischem Versagen gespielt wird.

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