"... einen Sprung, aber nicht aus der Welt"

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Er ist 35 und als Geschäftsführer des Österreichischen Roten Kreuzes Chef von 3.300 Mitarbeitern. Er gilt als einer der Väter des weltweiten Minen-Verbots. Nun macht sein - von ihm selbst herbeigeführter - Karriereknick Furore: Christian Marte tritt in den Jesuitenorden ein. Warum er das tut, verrät der Novize in spe im Furche-Interview.

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Er ist 35 und als Geschäftsführer des Österreichischen Roten Kreuzes Chef von 3.300 Mitarbeitern. Er gilt als einer der Väter des weltweiten Minen-Verbots. Nun macht sein - von ihm selbst herbeigeführter - Karriereknick Furore: Christian Marte tritt in den Jesuitenorden ein. Warum er das tut, verrät der Novize in spe im Furche-Interview.

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dieFurche: Noch gehört es zu Ihrem täglichen Geschäft, über Millionenbeträge zu entscheiden. Und in wenigen Wochen werden Sie als Jesuitennovize Kartoffeln schälen?

Christian Marte: Es stimmt, daß die Entscheidungen über die mehr als 500 Millionen Schilling Spenden aus "Nachbar in Not" letztlich auf meinem Schreibtisch und jenen meiner Ko-Geschäftsleiter landen. Auch das mit den manuellen Tätigkeiten stimmt. Es ist das Prinzip des Noviziats, daß sich die Menschen selbst versorgen.

dieFurche: Ist das nicht ein Riesensprung für Sie - und ohne Sicherheitsnetz?

Marte: Ich mach' da einen Sprung, und er ist gut vorbereitet. Ich kann nicht ausschließen, daß am Ende des Noviziats eine von beiden Seiten zur Auffassung kommt: "Das ist es nicht." Aber es gibt kein Rückfahrticket. Trotzdem mach' ich mir keine Sorgen über meine Zukunft.

dieFurche: Wie kam es zu dieser Berufung, wenn ich so sagen darf?

Marte: Rückblickend sind es wohl drei Daten, die wichtig sind dafür: 1979 hatte ich vier kritische Operationen an der Wirbelsäule wegen Verkrümmung. Die Nebenwirkung Querschnittlähmung stand da immer im Raum.

Dann lag ich drei Monate im Gipsbett. Ich hatte dann auch ein Jahr lang ein Gipskorsett zu tragen von der Hüfte bis zum Kinn. Das hat sicher zu einer großen Ernsthaftigkeit geführt. Retrospektiv hat mir das geholfen, die eigenen Grenzen zu erspüren. 1982 war ich dann in St. Gabriel bei Mödling auf Osterwoche. Schon damals, vor der Matura, ging mir die Berufsentscheidung "Priester ja oder nein" durch den Kopf. Im Vorjahr hab ich dann Ignatianische Exerzitien gemacht. Die haben den Stein endgültig ins Rollen gebracht. Solche Besinnungstage kann ich nur jedem empfehlen, weil das einfach eine so unmittelbare Gotteserfahrung ist - wenn das Wort nicht zu groß ist.

Dazu kamen andere, kleine Erlebnisse, die mich nicht mehr an Zufälle glauben lassen. So hatte ich kürzlich im Spanischkurs Jahreszahlen nachzusprechen und das jeweilige geschichtliche Ereignis zu wiederholen: Auf der Tafel standen die Jahre der Weltkriege, der Türkenbelagerung, aber auch das Jahr 1540 - ohne historisches Datum. Und ich habe auf spanisch gesagt: Gründung der Gesellschaft Jesu. Der kolumbianische Lehrer war erstaunt. Stellt sich doch heraus, daß er selbst bei den Jesuiten war... Da wären wir ohne diese Zahl nie draufgekommen.

dieFurche: Das klingt nach einem Erkenntnisprozeß. Gab's gar kein Schlüsselerlebnis?

Marte: Nein. Ich hab über die Jahre dazu immer wieder Jesuiten befragt, aber zum Beispiel kein Gespräch mit der Familie geführt. Das ist auch nichts, das man zur Diskussion stellt nach dem Motto "Was haltet ihr davon?" Nachdem ich mich entschieden habe, hab' ich sie informiert.

dieFurche: Wie waren da die Reaktionen?

Marte: In der Familie haben sie geschnauft. Sie wußten natürlich, daß ich mir das schon früher mal überlegt hatte. Je mehr sie jetzt über die Jesuiten erfahren, desto einfacher fällt ihnen der Gedanke.

dieFurche: Haben Sie von jemandem völliges Unverständnis zu spüren bekommen?

Marte: Nein. Im beruflichen Umfeld fanden es viele schade, daß ich das Rote Kreuz verlasse. Viele waren überrascht, aber dann doch wieder nicht. Jemand hat gesagt: "Das paßt eigentlich gut zu dir." Da habe ich gemerkt: Es ist auch stimmig. Man sagt nicht: "Jetzt hat er plötzlich den religiösen Wahn bekommen."

Es gab auch Gespräche von seltener Tiefe, in denen ich gemerkt habe, daß die Entscheidung auch bei meinem Gegenüber etwas berührt hat. Daß sich der- oder diejenige selber Gedanken über letzte Fragen gemacht hat. Das hätte ich mir nicht erwartet. Diese Erfahrung positiver Resonanz kann ich nur jedem wünschen.

dieFurche: Ein konkretes Beispiel?

Marte: Eine unserer erfahrenen Ärztinnen bietet mir das Du-Wort an. Dann sagt sie noch: Jetzt hat sie wenigstens einen Grund, nicht aus der Kirche auszutreten. Menschen aus unserem Labor, die mich in der U-Bahn fragen: Wie kam's dazu? Und dann steht man dort eine Stunde und spricht über die Motive.

dieFurche: Und Sie haben kein bißchen schlechtes Gewissen, daß Ihr Manager-Talent - nach Erfolgen wie internationaler Anti-Minen-Konvention und "Nachbar in Not" - mindestens mehrere Jahre nicht gefragt sein wird?

Marte: Vielleicht kann es die katholische Kirche in dem einen oder anderen Bereich brauchen.

Außerdem kenne ich so viele gute Leute für solche Aufgaben, daß ich kein schlechtes Gewissen habe. Die wirklich unersetzlichen Führungskräfte gibt's nicht.

dieFurche: Wie läuft Ihre zweite Karriere als Novize ab?

Marte: Nach den ersten Wochen kommt das sogenannte "Krankenhaus-Experiment".

Außer diesen zwei Monaten gibt es noch vier weitere Experimente, die das Noviziat unterbrechen: Mitarbeiten in einer Pfarre, in einer Fabrik, auf der Universität und eine Fußwallfahrt. Schon ganz zu Beginn war das bei Ignatius so: In den zwei Jahren soll so viel wie möglich an Lebenserfahrung einfließen.

dieFurche: Warum folgen Sie gerade seinen Spuren, warum gerade zu den Jesuiten?

Marte: Es war nicht das Auswählen eine Ordens in einer Matrix, wie man einen Kopierer auswählt: Das sind die Funktionen, die muß er erfüllen, und da haben wir 70 Firmen. Durch persönliche Begegnungen habe ich einfach einen Bezug zu dem Orden bekommen, und es hat gepaßt.

dieFurche: Was hat da von der Spiritualität für Sie "gepaßt"?

Marte: Der zentrale Punkt ist die Exerzitien-Spiritualität, darin besonders wichtig: Anleitungen zur Wahl, vor allem bei großen Entscheidungen ein Hauptanliegen von Ignatius. Das kommt einem an so einer Stelle wie in der Rot-Kreuz-Geschäftsleitung sehr entgegen - bei den vielen Personalentscheidungen, zum Beispiel. Bei großen Fragen etwa empfiehlt Ignatius zu überlegen: Wie hätte ich am Sterbebett entschieden haben wollen?

Neben der strengen Jesus-Orientierung ein dritter Punkt ist das Rechenschaft-Geben. Ich spüre enorm stark, daß ich nur eine begrenzte Zeit zum Leben habe.

Bei den Jesuiten, die ich bis jetzt kennengelernt habe, kommt eine große Weltoffenheit dazu, ein internationaler Bezug. Man hat das Gefühl, daß das keine verschlossene, selbstgenügsame Gemeinschaft ist. Außerdem imponiert mir sehr, daß es eine nüchterne Gesellschaft ist - das kommt mir auch als Vorarlberger sehr entgegen ...

Ich ertappe mich oft dabei, mir das Novizenhaus konkret auszumalen, wo ich hingehe.

dieFurche: Also gar keine Flugzeuge im Bauch?

Marte: Die Analogie trifft's ganz gut. Ich frage mich schon auch, "Ist es das richtige?" Ich habe mehrmals ein paar Tage im Noviziat verbracht, auch um zu erspüren, was das für Menschen sind. Ich mußte mir ein bißchen anschauen, ob ich da überhaupt dazupasse.

Da lebt man sicher etwas zurückgezogener, aber das ist kein Schritt aus der Welt. Viele Ordensleute stehen mit beiden Beinen in der Welt. Und die Jesuiten zweimal.

Das Gespräch führte Roland Schönbauer.

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