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BIBEL LESEN MIT DEM BLEISTIFT

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Als ich mir mit 28 Jahren meine erste Bibel gekaufte habe, da war ich reichlich erstaunt. Zwar wußte ich, daß es ein Altes Testament für die Zeit bis Jesus gab, sowie anschließend ein Neues. Daß jedoch das Alte Testament gleich aus fast 50 mehr oder weniger umfangreichen Einzelbüchern bestand, die während eines Zeitraum von etwa 1000 Jahren geschrieben worden sind, das fand ich schon überwältigend.

Ich begann mit der Lektüre auf Seite 1 des Alten Testaments und weiß heute noch, was ich nach einiger Lektüre dachte: „Kompliziert, kompliziert..." Bald kannte ich mich immer weniger aus: Da hatte man mir vom liebenden Gott erzählt. Aber der Gott des Alten Testaments straft beinhart. Ich verstand die Welt nicht mehr.

Weil mir.jedoch von Natur aus eine gewisse Sturheit zu eigen ist, habe ich weitergelesen. Lange hat es gedauert, bis ich den roten Faden entdeckte: das Werben Gottes um den Menschen, sein „(Er)ziehen" durch die Jahrhunderte hindurch. Und so gesehen wurde für mich das Alte Testament mit der Zeit ein Krimi, mit Sicherheit der interessanteste Psycho-Thriller, den es je gab. Es ist ja auch ein Bestseller. Die Gefahr ist jedoch, daß man beim Lesen nicht durchhält. Manche Texte sind ja auch wirklich langatmig.

Ja, und dann bin ich beim Neuen

Testament angelangt. Das hat mich angesprochen. Sein Umfang ist vergleichsweise bescheiden: Nur 20 Prozent der Bibel betreffen jene Geschichte Gottes mit den Menschen, die der gesamten Welt eine total neue Richtung gegeben hat.

Was ich da las war viel praktischer, sofort umzusetzen. Heute würde ich jedem raten, mit dem Neuen Testament zu beginnen. Nicht zuletzt eben auch weil es viel kürzer ist - ein wichtiger Aspekt in einer Zeit, in der kaum jemand Zeit hat.

Seither lese ich vor allem im Neuen Testament. Mir wurde einfach klar: Wenn du schon Christ werden willst, dann mußt du auch wissen wer Christus war, was er gesagt und wie er gelebt hat. Täglich im Neuen Testament zu lesen, darüber nachzudenken, anschließend zehn bis 40 Minuten zu beten, das wurde mir zu lieben Gewohnheit. Oft schreibe ich mir einen besonderen Gedanken auf einen Zettel und steckte ihn mir in die Tasche. Während des Tages fällt er mir dann wieder in die Hände und so hole ich Jesus immer wieder in meinen Alltag hinein.

Die ersten zehn Jahre etwa habe ich das Neue Testament jeweils von Anfang bis Ende durchgearbeitet. Heute halte ich mich mehr an das, was die Kirche als Tageslesungen anbietet. Das kann man dem Schott-Meßbuch entnehmen.

In den Jahren habe ich mir folgendes angewöhnt: Das Lesen der Bibel mit dem Bleistift! Ich streiche einfach bestimmte Sätze an oder vermerke besondere Gedanken am Seitenrand. Für's erste mag das befremdend wirken: Man kann doch nicht mit Bleistift und Farbe in der Heiligen Schrift herum wüten. Doch man kann! Ja, man soll es sogar.

Worum geht es denn eigentlich? Um Papier zum Preis von 100 Schilling -ja, so wenig kostet eine billige Ausgabe der Einheitsübersetzung -oder um mein Geistesleben? Ich präge mir die Aussagen auf diese Weise einfach besser ein: zuerst einmal beim Lesen und dann beim Unterstreichen. Die Wirkung ist also verstärkt. Und wenn man dann in der Bibel nachliest, wird sie viel lebendiger. Man erkennt die Schwerpunkte.

Dabei habe ich von Anfang an keineswegs das unterstrichen, was mir allgemein gültig erschien, sondern das, was mir in der jeweiligen Situation ganz konkret bedeutungsvoll war. Und damit bekam alles Leben, mein Leben, mein Leben mit Gott, dessen beglückende Nähe ich immer stärker verspürte und dessen liebevolle Weisheit mir zu Einsichten verhalf, die mich selbst immer wieder erstaunen.

Nach einigen Jahren war meine erste Bibel mehrfach durchlebt und vollge-schmiert. Da kauft ich mir die nächste und begann von vorne. Und dabei war die Verblüffung groß. Auf bisher unbehandelten Seiten entdeckte ich Inhalte, die ich vorher nie bewußt zur Kenntnis genommen hatte. Was stand da nicht alles noch drinnen, was ich einfach überlesen hatte!

Ich begann mich zu fragen, warum dies so war. So begann manches Ringen von neuem, manche Niederlage wurde beschämend erkannt, manche positive Entwicklung voll Freude und Dankbarkeit entdeckt. Das Unterstreichen fing von neuem an, aber jetzt oft an anderen Stellen.

Und das ist heute noch so. Wie viele Bibeln werde ich wohl in meinem Leben noch verbrauchen dürfen? Wie weit werde ich kommen? Je mehr ich entdecke, desto kleiner werde ich. Immer mehr erfahre ich mich als sündiger Mensch. Doch immer schöner leuchtet auch die Barmherzigkeit Gottes auf, der selbst mich in seine Hand geschrieben hat. Hat er es nicht so gesagt?

Ja, ich habe es in der Bibel gelesen. Und diesen Satz habe ich besonders dick unterstrichen.

Der Autor ist als kaufmännischer Angestellter im Verkauf von Stahl- und Kupferrohren tätig.

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