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Was beunruhigt Sie? Was bedrängt Sie? Die FURCHE bat einige namhafte Autoren um eine Stellungnahme.
Was beunruhigt Sie? Was bedrängt Sie? Die FURCHE bat einige namhafte Autoren um eine Stellungnahme.
Die veränderte Stellung von Stühlen, Klavieren, Werktischen, Schreibpulten, so daß die mich umgebenden Gegenstände sich als meine schlimmsten Widersacher entpuppen, gleichzeitig die Grundstruktur meines Wesens veranschaulichen, verraten, erklären nämlich wie meine Existenz sich von einer zur anderen Stunde verändert bis zur Unkenntlichkeit, jetzt ist es mir gleich was ich anhabe, diese Kiste mit Äpfeln aus H.'s Apfelgarten,
die H. mir zukommen ließ, steht jetzt hinter der Tür und im Weg.
Ich habe immer davon geträumt, in hohen und weiten Räumen leben und arbeiten zu können, statt dessen habe ich von der winzigen Elternwohnung in meinem sechsundzwanzigsten J ahr in eine noch beengtere Erwachsenenwohnung gewechselt, in welche ich dann auch noch den Konzertflügel mit übersiedelt habe, auf dem ich als Kind ein paar Jahre lang gespielt hatte, von Zeit zu Zeit sucht man mich in meinem Versteck auf, man bewundert den Museumscharakter meiner Behausung, aber niemand kommt mir zu Hilfe, jetzt ist es gleich was ich anhabe, ich bin einer gewissen Verwahrlosung ausgesetzt, ich wurde groß dabei trotz dieser schrecklichen Enge und schwebte
in unvorstellbare Höhen wie der Zeisig auf den Schwingen des wirklichen Adlers, ich habe zahlreiche Lebensphasen durchhastet, ich habe jeden Morgen die Sehnsucht, mein Leben nochmals beginnen zu können, ich bin auch ein uferloser Mensch, manchmal halte ich mich für dich, schrieb mir ein Freund diesertage, und ich schrieb zurück, daß du dich manchmal für mich hältst, ist mir ein vertrautes Gefühl, ich halte mich auch manchmal für jemand anderen, ja im Grunde halte ich mich fast immer für jemand anderen, eigentlich für jeden anderen, oder für alle anderen, so daß ich überhaupt nicht mehr in mir selber sein kann.
Ich meine die Zeiten, in welchen ich in mir selbst ruhen kann, werden immer seltener, und das ist dann eine schmerzliche Zersplitterung die mir unaufhörlich die Tränen hervorpreßt, die mich einer zerstörenden Ruhelosigkeit, Ausbrüchen von Verzweiflung anheimfallen läßt, auch Wutgeheul, und die mich in zerrüttende Abgründe stößt, ich verweigere mich mir selbst, das ist ein provozierender Ausspruch, aber alles bleicht ja immer mehr aus, gewisse Ausläufer dieser meiner Existenz scheinen immer mehr aus-
zubleichen, ich meine auszutreiben wie Kellergewächse etc., das bleicht alles so aus, was man früher gekannt und gekonnt hat, sein eigen genannt hat, die fremden Sprachen, die man einmal beherrscht hat, ja, selbst die eigene Sprache, beinahe alle Erinnerungen, die man einmal besessen hat, dieses zusammengesammelte angesammelte also im eigenen Kopf versammelte ich meine aufgestapelte Wissen von einst, so daß es eines Tages dazu kommt, überhaupt ohne Vergangenheit leben zu müssen, also vollkommen ohne eigene Geschichte und Vorgeschichte, jeweils nur zu dieser einen gegenwärtigen Stunde, an diesem einen gegenwärtigen Tag, ohne Gestern und Morgen, ohne Rückkehr und Stütze des Einmal-gewesenseins, des Einmalbesessenhabens.
Nichts wird bewahrt, aber die Kraftströme gehen weiter, hinter diesem meinem Eselsfall das leidenschaftliche Trauern, die Nebelwand, das sticht mehr als Dornen, und weil ich alles immer wieder vergesse, weil mir alles immer wieder verlorengeht, muß ich es immer aufs neue erwerben, ich weiß oft nicht, wo mein Ende, wo mein Anfang ist, nichts wird bewahrt, es geht auch nicht um ein Denken an den Tod, sondern um ein Todesbewußtsein. Ich richte mich für ein langes Leben ein, ich wünsche mir ein langes Leben und ich richte mich darauf ein, das muß man mir zugestehen, aber die Profanmenschen die mich umgeben, zwingen mich oft, einen äußersten Lebensstandpunkt zu beziehen, oder was man einfach so aufsagen kann (Diesseitsreise), meine Tränen wie Flammen, ich sitze am äußersten Rand eines Astes, niemals bin ich ein Bürger.
Stella telefoniert mir, ich solle beizeiten Sorge tragen dafür, daß mein gesamter Besitz an Büchern, Bildern und eigenen Schriften in verläßliche Hände gerate, wenn ich fortgehe von hier, dieser Gedanke gefällt mir auf irgendeine masochistische Weise, wenn ich
nur an meine Schätze: die Bücher denke, so viele Bücher! in meinem mir verbleibenden Leben werde ich nie mehr Zeit finden, auch nur einen Teil davon lesen zu können, Stella telefoniert mir, ich solle beizeiten darangehen, Entscheidungen zu treffen, wer welche Dinge in seine Obhut nehmen könnte, meine Tage rinnen dahin.
Ich habe Luft in den Knochen, Rosen auf meinen Wangen eigentlich Backenknochen, ich meine ich hatte zu jeder Zeit ein ausgeprägtes Besitzverhältnis zu meinen Büchern und Schriften und Bildern und Andenken und war immerzu beherrscht von dem Gedanken, sie in Sicherheit zu wissen, wenn ich verreiste brachte ich zum Beispiel überall kleine Hinweiszettel an, wo sich das Kernstück oder die mehreren Kernstücke meiner Arbeit in meiner Wohnung befanden, die Schriften an welchen ich gerade arbeitete, brachte ich in die Stahlkassette der Bank, ich fürchtete ihre Zerstörung durch Feuer, Wasser, Raub oder Erdbeben während meiner Abwesenheit, ich konnte es mir auch nie ausmalen, mich einmal endgültig von all meinen Schriften und Büchern und Bildern und Andenken trennen zu müssen, sie einfach zurücklassen zu sollen, ich gebrauche jetzt ganz bewußt das Wort VERWAIST.
Bisher in dieser Reihe erschienen: „Leben in kalten Zeiten" von Heinz Pototschnig (Nr. 49/84).
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