6549973-1947_36_08.jpg
Digital In Arbeit

AGNETE

Werbung
Werbung
Werbung

4. Fortsetzung

Und hier wäre nun der entscheidende f. ugenblick zur Besinnung und Selbsteinkehr für mich gewesen. Aber es regte sich nun etwas mich fast dämonisch Zwingendes in mir, ich erkannte mit Erstaunen: es habe mich Agnetens lebendiges Schicksal schon allzusehr in Fesseln geschlagen, als daß ich auf eine weitere Aussprache mit ihr noch hätte verzichten können.

Ein wenig Schuld mochte diesmal allerdings auch auf Agnetens Seite gelegen sein. Sie hatte mir nämlich unter allerlei neuen landschaftlichen Studien auch ein Bildnis von sich selbst gesandt. Es zeigte sie an einem Waldtischlein sitzend und schreibend. ,Hier schreibe ich Ihnen eben', hatte sie launig dazu angemerkt. Zwei hohe moosbärtige Fichten standen wie dunkle Urwaldswächter ihr zur Rechten und Linken, die leuchtende Mitte aber durchstrahlte, den Bund zu besiegeln, das lichtumsponnene Märchenriff des Rosengartens mit geisterhafter Eindringlichkeit.

Es ist für empfindsame Herzen wohl nichts gefährlicher, als ein Bild, das sie bereits im Geiste mit sich tragen, nun auch von den Sinnen bestätigt zu sehen!

Ich -wußte von der Sekunde an, als ich Agnete im Bilde erschaute, daß es nun für lange um meine innerliche Ruhe geschehen sei.

Es sang ein dunkles Blut in mir: gewinne dir, aus des- Geistes Kraft, diese schöne einsame Frau zurück! Sie ist ein Weib wie andere auch! Entreiße sie der Verlorenheit an das Außermenschliche, Unnennbare, dem sie am Ende doch nicht gewachsen ist. Schaffe dir Eva zurück aus Geisterland!

Und fühlte ich es auch als Vermessenheit, wozu ich mich da jählings bekannte, es hätte doch für mich uncWden Manneswillen in mir kein Zurück mehr- gegeben!

Audi war noch eine andere Stimme da, die da sprach: Warum enteilt Agnete in die letzte Einsamkeit? Weil ihr enttäuschtes Herz mit neuer Schmach unwürdigen Gefühls sich nicht belasten will. Gib d u ihr neues Vertrauen und du gewinnst sie dem Leben wieder zurück!

Und möglich auch, daß noch ein anderer, allerdings beschämend kleinlicher Gedanke, vielleicht aus plumper Höhlentiergewaltsam-keit auf uns vererbt, zu meiner Schmach da mitsprach: vielleicht ertrug ich es nicht, Agnete in ihrer großen lichten Befreiung derart über mir selbst zu wissen? Wir Männer, selbst die bessern unter uns, gestatten dem Weibe doch höchstens Gleichberechtigung, besonders in den Werken im Geiste. Empfinden wir Gefahr der Unterworfenheit, empört sich altes Raubtierherrenblut. Aus Angst vor Dernütigung geraten wir dann leicht zur Einfalt der Gewaltsamkeit.

Sie sehen, ich bemühe mich“, hier geißelte sich Degenhart aufs neue mit dem ihm oft so eigenen Sarkasmus, „meine Anklage allseits zu beleuchten wie ein unerbittlicher Staatsanwalt. Es muß da irgendein Grund sein, warum ich das tue, und ich widersetze mich ihm nicht.

Von nun an, hören Sie weiter, wechselte ich Brief auf Brief mit Agnete, in immer kürzeren Pausen. Es geschah, was ich erwartet hatte, sie konnte sich der Wirkung meiner Worte nicht entziehen. Die innere Verwandtschaft zwischen uns erwies sich als eine Kraft, der zu widerstehen auf beiden Seiten vergeblich gewesen wäre. Ich wurde in meinen Briefen immer wärmer, vertraulicher, bekennender zu ihr, sprach von vielem, was mich selbst bedrückte und was zu überwinden mir noch vorbehalten blieb, so daß sie einmal mit Ironie bemerkte, wir seien ja auf dem besten Weg“-, die Rollen zu vertauschen, indem nun sie bald selbst das Amt des Trösters ^erde übernehmen müssen.

Diese letzte Bemerkung hätte mich, bei einiger Selbstbesinnung, noch zur Erkenntnis meiner selbst bringen müssen; aber ich war, wie ich schon sagte, nicht mehr Herr meiner inneren Entscheidungen. Ich lebte Agnetens Leben aus der Kraft einer mir innewohnenden starken Phantasie in unerhörter Deutlichkeit mit, ich begleitete sie auf allen ihren Wegen, ich fühlte mich gleich ihr zu Hause in dem großen strahlenden Tempel, den sie sich hier oben in diesem Stück romantischer Gotteswelt erbaut hatte.

Und so kam es, daß ich es in meiner Verträumtheit als schweren Sdilag empfand, als sie mir eines Tages in Eile berichtete, sie habe ein Telegramm ihres Gatten erhalten, wonach sie sidi sofort nach Innsbruck begeben müsse, da er dort für einige Wochen zu tun habe und mit ihr zusammenzutreffen wünsche. Die Anschrift, wohin sie weitere Briefe von mir erbitte, werde sie mir von Innsbruck aus gelegentlich mitteilen.

Ich entsinne mich, daß ich bei dieser Nachricht, die ich ja längst hätte erwarten sollen, von allerlei bösen Zwiespälten bedrängt wurde. Vor allem von einer mich qualvoll peinigenden Lächerlichkeit.

Da war also jemand, empfand ich, der über Agnetens Schicksal bestimmen konnte, obgleich er ihr unendlich ferner stand als ich, ja mit ihrer inneren Welt kaum noch etwas zu tun hatte. Jemand, dessen Wunsch sie sich nur deshalb zu fügen hatte, weil sie in ihrer äußeren Lebensführung von ihm abhängig war. Er rief sie und sie folgte ihm! Und doch, es war ja durchaus begreiflich, denn es war ja ihr Gatte! ^

Dieses Unvermögen, diese Ohnmacht meinerseits, ihrem äußeren Schicksal gegenüber, sie hatten, wie ich schon andeutete, etwas ebenso Schmerzliches als Lächerliches für mich. Für mich, den sie mehr als einmal den Kameraden ihrer Seele genannt hatte! Ich fühlte mich Agneten plötzlich gewaltsam ferngestellt und erkannte gerade daran, wieviel sie meinem Herzen bereit s geworden war!

Und ich wartete nun, bis die verheißene Rotschaft aus Innsbruck eintraf. Es verging aber Tag für Tag, es verrann die erste, die ztveite Woche, ich blieb ohne Nachricht ve Agnete.

Das begann midi immer stärker zu beunruhigen. Auch deshalb, weil sie mir in einem ihrer letzten Briefe angedeutet hatte, ihre Gesundheit sei neuerlich recht wankend geworden, sie befürchte einen Rückfall in ihre alte Krankheit, wa5 sie aber, wenn c-sein müsse, in Ergebung hinnehmen wolle Es fügte sich nun, daß ich gerade für jenen Sommer auf die kurze Dauer weniger Urlaubswochen ein Bergfahrt in die Tauem geplant hatte, in Gesellschaft eines ehe maligen Kameraden vom Regiment, der sidi dauernd in Innsbruck niedergelassen hatte Meinem verwirrten und besorgten Her zen erschien es nun wie eine Erlösung, den Weg über Innsbruck nehmen zu können um dort Gewißheit über Agnetens Schicksal und ihr mir unbegreifliches Sdiweigen ri erlangen.

Und es war mir ja auch damit gewiß di-Möglichkeit geboten, Agnte persönlich kennen zu lernen.

Damit aber brach ich, was ich Ihnen noch nicht berichtet habe, eine stillschweigende Abmachung zwisdien mir und Agnete. Ich hatte nämlich schon in eineiti meiner ersten Briefe die Hoffnung au gesprochen, mit ihr vielleicht am Karersie persönlich zusammenzutreffen. Sie schrieb mir aber damals in ihrer offenen geraden Art, sie würde dadurch in nicht geringe Verlegenheit, ja in einen sdilimmen Konflikt mit sich selber geraten, den zu ver ursachen gewiß nicht meine Absicht sein könne. Sie hätte mir, schrieb sie, das Geständnis ihres Lebens niemals abgelegt wenn sie nur im geringsten mit einer per sönlichen Bckanntsdiaft zwischen uns hätte rechnen müssen. Ihre Beichte, schrieb sie habe allein dem Dichter gegolten und dadurch ihn verkörperten höheren Macht, die für sie außerhalb des Menschlichen stehe Und Agnetens ganze Art hatte mich zu Genüge gelehrt, daß das nicht als kokette Zurückhaltung zu nehmen sei.

Wie lächerlich sind wir Männer doch jederzeit! Wissen Sie, daß ich, der Vertreter dieser „höheren Macht“, mich damals ein wenig gekränkt fühlte? Ich empfand eine Art drolliger Eifersucht gegen mich selbst und mochte in jenem Augen blick meiner inneren Berufung wohl recht unwürdig gewesen sein. Immerhin abei hatte ich, wenn auch nicht ohne Hoffnung auf Änderung, beschlossen, Agneten-Wunsch zu befolgen. Auf wie lange, daließ ich dahingestellt.

Jetzt aber war es mehr als Sehnsuchoder Ungeduld, was mich zu Agneten zog es war die Not und Selbstsucht eines Heizens, das anders nicht mehr zur Ruh; kommen zu können glaubte.

Und so kündigte ich mich dem Inns brucker Kameraden in einem ausführlichen Telegramme an und bat ihn zugleich, wen'-irgend möglich auf diskrete Art in Erfah rung zu bringen, in welchem Hotel dci Sektionsrat Ebner, so hieß Agnetens Gatte mit seiner Frau Aufenthalt genommen habe

Zwei Tage später kam ich bereits nacl Innsbruck. Ich hatte den frühmorgens an kommenden Schnellzug benützt. Der Ka merad erwartete mich auf dem Bahnhof Er teilte mir, als ahnte er meine Ungedu'd schon nach der ersten Begrüßung mit, das Ehepaar Ebner wohne in einer Priv;it pension auf der HungerSur^höhe. Mich selbst aber habe er in der Stadt beirr „Grauen Bären“ einquartiert.

(Fortsetzung folgt)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung