6583952-1951_34_07.jpg
Digital In Arbeit

Meine Kindheit und Jugend

Werbung
Werbung
Werbung

Meine Kindheit war traurig. — Not und Elend, soweit ich zurückdenken kann. Mutter Sorge stand an meiner Wiege bis zu dem Augenblick, da mich ein gütiges Geschick meinem geliebten Lehrer Robinson zuführte, der meine Stimme erkannte.

Am 18. August bin ich geboren. Am 18. August, mit Kaiser Franz Joseph zugleich.

Eine Königin hat mich zur Welt gebracht, die Hebamme hieß Frau König, und mit Papst Leo XIII. feierte ich meinen Namenstag. Also eine strahlende Vorbedeutung.

Ich bin in Mährisch-Schönberg geboren. Meine Erinnerung beginnt aber erst in Brünn, wo mein Vater, nachdem er sein Vermögen verloren, in der Tuchfabrik Ostermann einen Magazineurposten bekleidete.

Ich absolvierte mit denkbar günstigstem Erfolg den Kindergarten. Als ich in die richtige Schule dann kam, sollen mir die Erfolge nicht mehr so treu geblieben sein.

Es herrschte nur eine Stimme: „Der Bengel ist unerträglich.“

Ich wuchs trotzdem heran und kam in die Realschule. Ich war zum Offizier bestimmt worden, sollte vier Klassen Realschule absolvieren und dann in die Kadettenschule übertreten. Man erwog auch, ob ich nicht Staatsbeamter werden sollte, von denen es damals im Volksmunde hieß: „Sie haben zwar nichts, das aber sicher.“

Doch keines von beiden sollte sich erfüllen. Durch das Lesen von Indianerbüchern fühlte ich mich meist in der Prärie und sog all den von Edelmut triefenden Unsinn in mich auf.

Wenn zufällig einmal ein Schulkollege etwas verbrochen hatte und ausnahmsweise ich nicht derjenige war, nahm ich es auf mich und büßte die Strafe mit dem Gefühl ab, ein Held zu sein.

Diese eigenen und fremden Delikte summierten sich zu solch erdrückender Fülle, daß man *mir eines Tages erklärte, auf meine weitere Mitwirkung in der vierten Realklasse verzichten zu müssen. Ich sah mich plötzlich mit meinem Reißbrett und den Schulbüchern auf der Straße.

Ich hatte ausstudiert.

Der Offizier und der Staatsbeamte waren somit erledigt.

Meine Eltern, sehr verzweifelt über dieses gewaltsame Durchkreuzen ihrer Pläne, berieten, was aus mir werden solle. Weiterstudieren könne ich nicht, bliebe also nur ein Handwerk. „Gärtner“, rief ich begeistert. Man fand einen Lehrlingsposten für mich in Gmunden in der Rosenvilla der Erzherzogin Elisabeth. Aber nach drei bis vier Monaten verkaufte die Erzherzogin den Besitz, der Hofgärtner wurde versetzt, und ich mußte wieder heim.

Nun suchte mir mein Vater selbst einen Beruf aus. Maschinenschlosser sollte ich werden. Ich wurde es, lernte drei Jahre bei Brand & L'Huiller in Brünn und besuchte die Werkmeisterschule.

In dieser Zeit packte mich der Theaterteufel.

Ich wollte Komiker werden und schnitt Grimassen, daß meine liebe Mutter oft der quälenden Sorge Ausdruck gab, daß mir das Gesicht einmal so stehenbleiben würde. Besonders selig war ich, wenn mich die Leute auf der Straße für einen Schauspieler hielten. Zu diesem Behufe blieb ich oft unvermittelt, mit einem Reclam-Buch in der Hand, wie selbstvergessen stehen, rollte die Augen und schrie plötzlich: „Ha, Verruchter!“

Freudlos wie meine Kindheit ließ sich auch meine Jugend an.

Von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends am Schraubstock, in harter schwerer Arbeit. Als Löhnung ein paar Kreuzer, daheim Not und Sorge, denn es fehlte das Nötigste. Meine arme liebe Mutter immer über die Stickerei gebeugt. Ich mußte, um noch einiges hinzuzuverdienen, die halben Nächte Laubsägearbeiten machen, Vogelbauer, Tintenzeuge und derlei mehr, das dann auf Losen ausgespielt und jedem, der es gewann, ein Born rastlosen Ärgers wurde.

In all dem düstern Grau in Grau verklärten meine Theaterpläne unser trauriges Leben. Ich wußte meiner Mutter die Zukunft so schön zu schildern, daß sie oft das Sticken vergaß und mir glückselig in das Land der Träume folgte.

Zum Theaterbesuch langte es allerdings nicht. Da lernte ich einen Chorsänger kennen, durch dessen Vermittlung ich ins Stadttheater eingeführt wurde. Ich durfte mitstatieren.

Da sein, die Luft atmen, in der Welt herumgehen dürfen, ich war wie betrunken vor Glück und starrte jeden Schauspieler als höheres Wesen an.

Nachdem ich drei Jahre die Schlosserei gelernt, kam ich in die Werkmeisterschule. Außerdem war ich ein gewiegter Statist und Volksmurmler geworden und stellte in Verschwörungen derart meinen Mann, daß sich das Publikum höchst befremdet fragte, wer denn dieser aufdringliche Longinus sei, der da so mit Händen und Füßen um sich schlage. Einzelne Chorstellen, die mir im Ohr geblieben waren, brüllte ich mit, daß mir fast die Halsadern platzten.

So geschah es eines Abends In der Oper „Bajazzo“. Den Tonio sang Adolf Robinson.

Ich schrie neben ihm wie ein Zahnbrecher, er drehte sich überrascht um, sieht mich an und flüstert mir zu: „Melden Sie sich nach der Vorstellung in meiner Garderobe, ich habe Ihnen etwas zu sagen.“

Hochklopfenden Herzens erwartete ich ihn.

Er sagte: „Mir scheint, Sie haben eine schöne Stimme. Kommen Sie morgen zu mir, ich werde Sie prüfen.“

Der nächste Morgen kam, statt in die Schule ging ich zu Robinson. Er empfing mich sehr herzlich und fragte, was ich ihm vorsingen könne. Ich konnte nichts anderes als Couplets, und so sang ich denn: „A so a Kongoneger hat's halt guat.“

Robinson konstatierte einen Heldentenor!

Wie ich heimkam, weiß ich nicht. Lange Überredung hat es gekostet,

meinen Vater zu bewegen, seine Erlaubnis zum Singenlernen zu geben. Erst als ihm Robinson persönlich versicherte, daß man mir eine günstige Zukunft prophezeien könne, willigte er ein.

Doch hinter all dem Glück stand das schreckliche Gespenst der Not. Alle Bemühungen, einen Gönner zu finden, der mir über die böse Zeit des Studiums hinweggeholfen hätte, schlugen fehl. Die schwere Arbeit am Schraubstock und beim Schmiedfeuer vertrugen sich nicht mit dem Singen. So fand ich den Ausweg, freiwillig zum Militär zu gehen, um dort die freie Zeit zum Singenlernen zu benützen.

Drei Jahre diente ich beim Militär. Als sie vorbei waren, war mein Studium noch nicht so weit gediehen, als daß ich hätte zum Theater gehen können. Ich nahm also die Stelle eines Schreibers in einer Advokaturskanzlei an. Diese Zeit bedeutete sowohl für mich als auch für den Advokaten eine Quelle von Leiden. Wir trennten uns bald. Ich wurde dann Vertreter einer Firma in Powidel. In Deutschland sagt man treffend: Pflaumenmus. Ich rannte von einem Kaufmannsladen zum andern und offerierte meinen Powidel in der intensivsten Form. Die

Kaufleute amüsierten sich über mich sichtlich, aber kauften nichts. Entweder war der Powidel nichts wert, oder aber meine Art nicht vertrauenserweckend. Eines Tages fraß ich alle Muster auf und sah ein, daß ich auch hier fehl am Orte war. Mit krachendem Magen kam ich in die Gesangstunden.

Mein Lehrer meinte, daß das so nicht weitergehe. Er besuchte Direktor Amann, der dem Brünner Theater vorstand, und bewirkte, daß ich zum Probesingen zugelassen wurde. So stand ich endlich auf der Bühne und sang die Bajazzoarie. Das Resultat war berauschend — man engagierte mich sofort. Fürs erste Jahr bekam ich einen Vorschuß von 40 Gulden monatlich. Im nächsten Jahr 100 Gulden. Im dritten Jahr 300 Gulden Gagel Mir schwindelte. Alle Not hatte ein Ende. Nun war ich Mitglied des Theaters und durfte in die Künstlerloge gehen. Ich wohnte darin.

So begann meine Karriere auf der Bühne.

Aus „Meine sämtlichen Werke“. Piper-Verlag, München.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung