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Das Schwesterchen

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Ich war dabei, mir das Dasein nach und nach gemütlich einzurichten. Aber nun warf mich ein rätselhaftes Ereignis unversehens wieder aus der Bahn.

Die Mutter wurde plötzlich krank, leb wußte mir das nicht zu erklären, denn sie war in der letzten Zeit förmlich aufgeblüht und von Tag zu Tag behäbiger und stattlicher geworden. Aber es stand wohl sehr schlimm mit ihr, man konnte sie in der Schlafkammer stöhnen hören und trotzdem durfte man nicht mehr zu ihr gehen. Auch der Vater rannte nur schnaufend zwischen Tür und Fensler hin und her und war wieder einmal völlig taub gegen meine angstvollen Fragen.

Obendrein machte sich ein fremdes Frauenzimmer bei uns zu schaffen, als ob wir uns nicht zur Not hätten selber behelfen können. Mir war sie gleich zuwider und verdächtig, weil sie so abscheulich roch, wie der Doktor, der mir einmal heimtückisch einen Zahn entrissen hatte. Nun lief diese Frau geschäftig bei uns aus und ein und kochte auf dem Herd, aber nichts als Wasser, und schließlich, um den Jammer voll zu machen, brachte dje Unselige mitten in der Nacht auch noch ein schreiendes Kind in die Stube. Sie schreckte mich damit aus dem Schlaf und zeigte es schadenfroh herum. Gott, erklärte sie heuchlerisch, der Allmächtige habe mir eine Schwester beschert. Geschenkt, sagte sie, als ob ich ihn je um etwas dergleichen gebeten hätte.

Ich beriet mich sofort ernstlich mit dem Vater und gab ihm zu überlegen, ob wir denn dieses Kind auch wirklich behalten müßten. Vielleicht konnte man es gleich wieder weiter schenken, oder ich wollte es dem Pfarrer heimlich in den Beichtstuhl legen, wie das unlängst einmal geschehen war.

AVior coltcam Hpr Vator nahm ps nar nicht so schwer. Er wendete das Kind um und um und besah es von allen Seiten — möglicherweise, meinte er, mit der Zeit konnte es ein ganz hübsches Mädchen werden, und wir wollten es also Elisabeth nennen.

So ließ ich ihn denn in Gottes Namen gewähren. Damals ahnte ich ja noch nicht, daß sich dieses mißfarbene Geschöpf zu einer furchtbaren Plage für mich auswachsen werde.

Zwar, die fremde Frau verschwand wieder, sobald sich die Mutter ein wenig erholt hatte, aber es enttäuschte mich sehr, daß auch sie auf keinen vernünftigen Vorschlag hören wollte, was die andere Heimsuchung betraf. Im Gegenteil, sie warf sich förmlich auf dieses Kind und betreute es Tag und Nacht mit einer zärtlichen Geduld, wie sie ihr sonst nicht eigen war. Der Korbwagen wurde vom Dachboden geholt und auf das prächtigste mit Federkissen und Decken ausgestattet, und in der Küche fand man sich kaum noch zurecht zwischen einem Netzwerk von ausgespannten Schnüren, an denen Windelzeug und Tücher hingen, als hausten wir auf dem Deck eines Segelschiffes.

Immerfort wurde Elisabeth mit dem Löffel gefüttert und aus einer Flasche getränkt, aber soviel man auch hineinschüttete, alles verwandelte sich fast im Augenblick wieder in Wasser und anderen Unrat. Dann mußte das tropfende Gewächs von neuem aus seinen zahllosen Hüllen gewickelt und gesäubert werden. Zweimal am Tage wurde es sogar gebadet, das gönnte ich ihm von Herzen.

Wenn das Kind nicht trank oder schlief, dann schrie es, vor allem in der Nacht und mit einer so durchdringenden Gewalt, daß zuweilen sogar der Vater erwachte und sich besorgt erkundigte, ob Elisabeth etwa krank sei. Ihn war, als habe er sie seufzen gehört.

Allmählich aber verwandelte sich die Schwester, sie wuchs ein wenig und wurde menschenähnlich, wenn man gewisse Anwandlungen von Heimtücke so auslegen wollte. Einmal beugte ich mich gutwillig über sie, weil die Mutter behauptete, Elisabeth habe lachen gelernt. Aber das tat ich kein zweitesmal, denn sie schlug mich mit einem Kochlöffel mörderisch auf die Nase. Und obendrein durfte ich ihr diese Kainstat nicht vergelten, es sei unglaublich viel für ihr Alter, meinte die Mutter entzückt.

Damit das Schwesterchen noch besser gediehe und vor allem seine mehlwurmartige Blässe verlöre, mußte es an die Sonne gebracht werden. Von Stund an war ich gleichsam mit einem fleischgewordenen Fluch beladen, mit einer quälenden Last, die mir unentrinnbar anhing, wie dem Sträfling die eiserne Kugel am Bein, schlimmer noch, denn seine Kugel war wenigstens stumm.

Anfangs konnte ich mitunter einen Spielgefährten überreden, daß er mir Elisabeth für fünf Kreuzer eine Weile in Obhut nahm. Aber weil dem dieses Geschäft auch bald sauer ankam, verhandelte er das Kind um drei Kreuzer an den Nächstbesten weiter, und so fort, bis es der letzte in der Reihe einfach in Wind und Wetter liegen ließ. Ich durfte von Glück sagen, wenn -ich die Schwester überhaupt noch fand, ehe sie ganz von Fliegen und Ungeziefer aufgezehrt war.

Bei alldem schlug ihr aber meine Pflege gut an. Sie wurde nun nicht mehr in ein Kissen geschnürt, sondern mit Hemd und Kittel ausgestattet. Damit war freilich nichts gewonnen. Denn als ich endlich die Kunst erlernt hatte, die Halbscheid ihrer Froschgestalt so unter den Arm zu klemmen, daß sie mir nicht mehr entschlüpfen konnte, erfand Elisabeth eine neue Teufelei. Plötzlich, während ich sie arglos und keines Unheils gewärtig hin und wieder trug, fing sie zu schreien an, aber nicht stoßweise und zornmütig wie bisher, sondern mit einem einzigen durchdringenden Ton, und wenn sie endlich den allerletzten Hauch vergeudet, hatte, sank sie mir leblos hintenüber vom Arm.

Mit diesem Kunststück brachte sie mich jedesmal zu völliger Verzweiflung. So grausig war sie anzusehen, blau im Gesicht und bis zum Platzen aufgebläht, daß ich sie einfach irgendwo ins Gras legte und davonlief. Wenn ich aber nach einer bangen Weile wieder geschlichen kam, damit ich der Mutter doch wenigstens die entseelte Hülle nach Hause bringen konnte, war die Schwester durchaus nicht tot, sondern sie lag da wie das selige Himmelskind und krähte mir fröhlich entgegen. Es war alles nur Spiegelfechterei gewesen, damals wußte ich noch nicht, daß die weibliche Natur fähig ist, auch mit Hilfe der Wahrheit zu trügen.

Unsägliche Mühe wendete ich daran, der Schwester das Laufen beizubringen. Sie wollte nicht einsehen, daß es für einen Menschen schicklicher sei, nur zwei von seinen vier Gliedern für diesen Zweck zu gebrauchen. Ein paar Augenblicke lang stand sie wohl schwankend auf ihren krummen Beinen, aber die vielen Ausladungen ihres Leibes brachten sie gleich wieder zu Fall, und schließlich kroch sie doch lieber auf Händen und Füßen davon, mit einer unbegreiflichen Geschwindigkeit. Mehr als einmal verschwand sie mir spurlos unter den Augen, ich knüpfte sie zuletzt an eine lange Schnur wie ein Hündchen. Alles, was ihr in die Finger kam, steckte sie sofort in den Mund, Erdbeeren so gut wie Asseln, und obendrein war sie auch noch diebisch in ihrer Habgier. Einmal ließ sie meine schönste Glaskugel, die ich ihr ahnungslos geliehen hatte, auf die gleiche Art verschwinden, und weil kein Zureden half, mußte ich bis in ihren Hals hinein mit dem Finger nachbohren, um mein Eigentum zurückzuholen.

Immerhin, wir gewöhnten uns mehr und mehr aneinander, ich empfand schließlich sogar eine gewisse Zuneigung für dieses hintergründige Wesen. Die Schwester war indessen ein hübsches Kind geworden, freilidi auch so überaus beleibt und gewichtig, daß ich sie kaum noch schleppen konnte. Ich half mir, inem Ich sie in eine Schlinge setzte, die ich schärpenartig quer über die Schulter knüpfte, und wenn ich dann noch ihre Beine in meinen Hosenbund steckte, sahen wir wie ein ungleiches Paar zusammengewachsener Zwillinge aus.

Weit umher in der ganzen Gegend kannte uns jedermann. Mildtätige Frauen winkten mich an das Fenster, um mir ein Stück Kuchen zuzustecken, wenn ich schnaufend unter meiner Zentnerlast vorüberschwankte — ein Schaubild brüderlicher Liebe. Eine Zeitlang gesellte sich auch ein zottiger Hund zu uns, der sich herrenlos herumtrieb. Von nun an zogen wir gleich einem Trupp fahrender Zirkusleute auf den Promenaden von

Bank zu Bank. Elisabeth hatte nichts weiter zu tun, als niedlich auszusehen. Ich schmückte sie mit Bändern und Schleifen und flocht ihr Blümchen in die schwarzen Locken, so gelang es ihr leicht, das gaffende Volk zu entzücken. Der Hund wiederum konnte aufwarten und tanzen, auch er zeigte sich als ein ungewöhnlich kluges und erfahrenes Tier. Ich selber aber stand dem Ganzen vor, ich sorgte unermüdlich für Abwechslung in unseren Darbietungen und behielt die Zuschauer achtsam im Auge, damit uns kein unredlicher Zaungast um den Groschen betröge.

Aus dem Buch .Fröhliche Armut“, mit Bewilligung des Otto-Müller-Verlages, Salzburg.

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