"Verstecken wäre der sichere Tod"

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Die Grazer Maturantin Janine Zettel (18) berichtet über ihr Coming-Out.

Würden sie mich verabscheuen, langsam verbannen und ausschließen? Würden sie es einfach hinnehmen? Witze darüber machen? Mir sofort glauben? Ich habe nicht das Gefühl, dass sie auch nachher noch so zu mir stehen werden. Kann schon bald nicht mehr sprechen, habe das Gefühl ich muss ständig einen Riesenkloß hinunterzwängen. Wie kann ich es ihnen bloß beibringen?

Sobald sie es wussten, und auch vorher, da haben so mächtige Zweifel eingesetzt, solch eine Angst. Ich dachte, ich wäre das Schlechteste auf der ganzen Welt. Aber jetzt fühle ich mich, als würde sogar ich endlich Form annehmen.

Vor und auch nach meinem Coming-Out haben mich bei meinen Freundinnen ständig Schuldgefühle begleitet. In eine von ihnen war ich unglaublich verliebt, und vor lauter Reinsteigern hatte ich Bauchweh, zitterte und war kreidebleich, was sie dazu verleitete, eine sehr schlimme Nachricht zu erwarten. Als ich es ihnen gesagt hatte, waren sie so erleichtert, dass sie mich alle umarmten. Für mehr als ein Jahr wurde ich diese Nervosität nicht los, obwohl ich es mit der Zeit mehr und mehr Leuten sagte. Ich hatte nach wie vor das Gefühl, etwas Schlechteres zu sein und mich meiner Gefühle schämen zu müssen. So wurde mir irgendwann bewusst, dass ich zwar das äußere Coming-Out teilweise schon hinter mich gebracht hatte, aber das innere Coming-Out noch ausständig war. Selbst hatte ich es noch nicht einmal annähernd akzeptiert, was ich für mein eigenes Leben brauchte, um glücklich zu sein, erwartete aber gleichzeitig, dass alle anderen kein Problem damit haben sollten. Dieser Widerspruch verhalf mir zu realisieren, dass auf mir ein enormer Druck lastete, der mich dazu zwang, mich selbst zu deklarieren. Ich wollte unbedingt für mich selbst ein Etikett schaffen, weil ich annahm, dass ich dann vielleicht wüsste, wie ich zu leben hatte.

Ausschlaggebend für meine Veränderung war dann schließlich ein Urlaub, in dem ich einfach abschaltete und die ganze Zeit über nur schrieb und versuchte, meine Gefühle zuzulassen, so wie sie waren. Nach nur wenigen Tagen waren mir meine Gefühle sehr viel klarer als vorher und ich wusste, dass definitiv nichts von meinen Gefühlen für Frauen auf Einbildung basierte; zusätzlich erkannte ich, dass sie wichtig waren für mein eigenes Wohlbefinden, weil sie so ziemlich das erste waren, was sich für mich richtig anfühlte. Damals habe ich das wohl Wichtigste überhaupt erkannt: Sobald ich mehr auf meine Umwelt höre als auf mich selbst, beginne ich mich zu verlieren und werde mein Leben niemals wirklich leben können.

Es machte mir große Angst, daran zu denken, dass ich noch länger diese aufgebaute Rolle spielen würde, weil ich wusste, dass ich dann nie aus ihr herauskommen würde. So war es für mich bald kein Problem mehr, mein wirkliches Ich auch nach außen hin zu leben. Was andere Menschen dachten oder meinten, stimmte so gut wie nie mit meinen Gefühlen überein; und da mein Leben aus meinen Gefühlen bestand, konnte ich ebenso gut darauf verzichten, mir Sorgen über die Gedanken anderer zu machen. Lustigerweise, hatte ich seit diesem Zeitpunkt kaum mehr negative Erfahrungen, es scheint mir, die Leute spürten vorher meine eigene Angst und Unsicherheit und reagierten eben darauf. Sobald ich aber begann, selbstbewusst aufzutreten und in Harmonie mit meinen Gefühlen zu stehen, fanden auch viele Menschen keine Gründe mehr, mich aufgrund meiner Empfindungen zu verurteilen.

Es kommen immer wieder Situationen auf mich zu, in denen ich mich erneut outen muss, aber mittlerweile ist das für mich nur mehr ein eingespieltes Szenario, ohne Aufregung oder Angst. Vermutlich weil ich schon so ziemlich jede Reaktion erlebt habe, von extrem positiv über neutral, von nur anfänglichen Schwierigkeiten über Ignoranz bis zu Beschimpfungen. Für mich ist es nur eine Entscheidung zwischen leben oder nicht leben. Wenn ich leben will, muss ich zu mir stehen, weil mir meine Freiheit das wichtigste ist. Meine Gefühle zu verstecken, würde für mich den sicheren Tod bedeuten.

Coming-Out vor 20 Jahren: s. S. 23 u.

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