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„... und werden vom Feuer verzehrt“

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Der Autor des nachstehenden Aufsatzes, durch Jahre Seelsorger am Rande der Großstadt, ist weiten Kreisen durch seine sozialen Studien und Aufsätze bekannt. Er entwirft hier ein Bild, dessen Realismus als schonungslos empfunden werden kann, ohne den aber alle Aussage über die Tatbestände, um die es sich handelt, zur wirkungslosen Redensart wird. Die Furche'

Uns allen liegt das Schicksal der Jugend am Herzen, wir begreifen ihre Art nicht und sehen ihrem Treiben mit Besorgnis zu. Immer fragen wir uns wieder: Was wird aus euch werden? Was werdet ihr aus eurem Leben machen? Oft wäre es uns am liebsten, wir sähen und hörten nichts von ihnen, daß wir uns nicht ärgern brauchen, da wir doch nichts ändern können. Am fragwürdigsten erscheinen die Jahrgänge zwischen sechzehn und zwanzig, die in der zweiten Nachkriegszeit ihre entscheidungsvollsten Jahre verlebt haben. Das sind jene, die so großen Lebenshunger gezeigt haben, daß sie über die traurigen Jahre hinweggetanzt und im Kino ihren höchsten Genuß gefunden haben.

Das alles kam mir wieder stärker zum Bewußtsein, als mich vor kurzem ein Bursch besuchte, den ich als Kind immer unter den Augen gehabt hatte und der mir nur in den letzten Jahren nicht mehr zugegangen war. Hans ist groß und blond, von Beruf Baufacharbeiter wie sein Vater, Der Vater ist noch nicht lange von der Gefangenschaft heimgekommen und hätte Hans beinahe nicht mehr erkannt. In der Familie war es

Brauch, von der Großmutter her, die sich viel mit Hans abgegeben hatte, daß man an den Feiertagen in die Kirche ging. Hans war mit seinen Brüdern als Kind in meinem Garten herumgelaufen. Er hat mir die Nüsse von den Bäumen geklopft und war dabei, wenn wir die Herbstfeuer abbrannten und Kartoffel brieten. Wenn ich ihn gefangen hatte, nachdem er mir mit der Schleuder ein Fenster eingeschossen hatte, war er starr dagestanden und hatte ins Leere geblickt, als hörte er so schlecht wie seine Großmutter. Er leugnete nichts und lief glücklich davon, wenn das Donnerwetter vorbei war. Man konnte ihm nicht lange böse sein. Nach Kriegsende war er ein Schlurf geworden, hatte sich die Haare wachsen lassen und war auf jedem Tanzboden daheim. Ich sah ihn nur mehr selten und von ferne. Drum nahm ich mir Zeit, als er jetzt überraschend zu mir kam, und ließ mir stundenlang von ihm erzählen, obwohl mir die Zeit abging. Doch ich wollte ihn nicht verscheuchen, vielleicht wäre er mir dann nicht mehr zugegangen.

„Ich wäre schon viel früher gekommen, habe aber keine Zeit gehabt“, sagte er, „heute arbeite ich nichts und am Nachmittag gehe ich mit meiner Braut Wäsche einkaufen.“

„Braut?“ fragte ich, „die wievielte ist das schon?“

„Die fünfte oder sechste Bekanntschaft, aber die letzte. Am Samstag heirate ich.“

„Wie alt bist du, Hans?“

„Achtzehn."

„Und da hast du es so eilig mit dem Heiraten?“

„Ich eh nicht so“, antwortete er lachend.

Ich begriff.

„Hast du schon die Bewilligung?“

„Der Landesgerichtsrat wollte sie mir nicht geben. Er sagte: Jetzt habt ihr es mit dem Heiraten eilig, und nachher mit dem Scheiden. Wir nicht, sagte ich, doch er antwortete: ,Das behauptet jeder. Ihr wißt nicht, was ihr wollt. Er brummte eine Weile, dann gab er mir aber doch die Unterschrift.“

„Wann hast du die Braut kennengelernt?“

„Im Juni beim Tanzen. Du bist zwar ein Falott, hat sie gesagt, aber deine Augen und deine Haare sind so verführerisch, darum nehme ich dich.

Hans hatte als Kind vorne und hinten einen Wirbel, daraus hatte er sich als Schlurf Dauerwellen machen lassen, wie er freimütig erzählte. „Amerikanisch gleich lang", heiße die Fasson, die er jetzt trage und die den Mädchen so gefalle.

„Hast du ein Bild von ihr?"

Er zog seine Brieftasche heraus und durchsuchte eine Anzahl von Photographien.

„Das sind meine alten Geliebten, ich muß sie noch verbrennen. Hier ist die Braut.“

Ich sah einen Mädchenkopf von der Seite. Vom Gesicht war ganz wenig zu sehen, denn den meisten Raum nahmen die Haare ein, die in sorgfältigen Wellen vom Scheitel bis zur Schulter herabfielen, nach dem Muster irgendeiner Hollywood-Schauspielerin. Sie lebe bei ihren Eltern,' sagte er, und arbeite in einer Fabrik. Sie hätten eine eigene Wohnung in Aussicht und hätten die Küchenmöbel bereits gekauft. Er selber verdiene vier Schilling fünfzig in der Stunde und mache häufig Überstunden. Er sei nicht ihr erster Freund, sie behaupte, mit den andern keine „Beziehungen" gehabt zu haben. Wenn es aber der Fall wäre, mache es ihm auch nichts. „Ich bin ja auch kein leeres Blatt“, sagte er, und zeigte die abgegriffenen Bilder. „Die ist aus Floridsdorf. Wir sind nicht lange mitsammen gegangen. Die habe ich im Kino kennengelernt. Sie sind ÖO leicht zu haben. Die habe ich beim Tanzen kennengelcrnt. Die habe ich beim Baden kennengelernt. Ich war ihr erster und sie hat noch alles ernst genommen. Als sie mich mit einer, andern traf, hat sie geweint. Jetzt aber hat sie selber schon mehrere Burschen gehabt.“

Dann klappte er die Brieftasche zu und sagte: „Jetzt ist alles vorbei, jetzt werde ich ins Joch steigen. Bei der Trauung werde ich ein so lautes Ja sagen, wie es noch keiner getan hat. Die Kameraden lachen mich zwar aus und sagen, ich sei dumm, weil ich heirate, aber warum soll ich nicht auch das einmal probieren?“

Warum soll ich nicht auch das einmal probieren? Damit geht er an eine, nicht nur für ihn allein so entscheidende Sache wie die Ehe heran. Er wagt das Abenteuer und heiratet im Handumdrehen. Der alte Richter hatte seine Bedenken. Ich teile sie. Nicht, weil ich gegen junge Ehen bin. Denn wenn junge Leute gefestigt genug sind und in einer Tradition stehen, können sie ruhig heiraten. Unsere Großeltern haben es auch getan. Aber auf welches Fundament werden diese jungen Leute das Haus ihrer Ehe bauen?

Als Hans fort war, überlegte ich alles. Was wird aus ihm und seiner Ehe werden? Wie ein Kind setzt er sich auf ein schmales Brett und fährt damit auf den Ozean des Lebens hinaus. Er könnte ein prächtiger

Kerl sein. Seine Offenheit hat etwas Positives, zeigt aber auch die Zerstörungen im Innern an. Erschreckend ist die Kulturlosigkeit und Abgerissenheit von der Vergangenheit. Sie werden in der Kirche getraut, er wird wahrscheinlich sogar beichten gehen, aber das alles wird ihn nicht berühren. Sein Leben ist überaus gefährdet. Die Umwelt ist sein Schicksal. Er kommt über sie nicht hinaus. Vor der Religion, die wie unser großer Nußbaum den Garten seiner Kindheit überwölbte, wird er immer weiter fortgetragen. Er wird seine Kirchensteuer zahlen und seine Kinder taufen lassen, aber den Anschluß an die geistige Welt seiner Großmutter wird er wahrscheinlich nicht mehr finden. Alles ist offen und dem Zufall anheimgestellt. Das ist das Schreckliche. Phantasten sind sie, gelöst vom Grunde der Wirklichkeit. Die flimmernde Filmwelt ist ihr Symbol. Gilt von ihnen nicht das alte magische Wort, das, von beiden Seiten gelesen, denselben Sinn ergibt: In girum imus nocte et consumimur igni. „Wir tanzen im Finstern im Kreis und werden vom Feuer verzehrt.“

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