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Dichter, Freunde, Bücher

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Ich war zeit meines Lebens kein Autographenjäger und zählte auch nicht zu jenen Begeisterten, die mit einem Arm voll Bücher in die Vorlesung eines Dichters kommen, um ihn zur Unterschrift in jeden einzelnen Band zu nötigen oder wohl gar die Eintragung eines Sinnspruches, einiger Verszeilen dazu zu erbitten. Aber wenn ein bekannter Schriftsteller mich besuchte und ich Bücher von ihm besaß, dann bat ich ihn doch, seinen Namen auf die Titelseite oder aufs Vorsatzblatt zu schreiben. Manchmal geschah es auch, daß der eine oder der andere, der mir gut gesinnt war, ungefragt eines seiner Werke, versehen mit Grußwort und Unterschrift, mir zuschickte. Darüber freute ich mich wohl sehr und hatte zu diesen Büchern ein noch innigeres Verhältnis als zu den anderen. Mir war, wenn ich sie in die Hand nahm, zumute, als sprächen dann auch die gedruckten Zeilen des Buches viel lebendiger zu mir, so lebendig, wie es eben nur die beigegebene Handschrift vermochte. Ein treuer, längst an den Tod verlorener Freund und unermüdlicher Wegbereiter meines eigenen Schaffens von den Anfängen an — er hat als einer der ersten auch die Werke Hermann Hesses, Wilhelm Schäfers, Hans Grimms und, bis an eine gewisse Grenze wenigstens, Erwin Guido Kolbenheyers begrüßt — knüpfte vorsorglich zwischen dem einen oder dem anderen von ihnen und mir ein loses Band.

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Ich war zeit meines Lebens kein Autographenjäger und zählte auch nicht zu jenen Begeisterten, die mit einem Arm voll Bücher in die Vorlesung eines Dichters kommen, um ihn zur Unterschrift in jeden einzelnen Band zu nötigen oder wohl gar die Eintragung eines Sinnspruches, einiger Verszeilen dazu zu erbitten. Aber wenn ein bekannter Schriftsteller mich besuchte und ich Bücher von ihm besaß, dann bat ich ihn doch, seinen Namen auf die Titelseite oder aufs Vorsatzblatt zu schreiben. Manchmal geschah es auch, daß der eine oder der andere, der mir gut gesinnt war, ungefragt eines seiner Werke, versehen mit Grußwort und Unterschrift, mir zuschickte. Darüber freute ich mich wohl sehr und hatte zu diesen Büchern ein noch innigeres Verhältnis als zu den anderen. Mir war, wenn ich sie in die Hand nahm, zumute, als sprächen dann auch die gedruckten Zeilen des Buches viel lebendiger zu mir, so lebendig, wie es eben nur die beigegebene Handschrift vermochte. Ein treuer, längst an den Tod verlorener Freund und unermüdlicher Wegbereiter meines eigenen Schaffens von den Anfängen an — er hat als einer der ersten auch die Werke Hermann Hesses, Wilhelm Schäfers, Hans Grimms und, bis an eine gewisse Grenze wenigstens, Erwin Guido Kolbenheyers begrüßt — knüpfte vorsorglich zwischen dem einen oder dem anderen von ihnen und mir ein loses Band.

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So kam es, daß eines Tages Hans Grimm, auf der Suche nach einem Landgut in der trockenen Luft der niederösterreichischen Föhren wälder, an meine Tür in Baden bei Wien klopfte. Einem seiner Kinder bekam der feuchte Wesemebel von Lippoldsberg nicht gut, und das trieb ihn in meine Heimatgegend. Nun, zu dem gewünschten Landgut konnte ich ihm nicht verhelfen, so gern ich es getan hätte und so sehr ich mich darum bemühte. Doch seither steht in meiner Ausgabe des „Volk ohne Raum“ seine Unterschrift und daneben Hölderlins Ausspruch: „Wir sind nichts, was wir suchen ist alles.“ Später hörte ich, daß es Grimms Leibsprüchlein sei und daß er es gern in Widmungsexemplare seiner Dichtungen einzutragen pflege. Doch das ‘ vermindert meine Freude keineswegs, wenn ich die Bände zur Hand nehme und die Schrift des nun schon verstorbenen, aufrechten Mannes vor mir sehe. Über vierzig Jahre sind vergangen, seit er damals, Ende August 1928, in der brutheißen Mansarde meines Badener Landhauses saß und, er hatte viele Jahre seines Lebens in Südafrika verbracht, zufrieden erklärte: „Schön warm haben Sie’s hier!“ Ich selbst glaubte freilich, vor Hitze zu ersticken.

Mit Hermann Hesse kam es zu keiner persönlichen Begegnung. Wir waren beide keine Reisemenschen. Von mir wußte ich es genau, aber auch von ihm glaubte ich es nach mancher Wendung in seinen Werken — ich denke da besonders an die „Nürnberger Reise“ — annehmen zu dürfen. Doch hatte er öfter durch den gleichen Freund von mir gehört und mir durch ihn freundliche Grüße geschickt. Über diese lebende Brücke erfuhr er auch von einem schmerzlichen Verlust, der mich betroffen hatte, und gedachte meiner mit teilnehmenden Zeilen, au« denen sich mir — wohl durch den gegebenen Anlaß — auf erschütternde Weise seine eigene innere Vereinsamung offenbarte. Der Kopf seines Briefblattes trägt in farbiger Wiedergabe eine seiner wohl nach der neueren Art aber durchaus konkret gemalten Tessiner Landschaften. Das gab mir Mut, ihm eines meiner Bücher zu senden, eben jenes, das aus dem mir widerfahrenen Verlust entstanden war. Als Gegengabe kam dann ein eben erschienenes Werk von ihm mit den begleitenden Zeilen: „Ich lasse Ihnen das Beste schicken, was ich zu geben habe, die Gesamtausgabe der Gedichte und hoffe, daß das Buch richtig zu Ihnen gelange.“ Besonders wert ist mir ein Band von Arthur Schnitzler, und wie ich dazu gekommen bin, bietet einen schönen Beweis für die gütige Menschlichkeit des Dichters. Als junger Student hatte ich mit zwei anderen, ebenfalls schriftstellemden Kollegen das offenbar unvermeidliche Bedürfnis empfunden, einen Novellenalmanach herauszugeben. Einer dieser Freunde meinte nun, der Inhalt meines Bei trages weise eine starke Ähnlichkeit mit Schnitzlers Novelle „Sterben“ auf. Aus der ganzen Unverschämtheit des Einundzwanzigjährigen heraus schickte ich mein Manuskript an Schnitzler ein und bat um Bescheid, ob der von meinem Kollegen geäußerte Verdacht stimme. Der auf der Höhe seines Ruhmes und seiner Erfolge stehende Dichter antwortete dem unbekannten Studenten nicht bloß, daß nur ein ausgepichter Reminiszenzenjäger etwas derartiges behaupten könne, sondern legte auch ein Exemplar seiner Novelle mit handschriftlicher Widmung bei, damit ich mich selbst von der Haltlosigkeit des erhobenen Vorwurfs überzeugen könne. Auf welch menschlicher Höhe Schnitzler aber stand, das bewies er mir später noch einige Male, doch hat das mit der goldenen Zeit des Büchersammelns nichts zu schaffen.

Zwei Jahre vor Schnitzler, 1860, wurde in Wien ein Mann geboren, der als Dichter einen ganz anderen

Weg gehen sollte. Nicht das Leben einer stark um ihr Ich und seine ungehemmte Entwicklung besorgten Gesellschaftsklasse lockte ihn zur Darstellung, sondern der arbeitsame Bürgerstand. Die Geschichte einer Seidenweberfamilie vom Brillantengrund steht im Mittelpunkt von Emil Ertls Tetralogie „Volk an der Arbeit“, dessen erster Band „Die Leute vom Blauen Guguckshaus“ bereits auf einen in der österreichischen Literatur noch kaum angeschlagenen Ton aufhorchen ließ. Ich lernte den sehr feinfühlenden Mann bei meinem ersten längeren Aufenthalt in Graz kennen. Bald nach unserer Begegnung erkrankte ich schwer, und während ich im Fieber fast unterzugehen drohte, trat die Pflegerin an mein Lager und legte ein Buch mit gütiger Widmung —

„Karthago“ hieß es — vor mich auf die Bettdecke und dazu einen duftenden Veüchenstrauß. Da lernte ich zum Dichter den Menschen Erti kennen und lieben.

Eine ganze Reihe gewidmeter Bände erhielt ich von Max Mell im Lauf unseres jahrzehntelangen freundschaftlichen Verkehrs. Darunter als bibliophile Leckerbissen „Das Apostelspiel“ mit den Abbildungen der Marionetten von Anton Erlacher und „Ein altes Deutsches Weihnachtsspiel“ als ersten Druck der Johannes- Presse.

Wenn ich von den Büchern gesprochen habe, die mir ihre Verfasser selbst mit eingeschriebenein Widmungen schenkten, so darf in diesem Zusammenhang eines Dichters keineswegs vergessen werden. Ich meine Ernst Penzoldt. Wir lernten uns unter recht merkwürdigen Umständen kennen. Obwohl wir nie etwas mit der „Bewegung“ zu schaffen hatten, wurden wir beide noch während des zweiten Krieges vom Propagandaministertum nach Berlin einberufen, um eine Art Schulung für die Anfertigung wirksamer Propagandafllme durchzumachen. Sie bestand vor allem in Vorträgen über die Mangelhaftigkeit der schon hergestellten eigenen Filme und zugleich in der Vorführung der von der Gegenseite produzierten und während der ersten Kriegsjahre erbeuteten. Wir sollten sie als nachahmenswerte Beispiele kennenlemen. Ich erinnere mich da besonders des Streifens „Ninotschka“ mit Greta Garbo. Nun, einen Pro- pägandafilm hat keiner von uns beiden verfaßt.

Aber ganz umsonst sollte unsere Begegnung damals iri- Berlin doch nicht geschehen > sein.’ Die Terra Füm-Gesellschaft benützte die Anwesenheit einiger Schriftsteller, um mit ihnen wegen der Erwerbung früherer Arbeiten, die mit Propaganda freilich nicht das geringste zu tun hatten, in Verbindung zu treten. Ob Penzoldt eines seiner Werke zur Verfügung stellte, weiß ich nicht. Daß seine prächtige Novelle „Korporal Mombour“ verfilmt wurde, daran glaube ich midi zu erinnern. Ob aber erst als Ergebnis dieses Berliner Zwischenspiels, vermag ich nicht mit Sicherheit zu behaupten. Von mir wählte die Terra die Erzählungen „Der Fund“ und „Die Augen“ für ihre Zwecke aus, und weil sie neben mir Penzoldt gleich bei der Hand hatte, wurde er mit der Abfassung des Exposes über „Die Augen“ betraut Er hat sich dieser gewiß nicht sehr dankbaren Aufgabe mit treuer Geduld unterzogen. Von den Filmschicksalen meiner beiden Erzählungen des weiteren zu berichten, ist hier nicht der richtige Ort, obwohl es ein sehr bezeichnendes Beispiel geben könnte. Wichtiger für mich war, daß ich durch diesen Berliner Aufenthalt mit einem in gleicher Weise fein empfindenden, sehr wertvollen Menschen und Dichter in Beziehung treten durfte. Seine Romane „Die Powenzbande“ und „Idolino“ stehen mit handschriftlichen Widmungen bei meinen Büchern. Dazu noch das mir von ihm zugeschickte Exemplar der „Nauen Rundschau“ vom November 1940 mit dem ersten Abdruck des „Korporal Mombour“. Die Widmungszeilen darauf Unterzeichnete er, in Beziehung auf unsere gemeinsamen Berliner Tage, als „Emst Penzoldt, geprüfter Filmling“. Sehr lieb ist mir auch das im Verlag seines Schwagers Emst Heimeran zu seinem 50. Geburtstag erschienene Bändchen „Lebensabriß und Werkverzeichnis“ durch die Wiedergabe mancher seiner Bilder, Zeichnungen und Skulpturen, denn neben dem Dichter lebte in Penzoldt ein ebenso wertvoller Maler und Bildhauer. Lebte, muß ich traurig sagen, da er viel zu früh, mit 62 Jahren schon, von uns gegangen ist. Um so teurer ist mir die Erinnerung an ihn, um so größer meine Freude an seinen Büchern.

Der begrenzte Raum dieser Blätter darf mich nicht hindern, noch die Namen Paula Groggers und Robert Michels, des von mir besonders geschätzten vornehmen Erschließers der einst von Österreich okkupierten Balkanteile, Felix Brauns, Franz Theodor Csokors, Hermann Stahls, Kasimir Edschmids, Stefan Andres’, und Hans Weigels zu nennen, von denen ich manche lieb gewidmete Bände aufbewahre, so gut wie die gesamten Werke meines unvergeßlichen Freundes Hans Kloepfers, des einzigartigen steirischen Mundartdichters.

In allen diesen Büchern gab es ja Widmungen oder Autogramme, aber sie waren, wie ich schon sagte, nicht abgefordert. Sie waren freiwillig geboten, gewissermaßen zum Zeichen menschlicher Verbundenheit zwischen dem Geber und dem Empfänger. Es fehlte die Äußerlichkeit, die sonst dem Autographensammeln anhaftet.

Der Bücherwurm hat aber nicht immer nur erfreuliche Erlebnisse, manchmal bleiben ihm auch peinigende Erfahrungen nicht erspart. So hatte ich einmal — und das wäre sogar ein beglückender Anfang gewesen — von einem deutschen Antiquar die Jenaer Lutherausgabe von 1575 zu einem erstaunlich billigen Preis erworben. Es waren acht in Schweinsleder und Pergament gebundene Großfolio-Bände. Unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, zur gesegneten Zeit der Inflation, wußte ich eines Tages buchstäblich kaum mehr, wie ich für meine Frau und mich das notwendige Brot beschaffen sollte. Verleger und Redaktionen zeigten mir wieder einmal die kalte Schulter, es blieb daher nichts anderes übrig, als mich von einem meiner Bücherschätze zu trennen. Da diese Lutherausgabe gleichsam als Schaustück zuhöchst auf meinen Büchergestellen stand, ohne daß ich allzu oft in fhr gelesen hätte, und da ich wußte, daß sie ln Pastorenhäusem nicht selten anzutreffen war — wohl der Grund des nicht übermäßigen Erstehumgspreises — fragte ich, wiederum bei einem deutschen Antiquariat, nicht sehr hoffnungsvoll an, ob es Interesse dafür habe. Das bald eintreffende Anbot betrug 1000 Mark, und für diese Summe schien unser Auskommen längere Zeit hinaus gesichert Der Handel kam also zustande, und im Vergleich zu der Summe, welche die Ausgabe mich gekostet hatte, durfte ich mit dem erzielten Gewinn wohl zufrieden sein. Allein diese Zufriedenheit sollte nicht sehr lange währen. Kaum einen Monat später Schichte das gleiche Antiquariat mir seinen neuesten Katalog zu, und darin wurde meine schöne Lutherausgabe um 10.000 Mark, also gerade um das Zehnfache des kürzlich mir gezahlten Preises angeboten. Man sieht, auch beim Büchersammedn können die Freuden gelegentlich mit den Leiden abwechseln. Die goldenen Zeiten des Büchersammelns waren in jenen Tagen allerdings schon vorbei und sind bis heute nicht wiedergekehrt.

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