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Digital In Arbeit

Arbeitstag eines Gentleman

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Meine Aufgabe war es, dem Privatsekretär bei der Erledigung der persönlichen Korrespondenz des Königs zu assistieren. Ich stand daher mit Gustav VI. Adolf in täglichem Kontakt,

Seine Anweisungen waren stets deutlich und klar, und er besaß in hohem Maße die Fähigkeit, ein ruhiges und gelassenes Arbeitsklima zu schaffen. Er blieb immer freundlich und heiter. Oft kam er in großer Eile in mein Zimmer, um die Post zu übergeben, die immer von ihm persönlich geöffnet wurde. Die Tür seiner Bibliothek blieb dabei meistens offen. An der Art, wie er durch das Zimmer schritt, konnte ich schon erkennen; ob er einen seiner anstrengenden Tage hatte. Doch nie machte er einen gehetzten Eindruck, und er nahm sich immer reichlich Zeit, um uns zuzuhören.

Wie erwähnt, öffnete der König selbst alle Briefe und schrieb dann auf dem Umschlag Anweisungen für die-Antworten. Es geschah aber auch, daß er sehr persönliche Briefe selbst diktierte. Es sah dann so aus, als führe er mit sich selbst einen Monolog, während er gedankenvoll zum Fenster hinausschaute. Er verlangte anschließend immer, das Stenogramm zu hören' und änderte das eine oder das andere. Deutlich gab er uns dann zu verstehen, wie bald er die Fertigstellung der Arbeit wünschte, und die ruhige Klarheit seiner Anweisungen machte ein Mißverständnis unmöglich.

Der König verfaßte seine Reden selbst. Ich bekam das Bleistiftkonzept und schrieb es auf der Schreibmaschine ins Reine, worauf er weiter daran arbeitete und ausfeilte. Es bedürfte oft mehrfacher Umarbeitungen, bis eine längere Rede sein Gefallen fand und endgültig fertig war. Seine Reden waren ausgezeichnet, ob es sich um Reden bei einem Staatsbesuch, vor Wissenschaftlern, oder um Reden im Familienkeise, bei Hochzeiten oder anderen Gelegenheiten handelte. Ich denke da auch an einen langen Vortrag, den der König persönlich in englischer Sprache niederschrieb, und den er dann in Oxford anläßlich seiner Provomierung zum Ehrendoktor hielt. Das war im Jahre 1955 — für mich eine sehr interessante Zeit. Ich konnte miterleben, wie sich die Arbeit vom ersten Entwurf bis zur endgültigen Form entwickelte. Der Vortrag wurde später vom König übersetzt und erschien in einer kleinen schwedischen Zeitschrift unter dem Titel „Archäologie und Kunstforschung“. Der Vortrag war eine Frucht der lebenslangen Studien des Königs auf diesem Wissensgebiete.

Gustav VI. Adolf war ein Mensch, der stets Haltung bewahrte. Er verfügte über große innere Kraftreserven. Harte Schicksalsschläge hatten ihn getroffen. Zweimal war er Witwer geworden. Als seine erste Frau, Prinzessin Margaret von Großbritannien, im Jahre 1920 starb, stand er mit fünf kleinen Kindern allein. Königin Louise (Lady Louise Mount-batten) starb 1965. 1947 kam der älteste Sohn und Thronerbe, Prinz Gustaf Adolf (vermählt mit Prinzessin Sibylla von Sachsen-Coburg-Gotha und Vater des jetzigen Königs), bei einem Flugzeugunglück um.

Der König bewies bei all diesen Unglücksfällen eine vorbildliche Selbstbeherrschung. Niemals sah man ihn bitter oder gleichgültig seiner Umgebung gegenüber. Im Gegenteil, er stellte die eigene Person stets in den Hintergrund. Sein Wahlspruch „Vor allem die Pflicht“ war also nicht nur eine Devise, sondern auch eine seit vielen Jahren in die Praxis umgesetzte Lebensweisheit. Diese Disziplin, aber auch sein intellektueller Appetit, sein Interesse für

Fragen der Wissenschaft, der Kunst und vor allem für alle Angelegenheiten des Reiches, machten den Umgang mit ihm zur täglichen Freude.

Seine große Genauigkeit und seine Wißbegierde bot uns aber auch das Bild eines systematischen Wissenschaftlers, der stets zum Kern der Sache vordringen möchte. In seinem Fall geschah dies durch Fragen. Und auch in diesen Fragen lernte man ihn als zutiefst demütigen Menschen kennen.

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Ein König kann leicht zum isolierten Menschen werden. Die vielen Interessen Gustav Adolfs durchbrachen jegliche Isolierung. Imponierend war das Verständnis dieses alten Mannes für die neue Zeit.

Die vielen Interessen des Königs gaben seinem Alltag Inhalt und Farbe. Die Räume, die er bewohnte, hatten Atmosphäre. Man erkannte in der Person des Königs, sowie auch in der Welt, die er rund um sich schuf, das künstlerische und intellektuelle Erbe der Bernadotte. Es war anregend, für ihn zu arbeiten.

Seine große Sammlung von Zeichnungen und Aquarellen wurde in besonderen Mappen aufbewahrt und war systematisch geordnet. Der König besuchte häufig Ausstellungen zeitgenössischer Kunstwerke. Er hatte einen scharfen Blick für gute Arbeiten junger Künstler, und so war seine Sammlung in ständigem Wachsen. Zu meinen Aufgaben gehörte es, die Sammlung auf dem laufenden zu halten, und ich lernte unter seiner Leitung viel über moderne Kunst. Sobald er einmal einen ruhigen Nachmittag hatte, sah man ihn im Hausrock in der Bibliothek mit diesen Kunstwerken beschäftigt, wobei er mit Bleistift Bemerkungen in die von ihm so genannte „Arbeitskartothek“ eintrug.

Der König korrespondierte selbstverständlich in mehreren Sprachen. Im Zusammenhang ihit seinen alljährlichen Reisen und seinen archäologischen Studien in Italien führte der König vor allem eine umfangreiche italienische Korrespondenz. Es ging dabei um Fragen archäologischer und künstlerischer Art. Da ich Italienisch recht gut beherrsche, habe ich oft übersetzen müssen. Es geschah aber auch, daß der König mir Briefe direkt ins Italienische diktierte, eine Sache, die ihm offenbar großen Spaß machte. Manchmal hielt er Reden in italienischer Sprache. Ich erinnere mich, daß wir einmal im letzten Augenblick aus irgendeinem Grund eine wesentliche Änderung des Textes durchführen mußten und daß mich das ziemlich nervös machte. In so kurzer Zeit eine anständige Übersetzung auszuarbeiten, schien mir doch etwas zu schwer. Auch wußte ich nicht, ob der König Zeit finden würde, den Text vorher noch durchzulesen. Sicherlich sah ich sehr besorgt drein, als ich ihm die Arbeit überreichte und typisch für ihn war, daß er kurz nach seiner Rückkehr ins Schloß mich schnell mit den Worten: „Es ist alles in bester Ordnung!“ beruhigte.

Einmal hat er mich gebeten, dabei zu sein, um, wenn notwendig, zu dolmetschen. Es wäre nicht notwendig gewesen — denn er sprach ausgezeichnet italienisch. Der König hatte den ihm bei seinen Ausgrabungsarbeiten von der italienischen Regierung regelmäßig zur Verfügung gestellten Detektiv für eine Woche nach Stockholm eingeladen. Es war nun meine Aufgabe, den imposant und gutaussehenden Italiener in Stockholm herumzuführen. Täglich holte ich ihn in seinem Hotel ab. Eines Nachmittags wurde er von Seiner Majestät zum Tee eingeladen, und der König, der damals in dem kleinen Schloß Ulriksdal in der Nähe von Stockholm wohnte, wollte auch mich dabei haben. Wir saßen, eine kleine Gruppe, um den Teetisch — einige Damen des Hofes, der Adjutant, der Detektiv und ich. Der König war dem Mann gegenüber, der nun schon seit Jahren über seine Sicherheit in Italien gewacht hatte, voller Zuvorkommenheit, er fragte schließlich den Italiener, ob er nicht auch das Schloß besichtigen wolle und machte dann in seiner natürlichen und vornehmen Art selbst den Kunstführer. Im Auto, auf dem Heimweg, machte der italienische Gast seiner Begeisterung Luft.

Gerade an dieses kleine Schloß Ulriksdal binden mich schöne Erinnerungen. Vor einem seiner Staatsbesuche saß ich dort an einem Sonntagnachmittag mit dem König und seinem Adjutanten beisammen, um mehrere Reden- endgültig auszuarbeiten. Es war eigentlich alles schon fertig — doch dem König genügte es nicht, er brachte immer noch kleine Änderungen an. Er war damals 88 Jahre alt.

Ein anderes Mal hatte er eine Rede soeben entworfen, und als ich das Bleistiftkonzept durchgelesen hatte, vergaß ich jeglichen Sekretärinnen-Takt und rief lauthals, das sei eine ausgezeichnete Rede, die mich sehr beeindruckt habe. Als Antwort bekam ich ein herzliches Lächeln und einen geschmeichelten Dank für die vorlaute Reaktion.

Die Korrespondenz des Königs wurde mit den Jahren immer umfangreicher. Sein Alter hinderte ihn nicht daran, alle Briefe, die ihm aus der Bevölkerung zugingen, persönlich durchzulesen. Sogar bei den großen Anlässen, wenn eine enorme Menge von Briefen und Telegrammen ankam, versuchte er, soweit es ihm möglich war, die ganze Post zu lesen. Er legte großen Wert darauf, daß jeder Brief eine Antwort erhielt, und viele dieser Antworten formulierte er selbst.

Besonders glanzvoll waren die Geburtstage. Ich werde nie die tiefe Ergriffenheit des Königs vergessen, als er an seinem 80. Geburtstage von der großen Tafel und den Huldigungen des Parlaments ins Schloß zurückkam. Zehn Jahre später wurde sein Geburtstag, sein neunzigster, ein für den etwas steifen schwedischen Charakter geradezu ungewöhnliches Volksfest. Vor dem Schloß war es schwarz von jubelnden Menschen, als der greise Monarch mit dem jungen Kronprinzen zusammen auf den Balkon hinaustrat und mit Jubel und Blumen überhäuft wurde. Ich saß in meinem Arbeitszimmer, als der König noch auf dem Balkon stand. Das Telephon läutete, und eine eifrige, Damenstimme aus Südschweden klang aus dem Apparat. Sie hatte den König auf dem Baldschirm beobachtet und war besorgt, weil er an einem so kühlen Novembervormittag keinen Hut trug. Ich sagte ihr, sie möge sich nicht sorgen, Stockholm habe Sonne und gutes Wetter. „Meinen Sie wirklich?“ war die ängstliche Antwort.

Aber dieser Tag verging für mich nicht ohne ein Gefühl von Wehmut. Wie immer, hatte ich die Rede des Königs reingeschrieben und konnte sie fast auswendig. Und trotzdem kamen mir die Tränen, als ich seine Stimme am Ende der Rede hörte: „Für mich geht die Sonne jetzt langsam unter.“

Zum 90. Geburtstag hatte die Pest eine Art von doppelten Karten hergestellt, die man für einige Schwedenkronen kaufen konnte. Eine Krone wurde für den privaten Fond des Königs zur Unterstützung schwedischer Kultur verwendet. Die Menschen schrieben ihre Glückwünsche auf den einen Teil der Karte. Der andere Teil, der das Bild des Königs trug, wurde später abgetrennt nnd dem Absender mit einem besonderen Stempel als Andenken zurückgeschickt. 500.000 Karten waren gedruckt worden, und es gab viel Arbeit für das königliche Sekretariat, das die Karten zu sortieren hatte. Viele Damen halfen mir dabei. Der König las so viele der Karten, wie er nur konnte. Unter den Zahllosen, die ihm Treue und Liebe bezeugten, waren viele Kinder, die kleine Zeichnungen und Sprüche gesandt hatten. Welche Zuneigung das schwedische Volk für den König empfand, würde an diesem seinem letzten Geburtstag uns allen klar.

Die Sommermonate verbrachte der König in seiner Residenz Sofiero, an der schwedischen Küste, gegenüber von Dänemark. Sofiero ist ein kleines Schloß, das ihm anläßlich der Vermählung mit seiner ersten Frau geschenkt wurde. Der wunderschöne, jetzt der Stadt Hälsingborg überlassene Park, war des Königs ureigenste Schöpfung. Er arbeitete täglich selbst im Garten, die königliche Familie fand sich gerne dort ein, und besonders eng war der Kontakt mit der Lieblingstochter, der Königin Ingrid von Dänemark, die sehr oft über den Sund herüberkam.

Ein Teil meiner Arbeit während dieses Sommeraufenthalts bestand darin, dem König bei der Registrierung seiner Blumensorten zu helfen. Es ergab sich etwa eine große Liste von Rhododendronarten, von denen der König hunderte besaß, darunter manche sehr seltene. Ich saß an meiner Schreibmaschine, und der König diktierte. Für mich waren esoft völlig unbekannte lateinische Blumennamen, und es funkelte amüsiert in den Augen des Königs, wenn er sah, wie ich beim Schreiben unsicher wurde. Das gab ihm gute Gelegenheit für eine seiner bekannten,' gutmütig-humoristischen Bemerkungen.

Eines Tages diktierte mir der König einen Brief. Das war kurz nach dem Tode der Königin. Das Licht vom Fenster fiel über des Königs Gesichtszüge, und ich bemerkte die tiefe Trauer, die der alte Mann so gut zu verbergen wußte, ich bewunderte die Kraft seiner Selbstbeherrschung. In diesem unbewachten Augenblick war sein Gesicht von Resignation geprägt — von der Resignation und der Klugheit eines Menschen, der im Leben viele Prüfungen durchgestanden hat. Schmerz und Einsamkeit waren zu sehen und vielleicht durch die großartige königliche Haltung noch mehr unterstrichen.

In der Nähe des alternden Monarchen wurde mir das unvermeidliche Vergehen der Zeit für immer klar. Und ich fürchtete den Tag, an dem er uns verlassen würde.

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