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WELTMANN AM KAPUZINERBERG

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Persönliche Erinnerungen an Stefan Zweig anläßlich der dem Dichter gewidmeten Ausstellung in Salzburg

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Persönliche Erinnerungen an Stefan Zweig anläßlich der dem Dichter gewidmeten Ausstellung in Salzburg

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Nach einem vorausgegangenen Briefwechsel lernte ich Stefan Zweig 1920 bei einer Dichterlesung in Bremen kennen. Professor Anton Kippenberg, ein gebürtiger Bremer, Inhaber und Leiter des Insel-Verlages zu Leipzig, hatte Zweig zu dieser Vorlesung veranlaßt. Mit seinem Vortrag wollte Zweig zugleich seinen Verleger, mit dem er befreundet war, ehren.

Meine erste persönliche Begegnung mit dem Dichter am Vortragsabend selber beschränkte sich auf eine kurze Begrüßung. Nach der Lesung bot sich keine Gelegenheit, mit ihm länger zu sprechen, weil er von der Prominenz mit Beschlag belegt wurde. Aber bezeichnend für Zweig war eine kleine Geste: Bevor er mit Kippenberg und anderen bremischen Freunden zum geselligen Zusammensein in den Bremer Ratskeller fuhr, vereinbarte er mit mir ein Treffen für den nächsten Tag in Hillmanns Hotel. Mir ist, als höre ich noch seine Worte im leise singenden Wiener Tonfall: „Sie verstehen, heute abend hätten wir keine Möglichkeit zu einem ruhigen Gespräch. Ich freue mich auf morgen."

Zwei unvergeßliche Stunden! Ich war 19 Jahre alt und verehrte den Dichter mit der ganzen Leidenschaft meines jungen Herzens. Es gab keine gedruckte Zeile, die ich nicht gelesen hatte. Einige seiner Gedichte kannte ich auswendig. Damals war gerade der erste Band seiner literarischen Porträts „Drei Meister“ erschienen, den er mir zum Geschenk mitgebracht hatte. Zur Erinnerung an unser Gespräch schrieb er mir zum Abschied eine herzliche Widmung hinein. Ich habe dieses Exemplar ganz besonders geliebt, weil es das erste von ihm signierte Buch war. Es verbrannte in einer Bombennacht 1943 in Berlin mit anderen

Zweig-Büchern und Manuskripten, die der Dichter mir im Laufe der Jahre geschenkt hatte. Es befand sich darunter das handschriftliche erste Kapitel seines Hölderlin-Bildnisses, auch die Erstausgaben seiner frühen Gedichtbände „Silberne Saiten“, „Die frühen Kränze“ und der erste Novellenband „Die Liebe der Erika Ewald“.

Ich weiß im einzelnen nicht mehr, worüber er mit mir sprach. In Erinnerung geblieben ist mir eine lebhafte Schilderung über einen geplanten Roman. In ihm wollte er den Dämon „Geld“ in seinen verschiedenen Formen und Wandlungen schildern. Damals bewegte ihn dieser Stoff sehr, den er in einer spannenden Romanhandlung gestalten wollte. Der Roman wurde nie geschrieben, wie so vieles andere nicht, womit Zweig sich in jenen Jahren beschäftigte. Die Themen, die ihn interessierten, waren zu vielfältig, als daß er auch nur einen Bruchteil von ihnen hätte realisieren können. — Zweig war ein ungemein fleißiger Arbeiter, der sich nur wenig Ruhe und Ausspannung gönnte. Urlaub und Ferien hat der Dichter im eigentlichen Sinne nie gekannt. Die Jahre 1920 bis 1933 — in denen ich vielfach Zweig begegnete — sind mir nur als Arbeitsjahre in Erinnerung.

Im Sommer 1921 erhielt ich die erste Einladung von ihm, für acht Tage im Hotel Stein in Salzburg sein Gast zu sein. Am ersten Abend in seinem schönen Haus auf dem Kapuzinerberg wurde mir sogleich klar, wie sklavenhaft genau er seine Stunden einteilte. Da wußte ich: dieser Mann wurde getrieben von einer Fülle von Themen und Stoffen, die er bewältigen wollte. Neben Novellen (die später zum Teil in den Bänden „Amok“ und „Verwirrung der Gefühle“ veröffentlicht wurden) beschäftigten ihn vor allem die Stoffe zu den großen historischen Biographien, die seinen Namen dann weltberühmt machten, ferner die literarischen Porträts, die er zehn Jahre später unter dem Gesamttitel „Die Baumeister der Welt“ herausgab. Obwohl Zweig Tag und Nacht arbeitete (die Nachtarbeit liebte er besonders, weil er dann ungestört war), fand er immer noch Zeit, eine Stunde mit mir zusammen zu sein. Meistens gegen Abend gingen wir ins Cafe Bazar, um einen „Schwarzen“ zu trinken. Aber diese Stunde diente ihm auch zur Entspannung von der Tagesarbeit, die dann bis Mitternacht, ja bis in die frühen Morgenstunden weiterging.

Zweig war ein sehr mitteilsamer Mensch, aber er liebte nicht das sogenannte „gesellige Beisammensein“ in größerem Kreise. Daher raunte man in Salzburger Kreisen oft von dem „menschenscheuen“ Dichter, der aller öffentlichen Zurschaustellung auswich. Nichts war ihm verhaßter, als bemerkt oder angesprochen zu werden. Er hat es immer meisterhaft verstanden, sich den neugierigen Blicken der Menschen zu entziehen. Bei späteren Besuchen in Salzburg wurde ich oft gefragt, wie denn „der Herr Dr. Zweig ausschaut — man sieht ihn ja nie“! Carl Zuckmayer erzählt, daß Zweig aus Anlaß seines 50. Geburtstages 1932 mit ihm nach München flüchtete, um ja den Gratulanten zu entgehen. Alš er zwei Tage später zurückkehrte, fand er einen großen Waschkorb voller Glückwünsche und Telegramme vor, die seine Sekretärin dann nach Zweigs Anweisungen gewissenhaft beantworten mußte. Er war ein genauer und korrekter Arbeiter, der keinen Brief unerledigt ließ und nach Möglichkeit alle Bitten und Wünsche (nicht selten in Geldsachen) erfüllte. Ich habe es öfter erlebt, wie ihn die Nöte und Sorgen seiner ärmeren Schriftstellerkollegen bedrängten. In vielen Fällen hat er — oft anonym — geholfen. Ich selber habe einmal in seinem Auftrag, ohne seinen Namen nennen zu dürfen, einem jungen Dichter, den er besonders schätzte, aus Deutschland einen beachtlichen Betrag überweisen müssen.

Thomas Mann sagte über ihn:

„Die Verbreitung des Guten war ihm Herzenssache, und wohl die Hälfte seines Lebens hat er daran gewendet, zu übersetzen, zu propagieren, zu dienen, zu helfen. Wenige wissen, oder niemand weiß, in welchem Maß er seinen überall hinreichenden Einfluß, seine hohen Einkünfte, an denen ihm nichts lag, benutzt hat, zu fördern, zu retten, zu unterstützen. Ich war nicht dabei, aber ich weiß von der Szene — natürlich nicht durch ihn —, wie er einem etwas abgerissenen Kollegen, wohl älter als er, den er zum Abendessen geladen, auf dem Tischtuch ganz unter der Hand einen Hundertmarkschein hinüberschob. ,Das gehört Ihnen." ,Nein, wieso?" ,Ich sage Ihnen ja, daß es für Sie ist." ,Lieber Herr Zweig, ich gestehe, es ist mir nur zu willkommen." ,Eben, eben." Wie oft mag sich dergleichen wiederholt haben?“

War man bei ihm zu Gast, dann schlug er oft vor, mit ihm in einem Taxi einen Ausflug in die nähere oder weitere Umgebung von Salzburg zu machen. Er selber besaß kein Auto, das Drum und Dran hätte ihn nur belastet. Zwei Taxichauffeure in Salzburg, die ich später öfter wieder traf, haben mir erzählt, „welch Heidengeld der Herr Doktor fürs Taxi ausgegeben hat“. Auch diese Fahrten dienten der Ausspannung. Er liebte es, mit guten Freunden zusammen zu sein. So entsinne ich mich einer Fahrt mit Zweig nach Henndorf, wo wir Carl Zuckmayer besuchten, dem Zweig in besonderer Herzlichkeit zugetan war. Immer hatte er Zeit (ein Geheimnis seines Lebens!) für andere, immer war seine Neugierde und Anteilahme am Schicksal seiner Freunde diktiert von dem Wunsch, zu helfen oder ihnen diese oder jene Freude zu bereiten. Oft waren es Kleinigkeiten, ein Buch, ein gutes Essen (meistens in kleinen Restaurants, wo man ihn nicht kannte), ein Ausflug ins Salzkammergut, um dem Gast die Schönheiten seiner Heimat zu zeigen. Zweig war ohne jede Eitelkeit. Schon rein äußerlich dokumentierte sich diese Schlichtheit: am liebsten trug er Anzüge „von der Stange“, am wenigsten gern Frack und Smoking, die er bei internationalen Anlässen tragen mußte. Seine Klugheit und seine Lebenserfahrung, sein enormes Wissen und seine Kenntnisse auf den verschiedensten Gebieten gaben dem Freunde aber nie das Gefühl der Unterlegenheit. Ich entsinne mich einer Autofahrt im Sommer nach Bad Gastein. Zweig hatte mich im Hotel angerufen und mich gefragt, ob ich mit ihm eine kleine Ausfahrt machen möchte. Als wir abfuhren, sagte er mir dem Sinne nach: „Ich bin überreizt und überarbeitet — ich muß wieder einmal raus. Seien Sie nicht böse, wenn ich schlechter Laune bin. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich begleiten wollen.“ Kurz vor Bad Gastein bat er den Fahrer, allein nach dein Kurort- weiter zu fahren, wo wir ihn später dann wieder treffen würden. Zweig und ich schlenderten fast drei Stunden durch Felder und Wiesen, und legten uns dann, müde geworden, ins Heu. Nach einer Stunde liefen wir weiter und mußten dann einen breiten Bach überqueren. Schnell legten wir Schuhe und Strümpfe ab und durchwateten diesen. Es schien Zweig sichtlich Freude zu machen, denn er strahlte übers ganze Gesicht. Wir beide tummelten uns wie kleine Kinder im Bach, dessen kühles, leise strömendes Wasser uns gut tat. „Wunderbar“, sagte Zweig. „Herrlich!“ Ich höre seine Worte, sehe sein frohes, lachendes Gesicht so deutlich, als sei es gestern gewesen. Aller Mißmut, alle schlechte Laune waren verflogen. „So“, sagte Zweig, als wir den Bach verließen, „nun gehen wir nach Bad Gastein und lassen uns nach Hallein fahren. Da werden wir großartig essen und einen guten Wein trinken.“ Nach Salzburg zurückgekehrt, war Zweig wie umgewandelt. Sehr vergnügt trennten wir uns. Eine Stunde später rief er mich im Hotel an und bat mich, gegen zehn Uhr, noch auf einen „Schwarzen“ ins Cafe Bazar. „Der Tag hat mich so froh gemacht, deswegen wollte ich noch gerne ein wenig mit Ihnen zusammen sein und dann —: mir ist während unseres Ausfluges die Lösung eines wichtigen Dialoges in einer neuen Arbeit zugeflogen, eine Frage, die mich tagelang geplagt hat und mich so überreizt machte.“ Anschließend gingen wir noch eine Stunde durch die stillen Gassen Salzburgs, die Zweig so liebte. Bei seinem Haus angekommen, sagte er zum Abschied: „Ja, das war ein schöner Tag — ich möchte in den nächsten Tagen nochmals an den Bach fahren — kommen Sie wieder mit?“

Zweig liebte das literarische Gespräch — die Unterhaltung mit den Freunden. Wenig oder selten sprach er von sich, seinen

Büchern, schon gar nicht über neue Arbeiten. Hatte man sein Vertrauen, dann sprach er am liebsten über seine Handschriftensammlung, über Neuerwerbungen oder über das Zustandekommen oder Scheitern eines Kaufes eines besonders begehrten Stückes. In guten Stunden zeigte er dem Gast dann auch einige Kostbarkeiten seiner Handschriften, die er zärtlich liebte. Dann leuchteten seine klugen Augen, dann freute er sich über die Teilnahme und das Interesse, die man seiner Liebhaberei entgegenbrachte.

Gewiß war Zweig ein komplizierter Mensch, sehr empfindlich und leicht depressiv. Aber ich habe ihn nie unbeherrscht gesehen, selbst dann nicht, wenn Grund vorhanden war. Er hat manche menschliche Enttäuschungen erlebt, die ihn tief trafen, vor allem, wenn es sich um Freunde handelte, oder solche, die er dafür hielt. Dann konnte er wohl sagen: „Hätten Sie das für möglich gehalten?" Er, der „Psychologe aus Leidenschaft“, wie ihn Romain Rolland genannt hat, konnte und wollte es nicht verstehen, wenn Menschen aus seinem engeren Freundeskreis ihn enttäuschten. In solchen Situationen war es nicht gut, in seiner Nähe zu sein. Aber da er sich selber gut kannte, verbarg er sich dann, wie auch in den Zeiten, wenn er ein neues Buch unter der Feder hatte. Dann war er ein ausgesprochen „schwieriger" Mann, den Kleinigkeiten störten, zum Beispiel ungespitzte Beistifte auf seinem Schreibtisch!

Zweig war, wie jeder weiß, ein Förderer der 'jungen Dichter. Ich entsinne mich eines Besuches Hei ihm im Jahre 1930. Im Insel-Verlag war gerade der Roman „Brot" von Waggerl erschienen, von dem ich ihm erzählte. Zweig, der nur im Buch geblättert hatte, war sehr interessiert, Waggerl kennenzulernen und schlug vor, ihn in Wagrain (zwei Autostunden von Salzburg entfernt) zu besuchen. Ich sehe noch heute Waggerls überraschtes Gesicht, als ich ihm Zweig vorstellte. Er konnte es kaum fassen, daß der berühmte Dichter ihm die Ehre seines Besuches erwies. Nach einem Spaziergang mit anschließender Besichtigung der Grabstätte Mohrs, des Dichters des Liedes „Stille Nacht — Heilige Nacht“ auf dem Wagrainer Friedhof, aßen wir zusammen in einem der alten, baufälligen Wagrainer Gasthäuser, die Zweig besonders liebte. Es war ein gutes Gespräch, das die beiden Dichter führten, ein Gespräch, das vor allem Waggerl sehr beeindruckte, denn Zweig war der erste Dichter, den Waggerl, der fernab vom literarischen Betrieb in diesem Dorf lebte, kennenlernte. Aber genauso angerührt war der so ganz anders geartete Zweig, der eine besondere Vorliebe für diesen Menschentypus hegte (daher auch seine Zuneigung zu den Norwegern Hamsun und Johan Bojer, die er sehr bewunderte). Noch in derselben Nacht, so sagte mir anderntags Zweig, habe er den Roman „Brot“ gelesen und seinem Verleger Kippenberg von dem guten Eindruck geschrieben, den Mensch und Buch auf ihn gemacht hätten.

Ich habe Zweigs Arbeitsökonomie imm£r bewundert. Selber mit vielen Arbeiten beschäftigt, fand er immer Zeit für Gespräch und Lektüre. Zweig, ein passionierter Leser, der nicht müde wurde, wieder und wieder die Großen der Weltliteratur zu lesen und viele Bibliotheks- und Quellenstudien zu treiben, fand „nebenher“ noch Muße, das Schaffen seiner Zeitgenossen des In- und Auslandes zu verfolgen. Wer bei ihm zu Gast war, der konnte beobachten, wie flutartig die Bücher fremder und befreundeter Autoren zu ihm ins Haus drangen. Aber keines der vielen Bücher, die die Dichter oder ihre Verlage ihm sandten (oft mit dem stillen Wunsch, Zweig möge ein Urteil abgeben!), wurde übersehen. Diese Leseintensität war einmalig, nur erklärbar aus seiner großen Neugierde und auch aus dem Wunsch, einem wirklich begabten Talent den Weg in die Öffentlichkeit zu erleichtern.

Im Sommer 1931 schrieb mir Zweig aus Paris, ich möchte ihn für eine Woche besuchen. Da ich Paris nicht kannte, war ich sehr begierig, Frankreichs Hauptstadt nun durch Zweig kennenzulernen Einen besseren Führer konnte ich mir nicht wünschen. Zudem war er ein aufmerksamer Gastgeber, dessen Fürsorge sich auf die unscheinbarsten Dinge erstreckte. Er hatte alles bestens für mich vorbereitet, angefangen vom Quartier bis zu Ausflügen, Museums- und Theaterbesuchen; selbst eine Liste der besten Restaurants und Cafes, die er bevorzugte, übergab er mir am ersten Abend. „Damit Sie die wenigen Tage möglichst nutzbringend anlegen.“ Tagsüber war Zweig die ganze Zeit in der Nationalbibliothek und für niemanden zu sprechen. Die Abende und Nächte aber war er frei für Bummeleien durch die Stadt oder Besuche bei befreundeten Dichtern und Künstlern. So lernte ich auch durch ihn Frans Masereel und Jules Romains kennen. Zweig, der wußte, daß ich nur mangelhaft Französisch sprach, war bei diesen Unterhaltungen äußerst feinfühlend und bezog mich immer ins Gespräch ein, damit ich nie das Gefühl zu haben brauchte, „fünftes Rad am Wagen“ zu sein. Aber jedesmal nach solchen Begegnungen riet er mir freundschaftlich, französische und englische Sprachstudien zu treiben: „Denn ohne die Beherrschung dieser Sprachen ist man nur ein halber Mensch.“ Zweig selber sprach ein vorzügliches Französisch. Wörtlich sagte mir Frans Masereel nach einer langen Diskussion mit französischen Freunden: „Stefan ist ein Phänomen; er spricht die Sprache so gut wie ein Franzose".

An vielen Beispielen habe ich in Paris Zweigs Kameradschaftlichkeit und Besorgtheit erlebt; immer war er bemüht, mir die Tage angenehm und interessant zu gestalten. Und oft habe ich in diesen Tagen an das Wort von Hermann Hesse gedacht, der einmal geschrieben hat, Zweig sei „ein Meister der Freundschaft". Ich war nie allein oder verlassen in dieser großen Stadt, schon deswegen nicht, weil Zweig mich gleich zu Anfang mit zu Joseph Roth führte, den er besonders liebte. Mit ihm habe ich viele Stunden in Paris verlebt. Stunden, die ich nie vergessen werde. Am letzten Tag meines Aufenthaltes, einem Sonntag, mietete Zweig ein Taxi, um mit mir nach Fontainebleau zu fahren. Als wir abfahren wollten, fragte Zweig: „Haben Sie eine Sonnenbrille?“ Da ich verneinte, gab er dem Chauffeur Anweisung,zu einem bestimmten Geschäft zu fahren. „So", sagte Zweig, „jetzt kaufen wir erst eine Sonnenbrille und eine Baskenmütze.“ Und zu meiner nicht geringen Verblüffung fügte er an: „Ich habe schon auf unserer Fahrt von Salzburg nach Wagrain im vorigen Jahr bemerkt, daß Sie für längere Autofahrten nicht ausgerüstet sind.“

Im Sommer 1933 traf ich Stefan Zweig zum letztenmal in Salzburg. Die politische Entwicklung in Deutschland, die ihn in seinem tiefsten Inneren erschütterte, veranlaßte ihn schon damals, Österreich zu verlassen, damit das Haus in Salzburg, das ihm mehr bedeutete, als ein Heim. Mit dem Jahre 1933 begann sein „heimatloses Wandern von einem Land zum anderen". Dann und wann erhielt ich eine Karte von ihm, die letzte aus England. Ich hatte ihm von Schweden aus nach Bath geschrieben. In der Antwort an meine schwedische Ferienadresse mahnte er mich, der dunklen Mächte zu gedenken, denen wir jetzt in Deutschland ausgesetzt seien. Es war sein letzter Gruß an mich. — Erst in den trüben Februartagen des Jahres 1942 hörte ich wieder seinen Namen. Es war eine traurige Nachricht, die der Londoner Sender brachte: die Mitteilung vom Tod des Dichters im fernen Brasilien.

Die Illtistrdtl iien ieįes Artikeßchen, erschienenen Werk: ,.Stefan Zweig — eine Tfißoiogßfynn ifa Friderike M. Zweig“ entnommen.

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