Der unbekannte Sohn des börgerlichen Franz Maximilian Prokesch, der als Verwalter der irischen Staatsgüter io Graz lebte und durch den Staatsbankerott von 1811 sein ganzes Vermögen einbüßte, verlor mit nenn Jahren die Mutter, mit sechzehn den Vaeer. Ad* die sterbliche Hülle des Ein und achtzigjährigen 1876 in der orientalischen Grabkapelle des St.-Leonhard-Friedhofes zu Graz beigesetzt wurde, trauerte Österreich um einen seiner besten und getreuesten Söhne, n den Feldmarschalleutnant Anton Graf Prokesch-Osten, Träger höchster Ehrungen fdarunter Doktor honoris causa der Grazer Universität) and Auszeichnungen vieler Staaten, Gelehrten und Schriftsteller von WeW.
Iii dem Schüller von Metternich und Gentz sehen wir einen Mann großen Formats, der mitbestimmend war bei der Gestaltung der Geschichte und von sich sagen konnte, er verdanke seinen Aufstieg, seine Erfolge, sein Ansehen eigener, von Klugheit und Geduld gelenkter Kraft und eigener Leistung. Er betrachtete, von selbstdiktiertem Müssen und einem starken Wollen geleitet, sein Leben als einen Auftrag, als eine Berufung, als ein Gebot, sich für ein hohes Ziel einzusetzen. Wo iRKDcr das Sdhicksad Jm hi-nstdite, Acts Posten als ein Ganzer, der die Straße auferlegter Pflicht geht, das innere Auge stets nach vorwärts . gerichtet. Vor Hindernissen kapitulierte der von einer festen Gesinnung Durchdrungene nie; er reifte an den Widerständen, wobei zunehmende Schwierigkeiten sein Selbstvertrauen stärkten. Er gehörte zu den Männern, die fem von falschem Ehrgeiz und vom t Jahrmarkt der Eitelkeiten wirken. Zu den Männern der Tat, die ein unbezähmbarer Trieb zu schöpferischer Arbeit beseek, an denen alles bejahend ist. Was er anpackte, machte er gründlich. Geradlinig verlief sein Weg, frei von jedem Strebertum.
Dieser von seltener Durchgeistigung getragene Vollmensch zeigte schon in der Jugend außerordentliche, nicht einseitige Veranlagungen. War er doch, durch ein ungewöhnliches Gedächtnis unterstützt, für Sprachen, Poesie, Mathematik und Geschichte gleich hervorragend begabt und lernte, von einem unheimlichen Wissensdurst getrieben, mit leidenschaftlichem Eifer, wobei sein Blick für das Wesentliche und sein scharfe Urteilsvermögen Lehrer und Freunde in Erstaunen setzten. Zu diesen Lehrern zählte vor allen der hervorragende Historiker und Pädagoge Professor Julius Franz Schneller, der das Augenmerk des dankbaren Schülers auf alles Schöne und Edle lenkte und sein tiefes Verständnis für alte Sprachen sowie für ästhetische Fragen planmäßig zu intensivieren verstand. Er lehrte ihn Geschichte als Vergangenheit und Voraussetzung der Politik; sie wurde dem Hellhörigen, der sich an hohen Beispielen zu schulen wußte, ein Lehrbuch, das vorwärts und nicht rückwärts weist. Durch Schneller wurde Anton Prokesch jener Repräsentant liebenswürdig vollendeter Umgangsformen, dessen Geschmacksveredlung und umfassende Bildung alle, die mit ihm in nähere Berührung kamen, schätzten und bewunderten.
In dem einem starken Kraftpol gleichenden, bis ins hohe Alter hinein eine erstaunliche Vielseitigkeit am den Tag legenden Prokesch drängte alles ungestüm vorwärts. Die kriegerischen Ereignisse der Kindheit — Graz war dreimal von den Franzosen besetzt und das Vaterhaus hatte E'nquartierung der Generalität — hinterließen nachhaltige Eindrücke und entflammten das österreichertum in ihm, dem er zeitlebens hingebungsvoll diente. So wurde aas
dem Juristen der Kekisdv Theodor Kömer, der im Infanterieregiment Nr. 59 General von Yordis als Fähnrich gegen Napoleon kämpfte, verwundet wurde und sich nach Beendigung des Feldzuges für den Soldatenberuf entschied. Durch seine ungewöhnlichen Kenntnisse wurde bald der Generalstab auf den jungen Leutnant aufmerksam und Erzherzog Karl, der Sieger von Aspern, kommandierte ihn als Ordonnanzoffizier zu seinem Stab. Wenn auch seine Haupttätigkeit nicht auf militärischem Gebiet lag, trug er doch bis zum Tod die Uniform. Seine Karriere vollzog sich sprunghaft und doch in geradliniger Folge und Selbstverständlichkeit. Eingehende Studien der Kriegswissenschaften, besonders der Kriegsgeschichte, legten den Grand für Arbeiten auf
diesem Gebiet. Es seien nur genannt „Die Schlachten von Ligny, Quatre-Bras und Waterloo“, „Der Feldzug des österreichischen Hilfskorps in Rußland 1812“ und „Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Feldroar-scbaills Fürsten Karl zu Schwarzenberg“, eine nach überlegenen Gesichtspunkten gezeichnete Biographie, die den entsdleidenden Anteil Österreichs an den Befreiungskriegen herausarbeitete. Als Ordonnanzoffizier des Hofkriegspräsidenten Fürst Schwarzenberg wird der unermüdlich Lernende, der stets das Letzte aus sich herausholte, wegen seiner Sprachkenntnisse mit dem politischen Referat betraue. Eine für ihn wie geschaffene Aufgabe, die Einblick in die entscheidenden Zusammenhänge großen Geschehens ermöglichte, den Weg zu den „Prominenten“ des öffentlichen Lebens ebnete und seine Laufbahn als Staatsmann vorbereitete. Der ganze Mensch in ihm aber wurde erfaßt durch eine einjährige Urlaubsreise in den vorderen Orient. Man besuchte Korfu, Griechenland, Kreta, die Zykladen, Troja und die Levante, erlebte in heiligem Schauer die Antike, ' deren imposante Geschlossenheit man, trunken von Begeisterung, in sich hineinsog. „Welch ein Land! Nein, es ist kein Traum, keine Ausgeburt der entglühten Phantasie, kein Wahn, womit das darbende Herz in der Wüste des Lebens sich stärkt, was ich sehe, fühle und wovon das Innerste meiner Seele ergriffen ist. Dieses Land konnte, mußte die Wiege des Größten, Besten und Schönsten sein, was der Mensch erreichen sollte. Diese Milde des Himmels, diese wunderbare Stille der Nächte, die großen Massen der Berge und unendlichen seltsamen Formen der Inseln und Gestade, diese reiche Zeugung des Bodens müssen das Volk zum Dichter machen.“ Und der Empfängliche wird zum Lobredner Homers: „Man sollte den Sänger von Chics nirgends anders lesen als auf griechischem Boden, wenn man von seiner Zauberkraft ganz durchdrungen werden will. Er war mir einst wenig und Ossdam galt mir mehr. Jetzt aber und hier durchzittert mich Schauer, wenn ich durch die riesigen Hallen seiner Gesänge wandle; wie die Natur selber schafft, so scheinen mir seine Bilder geschaffen. Er steht vor meiner Seele wie der olympische Zeus.“ Auch die Wun-derwelt Ägyptens tot sich ihm auf, die er m lebendig-stimmungsvollen Briefen zu schildern weiß. Da heißt es von dem vielgerühmten Thebä: „Schweigen der Wüste, des Todes lag darüber. Schweigen und Nacht. In solchen Augenblicken ist der Wandel des Lebens und der Zeit näher an das Auge gerückt. Die Geschichte selbst wird enge, wo man ihre Grenzen sieht. Der Abgrund, in den die Vergangenheit, im Verhältnis, als die Zeit vorrückt, versinkt, ist gleichsam aufgetan und man steht an der Pforte.“ Doch nicht genug damit. Der Wissensdurstige befaßt sich auch eingehend und systematisdi mit dem Studium altägyptischer Denkmale, deren Kenntnisse er wertvoll bereichert. Er
ist auf dieser Reise auch cEplomatisch“ tätig. Ober seine' Vorzüge äußerte sich Friedrich Gentz wie folgt: „Prokesch ist ein Diamant reinsten Wassers, eines der seltenen Genies, die sich plötzlich, fast ohne Zwischenstufen, zum höchsten Grade, der Brauchbarkeit erheben. Was aus diesem Menschen m zwei Jahren geworden ist, erscheint mir wie ein Wunder. Der Fürst (Schwarzenberg) und ich staunen, so oft wir seine Berichte und Briefe leseri. Was er in Alexandria geleistet, in zehn verschiedenen Fächern geleistet, grenzt ans Fabelhafte.“
Für diesen universellen Geist gab es kein geruhsames Verweilen. Als Zweiunddreißig-jähriger wird er als politischer Beobachter nach“' Smyrna geschickt und gleichzeitig zum Chef des Generalstabes der Eskader ernannt, als der er sich durch die Bekämpfung der Seeräuberei große Verdienste erwarb. Aber sein ureigenstes Feld war die Diplomatie. Zunächst gelang es seinem politischen Scharfsinn und seiner taktischen Geschicklichkeit, das Ansehen Österreichs im Orient bedeutend zu festigen. Auch in Italien arbeitet er in einer äußerst kritischen Periode für kurze Zeit mit großem Erfolg. Auf seinen Rat hat der Heilige Vater die Garde des Vatikans aus der Schweiz rekrutiert. Mit fünfunddreißig Jahren erhält Prokesch das Adelsprädikat „von Osten“ und geht als designierter Gesandter und bevollmächtigter Minister nach Athen. Der bald als Spezialist ffir orientalische Angelegenheiten Geltende hat an der Selbständigkeit Griechenlands einen gebührenden Anteil und leitet von Athen aus auch che Geschäfte Österreichs in Ägypten. Von wahrer Menschlichkeit durchdrungen, bemüht er sich, oft unter persönlichen finanziellen Opfern, am die Milderung des bedauerlichen Loses der Sklaven. Daß er anläßlich Reise noch Palästina
in den Orden vom Heiligen Grabe v aufgenommen wurde, soll in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden.
Was Prokesch auf dem glatten Parkett der Diplomatie erreichte, verdankte er nicht zuletzt seiner Begabung, politische Dinge gewissermaßen unpolitisch zu betrachten. Das w*r das Geniale, das Intuitive in ihm, das
Künstlerisch-Schöpferische, aas afles Hemmende, alles Unproduktive instinktiv and doch bewußt fernzuhalten verstand. Für den Geradlinigen gab es nichts Problematisches; er kannte nichts Unentschiedenes, liebte, aus seiner Weltkenntnis heraus, Klarheiten. Österreich brauchte solche Menschen besonders dort, wo heikle und schwierige Fragen zu beantworten waren. Felix Fürst Schwarzenberg, der Chef des Wiener Kabinetts, sandte daher seinen inzwischen zum Feldmarschalleutnant vorgerückten und in den Freiherrnstand erhobenen Gesandten in Athen im Jahre 1849 nach Berlin, um dort österreichische Politik zu machen. Was Prokesch über diesen Auftrag dachte, spiegelt ein an seine Frau gerichteter Brief wieder: „Es ist kein Zweifel, daß es auf Erden keinen unangenehmeren Posten für mich geben kann als Berlin. Das Klima elend, die Menschen anmaßend, der König nicht der Reiter, sondern das Pferd. Salonoberflächlichkeit allüberall. Es handelt sich nicht mehr um Schleichen und Beugen; es handelt sich um Aufrechtstehen und ohne Anmaßung, I aber offen zu reden.“ Aber der in vielen Sätteln Gewandte hatte auch an der Spree Erfolg. Er vermochte den 1850 vor dem Ausbruch stehenden Krieg zwischen seinem Vaterland und Preußen zu verhindern. Begreiflich, daß er in Berlin nicht beliebt war und sogar mit unverhohlenem Haß verfolgt wurde, weshalb er sehr zurückgezogen lebte und sich nur selten in der Öffentlichkeit zeigte. Entschädigung brachten der anregende Verkehr mit Alexander von Humboldt, dem Bildhauer Rauch und Bettina von Arnim. Mit dem Tode Schwarzenbergs änderte sich die Lage grundlegend; Bismarcks Einfluß gewann die Oberhand. Über die preußische Politik schrieb Prokesdi im Jahre 1852: „Preußen an die Spitze von Deutschland und aus dem Bundesverhältnis heraus, das ist Bismarcks leitender Gedanke . .. diese Politik ist keine zufällige; sie geht aus der unvollendeten Natur dieses Staates hervor, der nur auf Kosten Österreichs erwerben kann. Sie empfing seit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. nur eine beschleunigte Bewegung und den
Charakter wnstaatsmäTmischer UhgeduRf“' Prokesch zog die Konsequenzen und ging als Bundespräsidialgesandter nach Frankfurt am Main, wo er mit äußerster Willenskraft den Deutschen Bund zu erhalten versuchte, den Bismarck sprengen wollte. Ais es aber dann im Orient neue Probleme zu lösen galt, wurde er als Internuntius nach Kon-stantinopel berufen, um dort 1867 Botschafter zu werden. Nach dem Tode des Großwesirs Ali Pascha erbat er — man schrieb das Jahr 1872 — seine Entlassung. Der Kaiser erhob ihn für sechzigjährige treue Dienste in den Grafenstand. Die letzten Jahre verbrachte der sich in Österreich wegen der überhandnehmenden Verfallserscheinungen immer mehr vereinsamt Fühlende in Graz. Größere Reisen — nach Italien, Frankreich, Spanien und Nordafrika — unterbrachen in anregender Weise seinen ansonsten ruhigen Lebensabend. Er flüchtete zu den Historikern der Antike, zu seiner geliebten Numismatik und in die Philosophie. Seine alten Freunde waren längst gestorben: Erzherzog Karl und Fürst Karl zu Schwarzenberg, dann der Herzog von Reichstadt und Johann Graf Paar mit dem Goethe in Karlsbad viel verkehrte; Professor Schneller und Karoline Pichler, deren Wiener Haus Sammelpunkt künstlerischer und geistig interessierter Kreise war. Und vor allem seine geliebte Frau Irene, die Tochter des Wiener Hofrates und Musikschriftstellers Kiesewetter von Wiesenbrunn, mit der Franz Liszt gerne vierhändig spielte.
Dem Schriftsteller und Dichter räumt die Literaturgeschichte einen ehrenvollen Platz ein. Immer auf die großen Zusammenhänge hinarbeitend, suchte Prokesch von hoher Warte das Allgemeine. Warme Menschlichkeit und formale Beherrschung zeichnen seinen Stil aus. Bei seinen Arbeiten leisten die umfangreichen Sammlungen von Auszügen willkommene Unterstützung. Wer sich über Alt-Wien informieren will, wird in den mit Sorgfalt geführten Tagebüchern reiche Anregungen finden. Hochinteressant
cfie durchlebten and durchfühlten Reise-
bücher (darunter eine Monographie Nu-biens), die einen neuen Stil begründeten, sowie seine „Briefe“, die ebenso stimmungsvoll, als lehrreich gehalten sind. Der Historiker wird gerne zu seinen vielen, durch ihre Klarheit bestechenden Biographien („Schwarzenberg“, „Der Herzog von Reichstadt“, „Mechmed-Ali von Ägypten“) und zu den verschiedenen Abhandlungen.' (so zur „Geschichte des Abfalles der Griechen vom türkischen Reich“) greifen, deren Schreibweise von Kennern mit der des Thukydides verglichen wurde; der Archäologe und Numismatiker (Prokesch war Mitglied der kaiserlichen Akademien der Wissenschaften von Wien und Berlin) zu seinen tiefschürfenden Studien. Auf seinen Forschungen in Troja und Mykenä baute später Schliemann auf. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß die Gestalt des Fürsten Metternidi durch Prokesch in ein von der gewöhnlichen Auffassung vollkommen abweidendes Licht gerückt wurde. Von feiner dichterischer Intuition zeugen seine zahllosen Feuilletons und die sprachschönen bildhaften Gedichte sowie die klugen Aphorismen. Sein größtes Erlebnis war der Besuch bei Goethe in Jena. „Mit ihm durchfuhr ich die Gegend; an seiner Seite besuchte ich die Kabinette und Büchersammlungen; in seinem Garten lebte ich mit ihm, teilte mittags und abends seine ländliche Tafel. Mit kindlicher Heiterkeit zeigte er mir einige Versuche, die auf den dritten Teil der Morphologie Bezug haben; wir sprachen über seine Jugend, seine Schöpfungen, seine Verhältnisse. Bis gegen Mitternadit las er mir aus seinem Diwan; dann schloß er mich in seine Arme, und ich schied. Von diesem Manne umarmt! Ich gebe die seligste Umarmung der Liebe dafür.“
Daß Prokesch auch dieser Begegnung s o standhielt, spricht für seine Bedeutung. Er gehörte eben zu jenen Bekennern, die Menschliches menschlich begreifen und den Ausdruck einer natürlichen Begabung zu finden wissen. Er war ein Wesentlicher.