6703235-1963_40_09.jpg
Digital In Arbeit

RINGSTRASSENSYMPHONIE

Werbung
Werbung
Werbung

Der erste Weihnaclitsfeiertag des Jahres 1857 ist angebrochen.

Noch liegt der Wiener in seinem Bett und zieht mit wohligem Behagen den himmlischen Geruch von Tannengrün und Kerzenwachs des Christbaums, der im Nebenzimmer steht, durch seine Nase. Dann läutet er und bekommt Frühstück und Zeitung. Und da liest er gleich am Beginn der ersten Seite:

Seine k. k. Apostolische Majestät haben bezüglich der Erweiterung der inneren Stadt Wien nachstehendes Allerhöchstes Handschreiben an den Minister des Inneren zu erlassen geruht;

Lieber Freiherr von Bach!

Es ist Mein Wille, daß die Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen and hiebet auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen wetde. Zu diesem Ende bewillige ich die Auflassung der Umwallung und der Fortifikationen der inneren Stadt sowie der Graben um dieselbe."

Die Wirkung dieser Nachricht auf die Wiener war ungeheuer und je nach Alter und Beruf, Lebenseinstellung und Temperament völlig verschieden. So legt zum Beispiel der Dichter Franz Grillparzer die Zeitung verärgert aus der Hand und schreibt:

,,Wiens Wälle fallen in den Sand;

Wer wird in engen Mauern leben?

Auch ist ja schon das ganze Land

Von einer chinesischen umgeben.“

Hans Jöigl aber — der Nachfolger Eipeldauers — bejubelte in seinem Blatt das. Christkindlgeschenk der Stadterweiterung und meint: ,,Wien wird endlich das werden, was es schon längst sein könnte! Deutsch-Paris, damit die Deutschen nicht mehr dorthin zu laufen brauchen, wenn sie eine Weltstadt sehen wollen.“ Polizeiminister Kempen hingegen vermerkte in seinem Tagebuch am 20. Dezember 1857: „Heute entschied der Kaiser über die schon lange in Verhandlung stehende Stadterweiterung Wiens Die Wälle werden fallen, die Gräben sich füllen. Alle Republikaner jubeln, die Zeitungen streuen dem Kaiser Weihrauch für diesen Akt; ich aber glaube, daß Habsburgs Zukunfts- sprosien, diese Übereilung bedauernd, richtiger richten werden.“ Die Debatte über die Stadterweiterung war eröffnet, um bis zum heutigen Tage nicht mehr zu verstummen.

Nur zehn Tage später, am 5. Jänner 1858, versetzte die Nachsicht vom Tode Vater Radetzkys alle Gemüter in Aufregung. Wie ein Abschiednehmen der alten von der neuen Zeit mutete es an. Als ob der greise Marschall noch schnell vor Torschluß in die Ewigkeit einrücken wollte!

Die Beteiligung an der Stadterweiterungskonkurrenz war ungeheuer; Bis Ende Februar 185 8 meldeten sich nicht weniger als 42ė Bewerber aus’aller Herren Länder . Wien war zum Städte-, ‘Mekkä d. Welf geworden, feit brennendem Interesse verfolgte die Öffentlichkeit alle Geschehnisse der Stadterweiterung. Eine rege publizistische Kampagne setzte ein. Die tollsten Vorschläge aus Fach- und Laienkreisen wurden gemacht. So riet zum Beispiel jemand, den Stadtgraben nicht zu verschütten, sondern einzuwölben. Dieser rings um die Innenstadt führende Riesentunnel sollte in der Mitte eine zweigeleisige Bahn für Schienenfuhrwerke und an den Seiten, mit Ausnützung der vorhandenen Kasemattenräume, Markthallen und Magazine enthalten. Der gar nicht schlechte Einfall eines Praktikers.

Weniger praktisch war die Idee eines Politikers, der vorschlug, im Zuge der Stadterweiterung müßte Wien, als Metropole eines Vielvölkerstaates, für jede einzelne Nationalität ein eigenes Viertel bauen, in dem sich der zu Besuch in Wien weilende Angehörige derselben wie zu Hause fühlen könnte. So sollte beispielsweise in der Leopoldstadt, an den Gestaden des Donaukanals, das italienische Viertel mit Seufzerbrücken und Kanälen ä la Venedig, Seefischmärkten, Spaghetti- und Chiantihallen entstehen. Der heute noch erhaltene „Dogenhof“ in der Praterstraße erinnert an dieses Vorhaben.

Am letzten Tag des Jahres 1858 wurde das Resultat des großen Wettbewerbes veröffentlicht. Als Sieger gingen hervor: die Architekten Ludwig Förster, Siccardsburg und van der Nüll und Friedrich Stäche.

Im Erstgenannten, der 1797 in Bayreuth geboren wurde, lernen wir den entscheidenden Vorkämpfer des Stadterweiterungsgedankens und einen Mann kennen, dessen Bedeutung für Wien in baugeschichtlicher Beziehung noch lange nicht genug gewürdigt ist. An der Zeiten Wende stehend, wird Ludwig Förster nicht nur als schaffender Architekt Mittler zwischen Alt- und Neu-Wien, sondern in der Ausgewogenheit seiner Persönlichkeit sehen wir aufs glücklichste die Synthese des reinen Baukünstlers und Technikers vollzogen. Er, der schon im Vormärz mehr als einmal Vorschläge für eine Stadterweiterung machte, allerdings noch mit Beibehaltung der Festungsmauern, erhebt im Augenblick, da diese fallen, von neuem seine Stimme und beteiligt sich natürlich an der Konkurrenz. Försters preisgekrönter Entwurf kommt, besonders was die Lage der Ringstraße betrifft, dem tatsächlich ausgeführten Plan am nächsten. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Projekten führt Förster die Ringstraße nicht dicht am Rand der Innenstadt, im Zug des alten Stadtgrabens, sondern verlegt sie ungefähr in die Mitte des Glacis. Er wird damit zum eigentlichen Schöpfer der Ringstraßenzone von heute.

Doch keiner der drei preisgekrönten Entwürfe wird unverändert angenommen, sondern aus allen durch eine gemischte Kommission ein neuer Plan erstellt, der im September 1859 vom Kaiser die Genehmigung erhält. Im kaiserlichen Handschreiben zur Erweiterung der inneren Stadt Wien heißt es unter anderem:

Lener Teil, der durch die Auflassung der Fortifikationen gewonnenen Area und Glacisgründe, der nicht einer anderweitigen Bestimmung Vorbehalten wird, ist als Baugrund zu verwenden, und der daraus gewonnene Erlös hat zur Bildung eines Baufonds zu dienen, aus welchem die dem Staatsschatz erwachsenden Auslagen, insbesondere auch die Kosten der Herstellung der öffentlichen Gebäude, bestritten werden sollen."

Dieser Passus läßt erkennen, auf welche Art und Weise der Bau der Ringstraßenzone finanziert wurde. Mit den durch den Verkauf der Fortifikations- und Glacisgründe gewonnenen riesigen Geldmitteln des Stadterweiterungsfonds — Heinrich Friedjung schätzt sie zuzüglich der Zinsen auf rund 220 Millionen Kronen — konnten bis auf den Ausbau der kaiserlichen Residenz tatsächlich alle großen Bauvorhaben verwirklicht werden. Ein Beweis dafür, daß die „Ringstraße“ sowohl ihrer finanziellen als auch ihrer architektonischen Konzeption nach nicht auf fürstlichem Mäzenatentum, sondern auf einem bürgerlichen Selbstgefühl beruht, das im ersten Jahrzehnt der Regierung Kaiser Franz Josephs I. infolge der rasanten Entwicklung des Wirtschaftslebens ganz gewaltig zugenommen hatte.

An einer Charakteristik der markantesten Ringstraßenbauherren läßt sich die gesellschaftliche Struktur und das kulturelle Antlitz der Gründer- oder Ringstraßenzeit vielleicht am deutlichsten erkennen.

An der Stelle des heutigen Hotels „Bristol“ befand sich die berühmte „Sirk-Ecke“, die zum Angelpunkt der Ringstraßenwelt werden sollte. Der Bauherr dieses vielleicht populärsten Eckhauses an Wiens prächtiger Straße war der aus Prag gebürtige Bankier Eduard Wiener. Er war unter anderem Präsident der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft und Großaktionär der Tramway-Gesellschaft sowie Gemeinderat. 1867 erhielt er den Orden der eisernen Krone dritter Klasse und damit den Ritterstand. Paragraph 21 der Statuten des Kronenordens besagte nämlich: ..Wenn der mit dem Orden der ersten Klasse begnadigte Ritter die wirkliche, geheime Ratswürde noch nicht besäße, so wird ihm diese unentgeltlich verliehen. Die Ritter der zweiten Klasse werden, wenn sie darum ansuchen, in den Freiherrn- und die Ritter der dritten Klasse in den Ritterstand taxfrei erhoben.“

Das gegenüberliegende Haus an der heutigen sogenannten „Meinl-Ecke“ und ein daran anstoßendes kleineres Palais gehörten dem berühmten Baron Jonas Königswarter. Er war der vielleicht hervorragendste Repräsentant eines bereits damals schon in sich gefestigten und einflußreichen Geldpatriziats. Sein hochachtbarer, unbeugsamer Charakter verschaffte ihm bei jedermann Ansehen und Respekt. Dieser Börsenfürst hatte einen glasklaren Verstand. In seiner Ausdrucksweise war er alles eher als vornehm, aber furchtlos und scharf; häufig von einem beißenden Witz und Spott, hinter dem sich aber immer eine ernste Meinung verbarg. Die Zahl seiner berühmten Aussprüche ist Legion. Eines Tages, als das Agio an der Börse sehr hoch gestiegen war, ließ der allseits verhaßte Polizeiminister Kempen von Fichtenstamm die führenden Bankiers zu sich kommen und drohte ihnen, falls es nicht besser werde, mit der Sperrung der Börse, worauf ihm Königswarter bedeutete: „Exzellenz, Sie kommen mir vor wie einer, den das schlechte Wetter ärgert, und der das Barometer zerbricht, damit wieder gutes wird:’ Trotz seines Reichtums lebte Königswarter einfach und bescheiden. ln seinem kleinen Palais am Kärntner Ring, das um 1907 in den Besitz von Katharina Schratt überging, versammelte sich in den sechziger Jahren des öfteren eine illustre Gesellschaft, in der jedoch im Gegensatz zu den meisten anderen Salons der Finanzaristokratie das schöngeistige Element fehlte. Der Persönlichkeit des Hausherrn entsprechend waren hier anzutreffen: die Börsen- und Finanzwelt, Staatsbeamte, namentlich aus der Himmelpfortgasse, Minister und solche, die es zu werden hofften, sowie Parlamentarier. Hier und da ein Hocharistokrat, der aber grundsätzlich ohne Gattin aufzukreuzen pflegte, um zu betonen, daß es sich lediglich um einen geschäftlichen Verkehr handle.

Ein völlig anderer Typus eines Geldbarons erbaute sich in der allernächsten Nähe des einstigen alten Kärntner Tores ein herrliches Palais, in dem sich heute das Hauptquartier der Österreichischen Volkspartei befindet. Es war der Großhändler und Bankier Eduard Todesco.

Der wahrhaft prunkvolle Neubau steht an der entscheidenden Grenzübertrittstelle zwischen Alt- und Neu-Wien. Hier mündete der enge Schlauch der Kärntner Straße, die seit damals um zehn Meter verbreitert wurde, ins Freie der erweiterten Stadt. Im Hauptstock des Gebäudes befanden sich die prachtvoll ausgestatteten Repräsentationsräume. Theophil Hansen, der weitaus bedeutendste unter den Ringstraßenarchitekten, schuf die reichen und schweren Plafonds, in die der Maler Carl Rahl seine Bilder hineinkomponierte.

Im Gegensatz zur unerbittlichen Strenge und Kaustik seines Kollegen Königswarter war Baron Eduard Todesco im privaten Verkehr die Gutmütigkeit selbst. Sein Haus zählte zu den gastfreundlichsten. Dessen Atmosphäre war überwiegend schöngeistig und wurde von der Frau des Hauses, einer geborenen Goinperz, bestimmt. Ihre Schwester, eine verehelichte Wertheimstein, führte in ihrer Villa in Döbling ein ebenso berühmtes Haus. Der gefürchtete Kritiker Eduard Hanslick schreibt in seinen Lebenserinnerungen:

„Im allgemeinen kein Freund von Soireen, habe ich doch zeitweilig mit Vergnügen in einigen ausgezeichneten Häusern verkehrt. Vor allem bei Todesco, Wertheimstein und Ladenburg. Sie gehörten zur Finanzaristokratie Wiens. Die Anziehungskraft ging natürlich von den Frauen aus. Man hat wohl nickt bloß in Wien die Wahrnehmung gemacht, daß in den Familien der großen Bankiers die Frauen und Töchter feingebildet, von anmutigem Benehmen und für alles Schöne empfänglich sind, während die Herren ihren Geist meistens nur für die Börse geschult haben und ausschließlich dort verwenden. Dies galt auch von den oben genannten Familien, deren Salons zu den umworbensten Wiens gehörten. Die Herren des Hauses störten nicht; genug, wenn sie freundlich gelaunt waren und steh nicht viel einmischten.“

Auf Baron Eduard Todesco ist das folgende Epigramm des Dichters Bauernfeld gemünzt: „Jedes Licht hat seinen Schatten, jede Frau hat ihren Gatten.“

Der neue Herr vorm alten Kärntner Tor war ein wahrer Meister in der Verdrehung von Fremdwörtern, die er mit Vorliebe gebrauchte. Auch sein klassischer Aufschiei: „Bin ich denn ein Vogel, daß ich an zwei Orten zugleich sein kann“, hatte seinerzeit ganz Wien erheitert. Ein Witzblatt, der „Floh“, be-

nutzte dies zu einem Erpressungsversuch und brachte, da sich Todesco zu zahlen weigerte, unter der Rubrik „Todesciana“ fortlaufend dessen sprachliche Entgleisungen. Eines Tages wurde das Todesco zu dumm und er erklärte sich zu einer Zahlung bereit. Jedoch die Redaktion des „Floh“ ließ den Herrn Baron wissen, er wäre zur Zeit ihr bester Mitarbeiter, den sie sich um keinen Preis abkaufen lassen könne. Als Hanslick einmal im Gespräch mit dem späteren Minister Josef Unger meinte, Todesco müsse doch trotz alledem Verstand haben, meinte Unger: „Der Mann hat den Verstand eines Indianers. Er legt sich mit dem Ohr auf die Erde und hört schon von weitem die Kurse traben.“

Erzherzog Ludwig Viktor, der jüngste der kaiserlichen Brüder, war der erlauchtetste unter den Bauherren an Wiens prächtiger Straße. Er hauste am Schwarzenbergplatz, im späteren Militärkasino. Hier versuchte sich der Baubaron Heinrich Ferstel zum erstenmal an der Ringstraße. Seinem Schaffen waren dabei ganz bestimmte Grenzen gesetzt. Denn der Schöpfer des Schwarzenbergdenkmals, der Dresdener Bildhauer Julius Hähnel, stand bei den allerhöchsten und höchsten Stellen sehr in Gunst und setzte es durch, daß die sein Werk umgebenden Bauten bezüglich Höhe und Proportion auf dieses hin ausgerichtet werden mußten.

Die Baublockdimension schlägt Heinrich Ferstel mit dem Palais Ludwig Viktor an. Das zweite Haus, in der Achse mit dem Denkmal, springt ehrerbietig zurück, während sich der daran anschließende Bau der Staatseisenbahngesellschaft wieder nach dem erzherzoglichen Palais richtet. Echogleich antwortet die Gegenseite. Und so verdankt der Städtebau der Bildnerei das Werden eines Platzes von seltener Einheitlichkeit und beispielloser Disziplin. Diese Tat Hähnels ist bedeutungsvoller als sein eigenes Werk, das unter den großen Denkmälern der Ringstraßenzone das weitaus schwächste ist.

Für den Hoch- und Deutschmeister Erzherzog Wilhelm ließ der Deutsche Ritterorden durch Theophil Hansen ein prachtvolles Palais erbauen, in dem sich heute das Polizeipräsidium befindet. Der edle Hausteinbau ist ein ganz kostbarer architektonischer Edelstein im Schaufenster der Ringstraße. Als letzter residierte hier die überragende und wahrhaft fürstliche Erscheinung des Erzherzogs Eugen. Das andere Eckhaus zur Zedlitzgasse gehörte dem Herrenhausmitglied und Geheimen Rat Nikolaus Dumba. Seine Stellung im Wiener Kulturleben war ganz einzigartig. Nikolaus Dumba entstammte einer griechischen Familie. Er war einer der wenigen, die nicht um eine Standeserhöhung angesucht hatten, obgleich er mit Ehren und Würden überschüttet wurde. 1885 wurde er als lebenslängliches Mitglied ins Herrenhaus berufen, 1896 anläßlich der Enthüllung des Mozartdenkmals zum Geheimen Rat ernannt. Der Kunstfreund war in Dumba stärker als der Finanzmann. Eduard Hanslick sagte von ihm:

„Obgleich Privatmann, wird er doch überall gesucht und gefunden, wo man einer gewichtigen Stimme und einer erfahrenen Hand bedarf. Er ,sitzt nicht bloß vor, sondern arbeitet in der Direktion der Gesellschaft der Musikfreunde, des Wiener Männergesangvereines, des Kunstvereines, des Gewerbemuseums und wo nicht sonst! Handelt es sich um die Konkurrenzausschreibung für ein Monument, überall ist Dumba die organisierende und stetig arbeitende Kraft,.. Seine Künstlernatur hat ihn niemals zu unpraktischen Vorschlägen verleitet, überall repräsentiert er den gesunden Menschenverstand, das richtige Maß, den klaren Ausdruck. Woher der vielbeschäftigte Landtags- und Reichsratsabgeordnete, Fabrikbesitzer und Landwirt noch die Zeit nimmt zu allen jenen freiwillig übernommenen Arbeiten, das ist sein Geheimnis, oder richtiger sein Talent.“

In der bürgerlich-privaten Ringstraßenzone zwischen Wollzeile und Babenbergerstraße fand in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Generalprobe zur großen Galapremiere statt, die fünfzehn Jahre später am Franzensring abrollte und in der gewaltigen Trias von Rathaus—Parlament—Universität gipfelte. Zwischen der Babenbergerstraße und der Wollzeile bereiten sich nicht nur die Architekten, sondern auch das gesamte Bau- und Kunstgewerbe auf die kommenden großen Aufgaben vor. Hier versuchten sich nicht nur die berühmten Baubarone, wie Hansen, Schmidt und Ferstel, sondern auch die niederen „Ritter vom Ringe“, wie Romano, Schwendenwein, Förster, Fellner, Schlaf, Tietz und Zettel.

Von den drei Großen erweist sich bereits in der Frühzeit der Ringstraße der in Dänemark geborene, hellenische Wahlwiener Theophil Hansen nach Quantität und Qualität als der bedeutendste. Sein Heinrichshof, das DeutschmeisteTpalais und das Musikvereinsgebäude gehören dieser frühesten Epoche im Werden der Ringstraße an.

Nächst Hansen ist in der Ringstraßenzone der um fünfzehn Jahre jüngere Schüler von Siccardsburg und van der Nüll, Heinrich von Ferstel, am stärksten vertreten. Dieser einfühlungsbegabte Wiener Künstler versucht sich im Gegensatz zu Hansen und Schmidt in fast allen Stilarten, und seine schillernde und verbindliche Persönlichkeit hat die Mitwelt am meisten fasziniert. Dem Urteil der Nachwelt aber erscheinen die eigenwilligen und kraftstrotzenden Naturen, wie Hansen oder Schmidt, als die bedeutenderen. Das Erstlingswerk des erst fünfundzwanzigjährigen Ferstel, die Votivkirche, wird auch sein Meisterwerk. Trotz aller Nachahmung der französischen Kathe- dralgotik ein Bau, erfüllt vom Geist und Wesen seines Schöpfers. Eine Kathedrale der Liebenswürdigkeit, die mit ihren weißen, wie aus Spitzen geklöppelten Turmhelmen über Wiens Dächer hinweg dem großen ernsten Bruder von Sankt Stephan zulächelt. Ein echtes Wienerkind im gotischen Gewand.

Der Dritte im großen Dreigestirn der Ringstraßenklassiker ist der Schwabe Friedrich Schmidt. Der einstige Steinmetzgeselle vom Kölner Dom wird schließlich Dombaumeister von Sankt Stephan und bleibt sein Leben lang der Gotik treu. Köln, Mailand und Wien sind die Etappen seines Lebens. Das Rauschen von Rhein und Donau und der blaue Himmel Italiens formen an seinem Wesen. Seine Stellung auf dem Gebiet des Kirchenbaues ist unbestritten Allein in Wien erbaut er deren sieben! Weit schwieriger jedoch war seine Stellung als Gotiker in den Bereichen des Profanbaues. Der damalige, ganz den Idealen der Renaissance ergebene Zug der Zeit befürchtete, daß mit der Gotik der finstere Geist des Mittelalters auf die Ringstraße verpflanzt werden und der heitere, lebensfrohe Sinn der Wiener darunter Schaden leiden könnte.

Von den 55 Privatbauten, die im Sektor zwischen der Babenbergerstraße und der Wollzeile die Ringstraße säumen und die alle in den sechziger Jahren errichtet wurden,

gehörten: zwei Mitgliedern des Kaiserhauses, zwei Fürstlichkeiten, fünf Aristokraten, acht Bürgerlichen und die überwältigende Mehrheit von 3 8 Großhändlern, Bankiers und Industriellen.

In dieser lebensvollsten Zone der Ringstraße konnte man den Rhythmus der werdenden Großstadt am deutlichsten wahrnehmen. Bei allem Eklektizismus und einer sich deutlich anbahnenden Dekadenz, unter deren Zeichen die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts stand, zeichnete sich die Frühzeit der Ringstraße noch durch einen ganz ursprünglichen und hinreißenden Elan aus. Von des Gedankens Blässe noch nicht angekränkelt ging der Mensch der sechziger Jahre unbeirrt von allem und voller Optimismus seinen Weg. Einer fast ununterbrochenen Folge von verheerenden Schicksalsschlägen für Staat und Dynastie stand ein kaum faßbares „Wirtschaftswunder“ gegenüber, das alles Negative jener Epoche vergessen ließ und damit zur Wurzel des sagenhaften Begriffes der sogenannten „guten alten Zeit“ wurde. Deren architektonisches Denkmal ist die Ringstraßenzone zwischen der Babenbergerstraße und der Wollzeile, mit dem Herzstück der Opernkreuzung, an der heute noch wie damals der Pulsschlag Wiens am deutlichsten zu spüren ist.

Aus dem im Herold-Verlag erschienenen Buch ,,Es ist Mein Wille“, dem ersten

Teil der „Ringstraßen-Symphonie“, von Fred Hennings.

rijeater-Tiau0orönung des h. h. prio. Theaters a. d. Wieden im Jahre 1794.

1.

Es hat jeder Herr Acteur beim Eintritt in die Garderobe den Hut abzunchmen, und fich foroohl gegen den Herrn Direhteur, als gegen das Frauenzimmer, mit Anftand zu betragen.

2.

Jedes Mitglied ift oerbunden, jede Woche eine große oder zwei mittlere Rollen zu liefern. Doch hieoon machen äußerft fchroere Hauptcbaractere eine Ausnahme.

3.

Keinem Mitglied ift erlaubt, oorfebliche Zufätje oder Ab Änderungen in feiner Rolle zu machen, oder unfchichlichcs Theaterfpiel anzubringen. Jedes muß fich vielmehr lediglich an die Äusdrüche halten, die ihm oon dem Autor oorge fchrieben, und r on der h. h. Theaterzenfur gutgeheißen morden find. Der Übertreter zahlt den achten Theil feiner wöchentlichen Gage, cs fey denn, es märe zuoor dem Herrn Direhteur gemeldet, und non felbem gutgeheißen morden.

4.

Jedes Mitglied ift oerbunden, menn ihm nom Herrn Direhteur gründlich dargetan mird, daß er (eine Rolle, oder einzelne Stellen darinn nerfehle, fie Io auszuführen, rote fie ihm nom felben angegeben werden.

5.

Ingleichen fich zu jeder Rolle nach der erhaltenen Vor fchrift zu hleiden, es fey non eigener oder Theatergarderobe, und im letjteren Fall hein anderes Kleid zu oerlangen, als dazu beftimmt ift.

Dasjenige MitgŲpd, roeJchcs durch Zanh -und empfind liehen Wortmechfel, foroohl bey den Proben, als unter den Vorftellungen die Spielenden beunruhigt, und irre macht, oder zu jeder anderen Zeit auf dem Theater einen Streit oder Zanh erhebt, und auf die erfte Warnung des Herrn Dirchteurs fich nicht ruhig oerhält, oerfällt das erftemal in eine Strafe oon 2 fl., das zroeytemal in eine Strafe oon 4 fl., das dritte Vergehen hebt das Engagement auf.

7.

Keinem Mitglied ift erlaubt, ohne die Erlaubnis des Herrn Direhteurs über Nacht auszubleiben. Auch ift es höchft nöthig, da man nicht alle Fälle oorausfehen hann, daß jedes Mitglied bey feinem Ausgang bey Tage, zu Haufe die Nachricht hinterläßt, roo es bey einem unoermuteten Vorfall zu treffen fey.

8.

Kein Mitglied hat an öffentlichen Örtern roeder über den Herrn Direhteur, noch über ein Glied der Gefellfchaft nach theilig zu reden. Auch roeder den Namen, inneren Werth, noch eine Handlung eines neuen Stüches auszuplaudem, welches jederzeit zum Schaden des Dirchteurs feyn muß. Im Fall diefes Vergehens, ift cs feines Engagements oer luftig.

9.

Keinem Mitglied ift erlaubt, roeder auf das Noble Par terre noch in eine Loge (und roenn auch das Mitglied felbft oder eine fremde Perfon den Eintrittspreis zahlen wollte) zu gehen, weil fie ihren angeroiefenen Plaz (die Gallerte) haben. Jedoch ift diefer Plaz nur inforoeit eingeräumt, roenn noch leere Plätze übrig find. - Auch foll fich’jedes Mitglied allda ruhig oerhalten, und roeder durch unfchichliches Ge lächter, oder lautes Plaudern die Spielenden irre machen, noch jene, fo das Stiich leben roollen, ftören, auch aller höhnifchen Krltih fich enthalten.

10.

Jedem Mitglied ift erlaubt, einen Dienftboten zu feiner Bedienung mitzunehmen, und fobald daß das Stiich feinen Anfang genommen, ift dem Dienftboten, auf Vorzeigen eines ßillets, meldies Nachmittags um 3 Uhr bey dem Herrn Direhteur abzuholen ift, auf den zroeyten Plaz zu gehen erlaubt.

11.

Da die Garderobe eigentlich nur für den Erholungsplaz derjenigen Herrn, Acteurs und Ahtrizcn, welche unter dem Aht freye Semen haben, dienet, fo roird, um alles zu hin dem, roas die Säubrigheit des Orts oermindern hönnte, das Einpudem, und befonders das Schuheputjen allda bey 20 hr. Strafe oerbothen.

12.

Die Strafgelder werden in einer oerfperrten Büchfe bey dem Theater Controlor aufberoahrt? und follen zur Unter ftiitnmg reifender Schaufpieler, die roeniqftens oon einem Mitglied als würdige Menfchen, die der Bühne heine Schande machen, anempfohlen werden, beftimmt feyn.

13.

Der Gefetigeber, Herr Emanuel Schihaneder, Direhteur diefes Theaters, fchließt fich felbft oon heinem diefer an gefefiten Punhte aus, und oerfpricht hiemit jedem Mitglied, das diefe Gefeze erfüllt, feftes jährliches Engagement.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung