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THEATRUM MUNDI

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Die Verwischung der Grenzen zwischen „Schein“ und „Sein“ griff im Barock auf das ganze Leben über. Barockes Lebensgefühl und Theater gehörten wesenhaft zusammen. Alles wurde zu einem Theater: Gottesdienst und Staatsaktion, Hochzeit und Begräbnis, Unterhaltung und Spiel, Jagd, ja sogar der Krieg. Zu besonders schönen Belagerungen ergingen Einladungen. Jedes Zusammentreffen von Menschen wurde theatralisch gestaltet. Unaufhörlich zogen kilometerlange Aufzüge über die Plätze und Straßen, die von einer dichten, schaulustigen Menge erfüllt waren. Im Jubel der Statisterie des Volkes fühlten sich die Hauptakteure des barocken Welttheaters in ihrem gottgewollten Rang bestätigt. „Es war das für sie unerläßliche Echo ihres Geltungswillens, der die anderen nicht missen kann, um sich an ihnen zu messen.“ In geradezu erschütternder Weise bestätigt dies ein Ausspruch der jungen Königin von Preußen, die 1705 in der Blüte ihrer Jahre dahingerafft wurde und knapp vor ihrem Tod einer ihrer Hofdamen erklärte: „Beklagen Sie mich nicht, denn ich gehe, meinem Gemahl, dem König, das Schauspiel eines Leichenbegängnisses zu bereiten, welches ihm aufs neue Gelegenheit gibt, seine Pracht darzutun.“

„Die großen barocken Festlichkeiten dienten“ — wie das Fräulein von Scudery einmal feststellte — „nicht so sehr dem Vergnügen der Teilnehmer, als der Demonstration der Größe

Ihrer Veranstalter. Und es ist vielmehr das Volk, das nichts als zuzuschauen brauchte, das sich am besten dabei unterhielt.“

Die öffentliche, theatralische Zurschaustellung beherrscht das Leben des Barockmenschen von der Wiege bis zum Grab. Auch in Wien.

Anläßlich der ersten Vermählung Kaiser Leopolds T. mit cler spanischen Infantin Margareta Theresia fanden viele Monate hindurch die verschiedendsten Festlichkeiten statt: Die Hochzeitssolennitäten wurden mit einem prachtvollen Feuerwerk eröffnet, das am heutigen Heldenplatz abgebrannt und durch den Kaiser persönlich von einem Fenster der heutigen Präsidentschaftskanzlei aus entzündet wurde. Am 16. Dezember 1666 fand im Prater eine große Hofjagd etatt. Inmitten eines abgeschirmten Platzes erhob sich die kaiserliche Estrade. Der Aufenthalt innerhalb des Schirmes war nur Standespersonen gestattet. Dabei ereignete sich nun folgendes: Ein Lakai des damaligen spanischen Gesandten Castellar wollte unbedingt eingelassen werden und geriet zufällig an den Oberstjägermeister, Graf Khevenhüller, der ihm den Eintritt verwehrte. In der Meinung, dieser verstünde nicht Spanisch, begann nun der Lakai Seine Exzellenz auf das Unflätigste zu beschimpfen, worauf Graf Khevenhüller, der die Sprache sehr gut verstand, dem Kerl mit seinem „spanischen Röhrl“ die ihm gebührende Antwort erteilte. Zwei Tage später wurde der Oberstjägermeister bei Verlassen der Hofburg am hellichten Tag von zwanzig spanischen Lakaien überfallen. Die Burschen, die teils zu Fuß, teils zu Pferd waren, begannen mit ihren Terzerolen und Stoßdegen den gräflichen Wagen zu attackieren. Auf das hin jagte der Kutscher Khevenhüllers in vollstem Karacho durch die Gassen Wiens bis in die Bräunerstraße, wo sich das Palais der Mutter seines Herrn befand. Vor di.*sem stellte er die Karosse quer über den Weg, um die Angreifer aufzuhalten und Khevenhüller die Möglichkeit zu bieten, aus dem Wagen zu flüchten. Der Kutscher und ein hinten aufstehender Heiduck blieben schwer verletzt liegen. Inzwischen hatte der Oberst Jägermeister seine Dienerschaft mobilisiert, mit der er sich an die Verfolgung der Spanier machte. In der Herrengasse vor dem Landhaus wurde ein Teil von ihnen stellig gemacht. Zwei wurden getötet, der Rest eingesperrt. Als der spanische Botschafter davon erfuhr, versuchte er, die Gefangenen mit Gewalt zu befreien, so daß die kaiserliche Garde aufgeboten werden mußte. Es kam darüber beinahe zu einem offiziellen Bruch zwischen den beiden Staaten. Nur den Bemühungen des Päpstlichen Nuntius und des allgewaltigen Ministers Lobkowitz war es zu danken, daß die Affäre nach endlosen Verhandlungen schließlich doch beigelegt werden konnte.

Solche Ereignisse aber waren keine Seltenheit. Immer wieder forderte sich der hohe Adel in den Straßen Wiens heraus und focht mit der Waffe in der Hand seine Konflikte aus. Dies bestätigt auch einer der Biographen Kaiser Leopolds I., Gottlieb Eucharius Rinck, der da meint, „es geschehen in der großen Stadt Wien jährlich so viele Mordtaten, daß man solche nicht eben als was Sonderliches zu erzählen Ursache hat“.

Zwischen 1650 und 1800, also innerhalb von 150 Jahren, haben in Wien insgesamt 771 Menschen durch Gewaltakte ihr Leben eingebüßt. Darunter befanden sich aber nur 231 kriminelle Fälle. Alles übrige war auf gekränkte Eitelkeit und vermeintliche Ehrverletzung zurückzuführen. Die aufgegangene Saat des in so vielem unheilvollen Prinzips „Rang ist Gnade“.

Für die schlechten Sicherheitsverhältnisse im frühbarocken Wien fiel auch der Umstand ins Gewicht, daß es damals noch keinerlei öffentliche Beleuchtung gab. Erst 1687 wurde eine solche eingeführt, und zwar in der Form kleiner, mit Talg oder Unschlitt gefüllter Gefäße, deren Beschädigung mit dem Abhacken der rechten Hand bestraft wurde. Uber diese kläg-

lichen Funserln urteilte der Wiener Volkswitz: „Sie sind nur dazu da, um die Finsternis besser sehen zu können.“

Nicht nur die schlechte Beleuchtung, sondern auch eine Spezialität unserer Stadt, nämlich die Durchhäuser, beeinträchtigten die öffentliche Sicherheit im barocken Wien ganz wesentlich. Steht doch im Codex Austriacus zu lesen: „Da des Nachts niemand mehr sicher auf den Gassen der Stadt gehen kann, ohne von bösen Leuten beraubt, angegriffen, verwundet oder wohl gemordet zu werden, welches gemeiniglich an solchen Orten geschieht, wo entweder in deren Herren Häuser Durchgang oder sonsten enge Gassein sein, dahin oder dadurch sich dergleichen mörderisches Gesindel nach geschehener Tat retirieren oder salvieren tut, welches gar wohl verhütet werden könnte, wenn die Herrenhäuser, wo Durchgang sein, zur rechten Zeit gesperrt würden.“ Daran anschließend ergeht der Befehl dazu. Das „Durchhaus“ ist auch heute noch eine Spezialität Wiens. Sogar die bedeutendsten geistlichen und weltlichen Gebäude dieser Stadt, nämlich der Stephansdom und die Hofburg, sind Durchhäuser! Mag diese Tatsache auch ihren Hauptgrund in der fürchterlichen Beengtheit der historischen Innenstadt haben, so spielt dabei doch sicherlich auch die charakteristische Wiener Weise des „Leben-und-leben-Lassen“ eine Rolle. Auch die Götter des barocken Wien wollten sich und ihren Untertanen möglichst jeden Umweg ersparen.

Am 24. Jänner 1667 fand im inneren Burghof das berühmte „Roßballett“ statt, zu dem fünf Monate lang geprobt wurde. Dem Leopoldinischen Trakt war eine zweistöckige Galerie vorgebaut. Vor der Front des Schweizer Hofes befand sich ein Altan für die weiblichen Mitglieder der kaiserlichen Familie. An der gegenüberliegenden Seite, vor dem Amalientrakt, war ein Tempel der Unsterblichkeit errichtet worden, aus welchem die Symbole der vier Elemente und das Argonautenschiff auftraten. An diesem Aufzug waren über tausend Menschen beteiligt; nachdem die Göttin der Unsterblichkeit dem Kampf der Elemente Einhalt geboten, trat Kaiser Leopold höchstpersönlich auf. Ein Chor der Heldentugenden pries die junge Kaiserin als die kostbarste Perle, den Kaiser aber als den neuen Argonauten, der das Goldene Vlies gewonnen und dessen Weisheit das Staatsschiff glücklich aus allen Gefahren landen werde. Nach einer von mehr als hundert Musikern vorgetragenen Instrumentalsymphonie begann dann das eigentliche „Roßballett“. Hier vermischten sich bereits Elemente des mittelalterlichen, ritterlichen Turniers mit denen des Balletts sowie der barocken Instrumentalmusik, woraus dann schließlich das Gesamtkunstwerk der höfischen Oper erwuchs.

Der pompösen szenischen und räumlichen Entfaltung dieser Kunstgattung genügten die bis dahin gebräuchlichen, in die Paläste eingebauten Saaltheater nicht mehr. Ihr Riesenaufwand erforderte eigene Häuser. Um 1665 wurde an der Stelle

der heutigen Nationalbibliothek zunächst der Cortina ein kaiserliches Komödienhaus errichtet. Der auf einem steinernen Sockel ruhende Holzbau mit einem Fassungsraum für annähernd 3000 Personen mußte anläßlich der zweiten Türkenbelagerung aus feuerpolizeilichen Gründen abgetragen werden.

Im barocken „Rangtheater“ hat das allbeherrschende Prinzip „Rang ist Gnade“ seine innenarchitektonische Formung gefunden; es spiegelt haargenau die gesellschaftliche Schichtung jener Zeit wider: Der Fürst auf erhöhtem Staffel, umgeben von seinem Hofstaat, macht den ersten Rang aus. Der zweite Rang darüber vereinigt die höhere Beamtenschaft. Noch höher sitzen die niederen Beamten und die Bürger. Der vierte Rang, dicht unter dem Dach, ist der Dienerschaft des Hofes und der Vornehmen eingeräumt. In das Parterre läßt man die schaulustige Menge des Volkes einströmen. Es steht wirklich tief, kaum in Augenhöhe mit dem Bühnenboden, und darf aufschauen zu den prächtigen Darbietungen, zu den glanzvollen Damen und Herren in den Rängen. Trabanten mit Hellebarden halten es in Schranken.

Während die Innenräume der frühbarocken Wiener Kirchen noch jede Farbenpracht vermissen ließen und nur mit einem einfachen weißen Stuck und schwarzen Schnitz-altären versehen waren, fand sich im monumentalen „Holzschupfen“ des kaiserlichen Opernhauses an der Decke bereits die illusionistische Kunstrichtung eines Andrea del Pozzo voll ausgebildet vor. Sosehr Europa im 17. Jahrhundert vom Glanz des Hofes zu Versailles überstrahlt wurde, auf tonkünstlerischem Gebiet war Wien führend. Schon damals wurde es zur musikalischen Weltstadt! Seinen vollendeten Ausdruck hat der „Frühbarock“ auf Wiener Boden ohne Zweifel im Gesamtkunstwerk der höfischen Oper gefunden.

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