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Das Spiel von Axams

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Wer von Innsbruck aus die Straße nach Axams, Götzen , Birgitz und Grinzens hinaufwandert, verliert auf diesem Mittel- gebirgsboden jeden Blick auf den Inntal- boden mit seiner Eisenbahn und seinem sonstigen Verkehr und freut sich ungestört des breiten, ebenen Ackerbodens, der aber noch nicht so viel einbringt, daß alle Bewohner der vier Dörfer hier ihr Brot damit erwerben könnten. Daher wandern täglich in der Frühe viele Mittelgebirgler zur Arbeit in die Stadt. Damit ändern sich ihre innere Einstellung und äußere Lebensgestaltung. Die Autorität der ländlichen Lebensformen wird gelockert. Städtische Vergnügungen und Veräußerlichungen winken. Die alte, bodenständige Geselligkeit und Gesellschaft verlieren an Boden. Hart an der Grenze der Landeshauptstadt, die innerhalb zweier Generationen von 50.000 Bewohnern auf das Doppelte angewachsen ist, stellt das Axamer Mittelgebirge geradezu e i n Musterbeispiel in der Bestandsfrage von Bauernschaft and Dorfkultur dar. Es ist daher kein Zufall, daß in den angrenzenden Nachbarschaf- ten von Innsbruck, im Stubaital, im Wipp- tal und auf dem Axamer Mittelgebirge die ersten Tiroler Tal- und Dorftage zwischen den beiden Weltkriegen abgehalten wurden, und es ist ebensowenig zufällig oder aus Sucht nach einem dekorativen Feste zu erklären, daß ein soldier Dorf- und Heimattag nach dem zweiten Weltkrieg nunmehr am 9. Mai in Axams aufgenommen wird.

Axams, eine alte Siedlung — seinen früheren Namen Ouxemenes hat noch kein Forscher zu deuten vermocht —, im 8. Jahrhundert zum erstenmal erwähnt, bildet als Großpfarre, Gericht und Besitz des Stiftes Frauenchiemsee einen eigenen Kulturkreis neben dem Seelsorgebereich des Prä- monstratenserstiftes Wilten und wahrte diese ihre Welt bis zur Säkularisierung hinein. Als Mittelpunkt dieses Lebens- und Kulturkreises war es ebenso Mittelpunkt ersprießlichen Flachsbaues wie gewisser Kulte. Da und dort mag das Frauenstift Chiemsee anregend gewirkt haben. Wo immer die Frauenchiemseerinnen Besitzungen in Tirol innehatten, treffen wir dieselben Kulturleistungen an. Sie mögen auf sehr alt Verhältnisse zurückgehen. Da ist zum Beispiel die Verehrung der heiligen Kümmernis, deren Ursprung im Dunkel liegt. Es gibt etliche Frauengestalten in Tirol (wie zum Beispiel auch im Elsaß), die aus vorchristlicher, primitiver Welt als Heilige ins Christentum übergeführt worden zu ein scheinen, so die drei geharnischten Jungfrauen Aubet, Wibet und Werbet auf der Höhe von Meransen in Südtirol. Bei der heiligen Kümmernis, die in tirolischer Überlieferung und Kunst vielfach vertreten ist, läge die Vermutung nahe,~daß gerade hier im Übergangsland der oberitalienische Volto Santo sich mit der niederländischen Wilge- fortis in eins verschmolzen hätte. Das trifft jedoch im allgemeinen nicht zu. Vielmehr scheint die Gestalt der Kümmernis denselben Weg gegangen zu sein wie die heilige Werbet, deren Bild noch um 1600 in der Abtei Frauenchiemsee aufgestellt wurde.

Daß deren Stiftsfrauen den Kümmerniskult in Axams besonders pflegten, dafür besteht hier noch ein sprechendes Zeugnis, ein Kümmernisbild, das den Kümmernisforschern bisher entgangen ist. Das Bild befin det sich in einem herrschaftlichen Ansitz der Gemeinde, der zwar vor 100 Jahren in bäuerliches Eigentum überging, aber seine Herkunft schon äußerlich nicht verleugnet. Das hochragende Haus wird noch heute das „Schlössel“ im Dorfmund genannt. Es stammt aus Zeiten, in denen das Stift Frauenchiemsee — angeblich seit 1077 — das Gericht und viele Güter von Axams innehatte. Im 3. Stockwerk wurde vor rund 300 Jahren auf gleichem Boden wie dem der Hauskapelle, deren Tafeln vor wenigen Jahren entfernt wurden, jedoch gegen den Wirtschaftsteil zu, ein Saal mit Vorzimmer eingebaut. Seine Holzwände sind in lebhafter und großzügiger Weise bemalt. Dadurch, daß diese Räume seit dem 19. Jahrhundert zur Aufbewahrung von Heu und Stroh benützt wurden, ist der größte Teil der Malereien, vor allem die vom Fußboden bis etwa Meterhöhe, vollständig abgenützt. Oberhalb des ehemals vornehmen Türstockes sieht man einen gemalten Blumenkranz, in dessen Kreis noch ein kleiner Christuskopf erhalten blieb, vermutlich als Rest eines geistlichen Emblems. In der linken Ecke der Fensterfront nimmt man das farbige Bild der bärtigen und gekrönten Kümmernis am Kreuze mit dem knienden Geiger wahr, für den sie einen ihrer goldenen Pantoffel fallen läßt. Von der übrigen Saalmalerei sind fast nur mehr Oberstücke an den Wänden zu sehen. Sie stellen südländisch und orientalische Bauten dar, ähnlich wie Hintergründe zeitgenössischer Großkrippen des Axamer Mittelgebirges.

Dieses Gemälde des Frauenchiemseeschen Richterhauses läßt keinen Zweifel zu, daß die übrigen Axamer Kümmernisbilder und Statuen aus dem Beginn und der Mitte des

17. Jahrhunderts mit den Herrschaftsinhabern in geistigem Zusammenhang standen, wie ja auch derselbe Kult auf den übrigen tirolischen Besitzungen Frauenchiemsees in Sautens (ötztal) und Münster-Udems (Zillertal) nachzuweisen ist. Die Axamer gingen in die Landesgeschichte als ein kampf- tüchtiges, temperamentvolles Völklein ein. So könnte man annehmen, daß die Stiftsfrauen von Chiemsee den Kult eines Anti- Weibsteufels in der Karl-Schönherr-Gemeinde gefördert haben. Dazu stimmen jedoch die

Votivstücke der Frauen, Haaropfer und Wachskröten nicht ganz. Die barocke Ausstattung der Heiligen überdeckt wohl ein viel älteres, primitiveres Wesen. In Axams und Sautens wurden im 17. und 18. Jahrhundert auch Kümmernisspiele veranstaltet. Jedoch sind keine Texte mehr erhältlich.

Das Axamer Spielleben scheint früh zu Bedeutung emporgestiegen zu sein. Seit der Regentschaft des Prälaten Dominikus Löhr, von 1651 an bis ins 19. Jahrhundert, pflegten die Äbte des Prämonstratenserstifte Wilten, deren Besitz und Seelsorgebereich unmittelbar an Axams grenzte, ihre Auslagen, die ihnen bei repräsentativen Besuchen künstlerischer Darbietungen im Inntal erwuchsen, in ihren Kalender inzutragen. Der erste Vermerk Löhrs galt der Axamer Aufführung eines Spiels vom Letzten Gericht und vom Antichrist des Jahres 1651, eines ersten Zeugnisses für jene Oberinntaler Spiele, die hundert Jahre später durch einen Auswanderer aus Silz oder ötztal aud nach Altenmark im Lande Salzburg verpflanzt und auf Grund des erhaltenen Spielbuches als das großartigste Welttheater der österreichischen Alpenländer von Prof. J. Gregor geschildert wurde. Vom Axamer Spiel de Jahres 1651 hat sich bisher kein Spielbuch aufspüren lassen. Dieses Spiel wurde auch weiterhin in größeren Zeitabständen von den Axamem veranstaltet, bis der aufgeklärte Absolutismus es gewaltsam unterdrückte. Ein weiteres Spiel der Axamer, nämlich vom Patriarchen Jakob und seinen Söhnen, überdauerte diese Unterbrechung und wird noch immer, ungefähr jedes zehnte Jahr, im Axamer Dorf theater dank der großen Teilnahme der Bevölkerung vorgeführt. Es stand dem Antichristspiel von 1651 an Umfang und Ausstattung kaum nach, denn sein Personenverzeichnis von 1677 führt drei Gruppen mit 33 Nummern an: zu Fuß, Reiterei, zu Fuß. Über die biblischen Gestalten hinaus traten Zauberer, Narren und vor allem eine Elite charakteristischer Teufel auf. Kurz, auf der Axamer Spieltenne, die im Jahre 1613 zum erstenmal zufällig rwähnt wird, tat sich eine Welt auf, wie sie uns nur mehr die reichhaltigsten Krippen vorführen.

Der Bau der Krippen, das Kostümieren der Wachs- und Holzfiguren, das Bekleiden der Heiligenstatuen ging Hand in Hand mit der Ausstattung der Spiele. Bei so kunstvollem Hausgewerbe und gemeinschaftlichem Spielleben fehlte es nicht an kunstfertigen Handwerkern, bildenden Künstlern, Dorfdichtern und Ortsmusikanten, bis schließlich im Jahre 1867 als bedeutendster der Lehrerssohn Karl Schönherr hier ziur Welt kam.

Die Zeiten, da die Stifsfrauen über Axams herrschten und hier mehr als 100 Webstühle arbeiteten, sind ebenso wie die Seidenstickerei und Ornatennäherei vorbei. Die Erinnerungsstücke aus jener Zeit bilden eine anschauliche Welt Axams’scher Vergangenheit. Heute ist Axams vor allem auf Milchwirtschaft und Ackerfrucht angewiesen. Ihr Ertrag wird kaum viel mehr gesteigert werden können. Für die überschüssige Bevölkerung sollen neue Erwerbsmöglichkeiten aufgetan werden, damit si nicht ins städtische Proletariat absinken muß. Die alte Hauskunst des Krippenbau und der Figurenschnitzerei ließe sich ausgestalten. Die Spielfreude hat kaum abg nommen und bestärkt den Axamer Zusammenhalt und Betätigungssinn in erfreulichen Ergebnissen. Brauch und Volkskunst begnügen sich hier nicht mit einer Aschen- brödelrolle. Somit soll der neue Dorftag die Axamer Jugend nicht bloß an Vergangenes und Heimatliches erinnern, ondern ihr auch Besinnung in den Bestandsfragen für Gegenwart und Zukunft nahelegea.

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