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Max Meli

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'Wenn man heute die Frage aufwirft, wer nach dem Tode des Dramatikers Karl Schön-herr unter den jetzt lebenden Zeitgenossen als der eigentlich repräsentative Dichter Österreichs zu betrachten ist, so wird die Antwort Max Meli lauten. Meli pflegt alle drei Gattungen der Poesie, die Lyrik, Epik und ganz besonders die Dramatik, er setzt damit die große Tradition fort, die von Hugo von Hofmannsthal über Anton Wildgans und Karl Schönherr bis in unsere jüngste Gegenwart heraufführt. Während aber das Lebenswerk seiner drei Vorläufer in abschließenden Gesamtausgaben, welche diese Dichter noch selbst bei ihren Lebzeiten veranstalteten, vereinigt ist und daher verhältnismäßig leicht überblickt und beurteilt werden kann, fehlt es bei Max Meli, der heute schon die Sechzig überschritten hat, infolge der Ungunst der Zeit an einer solchen Zusammenfassung seines gesamten Schaffens, was dessen Beurteilung naturgemäß erschwert.

Vor mehr als vierzig Jahren hat Max Meli als Erzähler begonnen, aber seine drei vor dem ersten Weltkrieg geschriebenen Novellenbände: „Lateinische Erzählungen“ (1904), „Die drei Grazien des Traumes“ (1907) und die „Jägerhaussage“ (1911), sind heute längst vergriffen und verschollen, und da sie seither nicht wieder aufgelegt wurden, liegt die Vermutung nahe, daß sich der Dichter, ähnlich wie Rainer Maria Rilke, zu diesen frühen Erzeugnissen seiner Muse heute nicht mehr bekennt. Eine ganz vorzügliche Leistung war jedoch die zuerst im Jahre 1914 erschienene Novelle „Barbara Naderers Viehstand“, die eine ganz tiefe Kenntnis der bäuerlichen Seele und ihres fast magischen Verhältnisses zu den Haustieren verrät, die einem Menschen aus der Stadt sonst fremd ist. Zehn Jahre später (1924) erschien in Reclams Universalbibliothek eine kleine Sammlung von Erzählungen und Legenden unter dem Titel ..Morgenwege“, worin besonders die Alt-Wiener Geschichte „Der Tänzer von St. Stephan“ Beachtung verdient, nach weiteren zehn Jahren (1934) die rührende Kindheitserinnerung „Mein Bruder und ich“ und als bisher abschließende Sammlung von Erzählungen und Märchen „Das Dcnauweibchen“ (1938), in welchem jetzt alle vorerwähnten Novellen, um neue Stücke vermehrt, zu finden sind. Einen kostbaren Schatz dieses Sammelbandes bilden die „Paradiesmärchen“, dem Volksmund abgelauschte Erzählungen über Begebenheiten bei Erschaffung der Welt, anscheinend ganz kunstlos und naiv und doch jede in Form und Stil ein vollendetes Kunstwerk. Das letzte Prosabuch, daß Max Meli veröffentlichte, ist sein „Steirischer Lobgesang“ (1939), eine Sammlung kleiner Geschichten, persönliche Erlebnisse und Aufzeichnungen aus seiner engeren Heimat, der Steiermark, die vielfach einen Kommentar zu seinem eigenen Schaffen darstellen.

An lyrischen Werken liegt von Max Meli gegenwärtig nur ein einziger schmaler Band „Gedichte“ (2. Auflage, 1929) vor, der auf 80 Seiten nur 34 Gedichte enthält, darunter noch Stücke aus dem vergriffenen Gedichtband „Das bekränzte Jahr“ (1911). Es sind ganz prachtvolle Sachen darunter, so das autobiographische Gedicht „Der Verzauberte“, in dem sich der Dichter in echt romantischer Selbstironie den Augen dei Welt gegenüber als armen Hans Habenichts verspottet, aber dabei gleichwohl mit berechtigtem Stolz zu verstehen gibt, daß et sich im Reiche der Poesie für einen lichtkreisenden Planeten hält.

Was Max Meli zum eigentlichen Repräsentanten der heutigen österreichischer Dichtkunst macht, ist jedoch sein dramatisches Schaffen. Während unter seinen Vorläufern Hofmannsthal und Wildgans trotj ihrer ausgebreiteten dramatischen Produktion vor allem als Lyriker zu werten sind ist Max Meli, ebenso wie Karl Schönherr ein Dramatiker vom Scheitel bis zur Sohle Es liegen von ihm bisher sieben Dra men vor: „Das Wiener Kripperl von 1919' (1921); „Das Apostelspiel“ (1922); „Da Schutzengelspiel“ (1923); „Das Nachfolge-Christi-Spiel“ (1927); „Die Sieben gegen Theben“ (1932); „Das Spiel von den deutschen Ahnen“ (1935) und „Der Nibelunge Not“, das zwar schon aufgeführt wurde, aber noch nicht im Druck vorliegt.

Von Mells fünf Spielen sind drei, „Das Wiener Kripperl von 1919“, „Das Apostel-spiel“ und „Das Spiel von den deutschen Ahnen“, Zeit- und Gegenwartsstücke, in der wirrenhaften Epoche nach dem Weltkrieg entstanden. Das figurenreiche „Wiener Kripperl“ schildert mit verblüffender Echtheit den ganzen Jammer der alten Wienerstadt nach der Zertrümmerung der Monarchie: Die Holzsammler aus dem Wienerwald, der aus seiner Existenz geschleuderte aktive Offizier, die Arbeiterfrau, deren neugeborenes Kind im Spital wegen Kohlenmangel stirbt, der Heimkehrer und der halbwüchsige Schieber, hinter dem der leibhaftige Beelzebub steckt, das sind alles lebenswarme Typen, wie sie uns selbst auf der Straße begegneten. „Das Apostelspicl“, Mells geschlossenstes und vielleicht auch bedeutendstes Kunstwerk, ist die rührende Geschichte von den beiden Heimkehrern, die in mörderischer Absicht eine steirische Ge-birgshütte betreten, von der schlichten Einfalt eines Mädchens jedoch für heimliche Sendboten des Herrn gehalten werden und, dadurch im Innersten zur Umkehr bewogen, sich wieder still von dannen machen. „Das Spiel von den deutschen Ahnen“ behandelt den alten Konflikt zwischen Liebe zur Scholle und Flucht in die große Welt; die Ahnen steigen aus ihren Gräbern und verhindern durch ihr Erscheinen den Verkauf des alten Erb- und Familengutes durch leichtsinnige Nachkommen. Das Stück spielt gleichfalls in Steiermark, und zwar während der politischen Unruhen zur Dollfuß-Zeit, die dort in dem kleinen Gebirgswinkel durch eine im Weltkrieg gescheiterte Existenz hervorgerufen werden.

Die beiden anderen Spiele, „Das Schutzengelspiel“ und „Das Nachfolge-Christi-Spiel“. nähern sich am meisten dem Charakter des mittelalterlichen Mysterienspieles. „Das Schutzengelspiel“, zuerst in dem prächtigen, altertümlichen Hofe des Landhauses zu Graz aufgeführt, ist das Stück von der bestraften Überhebung einer Jungfrau, die sich an der Kirchentüre allen Männern zur Heirat anbieten muß, aber durch ihren Schutzengel schließlich vor einem bösen Schicksal bewahrt und in die Arme ihres liebenden Bräutigams geführt wird. Es spielt in einer alten Stadt und erinnert mit den köstlichen Bürgertypen, mit Engel und Teufel und der führenden Gestalt der Jungfrau irgendwie an Goethes Gretchen und den ersten Teil des „Faust“. Das „Nach-folge-Christi-Spiel“ hat ein steirisches Schloß zur Zeit der Türkenkriege zum Schauplatz, in das wilde Mordbrenner einbrechen, die den Schloßherrn überwältigen und an ein großes Kreuz binden. Durch den Aufenthalt am Kreuze wird der Sinn des ursprünglich ganz weltlich geriditeten Edelmannes derart ins Geistliche gewendet, daß er schließlich wie Christus den Opfertod für seine Feinde stirbt. „Das Nachfolge-Christi-Spiel“ ist jenes Werk von Max Meli, das den stärksten metaphysischen Gehalt aufweist.

Die „Sieben gegen Theben“ sind bisher das einzige Werk Mells aus dem antiken Stoffkreis. Sie führen den Titel nach einem Drama des Aischylos, dem sie auch sonst im ersten Teil folgen, während im Mittelpunkt des zweiten Teiles die rührende Gestalt der Antigone des Sophokles steht. Meli hat das alte Spiel in jenem Sinne erneuert wie Goethe die Iphigenie und Grillparzer die Medea des Euripides. Es ist jüngstens anläßlich der Bregenzer Festspiele wieder mit großem Erfolg aufgeführt worden. Mells letztes Drama, „Der Nibelunge Not“, das anläßlich der Aufführung besonders wegen seiner inneren Geschlossenheit und Zusammendrängung des Stoffes auf einen einzigen Tag gerühmt wurde, kann kritisch erst beurteilt werden, bis es im Drucke vorliegt.

Wenn wir zusammenfassend das Lebenswerk Max Mells überblicken, so müssen wir feststellen, daß es weniger in die Breite als vielmehr in die Tiefe geht, was ja schließlich auch die Hauptsache ist. In der Dichtkunst kommt es ja nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität der Schriften eines Verfassers an. Mells Werke haben vor dem zweiten Weltkrieg im Inselverlag eine Heimstätte gefunden, dessen Leiter, Professor Anton Kippenberg, sich schon seinerzeit durch die Förderung Rilkes ein außerordentliches Verdienst erwarb; Mells Dramen wurden fast alle durch das Wiener Burgtheater in festlichen Aufführungen aus der Taufe gehoben, „Das Schutzengelspiel“ mit Ewald Baiser und Julia Janssen in den Hauptrollen, „Das Nachfolge-Christi-Spiel“ mit Aslan und Marr, wobei man in einer kleinen Episodenrolle noch die alte Wil-brandt hörte, „Das Spiel von den deutschen Ahnen“ mit Höbling und Maria Eis, mit Alma Seidler und Felix Steinbock waren große Burgtheaterabende, an die man sich gerne erinnert. Freilich würde man dem Dichter eine größere Popularität wünschen, wie sie etwa Schönherr besaß, aber das ist eine Gunst, welche die breite Masse vergibt, und dafür ist er wohl aus zu feinem Holze geschnitzt; aber es ist die Pflicht eines verantwortungsbewußten Kritikers, auf die Größe eines stillen Dichters hinzuweisen, dessen Kunst nicht zuletzt auf den ewigen Grundsätzen des Christentums beruht.

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