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Die Großen Deutschen

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Die beiden ersten Bände dieses Monumentalwerkes hatten uns bis mitten ins Zeitalter der Romantik geführt. Der dritte Band reicht bis zu Nietzsche, der vierte bis in die Gegenwart, zum Mitleiter der gescheiterten Erhebung gegen Hitler, General Ludwig Beck, lieber die vielen Vorzüge und über einige kleinere Schwächen des großartigen Unternehmens haben wir schon bei der Anzeige früherer Teile das Nötige gesagt. Der hohe Rang dieses biographischen Ehrenmals einer Sprachgemeinschaft wird nun. da es grundsätzlich beendet ist, auf das schönste bestätigt. Das Bedenken, das sich gegen die Einbeziehung der Geisteshelden richtet, die ihrer ursprünglichen Bildung nach deutsch sind, deren Wesensart aber nur indirekt, auf dem Umweg über den österreichischen oder den schweizerischen Raum, im Deutschen gründet, meldet sich um so stärker, je mehr wir uns der heutigen Situation nähern. Es wird aber doch zum Schweigen gebracht, wenn wir uns der klugen programmatischen Darlegung der Herausgeber zu diesem Thema entsinnen und so mögen denn auch Gustav Mahler, Schönberg, Freud, Kafka, Einstein in diesem Rahmen erscheinen.

Die Auswahl der durch die drei Totenrichter in Walhall aufgenommenen Heroen darf im allgemeinen auf Zustimmung rechnen. Nur selten wagen wir Zweifel an der Notwendigkeit einer Konsekration als Großer Deutscher, so bei Carl Schurz, beim Organisator des Postwesens Stephan, gar sehr bei Helene Lange und. vielleicht auch ein wenig bei den Künstlern, Franc Marc und Max Beckmann. Ein paar Lücken werden schmerzlich empfunden. Wenn schon Oesterreich und die Schweiz einbezogen sind, dann sollte man nicht auf Radetzky, den genialen Felix Schwarzenberg. Josef Unger, Kardinal Rauscher verzichten, noch gar auf Lueger und Viktor Adler, Ignaz Seipel. Aus der Literatur sind Nestroy und Karl Kraus, aus der Medizin Billroth, Eiseisberg, wohl auch Hyrtl nicht wegzudenken. (Die fehlende Ebner-Eschenbach soll, laut Ankündigung, im fünften, ergänzenden Band auftauchen). Und Ludwig Wittgenstein, die Philosophen des „Wiener Kreises”? Die Schweiz beklagt das Fehlen von Johannes Müller, Spitteier, Böcklin.

Doch nun zu den einzelnen Lebensbeschreibungen, Aus ihnen, deren keine ein sehr schätzbares Mindestniveau unterschreitet, ragen hervor: (Band III) des Dichters Bergengrün „E, T. A. Hoffmann”, Carl Burckhardts tief einsichtiger „Franz Grillparzer”, Alois Dempfs glänzender, dem Dargestellten sosehr adäquater „Schelling” und Heinrich Zimmers, von Kurt Roßmann bearbeitete, Skizze über Schopenhauer. Sodann der bedeutende „Friedrich Nietzsche” des wohlerprobten Sachkenners Karl Löwith, Michael Freunds mit Takt, nicht ohne Sympathie, doch ohne Ueberschwang wertende, dem Ausmaß der Gestalt gerechte Studie über Karl Marx, Carl Schuchhardts kongeniale Würdigung Heinrich Schliemanns, das wunderschöne, innige Doppelbildnis der Brüder Grimm von Will-Erich Peuckert, der ausgeglichene, ehrfürchtige „Ranke” von Carl Hinrichs, Ferner Carl Wursters „Justus v. Liebig”, Wolfgang Boettichers „Robert Schumann” und der vortreffliche, zwischen Eyck, A. O. Meyer und Ludwig Reiners den goldenen Mittelweg haltende „Bismarck” Hans Rothfels’. Zuletzt, doch beileibe nicht an letzter Stelle, die meisterhaften Porträts Friedrich Lists und Friedrich Harkorts von Theodor Heuß. dem musisch und wissenschaftlich hochbegnadeten deutschen Bundespräsidenten, die in mildes Licht gebadete seelische Landschaft der Droste, gezeichnet aus schwesterlichem Verstehen durch Gertrud v. Le Fort.

Manche an sich wohlgeratene und ansprechende Schilderungen kranken an Unzulänglichkeiten, die uns den reinen Genuß stören. Wenn Karl Holl über Richard Wagner viel Treffendes aussagt, doch in einem Stil, von dem hier eine kleine Probe geboten sei — „Tatsächlich ist dieses Wagner-Orchester der .schaffende Schoß’ aller seiner Werke, die er (der Schoß?) selbst .ersichtlich gewordene Taten der Musik’ genannt hat. Alles in allem hat Wagner zum nationalen wie zum internationalen Bestand an lebenskräftigen Werken für die Musikbühne einen enormen Beitrag geleistet. Die Wirkung…” usw, —. dann gemahnt uns derlei leitmotivische Wiederholung zwar an dunkle Vorzeiten, alles in allem aber auch an wilhelminische Gymnasiallehrbücher und enorm an den Jargon von Kreisen, denen Grane ein enorm fittes Ferd oder auch Brünnhild ein enorm pompöses Weib ist.

Dolf Sternbergers liebevolles Bemühen um Heinrich Heine in Ehren; es wäre dennoch angezeigt gewesen, sich Karl Kraus’ „Heine und die Folgen” leise durchs Gemüt ziehen zu lassen, ehe man aus berechtigter Anerkennung für den Journalisten auch dem Lyriker die übliche, nur während der bewußten zwölf Jahre des Tausendjährigen Reiches aus sehr unkünstlerischen Beweggründen verweigerte Huldigung erweist. Daß der einstige Apoll in der Matratzengruft sich in rührender Klage als armen, todkranken Juden bezeichnete, ist menschlich gewiß erschütternd. Doch auch Wolf Bär Pfefferkorn singt von sich im „Rastelbinder”: „Ich bin an arma Jud” und gilt dennoch nicht als zweitgrößter Lyriker nach Goethe.

Friedrich Hebbel wird von Wilhelm von Scholz ‘ ebenso überschätzt, wie Max Stefl, kundig und zuständig, dennoch für Adalbert Stifter nicht ganz das richtige Maß, nämlich das höchste, anwendet. Hans Joachim Moser beschränkt sich in seinem bemerkenswerten Essay über Carl Maria v. Weber darauf, mit dem Vater des liebenswerten, genialen Komponisten streng ins Gericht zu gehen. Am meisten Bescheidenheit und, schon als ungesund anmutende Selbstkritik am eigenen Helden übt Carl Linfert, der den sogar in Frankreich (Susini l) und im slawischen Osten eifrig erörterten Franz v. Baader einen „Vergessenen” heißt. Und das in einer vorbildlichen Analyse dieses außergewöhnlichen dichterischen Denkers!

Im vierten Band, dessen Koryphäen erst um die Jahrhundertwende oder in unserem Zeitalter zum unbestrittenen Ruhm gelangt sind, dominieren Dichter, Komponisten, Maler und Forscher. Die Männer der Wirtschaft, die Politiker, die Militärs treten ganz zurück. Man merkt die Absicht und wird darüber nicht verstimmt; man merkt die Ansicht und man pflichtet ihr in weitem Umfang bei. Dennoch melden sich einige Bedenken. Soll wirklich August Thyssen, Emil Kirdorf, Peter Klöckner, Hugo Stinnes, übrigens auch den beiden Rathenau und Albert Ballin, der Platz ebenso versperrt bleiben wie Ludwig Windthorst, Stresemann? Gerade ein so scheuklappenfreies Richterkollegium wie die Herausgeber der „Großen Deutschen” schuldet es sich und uns, daß auch weniger sympathische Menschen von Format, die in der Geschichte ihres Volkes eine entscheidende Rolle spielten, nicht übergangen werden. Noch sei auf Kardinal Faulhaber und Bischof Graf Galen hingewiesen, ehe wir die einzelnen vorhandenen Biographien schnell überblicken.

Voran einige Dichter: Hofmannsthal (von Richard Alewyn), Ricarda Huch (von Ina Seidel, einfühlend und anregend), Rainer Maria Rilke (von Hans Egon Holthusen, funkelnd, in Untiefen leuchtend, ergriffen und ergreifend), Gerhart Hauptmann (wahrhaft vollendet, Carl Zuckmayer hat sich da an ihm lockenden Höhenfeuer entzündet), Stefan George (von Friedrich Sieburg, mit Elan geschrieben, geistreich, in der Grundthese, der Bewertung des Poeten, anfechtbar). Dem in sublimsten Regionen sich bewegenden „Franz Kafka” Wilhelm Emrichs mangelt, wie so vielen literarisch-klinischen Untersuchungen über dieses absonderliche, einzig am Berührungspunkt der Straßen zum Hradschin, zur Altnai-Schule und zur Vaclavbude denkbaren Genie, die unumgängliche Kenntnis des Vertreibhausmilieus, auf dem derlei Edelsumpfpflanze, eine erlesenste Orchidee, etwuch . Kar] Korns „Thomas Mann” tänzelt weltmännisch und elegant an einigen Abgründen vorüber, in die uns der Weg vom „Tod in Venedig” zur „Betrogenen” und zum „Dr. Faustus” samt dem Spiegelbild des Felix Krull blicken läßt. Ueber Komponisten empfangen wir mehrere vorzügliche Beiträge; von Walter Wiora über Bruckner, von Erwin Ratz über Mahler, vom Frankfurter Soziologen Theodor Adorno erstaunlich lebendig über Schönberg, von Willi Schuh über Richard Strauß, von Rudolf Gerber über Brahms. Malern sind die sehr guten Arbeiten von Friedrich Ahlers (Käthe Kollwitz), Bruno Werner (Louis Corinth) und Will Grohmann (Paul Klee) gewidmet. Sie werden freilich von den älteren Meistern geltenden Abschnitten über Leibi (von Emil Waldmann), über Marees (von Benno Reiffenberg) und besonders über Liebermann (von Carl Georg Heise) sosehr überrundet, wie die gequälte Dynamik der Gegenwartkunst von der statisch gewordenen Revolution der Realistenimpressionisten.

Nun eine stolze Reihe wegebereitender Gelehrter: Aerzte, wie Wagner-Jauregg, Paul Ehrlich, Robert Koch, Rudolf Virchow, Physiker, wie Max Planck, Röntgen, Heinrich Hertz, der Mathematiker Hilbert. Ganz überragend die beiden Abhandlungen über Einstein, von Max v. Laue, und über Freud, von Viktor Emil v. Gebsattel, gleich vollkommen im Ausdruck wie in der Bewältigung des kondensierten Themas. Diesen, zusammen mit Zuckmayers „Hauptmann” und mit Theodor Heuß’ „Friedrich Naumann”, Hermann Heimpels prächtigem, gehältigem „Jakob Burckhardt”, gebührt im vierten Band die Palme.

An den wenigen Aufsätzen Einzelkritik zu üben, gegen die wir grundsätzliche Einwendungen vorzubringen hätten, ist hier nicht der Ort. Dies würde außerdem den falschen Eindruck wecken, als wollten wir die Bewunderung für eine denkwürdige Gesamtleistung einschränken. Nur eine Bitte wagen wir an die wortkünstlerisch so feinfühligen Herausgeber zu richten: daß sie den Stil mancher Mitarbeiter, vorab aus Hochschulkreisen, diskret überwachen. Es soll sich doch nicht ereignen, daß in einem Sammelwerk, das strengen Anforderungen auch nach seiner formellen Seite genügt, ein Satz steht wie dieser: „Das Leben Adolf Harnacks gewährt auf den ersten Blick trotz aller Kämpfe, die es begleiten, den An b 1 i c k eines selten erfolgreichen und glücklich verlaufenen Gelehrtendaseins.” Der Autor des „ver- hatschten” Auftakts wollte vermutlich sagen, daß selten ein Gelehrtenleben so erfolgreich und so glücklich verlaufen sei, wie das jener theologischen Exzellenz, er drückt sich indessen derart aus, daß man meinen müßte, der berühmte protestantische Dogmengeschichtsschreiber habe nur selten Erfolge genossen und Glück verspürt. Ein paar Seiten später lesen wir kurz nacheinander dreimal, daß irgend etwas „letzten Endes” dies oder jenes sei, was nun doch mal eigentlich traun fürwahr einzig zum Stil 4ey spätborus ischen Gala-Prosa paßt. Und so geht’s in dieser Biographie weiter, grazienlos ins Finitum. Schwamm darüber. Und nochmals eine tiefe Verbeugung vor dem herrlichen Gelingen der zeitverbundenen, gedankenreichen, scharfprofilierten Galerie der Großen Deutschen (und ihrer österreichischen, schweizerischen Sprachverwandten)!

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