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Übler Nachruf auf Kakanien

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Möge die unsiegreiche Sache den Götterlieblingen, den Dichtern, gefallen, die siegreiche gefällt einem Cato, der mit Hilfe der Statistik der „geborgten“ Führerschicht des alten Oesterreich deren Unfähigkeit nachweist, ihrer hohen Aufgabe gerecht zu werden ; im Gegensatz . zur (gut) gewachsenen Führerschicht Preußens. Dem weiland Habsburgerreich wird nicht etwa vorgeworfen, daß es reaktionär, ein Völkerkerker, vom Adel beherrscht gewesen sei, was so in und außer des Landes der Brauch war — und immer weniger behauptet wird —, sondern daß es jener geschlossenen, zum Kriegführen und zum Regieren geborenen Herrenklasse entbehrte, die der Hohenzollernstaat an den Junkern besaß. In unserer Anzeige ans Tribunal der Weltgeschichte müssen wir darauf verzichten, uns mit dem besser geratenen Teil des Buches von Preradovich, dem über Preußen, zu beschäftigen und im Hinblick auf den uns zugemessenen Raum nur den Abschnitt über Oesterreich unter die kritische Lupe nehmen. Der Autor stützt sich auf ein sehr umfängliches Material, das ihm gestattet, die leitenden Diplomaten, hohen Verwaltungsbeamten und Generale Oesterreichs und Freußens nach ihrer ständischen und nationalen Herkunft einzuordnen. Aus dieser Gegenüberstellung leitet er mehrere Hauptthesen ab, von denen wir drei besonders ablehnen. Er rechnet zur Führungsschicht nur die Chefs diplomatischer Vertretungen, die Re-gieiungsmitglieder samt den Beamten der Verwaltung im Rang der einstigen dritten und vierten Rangklasse, endlich in der konstitutionellen Aera die Parlamentarier. Da vermissen wir den Episkopat, die Kapitäne der Wirtschaft und einzelne Gelehrte, Künstler, Schriftsteller, vor allem aber d i e Männer am Hof, die ohne glänzenden Titel mehr Einfluß ausübten, als sämtliche Sektionschefs und Gesandten, Feldmarschalleutnants und Abgeordneten, wenn diese nichts anderes waren als das, was“ ihr Titel besagte. Graf Grünne, Staatsrat Braun, Graf Paar, Baron Bolfras, Fürst Montenuovo, aber auch die beiden Plener, die Chlumetzky gehörten zur obersten Führungsschicht, nicht weil sie hohe Würden bekleideten, sondern da sie das Ohr Franz Josephs hatten und weil sie starke Persönlichkeiten waren. Aus eben diesen Ursachen hat Graf Beck-Rzikowsky das Amt des Generalstabschefs zu dem gemacht, was es unter ihm war, so daß man ihn den Vizekaiser hieß. Lueger, wie vordem etwa Herbst, wie Viktor Adler zählten zu den Mächtigen; Hunderte von parlamentarischen Statisten aber nicht. Doch ein Brosch, ein Bardolff, ein Sieghart, ein Moriz Benedikt, worauf gründete d e r;e n Position, noch bevor sie die obersten Stufen der offiziellen Jakobsleiter erklommen hatten?

Zweiter Vorbehalt: Preradovich gliedert in bezug auf ständischen Ursprung in Hochadel, Altadel, Neuadel, Bürgertum, Kleinbürgertum. Für Oesterreich sind die ungeschriebenen sozialen Grenzen anders zu ziehen. Hochadel im fürstenrechtlichen Sinne ist hier keineswegs vor der landsässigen Aristokratie bevorzugt. Die Erste Gesellschaft kümmerte sich nicht darum, ob jemandes Ahnen Sitz und Stimme auf den Reichstagen zu Regensburg hatten, wohl aber ob er eine „gute“ Ahnentafel besaß und nicht durch Beruf oder Vermögensverfall „deklassiert“ war. Kein Waldburg oder Hohenlohe hielt sich für mehr als einen, im streng juridischen Begriff, nicht hochadeligen Kinsky oder Thun, während umgekehrt es schon vorkam, daß ein Sternberg, Larisch oder Wilczek auf diesen oder jenen Mediatisierten, der eine „schlechte“ Mutter hatte, herabblickte. Auf die Erste folgte die Zweite Gesellschaft, innerhalb deren es gleichgültig war, ob man einen Adelstitel führte oder nicht. Das Bürgertum, außer der Grande Bourgeoisie, schied sich deutlich in das gebildete und in das nicht wenigstens durch die Mittelschule erzogene. Vom Kleinbürger waren noch die Dienerschaft abzusondern. Aus allen diesen Gruppen sind, aus den oberen selbstverständlich mehr und leichter, Begabte und (oder) vom Glück und von der Gunst sehr Mächtiger begünstigt, Männer zu den wichtigsten Posten der Führerschicht aufgestiegen; schon vor 1848 Thugut, Kübeck von ganz unten.

Drittens: mit Nachdruck müssen wir Einspruch erheben, daß Preradovich nur d i e Personen als Sprossen Altösterreichs bezeichnet, die im Mannesstamm aus dem heutigen Staatsgebiet der Republik, zudem aus Südtirol, Untersteiermark und Krain herkommen. Radetzky als „Böhme“, Schwarzenberge als „Franken“ und die lange Reihe der „Sudetendeutschen“ gegenübergestellt den Alpenösterreichern, das ist nicht nur psychologisch und historisch verfehlt, sondern auch biologisch. Denn sie alle haben sich nicht nur einzig als Oesterreicher deutscher Muttersprache gefühlt, sondern — das bezeugen ihre Ahnentafeln — sie sind aus der gleichen genealogischen Mischung entstanden, wie, ach, ach, die meisten „Ostmärker''. Die Sylva-Tarouca, Hoyos, Clary, Thum, Wickenburg, Crenneville, Harnoncourt, Deslours als Portugiesen, Spanier, Italiener, Franzosen abzustempeln, weil ihre väterlichen Vorfahren einst diesen Nationen angehört hatten, ist verfehlt.

Und nun, aus vielen herausgeholt, ein paar Einzeleinwände. Der Verfasser zieht mitunter aus scheinbar unanfechtbaren Zahlen Trugschlüsse. So will er die geringe Anteilnahme des altösterreichischen Uradels am öffentlichen Leben dadurch erhärten, daß von sechzig Familien, die zu einem gegebenen Zeitpunkt noch blühten, nur achtzehn in führenden Staatsstellungen waren. Er vergißt aber hinzuzufügen, daß zu derselben Zeit von, sagen wir einer halben Million nicht dem Uradel zuzurechnender Geschlechter des heutigen Klein-Oesterreich nicht etwa 150.000 auf hohen Posten zu finden waren, sondern nur — wir haben darüber keine Statistik —, ich weiß nicht, sind es ein paar Hundert, vielleicht maximal fünfhundert. Während also jede dritte uradelige österreichische Familie einen Vertreter in den höchsten Regionen des Machtapparats besaß, fand sich nur jede zehntausendste bürgerliche (oder briefadelige) in ähnlicher Situation. Wozu noch zu bemerken wäre, daß hier wieder die Sprossen der Zweiten Gesellschaft bevorzugt wurden. S. 66 kann Preradovich „das Wort wagen, Oesterreich hat nicht den Preußisch-Ocssterreichiscben Krieg von 1866, sondern den Deutsch-Französischen von 1870 verloren, da nach der Gründung des. Reiches durch Bismarck naturgemäß weniger Reichsdeutsche nach Oesterreich kamen, weil ihnen die Vorteile eines Großstaates in der engeren Heimat in verstärktem Maße geboten wurden“. Durch diese Entwicklung habe „Oesterreich die wertvollste Kraftreserve“ verloren, „welche durch die \desgleichen außerordentlich aktiven Sudetendeutschen schon wegen ihrer geringen Zahl nicht ausgeglichen werden konnte“. Nun sind eben diese Sudetendeutschen ebenso Oesterreicher gewesen wie die Alpendeutschen Oesterreicher deutscher Muttersprache aus den geographischen Gebieten der Sudeten und der Alpen. Nur eine wirklichkeitsfremde Betrachtung aus ideologischem Gesichtswinkel wird die Kübeck. und Bienerth, die Conrad v. Hötzendorf und Böhm-Ermolli, oder gar die Ignaz

Seipel und Karl Renner, die Innitzer und Theodor v. Körner als weniger österreichisch empfinden als die Lueger und Weiskirchner, die Pernerstorfer und Schuhmeier, die zwar unmittelbar aus Wien stammten, doch über deren einstige Vorfahren in Väterslinie wir nicht so genau unterrichtet sind, daß wir sie mit Sicherheit dem alpenösterreichischen Raum zuweisen dürften. Jedenfalls aber hatten sie alle, die aus der heutigen Tschechoslowakei und die aus dem jetzigen Klein-Oesterreich, mehr miteinander gemeinsam als mit Sprachgenossen aus Westfalen oder von der Wasserkante, aus Ostpreußen oder Brandenburg. Wenn wir aber die Leistungen der Männer an der Spitze — es sei die des Staates oder der Wirtschaft, des künstlerischen Schaffens, oder der Wissenschaft überschauen, dann sehen wir keinen Grund, von einem durch fehlenden reichsdeutschen Zustrom bedingten Niedergang zu reden, der seit 1870 eingetreten sei. Mögen die Bruckner, Gustav Mahler und Schönberg, die Otto Wagner, Loos und Holzmeister, die Kubin und Kokoschka, die Wotruba und Boeckl für Preradovich ebensowenig zur „Führungsschicht“ zählen wie die Gelehrten Freud, Wagner-Jauregg, Eiseisberg, Hochenegg und Schädiger, wie aus der Literatur Rilke, Hofmannsthal, Karl Kraus, Musil und Broch! Doch da waren immerhin unter den Staatsmännern großen Stils Erzherzog Franz Ferdinand, Aehrenthal, Lueger, Seipel, Otto Bauer, an Heerführern Erzherzog Albrecht, Conrad, Boroevic, der Wirtschaftskapitäne von der Kühnheit eines Meinl oder ' Kestranek ganz zu schweigen.

S. 67. In eine m Absatz über Galizien wimmelt es von Irrtümern. Erster polnisch-nationaler Landeschef (Gouverneur) Galiziens war Waclaw Zaleski (1S48). Ihm folgte Graf Agenor Goluchowski d. Ae., vom 19. April 1849 bis in den Sommer 1859. Es stimmt also nicht, daß „vor diesem Zeitpunkt die Chefs der Statthalterei... dem Dienstrang entsprechend ernannt wurden“ und keine geborenen Polen waren. Es stimmt ebensowenig, daß, wie die übliche Legende lautet, „der polnische Adel... die Führung fesf in den Händen hielt“. Der geniale Finanz-minister Dunajewski und sein Bruder, der Kardinal-Fürstbischof von Krakau, gehörten gleich dem einflußreichen Sozialistenführer Daszynski nur einem Kleinadel an, der soziologisch nicht mit der Aristokratie des deutschsprachigen Oesterreich zu vergleichen ist. Ziemialkowski und Smolka, die beiden bedeutendsten polnischen Parlamentarier ihrer Zeit, kamen aus dem Kleinbürgertum; Bilinski war mütterlicherseits „Halbjude“, väterlicherseits ebenfalls dem Kleinadel zugehörig, Rittner. Katholik und Professor des Kirchenrechts, doch rein semitischer Abkunft, Abrahamowicz. Armenier. Von den andern überragenden Polen des alten Oesterreich sind nur die Potocki, Dzieduszycki, Goluchowski — diese relativ spät hochgekommen — und die Badeni (rumänischen Ursprungs aus Kaufmannshaus) der Aristokratie zuzurechnen. Und da behauptet der Verfasser: „Weder bei den Ungarn, noch bei den Polen, die uns als führende Beamte, Militärs oder Politiker entgegentreten, kann man einen nur einigermaßen nennenswerten Prozentsatz an Bürgern oder Neugeadelten feststellen.“ Ueber die Vorwürfe, der österreichische Adel sei vom Beginn des 17. Jahrhunderts ab zum Hofadel geworden, der Verbindung mit dem Volke beraubt und eine allein dem Kaiser verpflichtete volkslose Schicht, der die zahlreichen Fremden den biologischen Zusammenhang mit dem Lande raubten, darüber kann man mit dem Autor wie mit anderen Blu-Bo-Gläubigen schwer rechten. (S. 69.) Unzutreffend ist aber seine konkrete Angabe, seit jener Zeit seien — ganz im Gegenteil zu Polen und Ungarn — die national und sozial völlig zerrissenen Ahnentafeln des österreichischen Adels festzustellen. Denn erstens begegnen uns in den Ahnentafeln der polnischen und der ungarischen Aristokratie ebenso Ausländer wie in denen der österreichischen. Ich erinnere nur an das Einströmen italienischen Blutes durch die Ahnfrau der Jablon-nowski, holländischen und deutschen durch die Ahnmütter der Fleming und der Czartoryski, italienischen durch die Ehe einer Strozzi, russischen und in weiterem Verlauf jüdischen (Safirov!) und tatarischen durch zahlreiche Allianzen mit dem Hochadel des Zarenreiches seit Katharina II. Des weiteren braucht man nicht auf Preradovichs Spuren in die Urtage zurückwandern, um mannigfache polnische Adelsstämme, deren Blut in Tausenden von Angehörigen der heutigen Szlachta fortlebt, als ursprünglich skandinavisch zu erkennen, wie etwa die gesamte Wappensippe Habdank-Awdaniec. Man greife zu Dziadulewiczs Genealogien tatarischer Familien, die im polnischen Adel, meist seit dem 17. Jahrhundert, aufgegangen sind; man füge dem die Armenier und die Nachkommen der „ex neofita“ geadelten Juden und die Frankisten hinzu. Endlich finden wir hunderte, ja tausende Familien, die französischen (etwa die aus Kapetingerblut entsprossenen Baudouin de Courtenay), italienischen, britischen und vor allem deutschen Ursprungs sind, so die Herburt, Fir-ley, Szembek, Plater. Zweitens sind die Ahnentafeln des österreichischen Land adels gar nicht so national gemischt, wie das Preradovich meint. Drittens endlich hat derlei Mischung, wo sie auftritt, gar nichts geschadet, nicht einmal dem deutschen Gefühl des Sprachunreinen. Ist etwa Enrica v. Handel-Mazzetti deshalb weniger deutsch, bis an die Grenze des Oesterreichern erträglichen Begriffs, weil sie unter ihren acht Ahnen die mannigfachsten Nationen hat?

Es wird uns gar nicht klar, daß — wie der Verfasser meint (S. 72) — die „anationale österreichischböhmisch-romanische österreichische Aristokratie in der Zeit des Nationalismus die letzten Reste der Elitenstellung verlieren mußte, die sie einst innegehabt“ hatte und daß sie „im Kampf um das Reich gegen das nationale Preußen, im Kampf um das Kaisertum Oesterreich gegen das nationale Ungarn und im Kampf um die Führung der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder gegen die polnische Elite in Galizien unterliegen mußte“: weil die Ahnentafel dieser Aristokratie allzu buntgescheckt war. Ganz andere Ursachen entschieden 1866, über die hier auch nur annähernd vollständig zu schreiben weder der Ort noch Platz ist. Der Sieg des „nationalen Ungarns“ geht vordringlich auf die Verbündung der Magyaren mit dem deutschliberalen Bürgertum zurück, von dem damals das parlamentarische Feld in Oesterreich beherrscht wurde. Und daß die „im Reichsrat Vertretenen“ usw. gegen die polnische Elite in Galizien unterlegen seien, ist eine etwas gewagte Deutung eines Vorganges, der, hätte er sich in anderen Teilen Alt-Oesterreichs wiederholt, dieses vermutlich vor der Katastrophe von 1918 bewahren konnte. Die Schlußsätze des Oesterreichabschnittes sind ein Muster an Verworrenheit. „Die österreichische Monarchie war weder feudal noch österreichisch. Nicht Oesterreich beherrschte die Völker, sondern die Völker beherrschten Oesterreich.“ Meint Preradovich mit der österreichischen die seit 1867 bestehende Doppelmonarchie, dann war es selbstverständlich, daß diese nicht österreichisch, nicht einzig österreichisch sein konnte. Meint er die erst in extremis zurück in Oesterreich umgetauften Königreiche und Länder, dann waren diese zwar österreichisch im vielverlästerten schwarzgelben Sinne, nicht -aber deutsch -österreichisch, was sie weder sein wollten noch sollten. Feudal ist das Oesterreich von vor 1918 weder mit der bei uns gebräuchlichen wissenschaftlichen Definition aus dem Lehensrecht, noch im ökonomischen Marxistenjargon gewesen. Da wir jedoch annehmen, daß der Autor den üblichen populären Begriff anwendet, der von einem feudalen Essen und von einem feudalen Heim spricht, überhaupt von etwas sehr Vornehmen, so neigen wir eher dazu, jenes versunkene Oesterreich als feudal gelten zu lassen; auch deshalb, weil, der geduldigen Statistik zum Trotz, der Hochadel, der verschrieene Hofadel, samt ihm nachstrebender Zweiter Gesellschaft bis zuletzt nicht nur den Ton angab, sondern auch die oberste politische Führung stark mitbeeinflußte. Daß aber die Völker Osterreich beherrschten, nicht aber Oesterreich die Völker: welches schönere Lob wäre der untergegangenen Monarchie nachzusagen, als .dieses unfreiwillige, doch verdiente, das man der Geschichtslüge vom Völkerkerker entgegenhalten möge?

Neben derlei Anklagen, die doch nur ein anbe-absichtigter Hymnus auf ein verlorenet Paradies sind, verblassen die im „Rückblick und Ausblick“ nochmals oder neu erhobenen Beschwerden gegen

Oesterreich, in denen wiederum kaum ein Satz unwidersprochen bleiben dürfte. In der Literatur dieses Landes (wobei immer die Begriffsverwirrung zwischen Gesamtösterreich und dessen deutschsprachigen Gebieten hineinspielt) habe nur e i n nani-haftet Schriftsteller aus altem Adel gewirkt, Anastasius Grün-Graf Auersperg. Maria v. Ebner-Eschenbach gehöre dem böhmischen Uradel an (Dubsky), Paula v. Preradovic sei aus serbischem, die Handel-Mazzetti aus südwestdeutschem Geschlecht. Schluß. Und der „Lanzknecht“ Friedrich Schwarzenberg, Friedrich Halm (Münch-Bellinghau-sen), Berta v. Suttner, Friedrich v. Gagern, Paul Thun, Herminia Zur Mühlen (Gräfin Crenneville), Erik Wickenburg? Die wurden freilich nicht dem österreichischen Adel eingeordnet. Tut nichts, der volklose Hofadel wird verdammt, und weil er versagte, die Führung indessen einem blutsreinen, seit Urfehdetagen bodenständigen Ritteradel vorbehalten sein sollte, ist Oesterreich untergegangen.

Schade, daß Preradovich nichts von den Magnaten erzählt, denen die Wiener Klassiker der Musik, geographische Entdeckungsfahrten, humanitäre Einrichtungen wie die Wiener Rettungsgesellschaft, die Wiedergeburt eines durchgeistigten KathoV :smus unter der Romantik, das Baubild der Hauptst_-t und vieler Provinzzentren soviel verdanken. Doch wir wollen ja weniger die österreichische Aristokratie verteidigen, als den Kaiserstaat und seine „Führungsschicht“. So sei auf drei entscheidende Punkte hingewiesen: wo haben sich die Menschen glücklicher, freier gefühlt, sind sie weniger störend und doch vortrefflich verwaltet worden, in Oesterreich oder in Preußen; mit welchem Typ hatte der Fremde, der ins Land kam, lieber zu • tun, mit dem weichen Cesterreicher oder mit dem strammen Preußen; zuletzt, welches Land hat den zweiten Weltkrieg überstanden und erfreut sich allerorts unbezweifelbarer Sympathien?

Unabhängig von dieser Lösung eines objektiv nicht zu entscheidenden Dilemmas bleibt die Kritik an Grundthesen und Einzelirrtümern des Oesterreichabschnittes. Es bleibt auch unsere aufrichtige Anerkennung für das sehr fleißig und kenntnisreich durchgearbeitete Material, das Preradovich uns darbietet. Es bleibt endlich das Mißbehagen über einen Stil, dessen Unbeholfenheit den Durchschnitt der zünftigen Geschichtsschreibung weit unterschreitet. Was sind zum Beispiel die uns öfter begegnenden „tatsächlichen Oesterreicher“? Doch klauben wir, statt vieler, eine Stilblüte heraus (S. 27): „Wohl aber kann in nationaler Beziehung erstmals in Graf Goluchowski ein Pole festgestellt werden, der 1859 bis 1860 als Innen- und Staatsminister fungierte und die föderalistische Verfassung vom 20. Oktober“ 1 860 ausarbeitete und darüber hinaus Vater des späteren Außenministers Graf Agenor Goluchowski wurde.“ Was aus derlei Desperanto ins gemeine Deutsch übersetzt etwa folgendermaßen lautete: „Unter den führenden Verwaltungsbeamten erscheint erstmals ein Pole: Graf Agenor Goluchowski, Innenminister, dann Staatsminister von 1859 bis 1860, der die föderalistische Verfassung vom 20. Oktober 1860 ausarbeitete. Er war der Vater des späteren k. u. k. Außenministers Grafen Agenor Goluchowski des Jüngern“. Gar häufig krankt der Ausdruck der Gedanken Preradovichs an ähnlichen, die Verdauung des Stoffes empfindlich störenden Satzverschlingun-gen wie beim Fall Goluchowski. Dunkel ist oft ihr Sinn. Doch muß es nicht Nacht sein, wo statt Fried-Iinds — Oesterreichs — Sterne die Kriegsland Preußens strahlen? Und müssen nicht unholde Töne aus einem Requiem in Schwarz-Weiß dringen, wenn es vor allem eine Katzenmusik ist, dargebracht dem nun, verkleinert und in sein ursprüngliches Rotweißrot zurückverwandelten, Schwarz-Gelb?

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