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Wien: Stadt ohne Gesellschaft?

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I.

Gibt es noch eine Wiener Gesellschaft? Diese Frage wurde vor einiger Zeit in einer Wiener Gesellschaft gestellt und in eifriger Erörterung von den einen ebenso entschieden verneint wie von den anderen bejaht.

In Wien walteten vor den beiden großen Umbrüchen von 1914/1918 und 1938/1945 zwar keine kodifizierten Regeln, die man schwarz auf weiß in der Manzschen Gesetzsammlung lesen konnte, doch sehr klare Ansichten über Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Es waren eine Erste und eine Zweite Gesellschaft vorhanden, denen sich eine dritte Schicht anreihte, die zwar von den Vornehmeren nicht, doch von sich selbst auch als „Gesellschaft” betrachtet wurde.

Die erste Gruppe, auch Hofgesellschaft geheißen, konnte man ungefähr ‘dem Kreis gleichsetzen, der Zutritt beim Ball bei Hof hatte. Der Kern, die weit überwiegende Mehrheit dieser Auslese, wurde durch die Aristokratie des Habsburgerreiches gebildet. Dazu kamen die fremden Diplomaten, die — mit Ausnahme der amerikanischen, doch großenteils mit Einschluß der französischen und mitunter sogar der schweizerischen — aus ähnlichem Milieu stammten, ferner ein paar Auserkorene, die hoher Würde oder besonderen persönlichen Verhältnissen ihre Zulassung dankten. Wenn wir von Aristokratie sprechen, so vermeiden wir absichtlich den Terminus „hoher Adel”. Denn dieser betraf im juridischen Sinne nur die Angehörigen ehemals reichsständischer Familien, nicht aber fürstliche Geschlechter, die einst ohne Sitz und Stimme auf dem Reichstag des Heiligen Römischen Reiches gewesen waren. Wir sagen auch nicht: „betitelter Adel” oder Herzoge, Fürsten, Markgrafen, Grafen, vielleicht noch Freiherren. Denn nur wenige Frei- herrn-Barone zählten zur Aristokratie. Dagegen gehörten zu ihr zweifellos manche ungarische oder polnische Geschlechter, die keinen Titel führten. Noch eines ist zu berücksichtigen: die Erste Gesellschaft, die Aristokratie, bildete eine große, Familie. Durch ungezählte Wechselheiraten war jeder mit jedem verwandt, höchstens im fünften, sechsten, siebenten Grade. Darum duzten sich alle gegenseitig, sprachen sie einander mit den aus Kindheitstagen stammenden Spitznamen an, der oft keine sofort deutbare Erklärung hatte. Warum hieß zum Beispiel der berühmte Graf Adalbert Sternberg der „Montschi”? … Man war eine große Familie. Und man entfremdete sich dieser, wenn man aus ihr wegheiratete. Eine Ehe mit gleichgeachteten Partnern ausländischer, ja exotischer Abkunft wurde hingenommen. Selten, und erst in neuerer Zeit ist sogar eine „Mesalliance” verziehen worden, wenn die Hinzuheiratenden nicht nur außerordentlich reich, sondern auch aus hochangesehenem, seit langem bekanntem niederadeligem oder bürgerlichem Hause stammten. Es ereignete sich dann, daß — wenn eine Tochter der ersten Gesellschaft einem der nicht Zugehörenden die Hand reichte —, daß die Kinder dieses Bundes zusammen mit denen der mütterlichen Verwandtschaft aufwuchsen. Wenn hernach die Söhne wieder in die erste Gesellschaft heirateten, dann kam die bisher außenstehende Familie allmählich in den so selekten Kreis völlig hinein, und nach vier, fünf Generationen war sie ihm fest eingeordnet, wie etwa die Grafen Aehrenthal oder die Mayr- Melnhof. Heiratete jedoch ein authentischer Sproß der ersten Gesellschaft „unter seinem Stande” und noch dazu ein Mädchen ohne Vermögen oder mit nur geringer Habe, besaß er dazu, als Nachgeborener, keinen eigenen finanziellen Rückhalt, war er, und waren seine Nachfahren gezwungen, einen Beruf zu ergreifen, der nicht als akzeptabel galt. Dann schied er mitsamt seiner Deszendenz aus der ersten Gesellschaft aus, mochte er auch den schönst- klingenden Titel weiterführen. Um es kurz zusammenzufassen: Die erste Gesellschaft knüpfte die Zugehörigkeit zu ihr nicht nur an die — selbstverständliche — Stamm afel, die Abkunft der Manneslinie, sondern auch, im uraltgermanischen, indoeuropäischen Sinn, an die Ahnentafel, die Zugehörigkeit aller nahen weiblichen Vorfahren zu derselben, abgehegten Geburtschicht. War diese Bedingung erfüllt, dann fragte man nicht nach Reichtum: daß man keinen unpassenden Beruf bekleidete, war selbstverständlich.

Innerhalb der Ersten Gesellschaft zeichnete sich eine Gruppe ab, die ihre Anforderungen noch höher schraubte: die sogenannte „Prager Gesellschaft”. Für deren Auffassungen war bezeichnend, daß man sich gegen die Heirat einer ihrer jungen Damen mit einem Lonyay sträubte, der später Gardekapitän wurde und demselben, auf eine fast tausendjährige Vergangenheit zurückblickenden Geschlecht entsproßt wie der in den Fürstenstand erhobene zweite Gatte der Kronprinzessin Stephanie. „Willst du vielleicht eine gnädige Frau werden?” fragte eine empörte Douairiėre, als sich das Los des in den un- betitelten Madjaren verliebten Mädchens entscheiden sollte.

II.

Zur Zweiten Gesellschaft gehörten grundsätzlich alle höheren Beamten, Offiziere des Generalstabs, der Kavallerie, der Artillerie, der Jägertruppe, höhere Offiziere der Infanterie, Hochschulprofessoren, Richter, Mitglieder der Hoftheater und andere bekannte Sänger, Schauspieler, viele Advokaten, Aerzte, angesehene Industrielle, Finanzleute, ein paar Künstler und Schriftsteller, Journalisten, endlich wohlhabende und gebildete „Privatiers”, auf dem Lande die Großgrundbesitzer, die nicht bereits zur Ersten Gesellschaft rechneten und, selbstverständlich, der gesamte Adel: die Barone aus Beamten-, Militär- und Finanzadel, das Heer der „Vonerln” mochten sie mit dem Rittertitel geschmückt sein, als „Edle” umherstolzieren oder nur durch das „von” sich vom gemeinen Bürger unterscheiden. Sie bewegten sich in der Zweiten Gesellschaft, sofern nicht der allzu klägliche Zustand ihrer Finanzen oder ein gar zu bescheidener Beruf dem entgegenstand. (Ich habe schon vor dem ersten Weltkrieg einen Adeligen des Heiligen Römischen Reiches gekannt, der in einer Sommerfrische, nahe dem verfallenen Ahnenschloß, Hausknecht in einem Hotel war). War die Erste Gesellschaft das, was die Engländer „dignified” nennen, verkörperte sie allen Glanz, fuhr sie zur Fronleiclyiams- prozesstpa in herrlichen Glaskarossen, trug sie, wenn sie aus Ungarn oder aus Polen stammte, die prächtigen Nationalkostüme der dortigen Magnaten, hatte sie bevorzugtes Avancement in Armee, Diplomatie, den wenigen von ihr der Aufmerksamkeit gewürdigten Zweigen der Verwaltung,1 war ihr der Hof dienst Vorbehalten, konnten nur ihre Mitglieder das Goldene Vließ (das „Lamperl”), den Sternkreuzorden (für Damen), den Kämmererschlüssel bekommen — auf Grund rein aristokratischer (Vließ) oder rein adeliger Ahnentafeln von 32 (Vließ) oder 16 „Quartieren” —, so schmeichelte sich die Zweite Gesellschaft, den wirtschaftlichen Fortschritt, die große geistige Leistung in Wissenschaft, Literatur und Kunst, die angeregtesten menschlichen Begegnungen zu bescheren. Man war „efficient”.

Das stimmte mehr oder weniger für die zwei letzten Generationen vor den Weltkriegen. Früher hatte die Erste Gesellschaft den Vorrang als Mäzene und als Förderer der Wirtschaft. Im Vormärz meldete sich daneben die Zweite Gesellschaft. Doch bis zuletzt sind aus der Aristokratie Namen wie die der Liechtenstein, Har- rach, Wilczek, Lanckororiski, Esterhazy, Czer- nin, Schwarzenberg mit goldenen Lettern in die Kulturgeschichte eingeschrieben. Die Zweite Gesellschaft hat übrigens eine Konkurrentin und bescheidenere Rivalin auch nach unten, in jener Dritten, die von den höheren Kreisen ignoriert wurde, aus deren Reihen sich aber die Zweite immer wieder ergänzte und auffrischte. Das waren die weniger bekannten und weniger bemittelten Intellektuellen aller Art, beamtet oder in freien Berufen tätig, aufstrebende Kleinindustrielle, Kaufleute, Landwirte, Rentner mit geringerem Kapital, die allesamt am geistigen Geschehen teilnahmen und die, in Sitte und Mode, trachteten, es der Zweiten Gesellschaft möglichst gleichzutun, wie diese den Stil der Ersten nachahmte, soweit es anging. Unterhalb der erwähnten drei Schichten war dann nur mehr das namenlose Volk anzutreffen, das bei festlichen Anlässen die Auffahrten bestaunte und sich vornehmlich an den „hohen Herrschaften” und noch an den „schönen Leuten” ergötzte … und, im sparsamsten Rahmen, sie nachahmte. Ob sich das- um die Kleidung oder um gewisse äußerliche Gebärden — etwa den Handkuß, die Verbeugung, die höfliche „Türquälerei” beim Eintritt in einen Raum — drehte oder um Sprechweisen. Im Hause meines Vaters hatten wir einen Portier samt Gattin, die sich ihrerseits noch — o gute alte Zeit — ein Dienstmädchen hielten. Eines Tages erkundigte sich mein Vater bei ebender Hausgehilfin der Hausmeisterin, wo sich diese befinde. Antwort: „Bitt schön, Euer Gnadn, die gnä Frau tuat d Stiegn reibn …” Eheu fugaces! Was ist von dieser einstigen — nur einstigen? — Gesellschaftsordnung noch übrig, von dieser Ordnung in ein, zwei, drei Gesellschaften? Formell, selbstverständlich, nichts. Es gibt ja keinen Adel, es gibt keine Vorrechte, es gibt keine „Gesellschaften” außer den ins Handelsregister eingetragenen und außer denen, die veranstaltet werden. Ja aber, wer veranstaltet sie, für wen?

Traditionen, Abschichtungen auf Grund gemeinsamer Erziehung, gemeinsamer Ansichten, Gewohnheiten sind stärker als sämtliche aufs geduldige Papier gedruckten oder geschriebenen Vorschriften. Zudem bilden sich immer wieder, auch in der angeblich klassenlosen Gesellschaft, neue Gesellschaften auf Grund ähnlicher Lebenslage, Sitten, und sehr bald kraft eines wechselseitigen Konnubiums, einer Abschirmung von andern Sphären und einer blutmäßigen Anknüpfung an einstige Eliten. In Wien, in Oesterreich war der doppelte Schock zwar ungemein stark, doch er hat nicht alle Grundlagen der (drei-) gesellschaftlichen Ordnung erschüttert. Dabei können wir feststellen, daß die wirtschaftlichen und die sagen wir amtlichen Zugehörigkeitsmomente weit weniger Bestand haben als die Imponderabilien, die auf eingewurzelte Ueberliefęrung zurückgehen. Beginnen wir mit der Ersten Gesellschaft. Sie ist vorhanden wie eh und je, womöglich noch mehr in sich geschlossen, doch auch, zurückgezogen, vermeidend, von sich reden zu machen. Nur hat sie in einem bedeutsamen Punkt die Anschauungen umstürzend geändert. Es ist nicht mehr verpönt, die mannigfachsten, vordejn als unmöglich betrachteten Berufe auszuüben. Eine, übrigens charmante Erzherzogin ist Krankenpflegerin; die Tochter einer Erzherzogin und eines mediatisierten Prinzen war Angestellte eines Großwarenhauses. Der Enkel eines Mannes, der seine Hände auf dem Rücken verschränkte, um nicht seine Rechte einem bürgerlichen Kollegen im einstigen österreichischen Herrenhause drücken zü müssen, ist Rechtsanwalt. Die Ururenkel jenes Fürsten, dem man nachsagte, für ihn fange der Mensch beim Baron an, werden von ihrer Mutter, einer höchst tüchtigen Geschäftsfrau, zu zeitgemäßer Wirtschaftsvertrautheit erzogen. Andere aus der Ersten Gesellschaft sind Steuerberater, Garagenbesitzer, Archivbeamte, Aerzte oder sie haben sich gar als Hochschulprofessoren einen bedeutenden Namen gemacht. (Die letztgenannte Wirksamkeit war allerdings schon zur Zeit der Monarchie erstgesellschaftsfähig, wie die Namen Hohenlohe, Glr’spach, Westfalen, Degenfeld beweisen.) Die Aristokratie hat zumeist ihre Vermögenssubstanz oder, bestenfalls, den größten Teil ihres früheren Reichtums verloren. Das trifft vor allem auf die Familien zu, die in den benachbarten Volksdemokratien begütert waren. Doch auch die in Klein-Oesterreich heimischen Geschlechter sind, mit wenigen Ausnahmen,finanziell sehr hart angeschlagen worden. Um so mehr sind ebendiese Ausnahmen in sehr sympathischer Weise bestrebt, der Mehrheit ihrer arg geprüften Standesgenossen Rückhalt zu bieten und anderseits die kulturellen Ueber- lieferungen unserer Aristokratie hochzuhalten, wie das z. B. jlie Liechtenstein — begünstigt durch ihre einzigartige Stellung als souveräne Fürsten —, die Schwarzenberg, Thum, Kheven- hüller, Seillern tun.

Der Kontakt in diesem Kreis ist unzerstört, und es bereitet Vergnügen, zu sehen, wie hier der Arme, Vertriebene mit offenen Armen aufgenommen wird, ohne daß in ihm Gefühle der Demütigung aufsteigen; wie sich hier die Pforten nach wie vor eher dem bedürftigsten Verwandten als dem neureichsten Emporkömmling öffnen. Allerdings auch, daß immer häufiger Fühlung mit der geistigen Elite genommen wird. Nur selten erfährt die Oeffentlichkeit von den Veranstaltungen dieser Sphären, wie etwa vom glanzvollen Ball, den das Fürstenpaar Liechtenstein zu Ehren des griechischen Königspaares gab, oder von denen aus Anlaß der Anwesenheit des Herzogspaares von Windsor (Eduards VIII. und seiner Gattin). Die Westdiplomaten verkehren gerne und gerngesehen in diesem Milieu, dem dagegen die offiziellen „Spitzen” in ähnlicher Weise fernbleiben wie die republikanischen Großwürdenträger in Paris den Salons des Faubourg.

IV.

Den vordersten Platz nimmt heute d i e Schicht ein, die man zuvor als Zweite Gesellschaft bezeichnete und deren Creme immer mehr zur Ersten hinübergleitet. An die Stelle des Hofes sind eben die „Höfe” als Mittelpunkt getreten, die vornehmsten schon ganz in die Aristokratie eingefügt, die Mayr-Melnhof voran, dann die Mautner Markhof, Mayer-Gunt- hof; sodann die anderen führenden Großindustriellen, Bankgewaltigen und Großkaufleute. Sie erscheinen vor allem als — nicht allzu verschwenderische — Mäzene der Kunst, der Wissenschaft und, in sehr zahmem Ausmaß, der Literatur. Sie sind Gönner der Musik und des Sports. Sie geben Empfänge, Bälle, kleine Feste. Von ihnen und von der Diplomatie (nebst der Paradiplomatie aller Art) leben die führenden Wiener Luxusgeschäfte von Demel zur Haute Couture. Sie sitzen in den Logen der Bundestheater; sie dominieren beim Pferderennen und beim Reitsport immer stärker als die Aristokratie. Sie haben die schönsten Automobile (typisch, von fünf Rolls Royce in.. Oesterreich gehören. -zwei Aristokraten, einer. dem britischen Botschafter, einer einem Großindustriellen). Doch wie sehr die an der Grenze von der ersten zur zweiten Gesellschaft beharrenden Multimillionäre aus altangesehenem „Bürgeradel” oder ungeadeltem bürgerlichem Patriziat in den Stil der Aristokratie hineinwachsen — Mäzenatentum, Jagdfreude, Reitkunst, Sprechweise inbegriffen —, weder sie selbst noch sogar die wenigen noch in geldlichem Flor befindlichen aristokratischen Geschlechter führen auch nur annähernd einen Train, wie er in Frankreich, in Italien und in Spanien ganz oben anzutreffen ist. Vorbei die Scharen von Lakaien, die Hausoffiziere in spanischer Tracht, die Leibjäger auf dem Kutschbock. Vorbei — leider — sogar die erlesene Küche, von der etwa der spätere Küchenchef des britischen Königshauses in seinen Wiener Erinnerungen schwärmt. Ein verwöhnter Diplomat klagte mir bewegt:. „Da war ich neulich beim XY. Wissen Sie, was mir der vorgesetzt hat? Eine Suppe, ein Rindfleisch mit Beilage, ein halbgebratenes Huhn und einen Auflauf.” Und noch unter der Ersten Republik meinte zu mir ein seither sehr hoch gelangter französischer Diplomat: „C’est curieux, ä Vienne, tout le monde mange ä la franęaise.” Immerhin, die Zweite Gesellschaft versteht es ausgezeichnet, jedes Jahr einen Karneval zu feiern, bei dem die Erste hier und da mittut (Philharmonikerball, Theresianistenball Schottenball, Ball der Campagne-Reiter-Gesellschaft). Im Palais Pallavicini, das — o tempora, o mores — fast ganz als Stätte mehr oder weniger offiziellen Vergnügeps vermietet ist, neben dem gleichfalls kommerzialisierten Palais Auersperg (einst dem Heim der Rofrano, also des Rosenkavaliers), Wiens schönstem allgemeinen Empfangssalon, kann man sich die Bestätigung holen, daß es eine Wiener Gesellschaft, eine recht gute, gibt und daß sie, im etwas erneuerten Stil, die Traditionen pflegt.

Wie ehedem sammeln sich um die Finanzkräftigsten, Finanzgewaltigen die Künstler, die Verdientesten und die Verdienendsten aus den freien Berufen — Advokaten, Aerzte, wenige Schriftsteller —, noch weniger Gelehrte (außer den Medizinern und ein paar Juristen), einige Hochbürokraten, Politiker, Publizisten. Der Kreis erweitert sich jeweils, wenn die Bundesregierung aus Anlaß eines Kongresses einen Empfang in Schönbrunn oder im Belvedere gibt. Dann sieht man auch Gäste, die sonst nie auftauchen und die aus dem unerschöpflichen Reservoir der Dritten, also der eigentlich nicht existierenden Gesellschaft, herflattern. Diese hat am meisten unter den Umschwüngen gelitten. Man kennt nicht mehr die bürgerlichen Hausbälle und kaum die Kammermusik in der behaglichen mittelständischen Wohnstube. Während die Salons der noch Vielbesitzenden in der Ersten, die Empfangsräume oder der Empfangsraum der Zweiten Gesellschaft den geeigneten Besuchern geöffnet geblieben sind, hat der Verkehr von Familie zu Familie, haben die an Dutzende von Gästen gerichteten Einladungen auf „einen Löffel Suppe” (dem eine lange Speisenfolge sich anreihte) im gebildeten oder halbgebildeten mittleren Bürgertum aufgehört. Es fehlt an Geld, an Platz und… an der Lust zu derlei gesellschaftlichem Betrieb.

Wie überall wird der Kreis derer, die noch über die nächsten Tagessorgen hinaus Muße haben und äußere Voraussetzungen zu kultiviertem Genuß besitzen oder denen wenigstens von bevorzugteren Verwandten, Freunden Teilnahme an einer über die Massenzivilisation hinausreichenden Lebensart geboten wird, immer kleiner.

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