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Nur wenige werden sich an das alte Firmenschild des bürgerlichen Restaurants im Zentrum der Stadt erinnern: „Jeremias Leebmann, Gasthaus zum blauen Ochsen“, und für den, der es nicht lesen konnte, war ein blauer Ochse daneben gemalt. Den hatte allerdings der Regen weggewaschen, und er war nicht erneuert worden, denn für ein Restaurant der Inneren Stadt schien er nicht mehr ganz passend. Im Betriebe aber hatte sich nichts geändert. Wie einst, als noch himmelblau der Ochse im Schilde prangte, trafen sich auch dann die Bürger und Spießbürger, um mit Ernst und sorgenvollen Gesichtern über Politik zu sprechen, die sie innerlich nicht berührte, Hochzeiten und Totenzehrungen zu feiern und Karten zu spielen.

' Da wurde eines Tages die Fassade neu gestrichen. Es war das erste, was der neue Geschäftsführer veranlaßte. Er hätte sich geschämt, in diesem grauen Hause Geschäftsführer zu sein.

Als er so den Arbeitern auf dem Gerüst zusah, da kam ihm der schöpferische Gedanke, an den sich ein großer Reichtum hängen sollte. Vor allem: die vielen Räume rechtfertigten die Bezeichnung Etablissement. Und wenn man den Namen des Besitzers nur ein wenig änderte, ohne einen Buchstaben dazuzugeben, sondern nur einen versetzte, so mochte das erreicht sein, was die Neureichen suchten, besonders die von draußen In die Stadt hereinkamen: Etablissement Lebemann.

Der neue Geschäftsführer machte sich bezahlt. Aber dem alten Herrn von Leebmann lag nichts an den Ideen des Geschäftsführers, nichts an Reichtum. Und Reichtum, der von Sünde kommt, den hätte er nicht nur abgelehnt, da wäre er lieber als Bettler an einer Straßenecke gestanden.

Aber er wußte von alldem nichts. Immer mehr schloß er sich in sich ein. Er verließ nur zeitlich früh das Haus, um vor dem Frühstück zur Messe zu gehen, und bisweilen nachmittags, um der Witwe Ursula v. U. einen Besuch zu machen, mit der er lange Unterhaltungen führte über Himmel und Sünde, was nicht nur dadurch erschwert war, daß ihnen beiden in diesen Dingen die Erfahrung oder zum mindesten die Erinnerung fehlte, sondern auch weil sie beide gleich schwerhörig waren, so daß sie meistens aneinander vorbeiredeten, was aber deswegen wieder gleichgültig war, weil sie es niemals gewahr wurden.

Herr von Leebmann wunderte sich nicht darüber, daß sich seine Einnahmen vervielfachten. Er sah darin einen Beweis dafür, daß ihn der Herr liebte. Aber er spielte dem lieben Gott doch einen kleinen Possen. Je mehr er verdiente, um so mehr gab er der Kirche. Er wollte sich im Diesseits keinen Vorschuß auf die ewige Seligkeit geben lassen.

Nicht daß er Gott nicht für alles dankbar gewesen wäre, was er ihm schickte! Selbst für seine Schwerhörigkeit. Nicht nur daß die Sünde vielfach durch das Ohr geht, es würde sich unschwer feststellen lassen, daß man in seinem Leben viel mehr Unangenehmes hört als Angenehmes. So rechtfertigte und lobpreiste der greise Leebmann Gottes Werk auch dort, wo es andere für mißlungen angesehen hätten.

Der junge Leebmann, Enkel und Erbe des Jeremias Gotthelf Leebmann (seine Eltern waren nicht auf den Thron gekommen, der alte Jeremias Gotthelf hatte zu lang gelebt), hatte die bürgerlich schlichte, einfältig-religiöse Erziehung aller Leebmanns erhalten, und er wäre gleich seinen Vorfahren ein frommer Sohn der Kirche geworden, der Gott mehr gab, was Gottes war, und ein musterhaftes Familienleben führte, ja wenn er nicht in den Wirbel der Zeit geraten wäre und das wieder nur, weil das Füllhorn des sündhaften Reichtums sich in unfaßbarem Maße über ihn ergoß. Seine Zügellosigkeit läßt sich kaum beschreiben. Bald nannte ihn niemand mehr Leebmann, sondern nur Lebemann, und Menschen, welche weniger mit ihm in Berührung kamen, waren der Meinung, daß dies sein wirklicher Name sei, und schrieben ihn gelegentlich auf Einladungen und Briefe. Es war weniger ein Ausfluß seiner Sündhaftigkeit als seines guten Geschmacks, daß er frühzeitig den von seinen Eltern sorgfältig im Hinblick auf die Keuschheit des Namenspatrons für ihn ausgewählten Vornamen Alois in den legendär unbelasteten Namen August und den wieder in einen forschen Gustl umwandelte. Wo etwas Tolles los war, ging es bald nicht mehr ohne ihn, erstens weil er für die Kosten aufkam und dann weil keiner es ihm an verwegenen Einfällen gleich tat.

Die Preise im Etablissement Lebemann waren ins Astronomische gestiegen. Nicht nur weil der Besitzer diese Summen benötigte, sondern weil nur solche Preise das Niveau des Unternehmens halten konnten. Einmal waren von einer Konkurrenz die Preise überholt worden, und sofort wanderten illustre Gäste ab.

Eines Tages aber kam doch der große Umschwung, fast plötzlich, unaufhaltsam. Da konnten keine Einfälle des Geschäftsführers etwas daran ändern. Das lag nicht an den Preisen, überhaupt nicht am Geschäft als solchem. Die Wurzeln lagen tiefer.

Aufmerksame Beobachter hätten schon lange Symptome einer neuen Zeit feststellen können. Wer aber sieht gleich hinter den einfachen Erscheinungen den gemeinsamen Hintergrund? Es fing damit an, daß die Frauen sich die Haare wachsen ließen und die Kleider länger wurden. Das schien zunächst etwas Äußerliches. Dahinter aber stand ein großer geistiger Umschwung. Gewiß kein moralischer. Eher handelte es sich um eine neue große Mode. Das Unmoralische war langweilig geworden. Wohlgemerkt, das ungeschminkt Unmoralische. Das Wahllos-Kokette, das Offen-Zugängliche wurde unfair, alles öffentliche unfein. Die Herren knöpften wieder ihre Hemdkragen zu und redeten eine Dame, mit der sie zum erstenmal tanzten, nicht mehr mit dem Vornamen an. Man suchte Distanz. Zuerst verödete die Bar. Sie war so richtig das Rendezvous der Sich-Unbekannten, das Einfallstor der Unerwünschten in die Gesellschaft gewesen. Man tanzte zuhause. Man aß auch wieder zuhause. Eine neue Schichte drängte in die freigewordenen Lokale nach. Man hatte Mühe, sich ihrer zu erwehren. Die wollten alles billiger haben, empörend billig. Das war Verlustgeschäft. Der alte Geschäftsführer war der neuen Lage nicht mehr gewachsen. Der Untergang des Geschäfts war besiegelt. Da riß Alois Leebmann die Zügel an sich. Es geschah im letzten Augenblick.

„Mensch“, schrie er eines Tages den Geschäftsführer an, „sehen Sie nicht, daß uns diese veralterte Aufmachung mit dem idiotischen Aushängeschild in den Ab- grund stürzt! Welcher Kavalier ist heute noch ein Lebemann? Schlichte Räume! Ernste Farben! Abstand der Tische! Man will keine Berührung mit dem Nachbar! Und vor allem einen schlichten Namen, der sich dem vornehmen Manne aufdrängt. Am besten wäre ,Auge Gottes', aber das ist schon vergeben. Was wäre es mit einer frommen Brüderschaft? Was gibt es von der Sorte? Meine frommen Vorfahren wären darin bewandert gewesen. Mich berät niemand. Alle Ideen muß ich allein haben. Ja, was wäre es mit den Trappisten, Karmelitern, Augustinern, Franziskanern? Etwa: Bei den Karmelitern? Bei den frommen Karmelitern? Nein, die Zeit der Übertreibungen ist vorbei. Einfach: Bei den Karmelitern, unterstrichen durch die fromme Haltung des Personals.“

Und so geschah es. Der Geschäftsführer verschwand im Büro. Ein neuer kam an seine Stelle. Er entstammte der Aristokratie und verstand nichts vom Geschäft. Er begrüßte die Gäste, die willkommen waren, und übersah andere, deutete bisweilen unauffällig an, daß der besondere Platz oder das ausgesuchte Gericht seiner besonderen Bemühung zu danken sei, war nie leutselig, nie herablassend, nie überheblich, nie verbindlich, nie abweisend. Er war die Verkörperung des Lokals: Vornehmheit und Abstand. Die Firma beglich seine alten chulden und zahlte ihn so, daß er keinen Anlaß hatte, neue zu macheh.

Plätze im Restaurant .Bei den Kamelitern“ gab es nur auf Vorausbestellung. Sie hatten den Kurs einer Opernloge. Man war sehr exklusiv. Outsider waren nicht zugelassen. Es bildete sich eine Art Klub heraus. Die Männer machten feierliche Mienen, wenn sie sagten: Heute abends „Bei den Karmelitern“. — Manche, die es nie betreten hatten, ließen in ihr Gespräch einfließen: Als wir vorige Woche „Bei den Karmelitern“ speisten. Das gehörte zum guten Ton.

Gustl Leebmann nannte sich wieder Alois. Bei besonderen Anlässen fügte er dazu Jeremias, den Namen des seligen Urahnen, der einst das Geschäft zum blauen Ochsen gegründet hatte. Er gründete einen Hausstand und bekam Kinder. Es kamen kleine Anzeichen des beginnenden Alters, und er trug sie zur Schau.

Eines Abends sagte er sorgenvoll zu seinem Sohn: „Alles fließt... Wie wirst du einst deine Zeit meistern?“

Der aber lachte und klatschte in die Hände. Denn er war erst ein Jahr alt und wollte nicht einschlafen.

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