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Unsere alten Schulmeister

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Leider ist sie schon wieder geschlossen, die Ausstellung der Bücher, Bilder und Dokumente, die das Unterrichtsministerium im Palais Palffy, dem „Österreich-Haus“, veranstaltete. Der Oberstaatsbibliothekar, Dr. Otto Guglia, der die einzelnen Objekte jahraus, jahrein in der Sammlung des Ministeriums hütet und der sie für ein paar kurze Tage ebenso dezent wie instruktiv einem interessierten Publikum vorstellte, wird all die Bücher, Stiche, Briefe und Dokumente wieder sorgsam an ihren Platz verbracht haben. Vielleicht war es schade, daß diese kleine Schau just in die Festwochenzeit fiel und dadurch in den Windschatten der gro-

ßen Expositionen geriet. Wer nebenan in der Albertina die Stiche bewundert hatte oder gar „über die Gasse“ bei den über alle Maße köstlichen Spaniern und Italienern im Kunsthistorischen Einkehr hielt, der war bestimmt so müde vom überreichen Schauen, daß er für den Gang ins Österreich-Haus keine Zeit mehr hatte.

Dabei wäre der Sommertermin gar nicht zwingend gewesen. Denn es war der Tag des Frühlingsanfangs anno 1760 gewesen, an dem die Kaiserin Maria Theresia die S t u d i e n h o f-kommission, den Beginn einer modernen Unterrichtsverwaltung, errichtet hatte. Er kehrte zum dreihundertsten Male wieder, und da fühlte die österreichische Schule mit Recht das Be-düpfnis, wie RechesaWaitJVM'jnem Foeum.der Öffentlichkeit zu legen, das schon die Kaiserin mt 4SreniWort tfon d-.ulateWeWpfelB-tikum“ als dafür zuständig erklärt hatte. Aus einer Reihe von staatlichen, kirchlichen und privaten Archiven hatten sich die wissenschaftlichen Leiter der Ausstellung, neben Dr. G u g-1 i a, Präsident Hofrat Dr. Meister, Sektionschef F a d r u s und Sektionsrat Dr. Kolba-b e k, die Zeugnisse für diese höchst abwechslungsreich und zum Teil stürmisch verlaufenen drei Jahrhunderte österreichischer Schule zusammengetragen. Dem Berichterstatter aber begannen die Zeugnisse mit einem Male als Stücke des eigenen Daseins, der eigenen Jugend, zu leben. Dem einen oder anderen der Kollegen bei diesem Rundgang ging es ähnlich:

„Der alte Häuler: Alauda cantat, columba volat...“

„Wie es im Gindely steht auf Pagina fünfzehn“, skandierte ein anderer getreu nach der Meyeriade.

„Mocnik, ein intimer Feind meiner Jugendjahre“, knurrte ein dritter in Erinnerung an den bereits 1892 verstorbenen Verfasser eines des öfteren neu aufgelegten Mathematiklehrbuches für die Mittelschulen, dessen Beispiele lange Nachmittage mit „unlösbaren“ Hausarbeiten erfüllt hatten. („Da muß ein Fehler im Lehrbuch sein, das Beispiel gibt ja keinen Sinn!“ hieß es und dann stimmte es halt doch). Die Porträts der drei gestrengen Herren, die man somit zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht sah, den Deutschen Hauler, den Tschechen Gindely, den Slowenen Mocnik, waren aber nicht die einzigen, die Erinnerungen wachriefen.

Auch die anderen Zeugnisse, einzeln und insgesamt, formten sich zu Elementen, in denen man dankbar oder nachdenklich all das widergespiegelt fand, was einst den eigenen Charakter, das eigene Wissen gebildet hatte ...

KATHOLISCHE AUFKLÄRUNG...

Ja, von ihnen hatte man im Geschichtsunterricht gehört, von Johann Ignaz Felbiger, dem weiland Abt des schlesischen Sagan. Man hatte seinen Namen auswendig gelernt wie den des Gerhard van Swieten, wenn man fleißig war, sogar den des Kardinal-Bischofs von Passau. Firmian, der durch eine Denkschrift Anlaß zur theresianischen Schulreform gegeben hatte. Und da stand man nun vor ihren Porträts, vor diesen gepflegten Köpfen der Rokokozeit mit ihren zierlichen Perücken und Bäffchen und den scharfsinnig-gütigen Augen. Und da sah man ihre Umwelt, das theresianische, später jose-phinische Österreich, seine lichte nüchterne Vornehmheit, seinen optimistischen Wissensglauben, aber auch seine merkwürdige Verschlossenheit dem eigentlich Religiösen und Kirchlichen gegenüber. Die aufgeklärten Bischöfe der folgenden Generation, die Sudetendeutschen Kindermann und Milde, der lesuit und Waisenvater Parhammer mit seiner militärisch-fürsorgenden Pädagogik, die graziös-würdige

Konversation einer so ganz und gar nicht verschwörerisch-düster anmutenden Freimaurerzusammenkunft der Rokokozeit. Man warf einen Blick auf die Religionsbücher dieses Zeitalters mit ihrer steifleinen-poetisierenden Moralität, ihrer halb kargen, halb blumigen Titelgebung, in der sich schon das kommende Biedermeier ankündigte. Und man wurde gewahr, was man doch alles einst in den Schuljahren von diesem Geist bewußt oder unbewußt in sich aufgenommen hatte. Die alten Katecheten und „Religiosi“ der Gymnasien standen für ein paar Augenblicke auf mit ihrer nüchternen und milden Toleranz, diese der Tüftelei ebenso wie dem allzu strammen Liturgismus abholden Religionsschulmeister, die einem mehr von den Dogmen und handfesten Sittenlehren, denn van den -Wmim- iprHchtungen uffyanacgn beigebracht hatten mit ihrer männlichen Treue zum Papst, die nicht gerade überschwengliche Formen des „Römischen“ kultivierte, bei gleichzeitiger Bürgerloyalität :um Staatswesen, mochte es nun „altes Osten eich“ oder Republik von

Wien oder Prag heißen. Diese Loyalität hatte nichts mit Untertanenseligkeit oder Staatsfrömmigkeit zu tun, sondern vertrug sich sehr gut mit einer augenzwinkernden ironischen Distanz. (Just das war es, was Bismarck und nach ihm so mancher Primitivere wutschnaubend als „Heimtücke von der Kanzel“ bezeichnete.)

Und man wurde mit gelindem Schauer gewahr, wie „josephinisch“ man doch eigentlich in allen jenen Lehranstalten erzogen worden war, die aus diesem Geist entstanden, mochten sie auch seit 1918 längst nicht mehr auf österreichischem Boden stehen ...

DIE KONSERVATIVE FREIHEITLICHKEIT

Und dann steht man auch vor ihren Bildern: In einem eigenen Kabinett, das nach dem Väter- und Heldenzeitalter der österreichischen “Schul'e“ “gewidmet ist “Man sieht sie von Angesicht zu Angesicht, den Grafen Leo, Thun, den Böhmen und stolzen Konservativen, einen der wenigen, die es sich hierzulande leisten konnten, liberal zu sein, ohne liberalistisch oder kornblumenblau zu werden. („Liberaliter“ ... frei, edel, eines anständigen Mannes würdig, so heißt die wörtliche Übersetzung in Sto-wassers Wörterbuch.) Sie fällt einem ein, wenn man sein Bild betrachtet. Neben ihm dann die anderen, der etwas ängstliche, von Empfindsamkeit geprägte Feuchtersieben, der preußischpräzise Bonitz, Schöpfer der Gymnasialordnung. Neben ihnen die Stiche und Drucke der acht-undvierziger Zeit, die historischen Interlinearversionen des angeblich um eine endgültige Form ringenden Donaustaates zwischen der Aera Bach und dem Hochliberalismus des Bürgerministeriums Auersperg. Härter und verbissener werden die Profile: Hasner von Artha, Stremayr, Härtel und Marchet schließlich. Und trotz allem. Mit Nietzsche zu sprechen „Was sie lehrten, mag abgetan sein, was sie lebten, wird bleiben stahn“. Aus dieser Zeit spricht eine Haltung, von der wir alle etwas mitbekommen haben: etwas vom kalten keuschen Feuer der reinen Liebe zur Wissenschaft, von philologischer .Gründlichkeit, männlicher Neigung ,.?BBV.uberen,nufld ftfejktivea Urteil., Wir,buttern in den Grundsatzworten des Reichsvolksschulgesetzes, mit den fest umrissenen Unterrichtszielen, seiner empörten Ablehnung der körperlichen Züchtigung. Von diesen Pädagogen sind Generationen anderer Lehrer gebildet worden. Auch die, denen der politische Liberalismus dank gläubiger und konservativer Haltung nie zum Credo wurde, haben etwas von seinem Habitus mitbekommen, von jenem schwarzgelben Liberalismus, der für immer gestorben zu sein scheint.

Und noch etwas anderes wird uns mit einem Male wieder präsent: Wie weit war doch diese Bildungswelt. Die herrlich altmodischen Schulen treten vor unser Auge zu Czernowitz und Lemberg, zu Reichenberg und Cilli, diese muffigen, kasernenartigen, dunkel-ungesunden Steinkästen, in denen es sich so frei leben ließ, und die ähnlich den schönbrunngelben Bahnhöfen ein gemeinsames Stützpunktsystem des Altösterrei-chertums waren, auch für uns, die wir nach 1918 geboren wurden und die einstige politische Gemeinsamkeit nur vom nicht immer freundlichen Hörensagen kannten.

Wir gehen durch den letzten Raum, er ist den Männern der trotz aller Not hoffnungsreichen ersten Nachkriegszeit gewidmet, einem Otto Glöckel mit seinen von humanistischem Feuer getragenen Schulpionieren, einem Gaul-hofer, einem Richard Schmitz, dessen neue, aus christlichem Geist getragene Gedanken durch die einsetzenden Tragödien Österreichs nicht mehr zur vollen Entfaltung kamen. Wir stehen bald mitten in der Gegenwart, der wir gern die schuldige Reverenz erweisen. Unsere ganze persönliche Sentimentalität ist aber bei den Erz-und Vorvätern geblieben, die wir wohl nie mehr im Leben alle an einem Ort versammelt sehen werden ... den Hauler, den Gindely.

Ob da nicht auch der alte Klassenvorstand, hinter so einem Vollbart versteckt, auf uns herniedersieht: Prüfend, aber voll Wohlwollen ob solchen Interesses für den Unterricht selbst nach Schulschluß ...

O jerum ...

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