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Stürmischer Anfang

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„An der Wiege der österreichischen Journalistik“ ist der Titel eines vor kurzem erschienenen neuen Bändchens der gut eingeführten „Oesterreich-Reihe“ (Bergland-Verlag, Wien). Es ist der Presse des Jahres 1848 gewidmet. Wir bringen im folgenden einen Auszug, der ein Bild über die bewegten Anfänge der österreichischen Publizistik vermittelt. Die Furche

Die Zeit nach der zweiten Revolution des Jahres 1848 bringt nicht nur eine Verschärfung des publizistischen Kampfes, manchmal bis zum Exzeß, sondern auch einen Höhepunkt journalistischer Gründungen. — Die Sommermonate waren jene Zeit, in der die Wogen der Revolution am höchsten gingen. Jetzt gab es keine Uniformität, kein Versteckenspielen mehr. Die Geister hatten sich klar geschieden. Es galt nun. deren Kampf auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens und mit allen Mitteln auszutragen. Und eine Arena dieses Kampfes War nicht zuletzt die Presse. Es ist aber auch klar, daß eine Zeit der Bewegung, in der Altes stürzt und Neues geboren werden soll, einen günstigen Nährboden auch für jene Art von Journalistik abgeben mußte, von der Zenker (S. 78) sagte: „ ... was die einen aus Beruf, das taten die anderen bald aus Profession, indem sie die allgemeine Schreibund Leseepidemie zum Gegenstand eines recht nüchternen Geschäftes machten.“ Ein Satz, für dessen zeitlose Gültigkeit wir wiederum auch aus unserer Gegenwart genügend Beweise erbringen könnten.

So zeichnet sich der Großteil der Neuerscheinungen in den Sommermonaten weniger durch ihren Inhalt aus, sie sind aber ihrer Aufmachung wegen der Erwähnung wert. Am Anfang steht der ,Grad' aus“, ein gemäßigt demokratisches Blatt, redigiert von Bernhard Friedmann. Er wurde bald viel gelesen und erzielte eine Auflage von 15.000 Exemplaren. Der Grund hiefür ist weniger in seinem Inhalt zu suchen. Auch seine Billigkeit — er kostete nur einen Kreuzer — gab nicht den letzten Ausschlag, vielmehr war es die neuartige Art der Kolportage. Der „Grad' aus-“' wurde nämlich invrinfemmir., jlaKnen“ geschmückten Wagen, der durch die Straßen Wiens fuhr, vertrieben. Wir sehen, daß auch schon im Jahre 1848 die Reklame zu einem nicht unmaßgeblichen Faktor des Pressewesens zu werden beginnt.

Bald hierauf wollte ein anderes Blatt dem „Grad' aus“ seine Position streitig machen und legte sich deswegen den nicht unähnlichen Namen „Habt acht. Grad' aus“ bei. Allein die Finte schlug ~ fehl — und das Konkurrenzblatt stellte bald sein Erscheinen ein.

Eine nennenswerte Konkurrenz war erst durch das Erscheinen des „Omnibus“ gegeben, welcher seine Exemplare in durch die Straßen wandelnden Türmen vertrieb. Er stand also dem „Grad aus“ an Originalität nicht nach und bot vor allem noch einen anderen Vorteil. Er erschien in Großquart bei einem Preis von ebenfalls einem Kreuzer. Es ist eine Erfahrung der Praxis, daß umfangreichere Zeitungen, sei es auch nur wegen der Fülle des Papiers, eine gewisse Anziehungskraft auf die breite Leserschaft nicht verfehlen. — Jetzt schien das Stichwort und Rezept für einen durchschlagenden Erfolg gegeben. Alle übrigen Blätter versuchten so schnell wie möglich ihren Nachteil aufzuholen und vertauschten das Oktav mit dem Quart, ja mitunter sogar mit dem Folio. Die Vergrößerung des Formats hielt aber nur in den seltensten Fällen gleichen Schritt mit , der Hebung des Niveaus dieser Blätter.1

Ein anderes Blatt mit dem vielsagenden Namen „Der Ohnehose“ versuchte auch durch die bizarre Art seiner Kolportage bekannt und verkauft zu werden. Er wurde aus einem, von Pferden mit roter Schabracke gezogenen Karren, von einem Mann mit einer Jakobinermütze feilgeboten. Der Name dieses Presseerzeugnisses erregte aber aus doppelten Gründen den Anstoß der Sicherheitsbehörde und wurde deswegen zuerst in den „Proletarier, später in den „Volksmann“ umgeändert, ohne dem Blatt deswegen eine größere Anziehungskraft zu verleihen.

Aehnlich diesem letzteren Blatt versuchten auch eine Unzahl anderer „Organe“, auch „Offizielle Organe“ oder „Zentralorgane“, wie sie sich später gerne nannten, durch einen in die Augen springenden Titel Leser zu werben und ihrem Blatt Anziehungskraft zu verleihen. Wir finden unter diesen Neuerscheinungen einen „Wiener Flegel“, einen „Geraden Michel“ und sogar einen „Politischen Esel“, für welchen nicht etwa verantwortliche Redakteure, sondern „verantwortliche Treiber“ zeichneten. Ebenso zündete ein „verantwortlicher Laternenanzünder“ eine „Laterne“ an. Ein anderes Blatt wieder tat geheimnisvoll unter dem Titel „Pst, pst, warum?“ In die Kategorie dieser Blätter gehört auch der erst kurz vor dem Zusammenbruch der Revolution erschienene „Höllenstein“, der sich politischhumoristische Frauenzeitung nannte und auch von einer Frau, Adele Miller mit Namen, herausgegeben und redigiert wurde. Das Haupt- und Lieblingsthema dieser Dame (es ist die einzige, von der wir auf journalistischem Gebiet in diesem Jahre hören) war allerdings in nicht gerade fraulicher Weise — das Hängen!

Während obengenannte Blätter durchweg dem radikalen Lager angehörten, finden wir, daß einige Vertreter der schwarzgelben, auch reaktionären Presse genannt, ihren Gegnern in keiner Weise nachstanden, sondern wacker Münze für Münze heimzahlten und Plattheit mit Plattheit vergalten. Es waren dies unter anderem der bürgerliche „Hans Jörgl“ sowie „Der Zuschauer“ und vor allem das ab 24. Juli erschienene „Tagblatt aller Tagblätter“, die von Böhringer redigierte „Geissel“, über die ein radikaler Journalist folgendes Urteil fällte: „Ein scheußlicheres Blatt ist in den Annalen der Journalistik nicht zu finden. Ein Mensch, der auf Reinheit und Sanität hält, wagt es nicht, ein Exemplar dieses Blattes zu berühren, der Papierduft schon war von der Unfläterei geschwängert.“ „Wie man in den Wald ruft, so hallt es zurück“, sagt Helfert (S. 84), „und es wäre sonderbar zu meinen, daß ihnen das Hinschießen unversehrt bleiben dürfe, wogegen das Zurückschießen eine unerhörte Frechheit, sozusagen ein völkerrechtswidriges Beginnen sei.“

Wenn in Jen vorangegangenen Ausführungen ein Blatt erwähnt worden ist, das vorgab, humoristischen Inhalts zu sein, so darf hier, von anderen ebenfalls verunglückten Experimenten und Versuchen abgesehen, ein Blatt nicht, vergessen werden,. dem es verhältnismäßig gut gelungen ist, den Wiener Humor auch in jenen Zeiten zu bewahren und sprühen zu lassen. Es war dies die „Wiener Katzenmusik“, später umbenannt in „Carrivari“, ein politisches Tgablatt für Spott und Ernst mit Karikaturen. Ihr „verantwortlicher Kapellmeister“ war Siegmund Engländer und als „verantwortlicher Orchesterdirektor“ zeichnete Willi Beck, die beide mit Geschick den Anforderungen, die man an ein humoristisch-satirisches Blatt stellt, gerecht wurden und mit Hieben nach allen Seiten -nicht sparten.

Verlassen wir aber jetzt die Niederungen der Presse und wenden wir uns den Blättern zu, die, in jenen Monaten geboren, den Ruf der Wiener Journalistik nicht nur gerettet, sondern überhaupt erst begründet haben und die als Standardblätter sich auch nach dem blutigen Zusammenbruch der Revolution ihren kaum eroberten Platz zu wahren verstanden hatten.

An ihrer Spitze steht ohne Zweifel die am 3, Juli zum ersten Male erschienene „Presse“. Helfert nennt sie: „ ... die bedeutendste journalistische Schqpfung des Jahres 1848, ja in gewissem Sinne die bedeutendste Schöpfung der ganzen neuen österreichischen Tagesliteratur überhaupt.“ Ihr Herausgeber war August Zank, der als Offizier begonnen und sein an Abwechslung und Abenteuern nicht gerade armes Leben als Spekulant fortsetzte. Später ging er nach Frankreich, um dort den Parisern Gebäck nch Wiener Art zu bescheren. Hier führte ihn auch das Schicksal mit Ernst von Schwarzer zusammen, dessen Leben mit dem seinen gewisse Parallelen aufzuweisen hat. In Paris tat Zank auch den Sprung in die Journalistik. Er ging bei dem Journalisten seiner Tage, dem Herausgeber von „La Presse“, Emile Giradin, in die Schule. Von diesem brachte er nicht nur Anregungen, sondern auch Programm und selbst den Namen zu einer Zeitung mit nach Wien, wo sich für Menschen seiner geschäftigen Art im Jahre 1848 ein weites Betätigungsfeld erschlossen hatte. Denn dies darf mit Bestimmtheit angenommen werden: die Gründung der „Presse“ “war keine Herzens-, sondern eine Geschäftssache. Aber eines kann Zank nicht hoch genug angerechnet werden: er hat in das Wiener Zeitungswesen dieses Jahres einen Hauch von Kultur und Geschmack gebracht, dessen er dringend bedurfte.

Am 31. August brachte das Triester „Journal des österreichischen Lloyd“ die Mitteilung seiner bevorstehenden Uebersiedlung nach Wien. Zugleich wurde eine Umwandlung aus dem handelspolitischen Fachjournal in ein politisches Tagblatt 'angekündigt. Flinter ihm standen Männer, wie Graf “Stadien,“-1,Karl von“ Brück, Otto “von Hübner, die, wie keine andere Gruppe, den Namen einer Partei verdienten. Ueber ihre Ziele ließen sie auch niemanden im unklaren, sondern bekannten in derselben Nummer offen Farbe:

„Wir bekennen uns offen vor aller Welt als Männer einer Partei... Es gibt Millionen Oesterreicher in des Wortes weitester Bedeutung, welche, obwohl verschiedenen Volksstämmen entsprossen und verschiedene Sprachen redend, doch eine gemeinsame Ueberzeugung von der welthistorischen Bedeutung des großen Staates, dem sie angehören, im Herzen tragen; welche ist: Die Gesittung und Freiheit Westeuropas nach, dem Osten zu verpflanzen und dem sklavischen Slawentum Rußlands gegenüber ein freies Slawentum zu gründen, welches einstens die moralische Eroberung des annoch geknechteten Europas ermöglichen soll und wird. Sie erkennen alle Nationalitäten und alle Religionen als gleichberechtigt an. Sie wollen keinen Zollbreit von dem Boden, der ihnen gehört, abtreten, sei es zugunsten des Ostens oder des Südens. Oesterreich aufrechtzuerhalten in Freiheit und Einheit, in voller Souveränität über all seine Teile, sehen sie als ihre Aufgabe an. Zu diesen Männern stellen wir uns!“

Am 24. September erschien die letzte Nummer in Triest und am 26. September in neuer Gestalt die erste in Wien. Das Großösterreichische Programm des Lloyd, das bis dahin noch kein anderes Blatt in Wien mit solcher Klarheit der Ziele und Nachdruck der Sprache vertreten hatte, und dessen Worte auch ein Jahrhundert später alles andere als Makulatur sind, war auch das Stadions, dessen eifriger Anhänger Eduard Warrens, ein in der englisch-amerikanischen\ Schule großgewordener Journalist, dieses mit seltener Virtuosität der Feder vertrat. So hatte außer der französischen auch die angelsächsische Journalistik ihren Einfluß auf das Wiener Zeitungswesen geltend gemacht. Und man muß es beiden zugestehen, nicht zu ihrem Nachteil.

Ungefähr zur gleichen Zeit machte auch noch ein anderes Blatt, gleichsam ein Gegenstück zum „Lloyd“ in seinen Tendenzen, in der Aufmachung ihm aber gleich, von sich zu reden. Es war dies die „Ostdeutsche Post“, redigiert von Dr. Ignaz Kuranda. Die „Ostdeutsche Post“ war ein Hort des großdeutschen Gedankens, im Sinne der damaligen Tage.

Wir sind zwar durch diese Besprechung des „Lloyds“ und der „Ostdeutschen Post“ schon tief in den Herbst vorgeschritten, müssen uns-aber nochmals in die Sommermonate versetzen, w$,i,eWge .Ewhejnwngen .auf, dem Gebiet des Pressewesens noch Erwähnung finden.müssen.

Einen neuen Kurs können wir ab 1. Juli 1848 in der „Wiener Zeitung“ feststellen. Heyßler und Stubenrauch waren ausgeschieden. Die „Wiener Zeitung“ kehrte nach einer Periode von Schwankungen und einem seltsamen Zickzackkurs, mit der etwas sonderbaren Zweiteilung vom amtlichen und nichtamtlichen Teil, wieder zu dem Standpunkt zurück, der ihrem Wesen entsprach: zu dem des im Dienste des jeweiligen Ministeriums stehenden Regierungsblattes. Hiemit war aber gleichzeitig der „Constitutionellen Donauzeitung“, die sich bisher des, sagen wir, Wohlwollens des Ministeriums erfreut hatte, der Boden unter den Füßen entzogen worden. Sie geriet in schwere finanzielle Schwierigkeiten, und nachdem der Versuch einer Aenderung des Namens in „Constitutionelle Wiener Zeitung“ auch keine Besserung mehr erbringen konnte, stellte sie ihr Erscheinen am 6. Juli ein.

Namensänderungen der Blätter waren in jenen Wochen überhaupt allgemeine Mode. Sie bezweckten entweder, wie wir oben gesehen haben, eine Besserung der Finanzen oder sie bemühten sich, dem Zeitgeist der fortschreitenden Radikalisierung der öffentlichen Meinung Rechnung zu tragen. So machte Bäuerle aus seiner Theaterzeitung einen „Oesterreichischen Kurier“ und der von Freiherrn Ferdinand von Seyfried redigierte „Wanderer“ verwandelt sich in einen „Demokraten“, für den, eben nach demokratischen Gepflogenheiten, nur mehr ein Ferdinand Seyfried zeichnete.

Und nochmals können wir ein aktives Eingreifen von Journalisten in die Politik verzeichnen. Aehnlich wie seinen Kollegen Häfner litt es auch Ernst von Schwarzer nicht mehr länger auf seinem Redaktionsstuhl. Aber glücklicher und geschickter als jener, vertauschte er seinen Sessel mit dem Fauteuil des Arbeitsministers, in dem am 19. Juni proklamierten Ministerium Doblhoff. Doblhoff glaubte, durch die Heranziehung und die damit verbundene Ehrung eines Vertreters der Presse, diese in ihrer Gesamtheit dem neuen Kabinett zu gewinnen. Statt dessen fühlten sich Schwarzers Kollegen weniger geehrt, als daß sich vielmehr Neid und Mißgunst ihrer bemächtigte. So mußte Schwarzer gar bald selbst die Annehmlichkeiten der verschiedensten und schärfsten Presseangriffe am 'eigenen Leib erfahren und verlor in seiner Stellung viel von dem ihn früher kennzeichnenden Radikalismus. Mirabeaus Wort wurde wieder einmal wahr, daß Jakobiner als Minister keine Jakobiner mehr sind.

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