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Telepathie eine Wissenschaft?

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In einem aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Werk von Gurnett, Myers und Podmore „Phantasmas of the Living" London 1886 ist eine Beschreibung einer großen Anzahl okkulter Phänomene, die mit großem Eifer und kritischer Strenge gesammelt wurden. Darunter befindet sich auch folgendes Protokoll:

„Im Jahre 1845 stand ich mit meinem Regiment in Moulmein in Burtnah. In jenen Tagen gab es keine direkte Post, wir waren auf die Ankunft der Segelschiffe angewiesen, um unsere Briefe zu bekommen, die manchmal in Massensendungen ankmgten, waren daher gelegentlich monatelang ohne Nachricht aus der Heimat. — Am Abend des 25. März 1845, aß ich mit Kameraden im Hause eines Freundes zu Mittag, und als wir nach dem Essen mit den übrigen Gästen auf der Veranda saßen, sah ich mit einemmal ganz deutlich vor mir die Erscheinung eines offenen Sarges, in dem meine liebe Schwester anscheinend al Leiche lag. Ich unberbrach mich natürlich mitten im Reden, alle alten mich erstaunt an und fragten, was mir denn wäre. Idi sagte, was ich gesehen hätte, indem ich di Sache ins Sdterzhafte zog, und man sah dies als komischen Zwischenfall an. Später aber ging ich mit einem Offizier nach Hause, der viel älter war als idi, dem verstorbenen Generalmajor Briggs. Er kam auf das Thema zurück und fragte, ob ich Nachrichten über eine Erkrankung meiner Schwester erhalten hätte. Ich verneinte und sagte, meine letzten Briefe von zu Hause wären schon drei Monate alt. Darauf forderte er mich auf, mir den Vorfall zu notieren, denn er hätte schon früher von solchen Fällen gehört. Ich folgte seinem Rat und zeigte ihm die Eintragung, die ich in meinem Kalender an der Stelle des betreffenden Datums gemacht hatte. Am 17. Mai erhielt ich einen Brief von daheim; er zeigte mir den Tod meiner Schwester an, der gerade an dem fraglichen Tage, dem 24. März 1845, stattgefunden hatte.

Oberstleutnant R. Walter Jones"

Hier erhebt sich die Frage, welche Vorgänge sich ereignet haben. Zur selben Zeit, oder, da es sich nicht ganz genau feststellen ließ, zur fast selben Zeit, als seine Schwester stirbt, hatte der Unterzeichnete eine Trugwahrnehmung besonderer Art. Er sieht seine tausende Kilometer entfernte Schwester in einem Sarge liegen. Damit wird ihm symbolisch der Tod seiner Schwester mitgeteilt. Es läßt sich also annehmen, daß im Augenblick des Todes diese mit großer Innigkeit ihres Bruders gedachte. Das Zusammentreffen von dem Tod der Schwester und der Vision des Bruders, ist nun derartig, daß ein ursächlicher Zusammenhang zu seiner Erklärung angenommen werden muß. Eine solche Femwirkung durch eine.seelische Erscheinung einer Person auf das Erleben eines anderen Menschen nennt man Telepathie.

Dabei handelt es sich keineswegs um die Übertragung von Gedanken, wie es häufig fälschlicherweise heißt. Eine solche ist bis jetzt noch nicht bewiesen, sondern um eine Übertragung von sinnlichen Vorstellungen oder gemüt- haften Zuständen.

Wurde oben ein Erlebnis im Wachzustand beschrieben, o soll nun ein solche im Schlafzustand folgen, also ein telepathischer Traum: Ein zwölfjähriges Mädchen aus der Verwandtschaft des Verfassers besuchte diesen im Jahre 1940 und erzählte, daß sie in der vergangenen Nacht im Traum ihren Bruder gesehen habe, der sich als Soldat in Norwegen befand. Er saß auf einer Bank in einer Kirche. Diese erschien der Wiener Stephanskirche ähnlich, nur gabe in ihr keine Heiligen. Daher habe sie langweilig ausgesehen. An der rechten Hand wäre ihr Bruder verbunden gewesen. —

Der Verfasser, der mit dem Bruder des Mädchens korrespondierte, erhielt elf Tage später — so lang ging damals von Norwegen die Post — von diesem ein Schreiben. Dem Brief lag eine Auswahl von Bildern des Drontheimer Domes bei. In dem Brief teilte der Soldat mit, daß er sich beim Küchendienst den Daumen der rechten Hand verletzt hatte. Da er dadurch für einige Tage für den normalen Dienst untauglich war, wurde er als Kurier verwendet. Auf diese Weise gelangte er auch nach Dront- heim, wo er sich den dortigen Dom ansah. Dieser ist eine gotische Kathedrale die in der Reformationszeit ihre Inneneinrichtung verloren hat.

Der Empfängertraum und das Sende- erlebni zeigen eine derartige Übereinstimmung für ganz abgelegene Details, die bei einer Zwölfjährigen als außerordentlich bezeichnet werden müssen, daß die telepathische. Natter des Traumes kaum in Zweifel gezogen werden kann.

Es liegt nun nahe, da es sich bei der Telepathie um eine wissenschaftlich wie philosophisch äußerst bedeutsame Tatsache handelt, zu versuchen, solche seelische Fernwirkungen auch’ in vorsätzlicher Weise durchzuführen. Derartige Versuche wurden auch schon vielfach angestellt. Die ersten dieser Art, die allen Ansprüchen auf Exaktheit genügten, wurden von Hofmann und Freudenberg im Jahre 1914 durchgeführt. Einer der beiden Forscher konzentrierte sich zu einer vorausbestimmten Zeit auf eine genaue Vorstellung mit der Absicht, diese dem anderen Partner zu übertragen. Dieser setzte sich nun zur gleichen Zeit in einen Zustand der Passivität, der Vorstellungsund Gedankenleere und wartete auf einen Einfall, den er schriftlich festhielt. Die beiden Gelehrten führten solche Versuche bis auf 35 Kilometer Entfernung durch, die zu einem sehr guten Erfolg führten.

Von 1930 an machte I. B. Rh ine an der Duke University in den USA in großem Stil unter Einhaltung von exaktesten Bedingungen Hellseh- und Telepathieversuche. Innerhalb von sieben Jahren notierte er über 100.000. Dabei war der Erfolg bei einer Entfernung von einem Meter zwischen einem Wandschirm gleich gut wie der Versuch in einem Abstand von 400 Kilometer.

In der letzten Zeit wurden vom Verfasser in Salzburg und Wien traumtelepathische Experimente folgender Art durchgeführt, daß während der Zeit, in welcher der als Empfänger Bestimmte schlief, sich der Sendende auf eine bestimmte Vorstellung konzentrierte, mit der Absicht, sie zu übertragen. Der Erfolg hievon war, daß der Empfänger in mehr als 75 Prozent der Fälle von dem gesendeten Vorstellungsinhalt träumte. Als Sendeinhalt fanden dabei einfache, aber färbige geometrische Figuren Verwendung.

Hier ei ein solches Empfängerprotokoll wiedergegeben: Gesendet wurde in diesem Fall ein rotes, gleichseitiges Dreieck.

„Traum um %7 Uhr früh. Die Trauminhalte: eine bekannte Pianistin Musik, dynamische Melodie, ein Soldat, der mich und meine Angehörigen verhaften will, viel Geräusche von Pferdetraben, Musikinstrumenten, Staub, alles in einer sehr dynamischen Beziehung zueinander — die Inhalte gehen wie Wellen übereinander. Plötzlich schlägt ich durch das ganze unruhige Geschehen der bewegten, sehr verschwommenen Bilder eine dreieckige, grellröte Tanne durch und bleibt einige Sekunden inmitten der ganzen früheren Trauminhalte unbewegt stehen. Es ist nicht eine Tanne aus der Natur, sondern wie man sie in Kinderbüchern findet; der Stamm ist schwarz. Ihre Farbe ist ausgeprägt, während die anderen Trauminhalte farblos grau sind. Nach einigen Augenblicken verschwindet sie und kurze Zeit päter auch der übrige Traum, der nur noch als ein matter Ton eines Bildes geblieben war, seitdem die Tanne sich zeigte. Dann bin ich erwacht." Man. kann hier ehen, wie der abstrakte Sendeinhalt — rote Dreieck — traumhaft eingekleidet wurde. Es stößt hier das telepathische Element auf einen bereits vorhan-denen Traum, was höchst selten der Fall ist. Bei den übrigen Versuchen dieser Art traten nämlich meist ganz einfache Träume auf, die wohl allein., der telepathischen Ursache ihre Entstehung verdanken.

Bei den hier angeführten Experimenten handelt es sich durchwegs um methodisch wohlüberlegte Versuche, deren wissenschaftlicher Charakter nicht in Zweifel gezogen werden kann. Das Faktum der Telepathie ist durch die zahlreichen Versuche auf dem geistes-, wie naturwissenschaftlichen Wege, im Wach- wie im Schlaf- zustande, als bewiesen anzusehen und kann als solches gelten.

Die phänomenologische Eigenart des telepathischen Erlebnisses jedoch ist bis in Einzelheiten keineswegs genügend erforscht. Deshalb gibt es verschiedene Meinungen über die grundsätzliche Möglichkeit einer solchen Erklärung. Eine umfassende Theorie heute schon darzulegen, ist wohl noch zu früh. Einiges kann aber heute schon gesagt werden.

Gegen die Erklärung, daß die telepathischen Erscheinungen durch „Gehirnwellen“, also durch Ausstrahlungen von Wellen de elektromagnetischen Spektrum von einem Gehirn in das andere, vor sich gehen, sprechen gewichtige Gründe. Zunächst wissen wir weder etwas von einem regelrechten Sender, noch von einem solchen Empfänger im menschlichen Körper. Weiter hat die Entfernung auf den Erfolg eines telepathischen Experiments, wie die Versuche Rhin beweisen, keinen Einfluß. Mit der Vergrößerung der Entfernung war keine Abnahme des Effekts verbunden, wie dies der Fall ein müßte, wenn der Träger der Erscheinungen strahlende Energie wäre. Diese nimmt nämlich mit dem Quadrat der Entfernung ab. Außerdem sind die bis jetzt bekannten, besonders von H. Rohracher bearbeiteten gehirnelektrischen Erscheinungen, von außerordentlich geringer Spannung einige Mikrovolt und kommen daher — auch H, Rohracher äußerte sich in dieser Richtung — als Vermittler telepathischer. Erscheinungen nicht in Frage. Eine ander viel wahrscheinlichere Erklärung redet von einer direkten Wirksämkeitsmöglichkeif von Seele auf Seele, Diese Annahme zieht aber so weittragende Folgen mit sich, . daß sie von der mechanistisch denkenden Wissenschaft abgelehnt wird und gegen deren Annahme sie sich bis nun entschieden zur Wehr setzt. Deshalb werden sich Psychologie, Philosophie wie besonders die Erkenntnistheorie mit dem Phänomen der Telepathie auseinandersetzen müssen und über deren Zukunft als Wissenschaft zu urteilen haben. Ihre weitere „Erforschung kann allerding auch mithelfen, bei den Aufräumungsarbeiten auf dem Trümmerfeld des zerbrochenen, mechanistischen Weltbildes und darüber hinaus bei der Errichtung eines neuen, noch im Kommen begriffenen, umfassenden philosophischen Systems. Vorerst werden hier aber noch viele Experimente und Überlegungen notwendig sein und ihre Beurteilung wie Anwendung muß dem ernsten Forscher allein Vorbehalten bleiben.

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