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Das Raumbild als Forderung unserer Zeit

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Am 27. Mai 1937 wurde in Berlin der erste dreidimensionale Tonfilm in Naturfarben vor einem geladenen Publikum vorgeführt. Was da in einem Film, der von der Firma Zeiß Ikon A.-G. gedreht wurde, gezeigt wird, schien den alten Traum, die restlose Verschmelzung von Bewegung, Farbe, Ton und Raum im Bilde und so die technische Vollendung der Bildwiedergabe zu verwirklichen. Der erste Schritt in die Öffentlichkeit zur Eroberung des dreidimensionalen Films war getan.

Dann aber wurde es wieder still. Wohl war das technische Problem an sich gelöst und die Vorführung im kleineren Rahmen bot kaum Schwierigkeiten, aber der allgemeinen Einführung standen technische und kaufmännische Schwierigkeiten entgegen.

Da kam aus New York die Nachricht, daß am 4. Mai 1939 der erste dort hergestellte Stereofilm seine Uraufführung erlebte. Aber die Menschheit hatte jetzt andere Sorgen und bald war jegliches Wort für die neue Sache im Brüllen der Geschütze und dem Donner der Flugzeugmotoren verstummt.

Trotzdem war der Gedanke nicht tot und es fanden sich bald wieder Gruppen von Interessenten, die ihn im stillen weiter pflegten. So konnte die Arbeit durch den ganzen Krieg weitergeführt werden.

Ab 1940 entstanden sogar in Rußland, als dem ersten Lande, ständige Raumfilm-theatcr, auch wurde dort bereits eine Reihe von Stereofilmen gedreht. Ähnlich lautende Nachrichten kommen aus Amerika und Frankreich. Aber auch in Österreich blieb man nicht müßig. Die österreichische Gesellschaft für ^tereoskopie baute einen Apparat, der die Vorführung räumlicher Bilder im Bildwurf gestattet und mit dem seit 1941 innerhalb der Gesellschaft regelmäßig Raumbilder gezeigt wurden. Wenn dieser Apparat auch nur die Vorführung stehender, nicht aber laufender Bilder gestattet, so ist dies im Prinzip völlig gleichgültig, da der bewegliche Film lediglich die zusätzliche Einrichtung für das laufende Bild erfordert. Diese ist völlig unabhängig von der Einrichtung für die Raumdarstellung.

Das Raumbild selbst ist freilich viel älter als die eben angeführten Tatsadien. 1833 erfand der englische Gelehrte Charles Wheat-stone das Stereoskop, eine Erfindung, die erst 1838 veröffentlicht wurde. Durch die ungefähr zur gleichen Zeit erfolgte Erfindung der Photographie erhielt der Raum-bildgcdanke bald starken Antrieb und um die Jahrhundertwende konnte man in den Schaufenstern jedes Optikers Stereoskop-und Stereobilder finden. Obwohl sie hohe Vollendung zeigten, haftete ihnen doch ein beträchtlicher Nachteil an: sie konnten immer nur von einer Person betrachtet werden, und entzogen sich beharrlich einer Darstellung, welche die gemeinsame Betrachtung durch eine Gruppe von Menschen ermöglichte.

Wohl hat sogar schon lange vor der Erfindung des Stereoskops der deutsche Jesuit Athanasius Kircher (1601—1680), der durch die Erfindung der Laterna magica zum Ahnherrn aller Kinps wurde, versucht, seine Bilder räumlich zu gestalten. Die technischen Hilfsmittel seiner Zeit reichten dafür jedoch nicht aus.

Räumliches Sehen kommt bekanntlich nur dadurch zustande, daß wir einen Körper von zwei Seiten aus (entsprechend dem Abstand unserer beiden Augen) betrachten. Aus diesen zwei verschiedenen Blickpunkten ergeben sich zwei verschiedene Bilder, die in unserem Gehirn zur Deckung gebracht werden, wobei sich die vorhandenen Verschiedenheiten in die Raumvorstellung auflösen. Wollen wir nun ein Bild räumlich zur Darstellung bringen, so muß der gleiche Vorgang eingehalten werden. Das Objekt muß von zwei Seiten im Augenabstand photographiert werden und die beiden so entstehenden Bilder müssen dann den Augen derart zugeführt werden, daß das linke Bild nur vom linken, das rechte Bild nur vom rechten Auge gesehen wird. Im üblichen Stereoskop kann dieser Forderung ohne weiteres entsprochen werden.- Sobald es sich aber um ein größeres Bild handelt, das von mehrefen Personen gleichzeitig gesehen werden soll, setzen außerordentliche Schwierigkeiten ein. Die beiden Teilbilder müssen übereinander zur Deckung gebracht werden; nun soll jedes Auge nur das ihm zukommende Bild sehen, während das. zweite Bild von ihm nicht wahrgenommen werden darf.

Dies ist ohne technische Hilfsmittel selbstverständlich ausgeschlossen. Es ergaben sich von vorneherein zwei Methoden, eine, die das Mittel in das Bild selbst, die andere, die das Mittel in das Auge verlegte. Die erste schien die verlodcendere; denn so konnte das Bild freiäugjg betrachtet werden, während bei Ausnützung der zweiten Möglichkeit vor die Augen immer eine Vorrichtung oder Brille gesetzt werden muß. Beide Wege sind in der Praxis begangen worden und beide haben, wenn auch auf verschiedenen Anwendungsgebieten, zu Erfolgen geführt. Enorme Arbeit wurde aufgewendet und eine ganze Reihe teils außerordentlich komplizierter Systeme wurden erdacht, um das Ziel zu erreichen. Heute blicken wir auf rund 250 verschiedene Verfahren zurück, die alle dem gleichen Zweck dienen feilen, aber nur wenige davon haben Aussicht auf Bestand. .

Das Jahr 1891 brachte mit der Erfindung der Anaglyphen (Farbkoppelbilder) den ersten greifbaren Erfolg. Im gleichen Jahr zeigte auch der Londoner Feinmechaniker J. Anderton ein neues Verfahren zur stereoskopischen Projektion, das sich auf die Auswertung der Polarisationserscheinung des Lichtes stützt und das nunmehr die Grundlage für die jetzigen Raumbildwd^fverfah-ren abgibt. Das erste Verfahren, das auf Anwendung von Komplementärfarben (meist rot und grün) beruht, wird seither, insbesondere in wissenschaftlichen Kreisen, immer wieder verwendet. Es hat aber so starke Lichtverluste, daß der Raumeindruck zwar wohl einwandfrei gewährleistet ist, die allgemeine Bildqualität aber derart verliert, daß nur der Wissenschaftler, dem es auf die Darstellung der räumlichen Gliederung ankommt, daran Interesse haben kann. Das zweite Verfahren ist in der Bildwiedergabe weitaus günstiger. Jedoch war ursprünglich die Herstellung der erforderlichen technischen Hilfsmittel derart kostspielig, daß eine allgemeine Einführung unmöglich war. Erst die auf das Jahr 1936 zurückgehenden amerikanischen und deutschen Patente ermöglichten eine Auswertung der Anderton-schen Erfindung und haben zu den geschilderten Erfolgen geführt und der allgemeinen Ausbreitung den Weg freigemacht.

Überlegt man, welcher Aufwand von Energien und Kosten bereits geleistet wurde und noch zu leisten bleibt, dann muß man fragen, ob der zu erreichende Vorteil, die Erschließung der dritten Dimension, den gewaltigen Aufwand lohnt. Es ist natürlich nicht möglich, in Worten das auszudrücken, was nur erlebt werden kann. Man muß das Raumbild gesehen haben, um die Überlegenheit über das übliche zweidimensionale Bild zu erkennen. Eine Beschreibung des Raumbildes ist ähnlich wie die Schilderung eines Farbbildes an Hand eines schwarz-weißen Bildes. Der es nicht gesehen hat, wird der eindringlichsten Beschreibung verständnislos gegenüberstehen und den Interpreten günstigstenfalls für einen Schwärmer halten. Erst das eigene Erleben gibt eine eindringliche, klare Vorstellung.

Durch die österreichische Gesellschaft für Stereoskopie geschah am 22. Mai — also fast am zehnten Jahrestag der ersten Vorführung eines Raumfilms — in den Räumen der staatlichen Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt eine Vorführung von räumlichen Bildern im Bildwurf, die überraschende Wirkungen des dreidimensionalen Bildes nachwies *.

Die Überlegenheit des gewonnenen Bildes zeigte sich besonders bei Aufnahmen von Architekturen, die ja von ihren Schöpfern als Raum lösungen gedacht sind und daher bei Darstellung ohne Fühlbarmachung des Raumes gerade ihr Wesentlichstes verlieren. Aber auch auf vielen anderen Gebieten der Wissenschaft und des Unterrichtes wirkt das Raumbild als Offenbarung, denn es läßt das unmittelbar sehen und fühlen, was beim Flachbild oft erst nach gründlicher Überlegung erfaßt werden kann.

Im Augenblick ist noch vieles im Werden und kann noch nidit klar erkannt werden. Aber Österreich hat sich angeschickt, auch auf diesem Gebiet, das noch zur Gänze der Erschließung harrt, seinen Anteil an einem bedeutsamen technischen Fortschritt zu leisten. Philippus.

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