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Urzeitlidier Bergbau in Österreic

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Im Jahre 1934 hatte das Salzburger Städtische Museum das ungeahnte Glück, am Dürrnberg bei Hallein das sdiönste keltische Kunstwerk zu entdecken, das bisher nördlich der Alpen zum Vorschein gekommen ist, die berühmte Schnabelkanne, die in ihrer einzigartigen Pracht unerreicht ist. Diese Kanne, die in einer bis dahin unbekiwjnten Eleganz das aus dem etruski-schen Süden gekommene Vorbild nach dem Geschmack des keltischen Künstlers umformt und damit im Grunde neugestaltet, ist auf Grund eingehender kunstkritischer Untersuchungen ohne Zweifel im Salzburger Becken, wenn nicht überhaupt von einem Kupferschmied des Dürrnberger Salzherrn erzeugt worden. Sie ist also ein bodenständiges Erzeugnis und damit auch höchstwahrscheinlich aus bodenständigem Rohstoff gefertigt. Die genaue chemische Untersuchung der Bronze, die den Nadrweis dafür erbringen könnte, ist noch nicht erfolgt.

Wie uns die Forschung der späteren Jahre gezeigt hat. kommt es nicht nur darauf an, die normale chemische Zusammensetzung eines Kupfer- oder Bronzegerätes festzustellen, sondern im besonderen auf den Nachweis typischer Verunreinigungen des Erzes, aus dem das Kupfer gewonnen wird. Die Erfahrung lehrt, daß jede Kupfererzlagerstatte durch eine ganz be'stimmte Verunreinigung gekennzeichnet wird, die jedoch so klein ist, daß sie nur in kaum merklichen Spuren aufsdieint. Eine Makroanalyse vermag sie daher nicht festzustellen, und auch die Mikroanalyse hat hiebei mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Bleibt also nur die spektralanalytische Spurenuntersuchung, die die österreichische Bergbauforschung erst vor etwa zehn Jahren in ihren Dienst stellen konnte. Um sie jedoch heranziehen zu können, ist vorerst nodi eine widitige Voraussetzung zu erfüllen: bevor an die Untersuchung eines Fundstückes geschritten werden kann, müssen zuerst sämtliche Lagerstätten untersucht werden, die als Herkunftsgebiet für den Rohstoff in Betracht kommen.

Und da gibt es ihrer nicht wenige. Wir wissen durch die Forschungen der letzten Jahr7ehnte. daß im gesamten Ostalpena;ebiet eine beachtliche Anzahl von Kupfererzlagerstätten den Alten bikannt und von ihnen audi abgebaut worden waren. Allerdings haben sie es peinlich vermieden, außer den Lagerstätten mit sdiwefeligen Erzen irgendwelche andere abzubauen, obwohl jene mit oxydischen Erzen im Verhüttungsprozeß weitaus einfadier zu behandeln gewesen wären.

Aber es ist nun einmal eine historische Tatsadie, daß die Alten nur die Kupferkieslagerstätten der nordalpinen Sdiieferalpen für ihre Zwecke heranzogen und hiebei eine Intensität entwickelten, die den Fachmann stets von neuem zum Staunen bringt. Die Spuren dieses urzeitlichen Bergbaubetriebes sind eigentlidi erschütternd, denn nur zu oft fragt man sich, wie es der Mensch, den man sich stets zu gerne als primitiv und unbeholfen vorstellt, damals verstand, dieser beträchtlichen technischen Schwierigkeiten Herr zu werden. Wenn man heute noch da und dprt Gruben findet, in denen ein einstöckiges Haus Platz hätte und die als die jetzt sichtbaren und erhaltenen Reste der alten Grubenbaue angesprochen werden müssen, dann forscht man nicht umsonst nada den technischen Hilfsmitteln, die diese Meisterschaft im Vordringen in das Erdinnere ermöglichten. Oder wenn an anderer Stelle Hunderte von Quadratmetern mit dem tauben Aufbereitungsgut übersät sind, so wird auch angesichts dieser aufbereitungs-tedmischen Leistung unsere Achtung vor dem Können des bronzezeitlichen Berg- und Hüttenmannes gewaltig steigen.

Trotzdem sind alle Erkenntnisse, die die Forschung bis heute in mühseliger Kleinarbeit zusammentragen konnte, erst winzige Teile aus dem gewaltigen Komplex sämtlidier Forschungen um die Geschichte unseres heimischen Kupfererzbergbaues, dem aus mannigfachen kulturgeschichtlichen Gründen besonderes Interesse zukommt.

Damit kehre ich noch einmal auf die angeschnittene Frage nach der Herkunft des Rohstoffes für die Dürrnberger Kanne zurück. Denn es ist nicht belanglos zu wissen, ob das Stück aus Salzburger oder Tiroler Kupfer erzeugt wurde, oder ob man vielleicht überhaupt anderes Material verwendete. Hat man aber bodenständiges Kupfer zur Erzeugung herangezogen, dann ist die Frage berechtigt: Handelt es sich dabei um frisch verhüttetes oder umgegossenes Material? Die Frage wird nämlich deshalb zu stellen sein, weil wir bisher aus keinem Kupfererzbergbau der Ostalpen irgendeinen Hinweis für das Fortleben dieser Industrie bis in die frühe Eisenzeit besitzen. Einzelne hallstättische Funde sind die jüngsten chronologischen Fixpunkte in einem anscheinend mehr als 1500 Jahre dauernden Abbaubetrieb. Um über diese Spätzeit des Bergbaues Klarheit zu gewinnen, wäre es von ganz besonderer Bedeutung, das reiche Bronzematerial aus dem Hallstätter Graberfeld einer gleichen chemischen Untersuchung zuzuführen. An keinem anderen Orte der Ostalpen ist eine derartige Fülle an Bronzen vereinigt wie in Hallstatt selbst, und kein anderer Fundstoff ist auch hinsichtlich seiner Provenienz in kunsthistorischer Hinsicht so ungeklärt wie dieser. Wenn es richtig ist, daß viele Hallstätter Bronzen Import aus Italien und damit Tauschgut gegen Salz waren, dann muß dies das unbestechliche Zeugnis der chemischen Analyse einwandfrei erweisen. Läßt sich jedoda das Gegenteil und damit vielleicht die Herkunft des Rohstoffes aus den Salzburger oder Tiroler Alpen feststellen, dann würde dies neuerlich die hohe Stellung der alpjnen Kupferinchstrie sowie der illyrischen Bronzeschmiede-kunst erkennen lassen. Daß beide — voC allem aber der Bergbaubetrieb — von nicht zu unterschätzender Bedeutung waren, hat die sachkundige Arbeitsleistung unserer mo dernen Bergbautechniker schon zur Genüge klargestellt. Denn wenn sie zu zeigen vermögen, daß ein einziges kleines Bergbaugebiet im Salzburgischen im Laufe von etwa 1000 Jahren rund 20.000 Tonnen Rohkupfer zu erzeugen vermochte, so ist das deutlich genug gesprochen und unsere bisher stets so laienhafte Vorstellung von dem tedinischen Können unserer urzeitlidien Vorfahren wird damit reichlich Lügen gestraft. Versudit man aber die gesamte Kupferproduktion in den österreichischen Alpen zu ermitteln, so kommt man zu einem Vielfachen der angegebenen Zahl und damit zu einer noch weitaus höheren Bewertung unseres ältesten Bergbaubetriebes. Es ist daher nicht zu viel gesagt, wenn man ihm eine zentraleuropäische Bedeutung beimißt und die Forschung die Auffassung vertritt, daß die während der Bronze- und Hallstattzeit verbreiteten Kupfermengen wahrscheinlich vorwiegend aus diesem alpinen Betrieb stammen.

Doch mit dieser Feststellung ist noch lange nicht das Ziel unserer Arbeit erreicht. Neben den bereits früher angedeuteten Fragen, die wohl erst im Laufe einer langjährigen Feinarbeit einer Lösung nähergebracht werden können, gibt es noch eine Überfülle anderer Probleme, die auf Bearbeitung drängen. Da ist einmal schon die Frage nach der Herkunft des Bergbaues an sidi. Müssen wir damit rechnen, daß die Menschen der frühen Bronzezeit Mitteleuropas aus sich heraus zu den' mannigfadaen Erkenntnissen tedinischer und diemisdier Natur gelangten oder ist ihnen dieses reiche Wissen von bereits geschulten und erfahrenen Bergleuten übermittelt worden? Eine grunclsätzlidie und für die Kulturgesdiichte Europas unerhört bedeutsame Fragestellung, die wir angesichts des bisher bekannten Fundstoffes noch nicht eindeutig in diesem oder jenem Sinne beantworten können, auch wenn verschiedenes darauf hindeutet, daß die Erfahrungen eines anderen Kulturkreises auf unsere Lagerstätten übertragen wurden. Tatsache allein ist bloß die bisher unbestrittene Feststellung, daß schon in der frühen Bronzezeit — also um etwa 1800 v. Chr. — in den Salzburger Alpen fleißig und planmäßig gearbeitet wurde und daß in diesem an sich etwas abgelegenen Gebiet eine verhältnismäßig dichte Besiedlung vorhanden gewesen sein muß. Und eine weitere unumstößliche Erkenntnis ist die gewaltige Steigerung des Betriebes am Ende der Bronzezeit durdi die illyrisdie Urnenfelderkultur, die bisher noch völlig unbegangene Gebiete in ihren Siedlungsbereich einbezog. Wer einmal Gelegenheit hatte, die Tiroler Bergbaureste zusammen mit den reichen Grabfunden _ der späten Bronzezeit aus dem Inntale zu sehen, wird sich dem Eindruck eines übermächtig blühenden Bergbaues nicht entziehen können.

Aber trotz aller bisherigen Leistungen steht die Bergbauforschung erst am Anfang ihrer Entwicklung. Unsere ersten tastenden, jedoch grundlegenden Untersuchungen zu den Fragen der Abbaumethode, der Auf-bereitungs- und Hüttentechnik der Alten bedürfen noch umfassender Ergänzungen, um alle Einzelheiten bergbautechnischer und chemischer Tätigkeit vor 4000 Jahren zu ergründen. Durch eine glückliche Vereinigung von Fachleuten, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, hat die österreichische Urgeschichtsforsdiung die theoretische Grundlage für die Weiterarbeit auf diesem Geb iet der historischen Forschung gelegt.

So bedeutungsvoll die Klarstellung aller techno-historischen Fragen auch sein mag, so ist die Kennzeichnung des kulturellen Milieus, in dem sich alle diese Arbeiten vollzogen, von ausschlaggebender Bedeutung, f denn erst dann werden alle diese Teilergebnisse Kulturgeschichte und erlangen damit jene Bedeutung, die ihnen auch im Hinblick auf allgemeingültige (gesdiichtsphilosophische) Probleme zukommen. Wir wissen heute schon von einem ausgebildeten, auf weite Strecken hin gleidwtig arbeitenden Handwerk, wir wissen auch von einer systematisch aufgebauten Wirtschafts- und Ver-sorgungsplanung für das Bergbaugebiet, wir können auch bereits da und dort Angaben über die innere Struktur des eigentlichen Bergbaubetriebes machen — aber die letzten Möglichkeiten zur Erforschung der Geistigkeit jenes uralten Industrievolkes frühindogermanischer und frühillyrischer Herkunft sind uns noch lange nicht bekannt — viel weniger aber ausgebeutet. Wenn die Bergbauforschung, die vor eineinhalb Jahrzehnten auszog, um techno-historische Fragen zu klären, heute in der Lage ist, auf Grund ihres einzigartigen Quellenstoffes die ältesten europäischen Reste einer 3000 Jahre alten Abart der Zeichensdirift (in Gestalt von kleinen Loshölzern) zu geben, so ist das nur ein Hinweis auf die ungeahnten Möglichkeiten, die sich noch vor uns ausbreiten. So weit wir heute zu sehen vermögen, verfügt kein Land Europas über diese Fülle von Quellen, die dank der ganz besonders gearteten Erhaltungsbedingungen gerade auf dem Gebiete der organischen Substanzen so einzigartig sind, daß sie kaum durch Mooroder Unterwasserfunde übertrumpft werden können.

Es kann kein Zweifel sein, daß die Aufgaben und Wege der österreichischen Ur-geschichtsforschung mannigfaltig und verästelt sind. Ebensowenig aber kann bezweifelt werden, daß die Förderung der Bergbauforschung, im besonderen die Erforschung des urzeitlichen Bergbaues auf Kupfererz, zu den wichtigsten Aufgaben unserer zukünftigen wissenschaftlichen Arbeit gehört. Denn sie ist es, die an erster Stelle nicht allein dem engeren Fachmann der historischen oder technischen Forschung etwas zu sagen hat, sondern die weit darüber Hinaus beizutragen vermag, das Weltbild unserer Altvorderen zu klären und damit auch die hervorragende kulturgeschichtliche Sendung Europas seit seinem Freiwerden von außereuropäischen Bindungen zu erweisen.

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