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Hipposandale und Gummihuf

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WIEN HAT MEHR ALS EIN UNIKUM AUFZUWEISEN. Doch nur wenige kennen das, das die Wiener Tierärztliche Hochschule aufweist: die Lehrkanzel für Huf- und Klauenkunde. Hier werden alle Erkrankungen der Gliedmaßen erforscht und behandelt. Freilich hat gerade die „Tierärztliche“ auf eine lange Tradition zurückzublicken. Von Maria Theresia und Joseph II. als k. u. k. Veterinärschule bereits 1767 gegründet, war sie die drittälteste Institution dieser Art in ganz Europa. Da es zuerst eine rein militärische Einrichtung war, wurden zu Beginn nur Pferde behandelt und der Hufbeschlag in die Ausbildung miteinbezogen. Mitte des vorigen Jahrhunderts — nachdem es auch zum selbständigen Handwerk des Hufschmiedes gekommen war — entwickelte sich die Praxis des Veterinärmediziners immer mehr in die Breite, und die Ausbildung für diesen Beruf erfolgte an der zur Hochschule erhobenen ehemaligen k. u. k. Veterinärschule. Die Pferde aber blieben ihrer alten Pflegestätte treu, an der es 1920 zur Gründung einer eigenen Poliklinik für Pferde kam. Dieser und der oben erwähnten Lehrkanzel ist ein kleineres, aber sehr interessantes Museum an-gesch 1 oss.en.: Aas „Hufbesi&lsiiginusmä

BETRITT MAN DEN GROSSEN, WEISS-GETÜNCHTEN SAAL, sieht man, fein säuberlich in Vitrinen aufbewahrt, Hufeisen, Hufeisen und nichts wie Hufeisen. Aber wie anders sehen so manche Beschläge aus, als wir sie von vergangenen Silvesterwünschen in Erinnerung haben. Da sind als besondere Raritäten, die durch die Ausgrabungen von Lauriacum und Briganfcium — dem heutigen Enns und Bregenz — erhaltenen Hipposandalen, die von den Römern und Griechen um die Zeitenwende und bis in das 2. und 3. Jahrhundert verwendet wurden. Wie der Name Sandale bereits sagt, war diese Art Eisenschuh mit Riemen am Huf befestigt. Durch verschiedene Ausgrabungen berechtigt, besteht mit großer Sicherheit die Annahme, daß die Römer mit ihren Hipposandalen auch kranke Hufe behandelt haben; der orthopädische Hufschutz also bereits 2000 Jahre alt sein dürfte.

Schon die nächsten — durch spätere Funde in Enns ziemlich sicher zu datierenden — Hufeisen halten sich an das noch derzeit gehandhabte Prinzip der Hufeisenform. Im 3. Jahrhundert dann wurde ein gewogener Eisenstab am Huf befestigt. Aus der Größe des Eisens kann man hier auf die Größe der Tiere schließen und beweisen, daß die früher in Verwendung gewesenen Pferde eher kleinen Rassen angehört haben mußten.

DIE IN DEN NÄCHSTEN Vitrinen ausgestellten Schaustücke ähneln immer mehr dem, was wir heute unter Hufeisen verstehen. Aber die für die Nägel vorgesehenen Löcher schienen uns mit Recht besonders groß. Tatsächlich besitzt noch ein Exemplar einige dieser Hufnägel. Die armen Tiere, denkt man unwillkürlich, wenn man diese Nägel und den großen Kopf betrachtet. Außerdem waren sie mit Lappen versehen, wie sie noch heute die „Tschernken“ so mancher Bergschuhe aufweisen. Diese Eisen waren handgeschmiedet und den Hufen angepaßt. Wie wir hören, stammen diese Beschläge aus der Zeit der Kelten und gehört jene Epoche gerade durch die besondere Art der Befestigung mit Nägeln zu einem Wendepunkt in der Geschichte des Hufeisens.

Im nördlichen Niederösterreich hingegen wurden ganz andere Eisen gefunden, die aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stammen. Bei diesen sogenannten Schwedeneisen handelt es sich um große, schwere Eisen, die mit vierkantigen Nägeln befestigt wurden. Diese wuchtigen Beschläge waren in unseren Gegenden während des ganzen 17. Jahrhunderts in Gebrauch.

In der folgenden Vitrine finden sich wieder ganz differente, zarte, leichte Eisen, wie sie die im 18. Jahrhundert erfolgte Spezialisierung der Pferdezucht mit sich brachte. Da gibt es nun für die Traber Hufeisen mit Gewichten bis zu 300 Gramm, die am vorderen Beschlag angebracht sind. In einer anderen Gruppe sind dünne, feine Eisen — sie sehen aus, als wären sie vom Kunstschmied und nicht von einem Hufschmied verfertigt — zusammengestellt, die es nur für die Vorderhufe gibt. Der Fachmann erklärt hier die Besonderheit des Beschlages für die Galopper.

ALL DIESE HUFEISEN FÜR REIT- UND RENNPFERDE unterscheiden sich deutlich von den für leichte und schwere Zugpferde bestimmten, die das Museum gesondert aufbewahrt.

Ganz im Gegensatz zu den vielen Exemplaren, die die Wandlung des Beschlages im Laufe der Zeiten zeigen, sind die letzten Stücke der Sammlung. Diese, aus England stammenden Hufeisen scheut man sich, Eisen zu nennen. Sie wurden bei der bekannten Reifenfabrik Fire-stone hergestellt und sind aus Vollgummi, der über einen Eisenkern gezogen wurde. Diese „Gummieisen“ sind jedoch Vorschrift innerhalb des Londoner Stadtgebietes, um Pflaster und Ohren der Bewohner zu schonen. Natürlich gibt es diesen Beschlag in verschiedenen Größen, aber nie so genau nach Maß wie das gute alte, handgeschmiedete Hufeisen. Den gleichen Nachteil weisen die in Berlin und Norddeutschland üblichen Taubufeisen auf, die als Letztes dem Beschauer gezeigt werden. Diese — sehr gut gegen das lästige Ausgleiten — werden ebenfalls maschinell erzeugt und besitzen in der Mitte des Eisens eine Rille, in welcher ein Seil verläuft. So wird es in Zukunft vielleicht nicht mehr heißen: „Bitte, einen neuen Beschlag für die Rosa“, sondern der Hufschmied wird dann fragen: „Welche Nummer darf ich denn probieren?“ wie im Schuhsalon. Diese Zukunft allerdings wird in Österreich noch sehr ferne sein, da man hier stolz darauf ist, jedem Pferd seinen richtigen, auch der Jahreszeit angemessenen, handgeschmiedeten Beschlag zu geben. Selbstverständlich zählt die der Poliklinik und der Lehrkanzel angeschlossene Schmiede, die in aller Welt berühmte Spanische Hofreitschule zu ihren alten Stammkunden. Freilich ist die rückläufige Tendenz in der Pferdehaltung ein großer Kummer. So gibt es heute in ganz Österreich nur 180.000, in Wien selbst nur 2000 Pferde, die Reittiere inbegriffen. Allein die Gegenüberstellung der 250 als Tragtiere im Gebirgseinsatz des Heeres stehenden Pferde zu 20.000 Milizpferden der kleinen Schweiz gibt einen Einblick in die Situation der Pferdehaltung von heute. Auch in der Landwirtschaft sind die Pferde zurückgegangen, doch durch die Umstellung des Rinderzuges auf Pferde kommt dies zahlenmäßig nicht so sehr zum Ausdruck. Der fortschrittliche und moderne Landwirt weiß jedoch, daß bei kurzen Strecken, Planierungsarbeiten und ähnlichem die Verwendung von Zugpferden unvergleichlich billiger kommt als jedes Motorfahrzeug. *

ALS WIR DEN RAUM VERLASSEN WOLLEN, stockt der Fuß, denn was wir hier sehen, erinnert mehr an Präparate aus dem anatomischen Institut. In großen Gläsern sind fein säuberlich Präparate von Knochen und Klauen in Spiritus aufbewahrt. Diese Schaustücke nehmen in den Beständen des Museums einen gesonderten Platz ein. Es werden hier alle Arten von Klauenbeschlägen, aber auch Klauenerkrankungen und -Mißbildungen gezeigt, wie zum Beispiel die durch die Domestikation der Tiere vorkommenden Stallklauen: eine Art der Erkrankung, welche es beim geahmten Vieh infolge der natürlichen Abnützung des Hornes nicht gibt. Jedoch das Stallvieh, das besonders im östlichen Bundesgebiet, wo keine Almtriebe möglich sind, vorkommt, zeigt oft die zu langen Klauen. Wird diese Mißbildung nicht beachtet, so kann es zu größeren Schäden kommen, wie: die angewachsenen Klauen verändern die Zehen- und Gliedmaßenstellung, und das Rind leidet Schmerzen in den Gelenken und später auch in den Knochen. Als weitere Folgeerscheinungen treten auch oftmals Entzündungen in den Gliedmaßen auf. Jeder aber weiß, daß nur ein gesundes Tier gesunde Arbeit leisten kann. Durch die Schmerzen beeinflußt geben die Kühe — besonders die hochgezüchteten Rassen —, die bei voller Gesundheit bis zu 45 Liter Milch pro Tag liefern können, immer weniger Milch. In extremen Fällen kann es sogar zum gänzlichen Versiegen kommen. Wie der Fachmann versichert, leidet auch das Mastvieh unter den Gliedmaßenerkrankungen. Im Zusammenhang damit werden dem Besucher die verschiedenen Methoden der Klauenkorrektur vor Augen geführt, wie sie die Klauenpfleger an der Lehrkanzel durch Kurse leicht lernen können. Nach der mit geschickten Händen vorgenommenen Korrektur kommt das Vieh sehr rasch wieder auf seine normale Leistung und der verhältnismäßig geringe Auf-wand an Mühe und Kosten steht in keinem Vergleich zum Gewinn. Die Korrektur selbst besteht in der Kürzung des überschüssigen Hornes bei Stalltieren; durch Beschlag mit Klaueneisen bei Arbeitstieren, deren Klauen dadurch vor zu großer Abnutzung bewahrt werden. Da es in Österreich 2,300.000 Stück Rindvieh gibt, vielmals aber diese Erkrankungen außer acht gelassen werden, ist diese Art der Forschung, wie sie hier an der Tierärztlichen Hochschlule geübt wird, für die gesamte Volkswirtschaft von großem Nutzen. Bedenkt man weiter, daß in Österreich die Jahresmilchleistung im Jahre 1958 insgesamt 2,636.000 Tonnen, das sind 2020 Kilogramm Milch pro Kuh betrug und nach vorsichtigen Schätzungen im ganzen Bundesgebiet etwa 15 Prozent des Gesamtrinderbestandes mit Stallklauen behaftet sind, macht man sich von der Wichtigkeit dieser Arbeit eine ungefähre Vorstellung. Zudem wurde bereits berechnet, daß die dadurch entstehende Schadenssumme zirka 100 Millionen Schilling beträgt.

BEREITS BEIM KOMMEN war uns an der dem Beschlagsmuseum gegenüberliegenden Tür eine Tafel mit der Aufschrift: „Beschirrungs- und Sattlungsmuseum“ aufgefallen. Neugierig, wie ein Reporter von Berufs wegen sein muß, galt die nächste Frage natürlich diesem Raum. Der freundliche Assistent, der die Führung übernommen hatte, war auch sofort bereit, diese Lehrsammlung — denn um eine solche und nicht um ein historisches Museum handelt es sich hier — zu erklären. Beschirrung und Sattelung ist ja auch ein Vorlesungsgegenstand der Hochschule, da richtiges Einspannen und Satteln aus Gründen des Tierschutzes besonders wichtig sind. Allzu oft kommt es nämlich durch ungeeignete Beschirrung und das folgende Scheuern sowie durch Sattel- und Geschirrdruck zu Verletzungen.

Dieser Raum enthält die Beschirrungen und Sättel für Pferde, Rinder und — Vögel. So sehen wir die für leichte und schwere Zugpferde bestimmten Kummetgeschirre. Diese sind nach Landstrichen auch heute noch sehr different. Als Kuriosum sei hier die in der Steiermark häufig anzutreffende Eigenart erwähnt, dem Geschirr ein Dacbsfell zu unterlegen, da man glaubt, damit Krankheiten fernhalten zu können.

Wunderschön sieht sich das leichte englische Kummet aus gehämmertem Leder an, das heute jedoch nur noch sehr selten, meist in aristokratischem Besitz, zu finden ist.

Parallel zu dem eben bei den Hufeisen Gesehenem gibt es auch hier eine Spezialbeschirrung für die Traber. Diese ist beim Ziehen des Sulkys auch heute noch in Verwendung. Außerdem trägt das Tier — in natura ebenso wie hier das Modell im Museum — den sogenannten Sandkorb aus feinem, mit dünnstem Stoffgewebe bespannten Drahtnetz. Unerläßlich wurde der Korb als Schutz für die Nüstern erprobt, um das Inhalieren von Sand zu verhindern. Auch die Gebißstangen der Traberbeschirrung sind von den ansonsten in Verwendung stehenden sehr verschieden. Es läuft uns kalt über den Rücken, als wir hören, daß die sogenannte Mahlstange vor den Zähnen des Oberkiefers liegt und über Stirn und Nacken zum Rückenriemen führt. Dadurch kommt es zu der vom Publikum so sehr bewunderten stolzen Kopfhaltung des Pferdes, die im Zusammenhang mit den Traberhufeisen die charakteristische Gangart hervorrufen.

DIE ERWARTUNG, in der Sattelabteilung historische Sättel zu finden, wird leider nicht erfüllt. Zwar ist hier ein alter österreichischungarischer Packsattel, der vorwiegend für Maultiere verwendet wurde, aufgestellt. Unter den wenigen Reitsättel ist der englische Pritschensattel erwähnenswert, da diese Ausführung vorwiegend in der ganzen Welt in Gebrauch ist. Eine modifizierte Form des englischen war der von der ehemaligen Wiener berittenen Polizei verwendete Reitsattel.

Vorbei am österreichisch-ungarischen Bocksattel, der noch die Aufschnallvorrichtungen für Mantel und einen Pflock zum Festhalten des Tieres während der Rast sowie die Packtaschen und das ganze Zaumzeug mit schwarz-gelben Verzierungen versehen hat, kommt man zum Prunkstück und Stolz der Sammlung.

Der aus Wildleder verfertigte Straußensattel wird mit Recht als Unikum angesprochen, da kein anderes Museum in ganz Österreich ein gleiches Exemplar besitzt. Dieses wurde 1935 vom damaligen Institutsvorstand von einem Wiener Sattler erv/orben, der im Auftrag der Italiener diese Sättel für die Kämpfe in Abes-sinien herstellen mußte. Angeblich werden auch heute in diesem Land noch Strauße geritten. Doch versichert uns der mit Herz und Seele beteiligte Assistent, daß es ihm bis heute nicht gelungen ist. ein Bild von einem gesattelten Strauß zu erhalten

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