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Schatzkammer für Bücher

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VIER JAHRHUNDERTE LANG LÄSST SICH die Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek, ehemals kaiserlich-königliche Hofbibliothek, zurückverfolgen, und dennoch liegt ihre Vorgeschichte wahrscheinlich noch viel weiter zurück. Herzöge und Kaiser haben gesammelt, geerbt und vererbt, ehe „die“ Nationalbibliothek daraus geworden ist. Eine Institution, auf die man stolz ist, die jedem Fremden gezeigt wird, wo sich Studenten und Pensionisten drängen, um ihr Wissen oder ihre Interessen zu befriedigen. Eine Institution, die man nützt, kennt — und doch nicht kennt. Denn die vielen Schätze von unermeßlichem Wert, hinter Vitrinen aufbewahrt, sind doch nur wenigen bekannt.

Schon im 19. Jahrhundert war der Platzmangel der Hofbibliothek zwingend geworden. Durch Kauf, Tausch und Hinterlassenschaften waren die Bestände dermaßen angewachsen, daß man auf die Räume des angrenzenden ehemaligen Augustinerklosters Übergriff. Vorerst diente der Büchersaal des Klosters als Speicher, seit 1906 aber wird er als Hauptlesesaal benützt. Der Speicher indessen wanderte in die Räume unter dem Prunksaal, sechs bis sieben Stockwerke tief bis unter die Erde. Eine höchst unzulängliche, aber unabänderliche Lösung. Tausende Bücher füllen hier die Gewölbe! Die damalige Notlösung verlangt nun, nach sechzig Jahren, eine radikale Veränderung, soll man den heute notwendigen, modernen Anforderungen entsprechen. Wahrscheinlich ist der einzig mögliche Ausweg gefunden worden, mit der schon im Herbst dieses Jahres der Öffentlichkeit zugänglichen Ausdehnung in den Trakt der eigentlichen Hofburg

Jahrzehnte vorher jedoch mußte der immer weiter ansteigenden Raumnot Abhilfe geschaffen werden: Die inzwischen entstandenen Spezialsammlungen wurden in vorerst provisorische, in der Umgebung liegende Unterkünfte verfrachtet. Was sich äußerst nachteilig in der Versorgung der Leseräume auswirkte.

Im Hauptgebäude verblieben Druckschriften- und Handschriftensammlung; der eigentliche Kernpunkt der Bibliothek und der Allgemeinheit am besten vertraut. Zuerst waren, wie in jeder alten Büchersammlung, beide Varianten gemeinsam aufgestellt. Erst im frühen 17. Jahrhundert wurden Handschriften und Drucke voneinander geschieden. Wobei auch die Inkunabeln, die frühen Drucke, den Handschriften zugeordnet wurden. Unter Lambeck, um 1660, zählte die Sammlung bereits 80.000 Bände! Seinen Bemühungen gelang es auch, die fast 1500 Druckschriften aus Ambras, unter ihnen das berühmte „Ambraser Heldenbuch“ und die „Wenzelbibel“, wieder nach Wien zu schaffen.

Neben relativ bescheidenen Erwerbungen seien noch die ganz großen, geschlossen aufgekauften Bibliotheken erwähnt, wie zum Beispiel die des Generaladjutanten des Prinzen Eugen, Georg Wilhelm von Hohendorff, dessen Sammlung neben prachtvollen Handschriften auch 6732 Drucke enthielt, und die 1732 von Kaiser Karl VI. erworbene einzigartige Sammlung des Prinzen von Savoyen selbst. Sie schmückt noch heute das Mitteloval des Prunksaales und zeugt mit ihren meist in Rot gehaltenen Maroquineinbänden von wahrhaft erlesenem Geschmack.

ÜBERAUS WERTVOLLEN ZUWACHS erfuhr die Hofbibliothek aus den von der josephinischen Auflösung betroffenen Klöstern und 1920, nach dem Zusammenbruch der Monarchie, durch die geschlossene Übernahme der Fideikomiss-Biblio- thek des habsburgischen Kaiserhauses, die heute 20 Säle der Räume des Bildarchivs füllt!

Vom Mittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart reicht die Spannweite der Handschriftensammlung. Einerseits umfaßt sie Handschriften und Autographen kulturell oder geschichtlich bedeutender Persönlichkeiten, anderseits alte Handschriften mit literarsisch wertvollem Inhalt, einzigartigem Buchschmuck, Miniaturmalerei oder kost baren Einbänden. Die „Wiener Genesis“ aus dem 6. Jahrhundert, der „Antiphonar“ von St. Peter in Salzburg, um 1160, der „Wiener Dioskuri- des“,ein Heilkräuterbuch, gemalt um 512, eine byzantinische Handschrift, die übrigens in Zusammenarbeit mit einem Grazer Verlag demnächst im Druck erscheint, oder die „The- seide“ des Boccaccio, vom „Rene-Mei- ster“ kostbarst um 1470 gemalt, sind nur einige Perlen, die in dieser schier unerschöpflichen Schatztruhe ruhen. Nicht nur Schriften des Abendlandes sind hier vertreten, sondern hebräische, armenische, syrische, chinesische, persische, arabische, indonesische. Manchmal auf exotischem Material wie Palmenblätter oder Rinden.

Oder auf Papyrus. Dafür allerdings besitzt die Bibliothek eine eigene Abteilung in der Albertina. Eine nur in der engeren Fachwelt bekannte Goldgrube, deren Bestand zu den größten der Welt zählt, aber leider aus Geldmangel nicht erweitert werden kann. Neben dem stillen kleinen Lesesaal mit einer mehr als 8000 Bände zählenden Handbibliothek liegt ein Schauraum, der, angefangen von der Papyrusstaude bis zu Totenbüchern mit der Legende des Todes, Gerichts und Auferstehung, einen interessanten Überblick über die Sammlung und zugleich über das altägyptische Alltagsleben gibt. Sogar Ehescheidungsklagen finden sich hier!

Die Papyri' sind in elf verschiedenen Schriften abgefaßt, wobei hieroglyphisch und hieratisch die ältesten sind. In der Sammlung sind aber auch andere Beschriftungsmaterialien vorhanden, wie Knochen, Holz oder Leder. Der Reichtum der von Erzherzog Rainer 1899 gestifteten und vor allem aus dem großen Fund von El Falyum resultierenden Bibiliothek zeigt sich aber auch an vier Mumienportnaits, von denen insgesamt nur zehn existieren! Die Restaurierwerkstätte geht in die Bibliothek über. Hier waltet Professor Fackelmann, ein Mann, der mit einem Schlag weltberühmt wurde, als er in Herculaneum, in der Villa des Philosophen Philodemos, fünf verkohlte Papyrusrollen unbeschädigt geöffnet hatte, nachdem schon mehrere Fachleute sich vergebens darum bemüht hatten.

Musiksammlung, Kartensammlung

— der das Globusmuseum angeschlossen ist — und die Theatersammlung unter der Michaelerkup- pel seien hier nur namentlich erwähnt, obwohl ihre internationale Bedeutung keine geringere ist.

DEN BILDDIENST DER NATIONALBIBLIOTHEK hat ein Institut über, das erst 1938 gegründet und damit die jüngste Abteilung des Hauses darstellt: Die Porträtsammlung, gekoppelt mit dem Bildarchiv. Ihr Ziel ist es, eine kulturgeschicht-

liehe Dokumentation vorlegen zu können, die das Bild des Menschen, vom 18. Jahrhundert an, von allen Seiten beleuchtet zeigen soll. Zu den 750.000 graphischen und photographischen Portraits ist das Bildarchiv — und hierin liegt die Besonderheit der Zusammenarbeit — imstande, zeitgeschichtliche Atmosphäre, Milieu, Handschrift, Werkgeschichte und andere Einzelheiten vorzulegen und somit das Bild einer Persönlichkeit wirklich scharf zu umreißen. Das Bildarchiv als Einzelinstitut hingegen bemüht sich, das Gesamtgebiet der Kulturgeschichte, zum Beispiel Topographie der Technik als Kulturphänomen gesehen, photographisch festzuhalten und so zum historischen Dokument aufzuwerten. Um dieses ungeheure Ziel zu verwirklichen, ist man Partnerschaftsverträge mit einigen Wiener Instituten und Photographen eingegangen, die jegliches Photomaterial mit dem Negativ in das Bildarchiv einliefern. Diese Organisation hat auf relativ billige Weise geholfen, die größte Sammlung dieser Art auf der ganzen Welt aufzubauen und sich zudem immer auf dem laufenden zu halten. Der Erfolg zeigt sich in der Tatsache, daß im Jahr zirka 20.000 Bildkopien an große Verlagshäuser, Fernsehstationen; Gelehrte und Dissertanten in alle Kontinente verschickt werden. Es ist ein Erfolg, der leider auch Nachteile hat: Die gestellten Ansprüche sollen erfüllt werden; durch den immerwährenden Personalmangel aber muß die innerorganisatorische Arbeit, das Anlegen von Systemen und Katalogen, die allein ein modernes, sicheres und schnelles Arbeiten gewähren, zurückgestellt werden, was sich natürlich auch auf den Vertrieb nachteilig auswirkt.

Der Mann, auf dessen Schultern letztlich all diese Probleme lasten, ist der Generaldirektor der Nationalbibliothek, DDr. Stummvoll. Raumnot, Personalmangel und Geldschwierigkeiten sollen überwunden oder doch im Gleichgewicht gehalten werden. Ein typisch österreichischer Balanceakt! DDr. Stummvoll, der übrigens die Bibliothek der Vereinten Nationen in New York eingerichtet hat, wußte sich aus diesem Dilemma teilweise zu befreien: Sein Werk wird der bedeutende im Herbst zu eröffnende neue Biblio-

thekstrakt sein, der eine Erweiterung nicht nur der Lesesäle, sondern auch der Depoträume verwirklichen wird. Von den Büchergewölben unter dem Prunksaal wurde in die Hofburg schon früher ein Tunnel gegraben, in dem nun eine moderne, synchron geschaltete Kreisförderanlage eingebaut wurde, die den Transport der Bücher in die neuen Räume wesentlich erleichtern und schneller gestalten wird. Das Herz dieser Anlage liegt zentral zwischen Leseräumen, Fernleihe, Ausgabe- und Aus tauschstelle in einem überdachten, ausgebauten Zwickelhof. Im alten Gebäude war dies sehr unglücklich gelöst: Die Bücher mußten auf „Bü- cherkraxn“ über Wendeltreppen auf und ab geschleppt werden!

DER GANZE KELLER, JEDER entbehrliche Nebenraum, gewölbt oder ungewölbt, mit oder ohne Treppe, wurde zu Speichern umgebaut und mit glatten, einfach zu pfle- den Regalen, teilweise zusammenschiebbar, versehen.

Der eigentliche Eingang in die neue Bibliothek erfolgt nun vom Heldenplatz aus in die Hofburg. Um die Architektur nicht zu stören, sind riesige Glaswände eingezogen, statt Orientierungstafeln finden sich bei den Türgriffen symbolische Zeichen: Rechts und links zeigen sich Waffen — der Weg führt in die Waffensammlung; die Bibliothek trägt das Zeichen der Eule.

Die umfassenden Kataloge im hohen Vorraum sind ebenfalls ein Werk der Generaldirektion: Der alte, handgeschriebene Zettelkatalog mit mehr als 1,300.000 Zetteln wurde in jahrelanger Arbeit abgeschrieben und steht jederzeit zur Verfügung. Dies war bis jetzt nur ab dem Jahr 1929 möglich.

DER WEG FÜHRT WEITER ZUR AUSGABESTELLE, einmal für Studenten, einmal für Professoren, links im Hintergrund liegen die Fächer für die eben vom Speicher eingelaufenen Bücher, mit Lichtsignalen darunter, die in den Lesesaal führen. Rechts befinden sich die Fächer der reservierten Bücher. In der Mitte des

Raumes, durch eine Zierwand verdeckt, läuft die Förderungsanlage und schiebt die Bücher auf eine Röllchenbahn, quasi ein Abstellgeleise. Durch eine schwere, mit Messingknöpfchen verzierte Flügeltür gelangt man in den großen, 201 Sitzplätze umfassenden Lesesaal, dessen akustische Dämpfung erstaunlich gut gelungen ist. Die Decke ist gleichsam aufgefächert, nicht nur um die Höhe des Raumes zu drücken, sondern auch des indirekten Lichtes wegen. Auch durch die Galerie, wo ebenfalls Nachschlagwerke auf gestellt wenden, wird die allzu große Höhe genommen. In warmem Braun ist der ganze Saal gehalten, die Tische stehen zwar etwas eng beisammen, aber die einzelnen Flächen sind, gegenüber dem alten, dem „Augustinersaal", vergrößert worden. Absolut neu ist das Alarmsystem an jedem Platz, dessen grüner Knopf aufleuchtet, sobald das bestellte Buch in die Ausgabestelle gelangt ist. Wieder steht auf jedem Platz eine bewegliche Lampe, die nach langjähriger Erfahrung ein konzentriertes Arbeiten ermöglicht.

DURCH EINE GLASWAND IST ein kleinerer Saal abgeteilt, der nur bei Bedarf benützt werden wird. Auffallend ist der Wandschmuck: Professor Leopold Schmidt schuf die hintereinander geschachtelten Gipsschnitte, die Errungenschaften der Wissenschaft symbolisieren. Von Pallas Athene zu den Vereinten Nationen.

Durch einen kleinen, runden, offenen Raum, der mit „Diskussionsecken“ ausgestaltet werden wird, kommt man auf die Galerie und dann in den Zeitschriftensaal, der 60 Sitzplätze aufweist. An den Wänden sind Fächer für Handzeitschriften und Schauschrägen für Ausstellungsstücke angebracht. Neben den Räumen für das Personal befinden sich auch Zimmer, in denen man mit Schreibmaschine arbeiten können wird. Konferenzzimmer, Büroräume und sanitäre Anlagen vervollkommnen den Eindruck eines gediegenen, modernen Institutes.

Der einzige Nachteil liegt in der etwas ungeschickten Planung der Depots, die nun in den Jahren der Bauzeit bereits wieder gefüllt sind. Aus diesem Grund denkt man an eine Untergrabung der Straße zwischen Hofburg und Burggarten.

Der Gedanke an den Bau kam nicht von ungefähr. Nicht nur die Notwendigkeit einer Erweiterung und zudem Verbindung zum Bildarchiv spielten hier eine Rolle, sondern auch die bestehende Baufälligkeit dieses Traktes zwang zu einem Umbau. Handelsministerium und Unterrichtsministerium teilten sich die Kosten, und 1962 konnte mit dem Bau begannen werden.

Modernisierung und mögliche weitere finanzielle Unterstützung des Institutes wird ein rascheres und interessanteres Arbeiten gewährleisten können und dadurch wissenschaftliche Tätigkeit auf breiterer Basis möglich machen.

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