6996032-1987_09_17.jpg
Digital In Arbeit

Wo Schätze vermodern

Werbung
Werbung
Werbung

Höchst widersprüchlich agiert seit Jahren die aus der Hofbibliothek der Habsburger hervorgegangene österreichische Nationalbibliothek in Wien. Einerseits folgt sie der gesetzlichen Auflage, die gesamte österreichische und über Österreich erscheinende Literatur sowie die wichtigste geisteswissenschaftliche Weltliteratur zu erwerben und der Nachwelt zu bewahren, und ist damit nicht nur die erste Bücherei der Alpenrepublik, sondern nimmt, nach Zahl und Qualität ihrer Bestände, neben den großen Bibliotheken in Paris, London und Rom eine Spitzenstellung in Europa ein. Der 1723 bis 1726 nach Entwürfen von Johann Bernhard Fischer von Erlach von dessen Sohn Joseph Emanuel geschaffene Prunksaal gilt mit seiner herrlichen Innenausstattung als der schönste Bibliothekssaal der Welt.

Andererseits sind die äußeren Bedingungen für die aus acht Teilsammlungen (Druckschriften-, Handschriften- und Inkunabel-, Musik-, Karten-, Papyrus-, Bildarchiv-Porträt- und Theatersammlung sowie dem Internationalen Esperantomuseum) bestehende Bibliothek schlichtweg katastrophal. Sind doch die Nut-zungs- und Speicherräume für diese Wissens- und Kunstschätze, deren Bestand sich pro Jahr um 35.000 bis 40.000 Exemplare vergrößert, nicht adäquat gewachsen.

Uberfüllt sind deshalb die täglich von 1.800 bis 2.000 Benutzern-davon achtzig Prozent Studenten — frequentierten Lesesäle, die auch in ihrer Ausstattung den Anforderungen einer modernen wissenschaf tlichen Gebrauchsbibliothek nicht entsprechen.

Um ein Vielfaches zu klein sind jedoch vor allem die Speicherräume. Um teures Geld gekaufte und von österreichischen Staatsbürgern geerbte Bücher werden unaufhaltsam zerstört. Viele Exemplare — zumal die seit zwei Jahren als „Zwischenlösung” in den Kellerräumen der Neuen Hofburg gelagerten Werke — sind von einer eineinhalb Zentimeter dicken Schimmelschicht bedeckt.

„Was wir am dringendsten brauchen”, erklärt die Leiterin der im Eigentum der Republik befindlichen Bibliothek, Magda Strebl, „ist ein Großspeicher, wie man ihn uns schon vor dreißig Jahren versprochen hat und wie er auch im Museumskonzept verankert ist.”

Vor drei Jahren beauftragte das Bautenministerium die Generaldirektion der Nationalbibliothek mit der Planung eines Bücherspeichers unter dem Burggarten, der vier Millionen Bücher und ein Zeitungsmagazin sowie einen Lesesaal umfassen sollte.

Zahlreiche Verzögerungen, für die eine nachgeordnete Dienststelle der anderen den „schwarzen Peter” zuschiebt, haben dazu geführt, daß die Pläne erst jetzt „beinahe” fertiggestellt sind. Gekostet haben sie bereits Millionen Schillinge. Wieviel genau, darüber schweigt man. Jedenfalls sollte im Frühjahr 1987 mit dem Bau begonnen werden.

Da seit Herbst 1986 keine Zahlungen vom Bautenministerium an die Nationalbibliothek ergangen sind, bleibt das Projekt, bei dessen Ankündigung durch die Medien auch das Ausland applaudiert hat, bis auf weiteres ein „Traum vom Raum”.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung