Geraubte Bücherschätze

Werbung
Werbung
Werbung

Während der NS-Zeit gelangten viele geraubte Bücher in Österreichs Bibliotheken. Der monetäre Wert dieser Werke ist meist gering. Trotzdem ist es sinnvoll, nach ihrer Herkunft zu forschen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Oskar Ladner von der Universitätsbibliothek Wien wissen, ob sie Werke aus seiner früheren Bibliothek besitze. Die Antwort des damaligen Direktors Johann Gans lautete: Tatsächlich habe man mehrere Werke identifiziert, die Ladner gehörten. Sie seien als "Geschenk" von der Nationalbibliothek an die Universitätsbibliothek gekommen. Es handle sich durchwegs um Werke, "denen keine große Wichtigkeit beizumessen ist". Leider bereite es "große Mühe" die bereits inventarisierten Bücher aus den Katalogen zu streichen. Deshalb bot Gans an, die Bücher entsprechend abzugelten.

Lange Zeit wurde eine Vorgehensweise wie jene des Direktors fraglos akzeptiert. Erst in letzter Zeit hat in Österreich ein Bewusstseinswandel eingesetzt (siehe Infokasten). So geben sich die Bibliotheken heute "große Mühe"; mittels Provenienzforschung will man die Herkunft von Büchern (und anderen Kulturgütern) klären. Auch wird die Wichtigkeit nicht mehr bloß am Geld-Wert festgemacht. Und schließlich hat man einiges über Bucheinträge wie "Geschenk" gelernt. Peter Malina, der ein erstes Forschungsprojekt an der Hauptbibliothek der Uni Wien leitete, dazu: "Hinter Vermerken wie, Geschenk',, Tausch' oder, Kauf' kann sich viel verstecken."

"Geschenke" der Gestapo

So "schenkte" etwa die Polizeistelle Wien während der NS-Zeit der Unibibliothek Wien 1.200 französischsprachige Bücher. Woher diese Werke ursprünglich stammen, ist bis heute unklar. Allgemein bekannt hingegen ist, dass die Gestapo Büchereien von feindlichen Parteien, religiösen Gemeinschaften, Logen und von jüdischen Institutionen plünderte und sich aneignete.

Eine andere Quelle für Bücher war der Hausrat von emigrierenden Juden; die Vertriebenen durften nichts mitnehmen. Eine eigens von der Gestapo Wien eingerichtete Verwaltungsstelle, die Vegusta, kümmerte sich um die Verwertung dieser Sachwaren. Bücher wurden etwa zur Versteigerung am Dorotheum angeboten oder direkt an Antiquariate und Privatpersonen verscherbelt. Oft über Umwege kamen sie so in die Bibliotheken.

Gezielt Jagd auf Bücher machte der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, indem er systematische Raubzüge in die besetzten Gebiete plante. Vom organisierten Bücherraub wollte auch die Österreichische Nationalbibliothek profitieren. Der damalige Direktor Paul Heigl, ein fanatischer Nationalsozialist, versuchte etwa in den Besitz von prominenten Sammlungen zu kommen.

Ein Unrechtsbewusstsein für den Handel mit fremden Eigentum gab es damals offenbar nicht. Man befände sich im Krieg. Es handle sich schließlich um Kriegsbeute, so die oft verwendete Argumentation. Auch nach Ende des Krieges wurde man nicht einsichtig: Das "herrenlose Gut" (Besitzer gab es scheinbar keine) dürfe behalten werden, um die erlittenen Kriegsverluste wettzumachen.

Verkauf unter Zwang

Doch nicht nur geschenkte und getauschte Bücher können von zweifelhafter Herkunft sein. Auch mit den gekauften verbindet sich mitunter eine Geschichte des Unrechts, wie der Fall von Elise und Helene Richter exemplarisch zeigt. Elise Richter - Österreichs erste außerordentliche Professorin - wurde aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nach dem "Anschluss" zwangspensioniert. Die beiden Schwestern gerieten deshalb in finanzielle Bedrängnis, so dass sie sich gezwungen sahen, ihre 3.000 Bände umfassende Bibliothek an die Kölner Universitäts- und Stadtbibliothek zu verkaufen. Bezahlt hat die USB Köln aber nicht. Sieben Monate später wurden das Geschwisterpaar nach Theresienstadt deportiert, wo sie kurze Zeit darauf ermordet wurden. Verkäufe unter Zwang dürften vielfach stattgefunden haben, meint Christian Mertens von der Wienbibliothek im Rathaus und fügt hinzu: "Wenn doch Geld geflossen ist, dann oft auf Sperrkonten." Teile der Richter-Bibliothek fanden ihren Weg zurück nach Österreich. Die Wienbibliothek ist etwa im Besitz des Studentenausweises von Elise Richter (der zu jener Zeit nur die männliche Anredeform kannte). Die Nationalbibliothek beherbergt mehrere Bücher, die sich leicht am auffälligen Exlibris-Stempel (siehe Bild erkennen lassen. Auch in drei Fachbibliotheken der Universität Wien konnten zehn Bücher der Geschwister ausfindig gemacht werden. Eine Rückgabe der Bücher ist bis dato gescheitert. Der Grund: Die rechtmäßigen Erben konnten nicht ausfindig gemacht werden. Dabei hat der Nationalfond mit www.restitutionskunst.at eigens eine Webseite geschaffen, um Bücher und Besitzer (respektive deren Nachkommen) zusammenzuführen. Hin und wieder klappt das auch. So hat die Wienbibliothek zunächst etliche Briefe nach Ungarn geschickt, um etwas über den Verbleib von Ludwig Friedrich zu erfahren, der 1938 von Wien nach Szentgotthard gezogen war. Ohne Erfolg. Doch vor kurzem konnte die Sammlung Friedrich an einen in Israel lebenden Großneffen übergeben werden. Er hatte die Seite zufällig beim Surfen im Internet entdeckt.

Wertvoll für den Einzelnen

Bei der Rückgabe von Büchern geht es sehr oft nicht um hohe materielle Werte. Monika Löscher, die Provenienzforschung an den Fachbibliotheken der Uni Wien betreibt, erzählt von einem Gespräch mit einem älteren Herrn, der den Verlust eines populärwissenschaftlichen Werkes über Bakterien dennoch bis heute beklagt. Und Margot Werner von der Nationalbibliothek sagt: "Wir hatten zwei Verwandte, die ganz erpicht darauf waren, ein paar Modehefte aus den 1930er Jahren zu bekommen."

In sehr vielen Fällen lassen sich die ehemaligen Besitzer aber nicht mehr eruieren. Auch weil selten genaue Angaben in den Büchern stehen. Die Forscher finden dann Einträge wie: "Zum Burzitag vom Kurzibold". Oder: "Für den schönen Chauffeur". Was soll mit diesen Büchern geschehen? Die verschiedenen Bibliotheken denken über unterschiedliche Strategien nach. Eine Möglichkeit ist, dass die Bücher versteigert werden und der Gewinn Holocaust-Projekten zugute kommt. Eine andere, die Bücher mit einem Schlagwort wie "NS-Raubgut" zu kennzeichnen. Damit die Erinnerung wach bleibt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung