6627862-1956_20_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

RUND 40C0 VERMÖGENSCHAFTEN UNTER ÖFFENTLICHER VERWALTUNG, erklärte Staatssekretär Dr. Bock in der ersten statistisch be-legien Uebersicht zur Frage des Deutschen Eigentums gelegentlich einer Pressekonferenz im Finanzministerium. Das land- und forstwirtschaftliche Vermögen umfasse 110.000 Hektar, wozu das ehemalige Reichsvermögen mit 100.000 Hektar trefe. Das Grundvermögen unter Verwaltung zähle 1481 Fälle, zu denen noch 2000 Objekte Reichsvermögen kommen. Das Betriebsvermögen — der wichtigste Sektor — weist 852 Betriebe mit einem Beschäftigfensfand von 45.500 Menschen auf; der Umsatz betrug im Jahre 1954 über 5 Milliarden Schilling. Der Staatssekretär betonte, dafj der Begriff des Deutschen Eigentums dem österreichischen Rechte fremd war und aus der Diskussion sobald als möglich verschwinden müsse. Es laufe der europäischen Rechtsauffassung und unserer zuwider, wenn die Republik willkürliche Beschlagnahmen, die sich nicht einmal auf die Potsdamer Deklaration stützen konnten, als Grundlage für eine Enteignung anerkenne. Wir könnten nur an jenen Vermögenswerten Eigentum erworben haben, die früher deutschen Vorbesitzern gehörten; alle übrigen Besitze würden nur treuhändig verwaltet und müfjten zurückgestellt werden. Zur Frage der USIA-Betriebe erklärte der Staatssekretär, dafj die wirtschaftliche Lage vieler Unternehmungen unerfreulich sei. Sie seien mit den Kontrollbankschulden (staatsverbürgte Kredite, die oft die einzige Lebens-möglichkeif waren) schwer belastet. Von bundesverbürgten Krediten stehen gegenwärtig noch mehr als 441 Millionen Schilling aus. Man sei sich klar, dafj die USIA-Betriebe diese Schulden nicht in voller Höhe zurückzahlen werden können. Die Höhe des einzufordernden Betrages müsse sich nach der Leistungskraft der Unternehmungen richten und dürfe nie die Existenz des Betriebes gefährden. Dr. Bock bedauerte es, dah die zur Regelung dieser und anderer Fra-qen nötige Durchführungsverordnung zum Sfaafs-vertrag seit September 1955 frofz zwanzig Entwürfen nicht die einstimmige Billigung des Ministerrates gefunden habe. Es wäre eine der ersten Aufgaben des neugewählten Nationalrates, hier endlich Ordnung zu schaffen sowie eine Lex Döllersheim zu verabschieden angesichts der Tafsache, dafj — während 700 Rückstellungsverfahren schweben — fruchtbares Land auf Besiedelung warte. Die Frage der Alpenvereinshüffen steht dagegen vor der Regelung. *

WAS WISSET IHR, DUNKLE WIPFEL, von der alten, schönen Zeit — so schrieb Eichendortf, der waldesfrohe Romantiker. Das war genau vor 130 Jahren und steht ausgerechnet im „Taugenichts“. Womit nichts gegen die Ergebnisse der Waldbesfandsaufnahme in Oesterreich und die halbamtlichen Stellungnahmen dazu gesagt sein soll. Aber wir haben jedenfalls recht behalfen mit unseren Prognosen, und alle Mafj-nahmen, die man jetzt als künftiges Arbeitsprogramm plant, wiegen desto schwerer. Auf der Grundlage der nunmehrigen ernüchternden Ziffern, die uns von den dunklen Wipfeln und der alten, schönen Zeit erzählen, die dahin in den Ofen, in die Schwellen, in die Bergwerke zog, soll eine strenge Rohholzbilanz erstellt werden; soll der sogenannte Eigenbedarf erhoben werden, wobei bemerkt sein mufj, dafj der Eigenbedarf teils eine soziale Seite (Zwangslage gewisser Besitzer, die Holz schlagen, um Schulden zu fügen) und teils eine, leider muh man das auch sagen, egoistische Seile hat (Verlangen nach Gütern, die über dem Lebensstandard liegen). Man könnte sich auch endlich wissenschaftlich mit der Frage des Ersatzes von Brennholz durch Erdgasleitungen und Propan-Flaschenverfrieb befassen und die Investitionen auf diesem Sektor der Bauernschaft steuerlich gufbuchen. Sehr bedenklich stimmt uns die angedeutete Möglichkeit, dafj bei einer Kürzung der Budgetmittel eine Weiterführung der Waldinventur unterbliebe; das hiefje, dafj alle bisherige Arbeit umsonst war. Diese Mittel müssen im Interesse des Volksvermögens dasein! Die Forstinventursfelle in Wien-Schönbrunn bedarf sogar einer Ausgestaltung. Ein Punkt hat uns über alle dunkle Wipfel, die es nicht mehr gibt, erhoben: das ist die Versicherung einer „ständigen Unterrichtung der Oeffentlichkeit“. Späf, aber doch! Besser der Presse-Bläfferwald rauscht als die Blätter einsamer Bäume auf Kahlschlägen.

ALARMRUFE AUS HEIDELBERG. Unter diesem Tifel veröffentlicht die „Deutsche Tagespost“, Würzburg, einen Artikel, in dem festgestellt wird, dafj an der altberühmten Heidelberger Universität, die 1386 eröffnet wurde, im 15. und 16. Jahrhundert der Hauptsifz der Humanisten (Agricola, Celtis, Reuchlin), im neunzehnten ein europäisches Studienzentrum und zugleich bedeutsam durch die „Heidelberger Romantik“ (Brentano, Arnim, Görres und Eichendorff) war und bis vor kurzem Weifruf hatte, dafj hier gegenwärtig achtzehn Ordinariate und vier Exiraordinariafe unbesetzt sind. In einzelnen Fakultäten droht der Zusammenbruch des gesamten Lehr- und Prüfungs-befriebes; die noch amtierenden Professoren sind so überlastet, dafj Abwanderungen immer häufiger werden — wodurch sich die Situation noch verschärft. Die Studenten der Universität Heidelberg haben Protestkundgebungen angekündigt, was begreiflich erscheint, wenn man liest, dafj u. a. die 'oigenden wichtigen Lehrstühle unbesetzt sind: Neuere Geschichte, Deutsche Literaturgeschichte, Romanische Philologie, Altes Testament, Religions- und Missionswissenschaft, Privatrecht, Augen- und Zahnheilkunde, Anorganische Chemie, Angewandte Mathematik und Physik. — Als Sündenbock zur Erklärung dieser fatalen Zustände wird das sogenannte 131-Gesefz vorgeschoben, demzufolge die Neueinstellung eines Beamten nur möglich ist, wenn gleichzeitig ein heimaivertriebener Beamter eingestellt wird. Und da es in Baden-Würfismberg mehr als 800 „kommissarisch“ tätige Heimatvertriebene gibt, brauchte man nur einen Teil von ihnen ins Beamtenverhälfnis zu übernehmen — und der Weg zur Besetzung der Lehrstühle stünde frei. So einfach, scheint uns, liegen die Dinge aber nichf. Der allgemeine Mangel an hochqualifizierten Lehrkräften in Westdeutschland ist ebenso bekannt wie die äufjersf bescheidenen Kulturbudgets der einzelnen Länder. Die Universitäten standen während der letzten Jahre sehr im Schatten des westdeutschen Wirtschaftswunders. Das ist, mif wenigen Ausnahmen (Hessen etwa und Hamburg), so von Schleswig-Holstein bis Bayern. Die Besefzungsschwierig-keiten, lies die Rivalitäten einzelner Wissenschaftler, tragen auch nichf zur Verbesserung der Lage bei. So wird mit einem Handsfreich, etwa durch Aufhebung des 1317Gesefzes, der Notstand nicht zu beheben sein.

EIN KON KURRENZ-JUDENSTAAT! Auch dem Judentum gegenüber machen die Sowjets ihre bewährte Taktik geltend. Nachdem sie mif der Lieferung von Ostblockwaffen an Aegypten die Gefühle aller Juden, denen der junge Staat Israel als Realilät oder als symbolisches Vaterland teuer isf, aufs tiefste wider sich erregl haben, versuchen sie mit anderen Mitteln, jüdische Sympathien für sich zu gewinnen. Es ist so nicht unbemerkt geblieben, dafj auf der diesjährigen Feier der Oktoberrevolution in Moskau die Fesfrede dem einzigen Juden im hohen Gremium der Kommunistischen Partei der UdSSR, Lazar Kaganowitsch, anvertraut worden isf — und dafj in allen sowjetisch gegängelten Blättern der Welt, von der groljen „Prawda“ bis zum Ost-Berliner kleinen „Neuen Deutschland“, Kaga-nowitschs Photographie als einzige allein neben Kollektivaufnahmen von der Sitzung des Obersten Sowjets zu erscheinen hatte. Das war ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl ans Judentum: „Wir sind, trotz Aegypten, nichf eure Feinde — und wir können auch anders.“ Wenige Tage später brachte die Sowjetpresse in grofjer Aufmachung überraschend die Nachricht, General Kreiser sei mif dem Lenin-Orden dekoriert worden. Kreiser gehörte zu den wenigen jüdischen Generälen der Roten Armee, die im Kriege in Tagesbefehlen häufig lobend erwähnt worden, dann aber ganz in Vergessenheit geraten sind. Aus der Vergessenheit zieht die UdSSR im gleichen Augenblick auch, dafj sie seit bald dreifjig Jahren ein autonomes Territorium in ihrem Verband als Konkurrenz für den Judensfaat :n Palästina bereit hält: Birobidschan. Im Fernen Osten am Amur zwischen den beiden Flüssen Biro und Bidschan liegt dieses Gebief, das im Jahre 1928 im Sinne der sowjetischen Auffassung, jedes Sowjetvolk solle auch sein eigenes Territorium haben, den russischen Juden zur Kollektivbesiedlung und internen Selbstverwaltung übergeben worden ist. In den ersten Jahren zogen rund 2000 Familien jährlich dorthin; 1938 rechnete man in Birobidschan mit etwa 20.000 jüdischen Siedlern. Eine Anziehungskraft auf die zwei Millionen Juden der UdSSR übte Birobidschan in keiner Weise aus; und nach dem zweiten Weltkrieg wurde davon so gut wie gar nie mehr gesprochen. Nun veröffentlicht das in Warschau in jiddischer Sprache erscheinende Blatt „Volkssfimme“ auf einmal einen längeren Artikel über Birobidschan. Die „Volksstimme“ feilt mif, den Artikel aus der Zeitung „Stern“ in Birobidschan übernommen zu haben — woraus man erfährt, dafj somit dort noch eine jiddische Zeitung erscheint, während alle anderen jiddischen Blätter der UdSSR, wie ein Reisebericht des Kopenhagener Journalisten Seidenfaden im „Manchester Guardian“ vom 17. November 1955 vermerkt, verboten sind. Der Artikel in der „Volkssfimme“ enthält aufjer den jüdischen Namen einiger Arbeiter und Fabriksdirektoren keinerlei Angaben über jüdisches Leben in Birobidschan. In das sowjetische Spiel pafjt es genau, dafj der Gesandte des Staates Israel in Moskau bis jetzt frolz wiederholter Bitten keine Erlaubnis erhalten hat, das „autonome jüdische Territorium der Russischen Sozialistischer; Föderativen Sowjetrepublik Birobidschan“ zu besuchen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung